1914-11-08-DE-004
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Quelle: DE/PA-AA/R 22403
Zentraljournal: 1914-A.H.-2193
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Telegramm-Abgang: 11/08/1914 05:23 PM
Telegramm-Ankunft: 11/08/1914 07:40 PM
Praesentatsdatum: 11/09/1914 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 80
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt (Zimmermann) an das Große Hauptquartier (Jagow)

Telegraphischer Bericht



Nr. 80

Berlin, den 8. November 1914

Antwort auf Tel. 97.

Eurerer Exzellenz Weisung hatte ich unverzüglich dem K. Botschafter in Konstantinopel übermittelt. Freiherr von Wangenheim telegraphiert darauf unter No. 1262 vom 7. d.M.:

„Der Gedanke, daß der jetzige Weltkrieg durch das Bündnissystem mitveranlaßt ist und daß deshalb neue langfristige Bündnisse nicht geschlossen werden dürfen, ist bei den rein orientalischen schwankenden hiesigen Staatslenkern nicht zu verwerten. M. E. kommt es darauf an, den Krieg mit allen Mitteln zunächst zu gewinnen und nach Friedensschluß die aus diesen Mitteln entstandenen Gefahren allmählich zu beseitigen. Jeder intelligente Türke weiß, daß aus einem Bündnis der Türkei mit europäischen Mächten nicht absolut bindende Verpflichtungen hervorgehen. Casus foederis wird in jedem Falle interpretationsfähig bleiben. Gegenwärtig handelt es sich für die Türkei um eine rein innenpolitische Frage. Unseren Anhängern im Komitee wird von ihren Gegnern vorgeworfen, daß die Türkei jetzt ihre Existenz riskiere, ohne gegen spätere Revanchegelüste der Tripelentente gesichert zu sein. Die Aktionspartei möchte gegen diese Vorwürfe eine Waffe in die Hand bekommen, um damit auch den Treibereien der englisch-französischen Partei entgegenzutreten. Letztere beruft sich jetzt schon darauf, daß für das plötzliche Losschlagen der Türkei auch nicht ein einziger Ausdruck des Dankes Seiner Majestät des Kaisers oder der Kaiserlichen Regierung an Seine Majestät den Sultan und an die Pforte gelangt sei. Um Großwesir, Djavid und deren Hinterleute zu beruhigen, hatten Enver und seine Freunde den Wunsch ausgedrückt, das Bündnis möge ausgedehnt und Anleihe-Vertrag verbessert werden. Sie hatten auf eine baldige günstige Entscheidung des Berliner Kabinetts gerechnet. Das Ausbleiben unserer Entscheidung macht die Lage hier täglich spannender [im Original von Wangenheim:gespannter]. Ich bin nicht in der Lage, mit dem Großwesir persönlich zu verkehren. Auch unsere Freunde werden bereits mißtrauisch und fangen an, an unserer Ehrlichkeit zu zweifeln, besonders da es sich nach ihrer Ansicht bei der Bündnisfrage für uns nur um ein rein formales handelt, während für sie die Einigkeit ihrer Partei und damit ihre Stellung gegenüber Armee und Bevölkerung, überhaupt das ganze Schicksal der Aktion auf dem Spiel steht. Wenn wir wollen, daß die Türkei durchhält, so haben wir das lebhafteste Interesse, die Disharmonien im Komitee zu beseitigen, die türkischerseits Angriffspunkte für unsere Gegner darstellen. Wie mir Markgraf Pallavicini vertraulich sagt, ist die österreichisch-ungarische Regierung durchaus geneigt, auf die türkischen Vorschläge einzugehen. Auch nach dem Friedensschluß werden die Koalitionen noch andauern und erst ganz allmählich durch Ausdehnung der Ententen mittels Spezialabkommen, Rückversicherungs-Verträge u.s.w. verschwinden. Innerhalb dieser Entwickelung dürfte für ein zehnjähriges Bündnis mit der Türkei wohl Raum vorhanden sein. Ich erbitte nochmalige Prüfung der Frage und schleunige Entscheidung.“

Ich halte die Ausführungen für sehr beachtenswert und darf schleuniges Eingehen auf ursprünglichen Vorschlag des Botschafters um so dringender empfehlen, als Markgraf Pallavicini nach einer mir vom Prinz Hohenlohe soeben vorgelesenen Instruktion aus Wien dem Großwesir bereits die Geneigtheit der österreichischen Regierung zur Erfüllung der türkischen Wünsche im Falle unserer Zustimmung mitgeteilt und der Großwesir seiner Freude und Dankbarkeit für diese Mitteilung mit dem Bemerken Ausdruck geliehen hat, daß unter solchen Umständen die durch Enver herbeigeführte an sich sehr anfechtbare militärische Aktion ihre nachträgliche Rechtfertigung und das Eintreten der Pforte für die Zentralmächte bei allen Mitgliedern des Komités Billigung und Unterstützung finden werden.


[Zimmermann]
[Bethmann Hollweg 9. 11. an Auswärtiges Amt (No. 100)]

Auf Tel. No. 80.

Bitte Botschafter Constantinopel anweisen, Großvezir zu sagen, daß wir principiell bereit sind, auf gewünschte Ausdehnung des Vertrages einzugehen, doch soll Baron Wangenheim zunächst Entwurf des neuen Textes einsenden. Wegen Dauer hinweise ich darauf, daß 3bund zunächst nur bis 1920 läuft und nur bei Nichtkündigung (1 Jahr vor Ablauf) automatisch 6 Jahre weiterläuft. Vorschlage deshalb zunächst Ausdehnung auf ein Jahr (bis 1920), mit eventueller Fortdauer weiterer 6 Jahre, analog Dreibundvertrag. Es erscheint technisch schwer möglich für Vertrag zwischen Deutschland, Oesterreich und Türkei längere Frist zu bestimmen als im deutsch-österreichischen Vertrage. Falls Dreibund bis 1926 dauert, könnte automatisch auch türkischer Vertrag solange fortdauern. Großvezir muß einsehen, daß wir nur loyal handeln wenn wir Türkei nicht mehr bieten als unserem langjährigen Bundesgenossem und als wir bei eventuell vollständig veränderter Mächtekombination leisten könnten.

Bitte vor Absendung des Telegramms nach Constantinopel angegebene 3bundfrist noch nachprüfen.



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