1914-11-26-DE-005
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Quelle: DE/PA-AA/R 20173
Zentraljournal: 1914-A-33076
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 12/02/1914 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 333
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der Botschafter in Wien (Tschirschky) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 333.

Rom, den 26. November 1914.

Die islamitische Bewegung und ihre Rückwirkung auf Libyen beschäftigen die hiesige öffentliche Meinung fortgesetzt auf das lebhafteste. So bringt der Corriere della Sera vom 20. d.M. einen längeren Artikel über die zweifelhaften türkischen Garantien für Tripolis und die Cyrenaica. Viele, so heisst es darin, seien skeptisch, ob es überhaupt möglich sei, die islamitische Bewegung, die mehr eine solche des religiösen Fanatismus, als eine politische Bewegung sei, vor den italienischen Kolonien zu Stehen zu bringen. Zwar hätten die Türkei sowohl wie Deutschland und Österreich ein Interesse daran, Italien jetzt keine Unbequemlichkeiten zu schaffen, aber man glaube allgemein, dass die Türkei auch beim besten Willen nicht imstande sein werde, den Feuerbrand von den muselmanischen Besitzungen Italiens fernzuhalten. Jedenfalls hätten die türkischen Zusicherungen nur solange Geltung, als Italien neutral bleibe.

Tatsache sei, dass die türkische Regierung sowohl direkt durch Mitteilung an Marquis Garroni, die von Naby Bey hier wiederholt sei, wie indirekt über Berlin und Wien in förmlicher Weise versichert habe, Italien werde in Tripolis und der Cyrenaica keinerlei Verdruss haben. Es sei auch bekannt, dass ein Jungtürke in Rom gewesen sei mit dem Auftrage, die leitenden Kreise davon zu überzeugen, dass die kürzlich in der Cyrenaica entbrannte Agitation nicht von türkischen oder deutschen, sondern von englischen und französischen Agenten ausgegangen sei, um Italien zum Anschluss an England und Frankreich und damit zur Aufgabe der Neutralität zu bewegen. Diese Versuche seien nicht allzu ernsthaft genommen, da zu viel Beweise des Gegenteils vorlägen. So sei der Agitationsversuch deutscher Emissäre in Tripolis, die allerdings umgehend von der Regierung ausgewiesen worden seien, ja genugsam bekannt, ebenso wie die Ankunft eines in Konstantinopel ansässigen Tripolitaners in der Cyrenaikca, der grosse Geldbeträge mit sich gebracht hätte.

In den allerletzten Tagen habe sich in den zuständigen Kreisen auf Grund unwiderlegbaren Beweismaterials die Überzeugung gebildet, die Türkei sei mit ihren Versicherungen nicht aufrichtig und spiele Italien gegenüber ein doppeltes Spiel. Während die türkische Regierung bestrebt sei, Italien zu umschmeicheln und ihm die Ruhe in Tripolis und in der Cyrenaica zu garantieren in der Absicht, damit zu verhindern, dass italienische Streitkräfte die christliche Herrschaft in Nordafrika mit verteidigten, bereite sie mittels ihrer Agenten das Terrain vor, um wenn jemals der Tag kommen sollte, an dem Frankreich und England aus ihren Besitzungen vertrieben würden, den Italienern ein gleiches Schicksal zu bereiten. So würde die Türkei dann nach den Plänen Enver Paschas, dessen Bestrebungen bekanntlich auf den Wiedererwerb der Cyrenaica gerichtet seien, ein Hindernis weniger zu überwinden haben bei der Verwirklichung ihrer phantastischen Rückeroberungspläne.


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