1915-03-15-DE-003
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Quelle: DE/PA-AA/R 20180
Zentraljournal: 1915-A.S.-1110
Erste Internetveröffentlichung: 2012 April
Edition: Die deutsche Orient-Politik 1911.01-1915.05
Praesentatsdatum: 03/16/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 174
Zustand: A
Letzte Änderung: 06/17/2017


Der AA-Vertreter im Großen Hauptquartier (Treutler) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Telegraphischer Bericht



Nr. 174.

Grosses Hauptquartier, den 15. März 1915.

Geheim. Von Graf Zech zu entziffern.

Falkenhayn hatte, um seinen Geheimbericht zu kontrollieren, Conrad gebeten, ihm offen mitzuteilen, wie lange Przemysl sich halten könnte. Conrad antwortete mit Angabe des gleichen Tages, den der Geheimbericht angegeben hatte und sprach sich sehr resigniert dahin aus, dass die Chancen des Entsatzes sehr gering seien. Falkenhayn hofft, dass die Einwirkung, die Conrad in Wien versprochen hat, bewusste Angelegenheit trotz bestehender Schwierigkeiten fördern wird; ein weiteres Urgieren [Drängen] bei Ew. Exzellenz erklärte ich für überflüssig, da mein Brief alles Nötige enthalten habe, um die Dringlichkeit seines Wunsches zu kennzeichnen. Ich fragte ihn dann, ob er nicht nach Fehlschlag des Entsatzes von Przemysl die deutschen Korps sofort Kehrt machen und an der Nordostecke Serbiens einsetzen wolle. Die ungarischen Pässe würden doch wohl von den Oesterreichern allein gehalten werden können. Durch Oeffnung dieses Weges nach der Türkei werde dem traurigen Ereigniss des Falles von Przemysl das beste paroli geboten. Er ging darauf ein, indem der meinte, "er kokettiere schon lange mit dem Gedanken". Ich drängte nun, bis er sich damit einverstanden erklärte, dass ich Ew. Exzellenz in seinem Namen mitteilte, er wolle dem Gedanken nahe treten, vier deutsche Divisionen für diesen Zweck aus den Karpathen auszulösen. Es werde freilich nicht leicht sein, Conrad für diesen Gedanken zu gewinnen, auch müsse er unter allen Umständen einen Misserfolg vermeiden, und zu diesem Zweck mache er die Bedingung, dass Bulgarien gewonnen werde, gleichzeitig mit uns Serbien anzugreifen. Nur dann sei bei den schwierigen Gebirgsverhältnissen der Erfolg garantiert. Bei der Sondierung Bulgariens, um die er bitte, sei allerdings grösste Vorsicht geboten und nur absolute Vertrauenspersonen dürften zunächst eingeweiht werden, um zu vermeiden, dass Serbien vorzeitig von dem Plan erfahre und den Zipfel noch mehr verstärke.


[Treutler]
[Jagow am 16. 3. an Gesandtschaft Bukarest (Nr. 193)]

Ganz geheim. Selbst entziffern. Oberste Heeresleitung erwägt vier deutsche Divisionen gegen serbische Nordostecke einzusetzen. Da Mißerfolg unter allen Umständen vermieden werden muß, würde sie Aktion nur unternehmen können, wenn Bulgarien gleichzeitig mit uns Serbien angreift. Nur dann sei bei den schwierigen Gebirgsverhältnissen der Erfolg garantiert. Beginn der Aktion baldmöglichst. Ob gleichzeitiges österreichisches Vorgehen an anderen Stellen serbischer Grenze erfolgen würde steht noch nicht fest. Ew. pp. wollen Angelegenheit streng geheim mit Militär-Attaché besprechen und schleunigst drahten

1. ob nach Ihrer Meinung Aussicht auf gewünschte Kooperation Bulgariens vorhanden

2. ob Sondierung bulgarischer Regierung ohne Gefahr von Indiskretion möglich und bei wem Ex. pp. zu sondieren empfehlen. Damit Serbien nicht vorzeitig von dem Plan erfährt und den Zipfel noch mehr verstärkt wäre größte Vorsicht geboten und dürften nur unbedingt sichere Vertrauenspersonen eingeweiht werden,

3. ob in irgendeiner Form die Mazedonier vorgespannt werden könnten.

Bitte vorerst nur Militärattaché einzuweihen.


Berlin, den 17. März 1915.

Abschrift

Aus den Mitteilungen Herrn von Treutlers ersehe ich, daß Euere Exzellenz

1.) den Fall von Przemysl leider für unabwendbar erachten,

2.) daß Sie dem Gedanken einer Aktion gegen Serbien zur Öffnung des Weges nach der Türkei praktisch näherzutreten suchen.

Es ist leider keine Frage, daß der Fall von Przemysl nicht nur auf Seiten unserer Gegner, sondern auch bei all den schwankenden Faktoren, die sich „Neutrale“ nennen, einen ungeheuren Eindruck machen und als eine Niederlage von größerer Bedeutung angesehen würde, als ihr vielleicht tatsächlich zukommt. Sollte der Einnahme von Przemysl etwa auch der Fall der Dardanellen folgen, so würde dieser Eindruck namentlich unter den Balkanstaaten und in Italien sich ganz ungeheuer vergrößern. Die lauernde Schakalpolitik dieser Staaten würde daran den Anstoß finden, sich an der Curée der Türkei beteiligen zu wollen. Ich müßte dann nicht nur Rumänien, sondern auch Griechenland und selbst Bulgarien für uns für verloren erachten, voraussichtlich würden sie offen in das Lager unserer Feinde übergehen. Von unseren besonderen wirtschaftlichen und politischen Interessen in der Türkei ganz abgesehen, würde der Fall Konstantinopels in der ganzen Welt unserem Ansehen einen schweren Stoß versetzen; man würde sich allgemein sagen, Deutschland, das die Türkei in den Krieg gestoßen hat, hat sich als zu schwach erwiesen, um seinen Bundesgenossen zu schützen und hat ihn opfern müssen. Wie klar unsere Gegner das erkannt haben, geht daraus hervor, daß sie all die tiefgehenden, jahrhundertalten Interessengegensätze, sie sich mit den Begriffen Konstantinopel und Meerengen verbinden, für den Moment hinter dem Wunsch zurückgestellt haben, zunächst Deutschland auf diesem Gebiet eine politisch-militärische Niederlage zu bereiten. Für England kommt das Bestreben hinzu, durch eine Niederwerfung der Türkei die für Egypten und Indien drohende Gefahr abzuwenden. Deshalb kann ich es nur mit lebhafter Freude begrüßen, daß Euere Exzellenz dem serbischen Problem Ihre volle Aufmerksamkeit schenken.

Ich glaube aber auch, daß für Österreich die einzige Möglichkeit, die bevorstehende Scharte von Przemysl auszuwetzen, die ist, den Urfeind Serbien niederzuwerfen und nebenbei seine Stellung in der Bukowina so zu verstärken, daß Rumänien sich den Gedanken eines Einfalls daselbst aus dem Sinne schlagen muß. „Helden“ sind die Rumänen ja glücklicherweise nicht.

Euere Exzellenz wissen, wie sehr es mir fernliegt, mich in die militärischen Operationen der obersten Heeresleitung einmischen zu wollen. Aber die militärischen und politischen Fragen sind besonders in dem jetzigen Weltkrieg so eng verbunden, daß Sie mir ein Abschweifen in das mehr militärische Gebiet zu Gute halten wollen.

Soweit ich orientiert bin, würde eine wirksame Aktion gegen Serbien doch nur mittels etwa 120000 Mann möglich sein. Bulgarien zu einer sofortigen Cooperation mitzureißen, scheint mir nach seiner ganzen bisherigen Haltung schwer möglich. Es hat sich bisher immer auf den Standpunkt gestellt, daß es unsere Operation gegen Serbien unterstützen würde, wenn unsere Truppen sich siegreich der bulgarischen Grenze näherten. Der Wagemut der bulgarischen Staatsmänner und besonders König Ferdinands dürfte durch die jetzige Lage und die Gefährdung der Türkei nicht gewachsen sein. Wir können nach menschlicher Voraussicht also auf Bulgarien erst rechnen nach einem siegreichen Einmarsch in Serbien, würden dann aber meines Erachtens nicht nur Bulgarien auf unsere Seite ziehen sondern auch einen Umschwung der Haltung Rumäniens und eine Sicherung der Neutralität Griechenlands erreichen. Österreich sollte sich mit dem Unvermeidlichen abfinden, Przemysl und das an sich schon gänzlich verwüstete Ostgalizien für den Moment opfern und sich lediglich auf eine Verteidigungsstellung in den Karpathenpässen beschränken. Dafür könnten die Österreicher und wir Truppen aus den Karpathen wegziehen, die österreichische Stellung in der Bukowina (gegen Rußland und Rumänien) stärken und mit ausreichenden Kräften die Öffnung der serbischen Ecke unternehmen. Der Moment scheint in sofern nicht ungünstig, als die bevorstehende Schneeschmelze eine Aktion in Serbien erleichtern dürfte. Ein schneller Entschluß scheint mir aber auch erforderlich, da - soweit ich orientiert bin - die Munition der Türkei für die Verteidigung der Dardanellen nicht viel länger als einen Monat ausreichen soll. Ein Durchbringen der Munition durch Rumänien ist bisher trotz aller Einwirkungsversuche auf Bratianu, persönlichen Druck auf den König, Bestechung etc. nicht gelungen. Auch würde die Munitionsversorgung auf diesem Wege doch immer nur sehr langsam und spärlich erfolgen können.

Wie weit die obigen Gedanken im Bereiche militärischer Möglichkeiten und unserer Kräfte liegen, kann ich natürlich nicht abschließend beurteilen. Ich möchte sie aber Euerer Exzellenz freundlicher Erwägung dringend empfehlen. Wenn der Versuch der Entente, die Dardanellen zu forzieren, scheitert (was ja bei hinlänglicher Munition erwartet werden kann), so würde dies einen Echec von größter Tragweite bedeuten, der auch die moralische Widerstandskraft namentlich Rußlands und Frankreichs ernstlich ins Wanken bringen müßte. Ein Niederzwingen Englands erscheint mir aber ohne Bedrohung Egyptens und Indiens so gut wie ausgeschlossen.

In der rechtzeitigen Öffnung des Weges zur Türkei durch Serbien sehe ich nach wie vor ein entscheidendes Moment für den Ausgang des ganzen Krieges.



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