Euerer Exzellenz beehre ich mich unter Bezugnahme auf mein Telegramm von heute beifolgende Eingaben der im Vilajet Adana bestehenden deutschen Firmen aus Anlass der Armenierverfolgung gehorsamst zu überreichen.
Einen Bericht über die gleiche Angelegenheit darf ich mir nach Eingang der von armenischer Seite mir angekündigten Darstellung der in jeder Hinsicht bedauernswerten Vorgänge gehorsamst vorbehalten.
Mersina, den 15. Juli 1915.
Die von der Kaiserlich Türkischen Regierung seit geraumer Zeit vereinzelt und exemplarisch vorgenommenen Ausweisungen von Armeniern sollen laut neuerem Erlass dieser Regierung unter Enteignung alles beweglichen und unbeweglichen Besitzes ausnahmslos fortgesetzt werden. Durch Erwerbung der bisherigen Ländereien der Armenier will die türkische Regierung den mazedonischen Flüchtlingen eine zweite Heimat schaffen.
Man spricht davon, dass die türkische Regierung bereit sei, eventuelle Forderungen an armenische Kunden aus den erzielten Erlösen zu decken. Eine vollständige Deckung dieser Forderungen erscheint jedoch von vornherein und insofern ausgeschlossen, als der Landerwerb durch die Kaiserlich Türkische Regierung in einer Art und Weise vor sich gehen soll, die einen ganz ungemeinen Wertverlust einschliessen wird, setzt man doch beispielsweise heute schon den Preis eines Stückes Ackerland, das bisher Ltq. 3,- pro Dunnem wertete, auf ebensoviel Medjidieh fest. Einer hypothekarischen Sicherstellung von Forderungen an Armenier gegenüber verhält sich die Kaiserlich Türkische Regierung bereits heute ablehnend. Ein ähnlicher Wertsturz ist aber in Anbetracht der heutigen Verhältnisse auch bei der Abschätzung und beim Verkauf von Wohnhäusern und Warenlagern zu erwarten. Angesichts der Unmöglichkeit, über ihre Immobilien irgendwie zu verfügen, werden die Armenier selbstredend von ihren Warenbeständen soviel, als irgend möglich loszuschlagen suchen, indem sie diese Bestände zu jedem Preis verschleudern, nur um möglichst viel Bargeld aus ihnen herauszuholen; und damit hat man beispielsweise in Tarsus teilweise schon begonnen. Andererseits wird die türkische Regierung das, was noch übrig bleibt, ebenfalls zu Schleuderpreisen abgeben müssen.
Obgleich die deutschen Firmen dieses Vilajets bei armenischer Kundschaft stark engagirt sind, so denken sie dennoch nicht im entferntesten daran, die rein politischen Massnahmen der Kaiserlich Türkischen Regierung irgendwie zu kritisiren. Andererseits muss aber schon heute betont werden, dass die wenigen deutschen Firmen dieses Vilajets vor der unmittelbaren Gefahr stehen, nach jahrelanger wirtschaftlicher Tätigkeit nicht nur einem plötzlichen Stillstand begegnen zu müssen, sondern mit Sicherheit grosse pekuniäre Einbussen zu erleiden, dies alles in der Voraussetzung, dass es unserer Reichsregierung vielleicht nicht rechtzeitig gelingen würde, die Kaiserlich Türkische Regierung in der Einsicht günstig zu beeinflussen, dass diese den wenigen deutschen Firmen dieses Vilajets bei Eintreibung ihrer Forderungen in weitgehendstem Masse entgegenkommt.
Da man sich hier zu Lande bei Kreditgewährung an Kunden hauptsächlich auf deren Besitz an Land, Häusern und Waren basirt, so lassen sich angesichts der heutigen Verhältnisse weder über die Eintreibung unserer Forderungen, noch über unsere spätere wirtschaftliche Tätigkeit irgendwelche Andeutungen machen.
Eine Vermittlung der deutschen Regierung ist daher eine dringende Notwendigkeit - umsomehr, als die Ausweisungen aus Tarsus bereits begonnen haben - und hätte vor allem auf eine Milderung der beabsichtigten Massnahmen zu dringen. Andererseits muss aber die Kaiserlich Türkische Regierung auf die in Frage stehenden, sichtlich gefährdeten deutschen Interessen aufmerksam gemacht und bei ihr auf Schutz und Wahrung derselben bestanden werden.
Unsere nicht unbedeutenden Forderungen an Armenier betragen laut einliegender Aufstellung
Aussenstände per 15. Juli 1915 in Mersina Ltq. 1514,59 Aussenstände per 15. Juli 1915 in Tarsus Ltq. 208,86 1/4 Aussenstände per 15. Juli 1915 in Adana Ltq. 1594,29 1/4 Aussenstände per 15. Juli insgesamt Ltq. 3317,74 1/2
(in Worten Dreitausenddreihundert und siebenzehn Türkische Pfund und vierundsiebzig hunderstel)
Wir haben in den detaillierten Aufstellungen von Mersina/Tarsus/Adana jeweils auch die Vorfälle der betreffenden Beträge angegeben, da uns trotz Moratorium auch Zinsen in Höhe von 6 % für das Jahr zugutekommen, wie diese ja durch das Moratorium auch vorgeschrieben werden. Der oben angegebene Betrag in Türkischen Pfunden wird sich also bei endgiltiger Regelung schwebender Angelegenheiten noch um diese Zinsen erhöhen, worauf wir schon heute aufmerksam machen möchten.
J.Nr. 643
Es ist natürlich nicht Sache der bei der armenischen Klientel stark interessirten deutschen Firmen, die von der Kaiserlich Türkischen Regierung aus innenpolitischen Gründen getroffenen Massnahmen einer Kritik zu unterziehen, doch ist andererseits nicht von der Hand zu weisen, dass bei dem oben geschilderten Vorgehen der Türkischen Regierung die deutschen Firmen dieses Vilajets Gefahr laufen, ihre jahrelange wirtschaftliche Tätigkeit zerstört zu sehen und überdies bedeutende pekuniäre Verluste zu erleiden. Auch die Lage unserer Bank würde sich überaus problematisch gestalten. Einmal haben uns die Erfahrungen der letzten Requisitions-Periode schon bewiesen, wie zweifelhaft die Sicherheit bei der uns verpfändeten Waren erscheint und wie schwierig es ist, unser gesetzliches Eigentumsrecht an derartigen Waren zu behaupten, ferner würde das oben erwähnte Landenteignungsprojekt der Regierung eine vollständige Diskreditirung auch des unbeweglichen Pfandobjekts im Gefolge haben. Da die Wirksamkeit der hiesigen Banken sich hauptsächlich auf Vorschüsse erstreckt und diese in ihrer Höhe natürlich von des Kreditsuchenden Besitz an Land, Häusern und Waren abhängt, so vermag man sich bei den heute herrschenden Verhältnissen weder über die Bergung der vorhandenen Aussenstände, noch über die fernere Gestaltung des Geschäfts eine Vorstellung zu machen.
Eine Intervention der deutschen Regierung ist deshalb dringend erwünscht und müsste einerseits auf eine Milderung der beabsichtigten Massnahmen und andererseits auf die Berechtigung der deutschen Gläubiger zur Aufnahme von Hypotheken auf Ländereien und Hausbesitz hinauslaufen.
Lauf beifolgender Liste belaufen sich die unmittelbaren und mittelbaren Risiken der im hiesigen Vilajet mit armenischer Kundschaft arbeitenden Filialen und Agenturen der deutschen Orientbank Mersina, Tarsus, Adana, Djihan u. Ayess auf insgesamt
Aufstellung der unmittelbaren und mittelbaren Risiken der Deutschen Orientbank A.G. (Filialnetz Mersina-Adana) im Geschäftsverkehr mit Armenischer Kundschaft.
J. Nr. 645
Die Ausweisungen sollen unter Enteignung alles beweglichen und unbeweglichen Besitzes vor sich gehen.
Die türkische Regierung behält sich vor, das Enteignete in einer ihr geeigneten Weise zu realisieren und aus dem Erlöse in erster Linie eigene, in zweiter fremde Forderungen zu tilgen und den Rest den Ausgewiesenen zur Verfügung zu stellen.
Inzwischen wurden Vorkehrungen getroffen, dass den Armeniern keinerlei Besitzentäusserung oder Ueberschreibung , sei es auch zur Sicherstellung fremder Forderungen, in legaler Form mehr möglich ist.
Es liegt uns fern, die rein politischen Massnahmen der türkischen Regierung in den Bereich irgend welcher Kritik zu ziehen. Wir müssen dahingegen aufs energischste gegen die Art und Weise protestieren, in der Enteignung und Verwertung des Besitzes unserer armenischen Schuldner vor sich gehen soll.
Wie die Verhältnisse liegen, haben wir im vorherein ein Recht zu der bestimmten Annahme, dass ohne wirksame Kontrolle und gewissen Verfügungsrechten unsererseits von rein türkischen Kommissionen, denen Realisierung des beschlagnahmten armenischen Besitzes anvertraut wird, Wahrung unserer Interessen in keinem Falle zu erwarten ist.
Wie die anliegende Liste unserer derzeitigen Forderungen an Armenier ausweist, steht für uns aber zu viel auf dem Spiele, um auf Gnade und Ungnade den türkischen Massnahmen überliefert zu werden.
Der Gründung unserer Gesellschaft lag im Wesentlichen die Aufgabe zu Grunde, das hiesige Land wirtschaftlich zu heben. Es ist nicht zum Geringsten unserer Tätigkeit zu danken sowie den grossen Kapitalien, die wir jahraus jahrein gegen niedrige Zinsen den Bauern zur Verfügung stellten, wenn das Vilajet die vielen wertvollen landwirtschaftlichen Maschinen einzuführen vermochte, der Bauer nicht mehr das Produkt seiner Arbeit in Hände von Wucherern gleiten zu lassen brauchte und das Land allein den Ertrag von Baumwolle von maximal 40000 Ballen bei Beginn unserer Tätigkeit auf 100000 Ballen und mehr in den letzten beiden Jahren zu steigern vermochte.
Unter den Bauern, welchen wir Darlehen gewährten, befindet sich auch eine Anzahl Armenier, worunter wieder Grossgrundbesitzer, die entsprechende hohe Summen geliehen erhielten.
Wir sind der Ansicht, dass die türkische Regierung einer deutschen Gesellschaft, die so wesentlich zur Entwicklung des Landes beigetragen, ihr die Einnahmen aus diesem Vilajet mehr als verdoppeln half, im wohlverstandenen eigenem Interesse jegliche Sicherung der grossen investierten Summen gewähren müsse.
Die beschlossenen Massnahmen der türkischen Regierung vernichten aber nicht nur ein gutes Teil unserer langjährigen müheseligen Kulturarbeit, sie bringen uns vielmehr noch in unmittel[bare] Gefahr, grossen pekuniären Verlusten ausgesetzt zu sein.
In unserer Kreditgewährung an die diversen armenischen Schuldner haben wir uns von der grössten Vorsicht leiten lassen. Der Besitz der Leute wertet um ein Bedeutendes mehr als die Verpflichtungen betragen, die darauf lasten und es ist lediglich die Art und Weise der Enteignung und die willkürliche Verwendung dieses Besitzes, welche unsere Guthaben in Frage stellen.
Nachdem wiederholte Verhandlungen mit den Lokalbehörden auch nicht zu den allergeringsten Resultaten führten, sehen wir uns in die Notwendigkeit versetzt, bei unseren Reichsbehörden Protest einzulegen gegen die beabsichtigten Massregeln der türkischen Regierung in der Enteignungs- und Verwertungsfrage des Besitzes unserer armenischen Schuldner und gleichzeitig der Bitte um tatkräftigsten Schutz wichtiger deutscher Interessen Ausdruck zu verleihen.
Sollte aus innerpolitischen Gründen oder aus Prestige-Fragen heraus es der türkischen Regierung nicht tunlich erscheinen, in ihren beabsichtigten Massregeln eine Aenderung eintreten zu lassen, so braucht sie nur für unsere Forderungen volle Garantien zu leisten. Die Verbannung der Armenier kosten ihr direkt und indirekt ein so enormes Geld, dass im Vergleich damit unsere Gesamtforderungen eine Kleinigkeit bedeuten.
Wir wiederholen unsere Bitte um tatkräftigsten Schutz und empfehlen uns
(Ltq. à 124.-) Ltqes. 16286.26
Zu diesen Beträgen kommen noch für sämtliche Wechsel Verzugszinsen ab Verfall.