1915-09-21-DE-006
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon 99/Bl. 4-5
Botschaftsjournal: 10-12/1915/8102
Erste Internetveröffentlichung: 2010 April
Edition: Deportationsbestimmungen
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Das Auswärtige Amt an die Botschaft Konstantinopel

Schreiben


Berlin, den 21. September 1915.

Nr. II 0 977./135578.

Abschriftlich der Kaiserlichen Botschaft in Konstantinopel

zur gefälligen Kenntnis und mit der Bitte ergebenst übersandt, die Schritte der K.u.K. Österreichisch-Ungarischen Regierung, soweit dortseits keine Bedenken entgegenstehen, tunlichst unterstützen und über den Verlauf der Angelegenheit möglichst bald berichten zu wollen.


Der Reichskanzler
Am Auftrage
Johannes
Anlage

Abschrift

Nr. II 0 977.

K.u.K. Österreichisch-Ungarische Botschaft. Kommerzdirektion.

Nr. K[onstantinopel] 39625.


Verbalnote.

Das K.u.K. Ministerium des Äußern hat sich veranlaßt gesehen, die K.u.K. Botschaft in Konstantinopel zu beauftragen, bei der Kaiserlich Türkischen Regierung Schritte zum Schutze unserer durch die in der Türkei im Gange befindlichen Armenier-Deportierungen gefährdeten Handels- und sonstigen Interessen zu unternehmen.

Der durch die Deportierung armenischer Kaufleute und die sodann in den Warenlagern vorgenommenen Requisitionen unseren Handelskreisen eventuell erwachsende Schaden ist bereits mit einigen Millionen Francs zu beziffern. Es steht zu erwarten, daß diese Schadensziffer durch weitere Deportierung armenischer Kaufleute noch eine beträchtliche Steigerung erfahren wird. Auch unsere in der Türkei tätigen Versicherungsgesellschaften, deren Geschäftsumfang dort ein sehr bedeutender ist, erscheinen durch die Armenierverfolgungen bereits geschädigt, indem bei ihnen die Policen-Prämien-Zahlungen seitens ihrer deportierten armenischen Klienten nicht eingehen. Es stehen sonach in dieser Frage höchst bedeutende materielle Interessen unserer Nationalen auf dem Spiel, welche allem Anschein nach in der Folge noch weit größere Dimensionen annehmen dürften.

Eine Berücksichtigung dieser Interessen, welche rein kommerzieller Natur sind und mit der politischen Seite der armenischen Frage garnichts zu tun haben, kann von der Türkischen Regierung keineswegs als eine Einmischung in ihre Armenierpolitik aufgefaßt werden, da es sich ja nicht um eine Stellungsnahme gegen die Repression armenischer Umtriebe an sich, sondern lediglich um die Hintanhaltung der aus dieser Maßnahme resultierenden Schädigung der österreichischen und ungarischen Gläubiger der gedachten Firmen handelt.

Das K.u.K. Ministerium des Äußern hält es daher für dringend geboten, daß die K.u.K. Botschaft in Konstantinopel die Aufmerksamkeit der Türkischen Regierung auf die bereits derzeit eingetretenen nachteiligen materiellen Konsequenzen der gegen armenische Kaufleute durchgeführten Maßnahmen für unsere Handelskreise lenkt und an dieselbe mit entsprechendem Nachdrucke das Ersuchen stellt, bei der Deportierung von armenischen Kaufleuten und bei der im Zusammenhang damit erfolgten Requirierungen ihrer Warenbestände Vorsorge zu treffen, damit der Vermögensstand der betreffenden Firmen soweit konserviert werde, um die Forderungen unserer Nationalen vollkommen sicherstellen zu können.

Das K.u.K. Ministerium des Äußern hat in diesem Zusammenhange der K.u.K. Botschaft in Konstantinopel empfohlen, die Aufmerksamkeit der kompetenten türkischen Stellen auf die bei uns eingeführte Institution der Geschäftsaufsicht zu lenken. [Anmerkung Neurath: In der Türkei wohl nicht durchführbar.]

Die kriegerischen Ereignisse haben nämlich zur Folge gehabt, daß eine Reihe von Unternehmungen in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind, weil ihnen die zur Befriedigung ihrer Gläubiger erforderlichen Geldmittel teils infolge der eingetretenen Geschäfts- und Verkehrstockungen, teils infolge der allgemeinen Stundung nicht zur Verfügung standen. Für die Mehrzahl dieser Unternehmungen kann angenommen werden, daß mit der Wiederkehr geordneter wirtschaftlicher Verhältnisse auch die Schwierigkeiten, mit denen sie zu kämpfen haben, wegfallen werden. Da die Zahlungsunfähigkeit solcher Unternehmungen die Eröffnung des Konkurses zur Folge hätte, welche nicht nur den Bestand des Unternehmens vernichten, sondern auch die Vermögenswerte zerstören würde, die sonst erhalten bleiben könnten, wurde von den Vertretern der wirtschaftlichen Kreise das dringende Begehren gestellt, daß Vorschriften erlassen werden, durch die während der Kriegszeit die Konkurseröffnung vermieden und die Fortführung des Geschäftes unter gleichzeitiger Wahrung der Interessen der Gläubiger und des Schuldners möglich gemacht werde.

Wie aus der im Reichsgesetzblatt Nr. 247 verlautbarten Kaiserlichen Verordnung vom 17. September 1914 hervorgeht, wird durch die Bestellung dieser Geschäftsaufsicht der Zweck verfolgt, die Fortführung solcher Geschäfte unter gleichzeitiger Wahrung der Interessen der Gläubiger und des Schuldners zu sichern. Eine solche Geschäftsaufsicht würde, wenn sie über die durch die Deportierung der Firmenchefs gefährdeten armenischen Firmen bestellt würde, unseren Gläubigern auch die Möglichkeit bieten, bei diesen Stellen ihre noch unbeglichenen Forderungen geltend zu machen.

Da der deutsche Levante-Handel in dieser Frage gleichfalls in erheblichem Maße interessiert erscheint, erlaubt sich die K.u.K. Botschaft im höheren Auftrage das Auswärtige Amt von der unsererseits beabsichtigten Intervention ergebenst in Kenntnis zu setzen und hierbei in Anregung zu bringen, daß die Kaiserlich Deutsche Botschaft in Konstantinopel ehestgefällig angewiesen werde, sich den bezüglichen Schritten des Markgrafen Pallavicini anzuschließen.

Die K.u.K. Botschaft darf einer geneigten Rückäußerung des Auswärtigen Amts über seine Stellungsnahme zu der besagten Anregung mit Dank entgegensehen.


Berlin, den 15. September 1915

An das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches, Berlin.



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