1915-10-12-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14088
Zentraljournal: 1915-A-29675
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 10/13/1915 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/03/2012


Der Vorsitzende des Vereins deutscher Zeitungsverleger (Friedrich Faber) an den Unterstaatssekretär des Auswärtigen Amts (Zimmermann)

Privatschreiben



Hasserode, Harz, den 12. Oktober 1915.
Hasenwinkel 1

Eurer Exzellenz

ausführliches Schreiben vom 4. d.M.1 habe ich hierher nachgeschickt erhalten, wo ich auf dringenden Rat meines Arztes eine kurze Nervenauffrischung suche. Ich habe daraufhin zunächst sofort an die Zeitungen ein vertrauliches informierendes Schreiben hinausgehen lassen und ihnen nahegelegt, aus Rücksicht auf unsere nationalen Interessen die Armenierfrage nicht zu erörtern. Ich habe hier aus diesem Winkel die Presse nicht verfolgen können, hoffe aber, dass damit der Sache in der deutschen Oeffentlichkeit zunächst einmal ein Riegel vorgeschoben worden ist. Gleichzeitig habe ich an den Direktor Schreiber der Deutschen Evangelischen Missionshilfe ein Schreiben gehen lassen, in dem ich meinen Rücktritt von meinem Amt in der D.E.M.H.2 in Aussicht stelle, wenn er die Konferenzen nicht dahin brächte, dass sie den Plan, weitere Kreise mit der Armenierfrage zu befassen, aufgäben. Direktor Schreiber hat mich dann nach der Leipziger Konferenz hier aufgesucht und mir erklärt, dass er mit Dr. Lepsius sich dahin verständigt habe, nur eine Eingabe an den Herrn Reichskanzler abgehen zu lassen; meiner dringenden Bitte, sowohl von einer Veröffentlichung dieser Eingabe oder auch Erwähnung ihrer Absendung in die Presse abzusehen, fügte er sich und ich sehe aus dem Anschreiben an dem mir und dem Oberpräsidenten v. Hegel übersandten Entwurf der Eingabe, dass auch die übrigen Teilnehmer sich dem angeschlossen haben.
Ich habe nach den festen und beruhigenden Zusicherungen des Herrn Direktor Schreiber also an der Konferenz nicht teilgenommen. Inzwischen aber hat Herr Dr. Lepsius vor der Berliner Presse einen nicht für die Veröffentlichung bestimmten Vortrag über die Vorgänge in Armenien gehalten, über den ich Eurer Exzellenz den Bericht unserer Berliner Redaktion ergebenst anfüge; aus dem Schluss3, der wörtlich vielfach mit dem Schreiben Eurer Exzellenz an mich übereinstimmt, ersehe ich, dass Dr. L. wohl zwischen meinem Schreiben an Eure Exzellenz und seinem Vortrage von Ihnen empfangen wurde. Nach diesem Vortrage und einigem, was Dir. Schreiber mir mündlich mitteilte, aus Erfahrungen des Dr. Lepsius würde ich sehr dankbar sein, wenn ich Ende dieser Woche die in Eurer Exzellenz Schreiben vom 4. d.M. in Aussicht genommene eingehende mündliche Aussprache mit Ihnen haben könnte.
Ich kehre Mitte der Woche nach Magdeburg zurück und würde von Freitag Mittag an zur Verfügung stehen. Nach dem Vortrag des Herrn Dr. Lepsius, der auch anderen auswärtigen Redaktionen von ihren Berliner Vertretern mitgeteilt sein wird, werden die Verleger mit Bestimmtheit eine neue Auslassung von mir erwarten. Darf ich zu Eurer Exzellenz vertraulicher Informierung Ihnen in der Anlage Abschrift des oben erwähnten Anschreibens des Herrn Direktors Schreiber überreichen. Man ersieht aus dem Eindruck, den danach die Darlegungen des Herrn Dr. Lepsius auf Dr. Rohrbach gemacht haben, welchen Eindruck sie auch in der Oeffentlichkeit machen werden, auch auf Zeitungsleute wegen der politischen und wirtschaftlichen Ausblicke, die Dr. Lepsius an seinen Bericht knüpft. Ich spürte das aus der Art, wie mein Chefredakteur sich gelegentlich eines Telephongesprächs dazu äusserte. Wenn die Worte des Herrn Dr. Rohrbach in dem Schreiber’schen Briefe richtig wiedergegeben sind, ist in dem Milieu wohl der Pastor in ihm mit dem Politiker durchgegangen, denn die Nachrichten der ausländischen Presse sind gewiss der unzuverlässigste Quell, aus dem man schöpfen kann.

Aber wie dem auch sei, die Sache hat allerhand Eigenschaften, die uns gemütlich stark tangieren und drohen, die Stimmung ähnlich wie seiner Zeit den Buren gegenüber zu kaptivieren, deshalb empfinde ich stark das Bedürfnis, in einer Aussprache mit Eurer Exzellenz die politische Seite der ganzen Frage säuberlich herauszuschälen und zu eruieren, welche Haltung unsere nationalen Interessen jetzt und welche Haltung sie nach glücklichem Durchstoss durch Serbien erfordern, um danach die Verleger vertraulich informieren zu können.

Eurer Exzellenz hochachtungsvoll ergebener


Dr. Faber

Anlage 1


Abschrift.
Deutsche Evangelische Missionshilfe.
Berlin-Steglitz.
Humboldtstr. 14.I.

Seiner Exzellenz Herrn Oberpräsidenten Dr. v. Hegel,
Herrn Dr. iur. R. Faber, Magdeburg.

Sehr geehrte Herren!

Auf der heutigen Orient-Konferenz waren fast alle die im Orient arbeitenden evangelischen Liebeswerke vollständig vertreten, verschiedene durch mehrere Vorstandsmitglieder, ausserdem die Herren Professoren D. Haussleiter und D. Richter, sowie Missionsdirektor Spiecker vom Deutschen Missionsausschuss, sowie einige andere Persönlichkeiten, unter denen ich erwähne Dr. Rohrbach, die Professoren D. Rade-Marburg, D. Deissmann-Berlin, ferner Direktor D. Axenfeld, Missionsinspektor Knodt vom Allgemeinen Ev. Protest. Missionsverein. Die Versammlung währte mit einer einstündigen Mittagspause von 9 bis 15 Uhr. Sie bot den im Orient tätigen Kreisen reiche Gelegenheit, ihre Erfahrungen auszutauschen, und über die so überaus schwierige Frage grössere Klarheit zu gewinnen. Das Geschick des armenischen Volkes wurde allseitig besprochen. Die Mitteilungen des Herrn Dr. Lepsius, die nicht nur auf armenischen und amerikanischen Quellen und Berichten seiner eigenen Missionsarbeiter beruhten, sondern vor allen Dingen auf seinen persönlichen Unterredungen mit Talaat Bey und Enver Bey, waren von durchschlagender Wirkung und wurden namentlich von dem nüchternen Direktor Schuchardt, Frankfurt a/m. dem Mitarbeiter Pastor Lohmann’s und einem Pastor Bauernfeind, der bis Anfang August in Malatia gewesen war, bestätigt. Von geradezu dramatischer Wirkung waren folgende Worte Dr. Rohrbachs, der leider nur kurz unserer Versamm[lung] beiwohnen konnte: “Die Ausführungen des Dr. Lepsius werden durch die Nachrichten der ausländischen Presse durchaus bestätigt. Diese Vorgänge machen es uns unmöglich, die Mitverantwortung für das türkische Bündnis noch weiter zu tragen. Die Militärherrschaft hat uns in der Oeffentlichkeit den Mund verbunden. Aber wir können und müssen der Regierung sagen, dass wir das Bündnis nicht mehr als ein zwischen zwei gleichberechtigten Staaten geschlossenes anerkennen können. Wenn diese Dinge bekannt werden, steht das deutsche Volk vor der ganzen Welt in tiefster Schande da. Die Regierung muss daher die Türkei zwingen, den Armeniern Genugtuung zu schaffen. Wir stehen vor dem Ende der Türkei, die in Sequester genommen werden muss.” Dr. Lepsius wies mit Recht darauf hin, welche Bedeutung diese Worte Dr. Rohrbachs hatten, den er nicht mit Unrecht “den Propheten unserer ganz deutsch-türkischen Politik” nannte. “Ich ziehe meinen Hut vor ihm ab!”

Die beiliegende von Dr. Lepsius, D. Axenfeld, D. Richter und mir redigierte Eingabe an den Reichskanzler, die nach der Sitzung von uns Vieren mit Herrn D. Rade noch einmal genau durchgesehen wurde, gab in einer mich sehr überraschenden und befriedigenden Weise das Ergebnis der Aussprache wieder, in der das Pro und Contra gründlich zum Ausdruck gekommen war. Dr. Lepsius glaubt mit Bestimmtheit, dass die Eingabe von Herrn Dr. Rohrbach ebenfalls unterzeichnet wird. D. Rade nahm die Eingabe zu Exzellenz v. Harnack mit, um ihn ebenfalls um seine Unterschrift zu bitten. Unserer Verabredung gemäss lege ich Ihnen die Eingabe vor mit der Bitte, Ihre Zustimmung zu geben, dass auch ich sie unterzeichne. Da absichtlich nur wenige Exemplare angefertigt waren, kann ich Ihnen nur mein einziges korrigiertes Handexemplar vorlegen. Ich sende es zuerst an Dr. Faber, da ich ihm mein Material vorlegen und einige Mitteilungen machen konnte.

Mit allem Nachdruck wurde darauf hingewiesen, dass die Eingabe wie die ganzen Verhandlungen, durchaus vertraulich sei, von der nichts in der Oeffentlichkeit bekannt gegeben werden dürfte, vorläufig auch nicht einmal die Tatsache der Eingabe.

Von verschiedenen Seiten, so namentlich von D. Rade wurde hervorgehoben, wie dankbar man der D.E.M.H. für die Veranstaltung der Versammlung war. Im Verein mit den Herren D. Richter, Dr. Lepsius und D. Axenfeld wurde ich beauftragt, noch einige Unterschriften zu gewinnen und die Eingabe dem Reichskanzler zu übermitteln, womit auch Sie einverstanden sein werden. Die D.E.M.H. wurde ferner gebeten, die Teilnehmer nicht nur über den weiteren Verlauf der Sache zu unterrichten, sondern auch weitere Zusammenkünfte der im Orient tätigen Kreise zu veranstalten. Was D. Richter in seinem Vortrag am 29. Januar forderte, dass “die D.E.M.H. zwischen unseren religiösen und nationalen Weltaufgaben ein ehrlicher Makler sein müsse” hat sie heute zum erstenmal zu erfüllen gesucht. Wir sind freilich gleich vor eine der allerschwersten Aufgaben gestellt, aber man sagte mir mit Recht im Privatgespräch, wie notwendig und lohnend gerade hier die Mitwirkung der D.E.M.H. sei. Dass ich durch mein schnelles Vorgehen in dieser Sache ohne vorhergehende Verständigung mit Ihnen Ihnen einige Beunruhigung gemacht habe, hat mir, wie ich Ihnen beiden, meine sehr verehrten, lieben Herren, schon mündlich sagte, aufrichtig leid getan. Aber die Sachen drängten und waren durch eine Korrespondenz kaum zu erledigen.

Ein sehr wertvolles Ergebnis meiner Besprechung mit Ihnen, sehr geehrter Herr Doktor, in Wernigerode war mir u.a. auch die in Aussicht gestellte häufigere Begegnung mit Ihnen hier in Berlin.

Mit ehrerbietigem Grusse Ihr dankbarer


[A. W. Schreiber]


Anlage 2

[Bericht der Berliner Redaktion der “Magdeburger Zeitung” über den Vortrag von Lepsius vor der Presse und die Erwiderung des Auswärtigen Amts.]

7/10. 15.

Abschrift.

Vertraulich!


Zur inneren Lage in der Türkei.

Dr. Lepsius, der neulich vor der Berliner Presse einen nicht für die Veröffentlichung bestimmten Vortrag hielt, hat, wohl zumeist mit kirchlichen Interessen, Kleinasien 30 Jahre lang und auch kürzlich wieder bereist. Er sprach über die Austreibung des armenischen Volkes auf Grund der Mitteilungen deutscher Kaufleute, Missionare, Bahnangestellten, ferner griechischer, bulgarischer und amerikanischer Gesandtschaftsberichte, endlich von Mitteilungen des armenischen Patriarchats aus dem Innern des Landes und des Zentralkomitees der konstitutionellen armenischen Partei in Konstantinopel.

In Erzerum wurde zu Anfang des europäischen Krieges den Armeniern von Mitgliedern des jungtürkischen Komitees nahegelegt, die 11/2 Millionen russischer Armenier im Kaukasus zu revolutionieren (in der Türkei sind 2 Millionen). Das ist nicht geschehen, denn die kaukasischen Armenier sind so gut behandelt worden, dass sie sich für die russische Sache ins Zeug legten. Der Kaukasus ist für die Türken nie mehr zu gewinnen. Sie haben bei Beginn des türkischen Krieges alle Armenier in der türkischen Armee entwaffnet und nur noch als Armierungssoldaten verwendet. Dann wurde das armenische Volk ziemlich übereilt entwaffnet, obwohl dort die Waffen zur Friedensausrüstung des Bürgers gehören. Dagegen wurde die türkische Bevölkerung von staatswegen bewaffnet und kurdische Heimatsregimenter sowie Banden aus Tausenden von Gefängnisinsassen gebildet. Von November bis April sind 4 - 500 armenische Dörfer geplündert und etwa 26000 Armenier noch in ihren Wohnsitzen erschlagen worden. Die armenischen Armierungssoldaten desertieren vielfach, weil sie oft von ihren türkischen Kameraden bei der Arbeit ermordet wurden. Die armenischen Führer hatten sich mit den türkischen Behörden zu Anfang des Krieges in Verbindung gesetzt, um Schwierigkeiten zu beseitigen, trotzdem haben in den letzten 3 Monaten die Türken ihre Armenier zur Hälfte vernichtet. Ende Mai ist, wie Enver zugibt befohlen worden, die armenische Bevölkerung aus allen anatolischen Wilajets in die arabische Wüste zu deportieren. Das ist ausgeführt worden. Ein Teil ist natürlich doch hängen geblieben, 100 - 200000 sind unterwegs massakriert worden, 2 - 3000 werden unten angekommen und werden umkommen, wenn ihnen nicht Hilfe gebracht wird. Diese Tatsachen werden in der Türkei von niemand bestritten.

Was die Schuldfrage angeht, so glaubte der Vortragende die Armenier völlig freisprechen zu können. An einigen Stellen haben sie sich noch verteidigen können, aber sie wussten damals, z.B. in Wan, noch nichts von den Bewegungen in der russischen Grenze und waren erstaunt, als die Russen kamen, die sie natürlich als ihre Befreier begrüssten. Im übrigen hatte das Armenische Zentralkomitee Anweisungen erteilt, alles zu vermeiden, was Anstoss geben könnte, da man fürchtete man werde das alte Programm Abdul Hamids, die Christenverfolgungen, bei dieser Gelegenheit wieder aufnehmen. Ein hochgestellter Beamter hat dem Vortragenden gesagt: “Wir müssten ja verblendet sein, wenn wir diese Gelegenheit, uns der Armenier zu entledigen, nicht benutzten.”

Was ist nun das Motiv der Türken? Enver hat dem Vortragenden gegenüber strategische Gründe angeführt: Man habe die Armenier von den Grenzen entfernen und die Etappenstrassen im Innern vor Gefährdung bewahren müssen. Der Hinweis des Verfassers, dass die wehrfähigen Männer alle als Armierungssoldaten eingezogen waren, entkräftet diese Besorgnisse wohl nicht ganz. Enver meint weiter, die 40 Millionen Türken wollen endlich ihr nationales Leben sicher stellen und deshalb die Armenier so zerstreuen, dass sie nirgends in grösserer Zahl zusammen leben, ähnlich wie es bei uns mit den Juden sei. “Wenn Sie Polen zu Preussen machen könnten,” sagte er, “würden Sie es nicht tun? Sie können das nicht mehr, aber wir können so etwas noch.” Der amerikanische Botschafter bot Talaat an, ausser den 7000 nach Amerika verschifften Armeniern alle übrigen auf Schiffen nach Amerika zu führen, selbst eine ganze Million, da man diese arbeitsame und geschäftstüchtige Bevölkerung drüben gebrauchen könne. Talaat sprach mit Enver, aber der erklärte: “Dann würden die Reichen auswandern und die Armen würden dableiben.” Es handelt sich eben nach Ansicht des Vortragenden um eine planmässige Beraubung des wohlhabenden armenischen Volkes, das ja überall mit Juden und Griechen zusammen, aber im Innern vorwiegend und fast allein den Handel und das Handwerk in der Hand gehabt hat. Die Folge der Deportation ist daher zunächst der wirtschaftliche Ruin von Anatolien, und die Türkei macht sich auf diese Weise selbst wirtschaftlich kaputt. Für unseren Handel hat das direkteste Bedeutung, da der ganze Import in armenischen Händen liegt. Die deutsche Ausfuhr ist aber durchweg Kreditgeschäft und wenn nun die Wirtschaftkreise des Innern nicht mehr zahlen, so zahlen die Konstantinopeler Händler auch nicht. Also es geht eine Menge deutsches Geld schon jetzt verloren. Es gibt keinen türkischen Importeur in Konstantinopel. Den Export machen Griechen und Juden. Die Türken können aber auch das Geschäft nie übernehmen, denn sie sind für alle wirtschaftliche Tätigkeit, wie ja übrigens allgemein bekannt ist, absolut unbegabt. Die Regierung kennt die Verhältnisse der asiatischen Türkei garnicht ausreichend, da die am Ruder befindlichen Jungtürken Mazedonier, zumeist aus Saloniki sind. Sie treiben eine rein ideologische, türkisch-nationalistische Politik.

Der Nationalismus ist auf jenem Boden aber ein europäischer Importartikel, denn der Islam neutralisiert die Nationen. Deshalb ist der heilige Krieg ein Schlag ins Wasser gewesen, weil die anderen islamischen Nationen auf den türkischen Nationalismus pfeifen, dem dieser heilige Krieg in Wahrheit dienen sollte, und sich unter Russen und Engländern wohler fühlen als unter Türken. Wenn wir einen Frieden bekommen, ehe wir nach Suez gegangen sind, so wird die Position Englands im Süden der Türkei ausserordentlich gestärkt. Denn dort sitzen Araber, und deren Gegensatz zu den Türken ist nie verschwunden. Jemal Bei, der Oberkommandierende in Syrien, der Araber ist und für den Süden dasselbe bedeutet wie Enver für den Norden, und nur mit Ach und Krach Truppen nach dem Norden abgegeben hat, würde auch sofort mit den Engländern Frieden machen, wenn die Sache an den Dardanellen schief ginge. Der Krieg ist eben nicht Krieg der Gläubigen gegen die Ungläubigen, sondern nur ein türkischer Krieg, aber gegen alle Nichttürken. Die Amerikaner haben z.B. eine Universität in Beirut mit 22 grossen Palästen, wo alle in Syrien tätigen Aerzte, Apotheker usw. ausgebildet sind; da sollte nun vor kurzem plötzlich türkisch unterrichtet werden. Die Amerikaner erklärten indessen dieses Mal noch, es gäbe keine türkischen Lehrbücher und drei Viertel ihrer Studierenden verstünden kein türkisch. Welche Erfolge diese Turkifizierungspolitik in Albanien und in der ganzen europäischen Türkei hatte, haben ja freilich die letzten Balkankriege gezeigt. Diese Politik kann auch den Bestand der asiatischen Türkei gefährden.

Diese Politik richtet sich aber auch in gewissem Grade gegen uns, jedenfalls weit mehr als man hier weiss. Die Alttürken sind natürlich deutschfeindlich, weil wir die jungtürkische Regierung in den Krieg gezogen haben. Und wenn im Lande die Verwundeten von den Dardanellen ankommen, so bricht die Bevölkerung in Verwünschungen gegen die Deutschen aus. Aber auch die Jungtürken wollen uns nur als Diener gelten lassen. Man hat ja in der Tat auch im Auswärtigem Amte bedauert, dass Enver Herrn Emil Ludwig vom B.T. gegenüber neulich so hochfahrend erklärte, er brauchte keine deutsche Truppenhilfe. Die 16 deutschen Universitätsprofessoren hat man nach Konstantinopel nur berufen, damit Jäckhs Gedanke einer deutschen Universität in Konstantinopel nicht weiter erörtert werde. Sie haben sich schriftlich bereit erklären müssen, nach einem Jahr türkisch unterrichten zu wollen; das ist aber unmöglich, da man um türkisch zu lernen, mehrere Jahre braucht; also kann man sie nach einem Jahre, wenn sie ihr Versprechen nicht erfüllen, an die Luft setzen. Dagegen ist die türkische Bevölkerung ausser sich über den Schluss der französischen Schulen, und diese werden nach dem Kriege unverzüglich wieder geöffnet werden. Es ist dem Vortragenden überhaupt nicht zweifelhaft, dass nach dem Frieden wieder das alte Spiel der Türken mit den Engländern, Franzosen und Russen losgehen wird und wir das Nachsehen haben. Augenblicklich ist es für uns natürlich auch nach seiner Meinung eine Lebensfrage, dass wir die Türkei als Bundesgenossen kräftig erhalten. Wenn wir aber erst durch Serbien hindurch sind und nach Konstantinopel können, dann hält er den Moment für gekommen, wo wir mit stärkeren Machtmitteln als wir jetzt in Konstantinopel haben, verhindern müssen, dass wir um den ganzen Ertrag des Krieges in Kleinasien gebracht werden. Gwinner hat neulich in einer Sitzung, wo Lepsius ebenfalls einen Vortrag hielt, seine Ausführungen durchaus bestätigt und nur hinzugefügt, wir könnten augenblicklich nichts dagegen machen.

In der Besprechung wurde die grosse Gefahr für unser Wirtschaftsleben und für unseren Zukunftsplan: Antwerpen-Bagdad hervorgehoben. Der Türke ist, wie ja bekannt, ein Nichtstuer, deshalb spielen Andere in seinem Lande solche Rolle, dass er sich dabei nicht wohl fühlt; aber er kann sie doch nicht ersetzen und das ist für uns wichtig. Die Armenier sind die geschäftstüchtigsten Elemente gerade an der anatolischen und Bagdadbahn, oder sie waren es. Zu dem allgemeinen Problem unserer Stellung in der Türkei muss man sich immer wieder klar machen, was wir alle wissen, aber doch hin und wieder vergessen: dass ausser Talaat und Enver in der Tat im ganzen jungtürkischen Komitee kein Deutschenfreund ist, da das Komitee ein französisches Gewächs ist und die Jungtürken meist in Paris erzogen sind, in uns aber einen reaktionären Staat sehen. Dschawid Bei hat noch während des Krieges hier in Berlin seine Abneigung gegen den Krieg kundgegeben und aus seinen Sympathien für die Franzosen kein Hehl gemacht. Ja es ist, wenn auch nicht für überall, aber doch für manche Stellen bestätigt, dass türkische Beamtenkreise sich dem Publikum gegenüber jetzt oft hinter das Deutschtum verstecken, wo das dem Deutschtum schadet - so wird z.B. stellenweise verbreitet, die Armenier-Massakres habe die Regierung garnicht gewollt, aber der Deutsche Kaiser habe sie dazu gedrängt -, sonst aber lässt man nicht den Anschein aufkommen, als ob wir wertvolle Hilfe leisteten. Die Deutschen, z.B. unsere freiwilligen Sanitätskolonnen, haben oft sogar Schwierigkeiten, wenn sie die deutsche Fahne hissen wollten!

Erwiderung des Auswärtigen Amts: Die letzte Version über deutsche Anstiftung der Armeniergreuel sei nicht allgemein in der Türkei verbreitet. Die Türkei hat den Krieg natürlich nicht um unseretwillen begonnen, aber ein Teil, wenn auch ein kleiner Teil, war eben überzeugt, dass die türkischen Ziele nur zusammen mit uns erreicht werden konnten und wir müssen froh sein, dass wir diese Wenigen gewonnen haben und dass sie augenblicklich massgebenden Einfluss besitzen. Dass unsere Offiziere dort unten auf einem verlorenen Posten stehen, wissen wir, und dass die Enttäuschung des türkischen Volkes, wenn die Dardanellen genommen werden sollten, sich gegen sie wenden würde, und dass wir sie vielleicht nicht wieder sehen würden, ist wahrscheinlich. Aber das ist eben Krieg. Auf die grössten, nicht bloss augenblicklichen, sondern zukünftigen Probleme, die wirtschaftlichen, wurde von dieser Seite nicht eingegangen. Was die Armenier im besonderen angeht, so habe die deutsche Regierung als die Türkei in den Krieg eintrat, die Armenier darauf hinweisen lassen, dass jetzt die Stunde gekommen sei, wo sie durch die Tat ihre Loyalität gegen die Türken beweisen und die Grundlage zu einer gesicherten Zukunft legen könnten. Diesen Rat haben die Armenier zum Teil in den Wind geschlagen und zwar auf Anstiften der Entente und für russisches und englisches Geld. Während der ersten Monate des Krieges hat die türkische Regierung sich den Armeniern gegenüber korrekt und ruhig verhalten. Ganz zu Anfang hat sie nach den Informationen des Amtes die Armenier noch nicht entwaffnet. Sehr grausame Massregeln allerdings wurden ergriffen, als im Rücken der türkischen Truppen der armenische Aufstand ausbrach. Da haben durch die Schuld der russischen Armenier die türkischen mitgelitten. Jene Schuld bestand z.B. darin, dass in wenigen Tagen mehr als 150000 Mohammedaner dem Aufstand zum Opfer fielen. Von diesem Blutbad erwähnt die Ententepresse nichts. Aber am 23. September schrieb “Daily Chronicle” über “Our seventh Allied” eben die Armenier, und lobte das armenische Volk, das von Anfang an auf Seite der Entente getreten sei. Dass bei der Evakuierung Ausschreitungen vorgekommen sind, erklärt unser Auswärtiges Amt natürlich für betrübend, aber begreiflich, da die Zentralregierung nur geringen Einfluss auf die Provinz habe. Man würde es für sehr bedauerlich halten, wenn unsere Missionsvereinigungen sich zum Sturmbock in der Armenierfrage machten. Unser Verhältnis zur Türkei müsste leiden, und den Armenier würde wahrscheinlich geschadet, statt genützt. Unsere Vertretung in der Türkei habe seit langem alles getan, um das Los der Armenier zu mildern, ohne dass es kirchlicher Aufforderungen bedurfte. Näher als die Armenier stehen uns unsere eigenen Volksgenossen, deren schwerer Kampf indirekt durch die Türkei erleichtert wird. Das christliche Solidaritätsgefühl bei uns könne sich auch noch wo anders betätigen, z.B. gegenüber der Vertilgung der Deutschen in Marokko, der Verschleppung unserer Ostpreussen, schliesslich auch der Verwüstung Polens. Wenn die farbigen und heidnischen Horden, die unsere Feinde gegen uns ins Feuer führen, nicht deutsche Frauen entehrt haben und nicht Stätten tausendjähriger deutscher Kultur verhehrt haben, so verdanken wird das nicht dem hohen Sinn für Menschlichkeit und Christentum, den unsere Gegner und Neutrale gegenüber den Armeniern zur Schau tragen, man möge in der Presse über die ganze Frage schweigen, wir haben uns früher viel zu viel in die inneren Verhältnisse eingemischt, z.B. in Italien, selbst in Oesterreich, während England sich nie um derlei Dinge bei seinen Alliierten kümmere. Die Amerikaner haben neuerdings die Armenierfrage offiziell aufgegriffen und würden unter Umständen, wenn sie mit der U-Boot-frage fertig seien, sich mit uns wegen der Armenier anzulegen versuchen.

Mir scheint danach unsere Stellung für den Augenblick als ganz selbstverständlich gegeben, andererseits aber doch auch für die Zukunft so grosse und schwere Probleme aufzusteigen, dass die deutsche Presse vielleicht noch vor Friedensschluss diese Dinge wird behandeln müssen, um unserer Diplomatie bei der gewiss schwierigen Aufgabe den Türken gegenüber zu gegebener Zeit Fraktur zu sprechen, einen Rückhalt zu geben.


1 A 28437 gef. beigef.
2 Deutsche Evangelische Missionshilfe.
3 Anmerkung Rosenberg: Der Schluß kommt nicht von Lepsius, sondern ist die Wiedergabe von Ausführungen, die Graf Wedel am Tage darauf bei der Pressesitzung gemacht hat.



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