1916-10-09-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14093
Zentraljournal: 1916-A-27741
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 10/13/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 626
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/22/2012


Der Geschäftsträger der Botschaft Konstantinopel (Radowitz) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 626

Pera, den 9. Oktober 1916

1 Anlage

In dem in Übersetzung beigefügten Leitartikel bespricht die hiesige türkische Zeitung "Taswiri Efkiar" im Anschluß an das Euerer Exzellenz bekannte Exposé des Komitees "Einheit und Fortschritt" die armenische Frage und gelangt zum Schluß, daß die anfänglich vom Komitee eingeschlagene Politik der Vereinigung und Verschmelzung der verschiedenen Bevölkerungselemente "Bankerott gemacht" habe, und statt dessen die "Säuberung" des Reiches von allen nicht-mohammedanischen - d.h. von den christlichen - Elementen ins Auge gefaßt werden müsse. Der Artikel dürfte die Überzeugung der ultranationalistischen Kreise ziemlich getreu wiedergeben; zum Teil sind diese Gedanken bereits in die Tat umgesetzt worden durch die Austreibung der in den östlichen Grenzprovinzen ansässigen syrischen Christen und der Griechen in einzelnen Distrikten von Kleinasien und Rumelien. Ferner verlangt wohl der Verfasser auch noch die Aussiedelung der bisher von der Aussiedelung verschonten Armenier von Konstantinopel und Smyrna.


Radowitz

Anlage


Teswiri Efkiar vom 7. Oktober 1916 No.1886

Bankerott und Säuberung.

Alle Welt weiß, daß die innerhalb der Kriegszone und an den Etappenstraßen ansässigen Armenier aus diesen Bezirken entfernt und in Gegenden überführt worden sind, wo sie jeder aktiven oder passiven Beteiligung an den Kriegsereignissen entrückt sind. Außer Konstantinopel und Smyrna ist kein Platz übrig geblieben, wo diese Maßregel oder, wie die offizielle Bezeichnung lautet, "die Aussiedlung" (tehdschir) nicht durchgeführt worden ist. Der Umstand, daß, wie wir hören, hierbei in den verschiedenen Gegenden nicht nach einem einheitlichen Prinzip verfahren worden ist, hat nicht verfehlt uns zu beunruhigen und es ergiebt sich daraus, daß unsere Auffassung der armenischen Frage einer absolut sicheren und festen Grundlage entbehrte. Es ist dies eine Tatsache, die wir geradezu mit Vergnügen eingestehen müssen. Beim Kongreß der Partei Einheit und Fortschritt, der kürzlich seine Schlußsitzung hielt, ist diese Frage gründlich dargelegt und erklärt worden, und wir können nichts weiter sagen, als daß der dieser Richtung angehörenden Regierung bei ihrem Vorgehen gegen die Armenier keine andere Wahl übrig geblieben war und daß wir das Vorgehen für vernünftig und geboten ansehen. Dies ist die zweite Tatsache, sie hebt die erste Tatsache auf.

Da der dem Kongreß vorgelegte Bericht der Generalversammlung die Frage von Anfang bis zu Ende historisch dargestellt hat, wollen wir zunächst einige Zeilen aus diesem Berichte anführen.

(folgen ausführliche Auszüge aus dem erwähnten Berichte, dann fährt der Artikel fort:)

Es ist nicht notwendig, die von den Armeniern für den Aufstand getroffenen Vorbereitungen und die einzelnen Zwischenfälle hier noch einmal anzuführen, da jeder sie im vorerwähnten Bericht gelesen hat; man kann die Lösung der Frage, wie ein Staat, der sich in einem furchtbaren Kampf auf Leben und Tod verwickelt sieht, nach Feststellung dieser Tatsachen vorgehen wird, dem Gewissen der Menschheit überlassen. Um die Sache kürzer zu machen, ziehen wir es vor, das Urteil darüber aus dem Munde der Armenier selbst zu hören, die nicht mehr sich davor scheuen die Wahrheit zu sagen. Wir verfügen in dieser Beziehung über ein umfangreiches persönliches Material, beschränken uns aber auf die verschiedenen Auslassungen, die in der armenischen Zeitschrift Datschar veröffentlicht sind.

Es ist begreiflich, daß die Aussiedelung und Deportation, die aus den im Parteibericht angegebenen, zwingenden Gründen gegen die Armenier verfügt worden ist, für dieses Volk kein angenehmes Ereignis bedeutet. Der Datschar macht für das schwere Leid, daß über die Armenier gekommen ist, sämtliche armenische Parteien und Komitees verantwortlich und schreibt:

Die armenische Zeitung führt dann die bedauerlichen Ereignisse an, die die armenischen Komitees verschuldet haben, und schließt damit, daß nichts einzuwenden sei gegen die Maßregeln, die die türkische Regierung gegen die mit Rußland verbündeten Komitees getroffen habe. Indem wir uns vorbehalten auf die Frage später zurückzukommen, möchten wir heute auf eine andere Tatsache hinweisen. Als im Jahre 1324 die Konstitution wiederhergestellt wurde, trachteten die Türken aufrichtig danach, eine Politik der Einigkeit der Bevölkerungselemente zu begründen; ihre Bemühungen scheiterten indes an den separatistischen Bestrebungen der nicht mohammedanischen Elemente. Diese Politik ist in blutigen Kämpfen in die Brüche gegangen und schließlich durch die armenischen Vorfälle vollständig bankerott geworden.

Keiner unter uns zweifelt daran, daß wir in der Politik der "Vereinigung und Amalgamierung" uns darauf verlassen hatten, daß wir uns am besten mit den Armeniern verständigen würden. Indem die armenischen Komitees in diesen schweren Zeiten sich nicht haben enthalten können zum Werkzeuge unseres gefährlichsten Feindes zu werden, haben sie uns bewiesen, daß wir uns auf einem falschen Wege befanden. Wir müssen daher unter dem Drucke der Tatsachen notgedrungen neue Bahnen auf ein neues Ziel einschlagen; diese Notwendigkeit beruht auf der Erkenntnis, daß die bekannte Politik der Einigkeit der Bevölkerungselemente Bankerott gemacht hat und daß die Ära der "Säuberung" für unser Vaterland angebrochen ist.


Junus Nadi


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