1918-07-30-DE-002
Deutsch :: de en
Home: www.armenocide.net
Link: http://www.armenocide.net/armenocide/armgende.nsf/$$AllDocs/1918-07-30-DE-002
Quelle: DE/PA-AA/R 11054
Zentraljournal: 1918-A-32652
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Kaukasus Kampagne
Praesentatsdatum: 08/03/1918 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 204
Zustand: B
Letzte Änderung: 04/15/2012


Der Botschafter in Konstantinopel (Bernstorff) an den Reichskanzler (Hertling)

Bericht



Pera, den 30. Juli 1918

1 Anlage 1

Euerer Exzellenz beehre ich mich, in der Anlage Abschrift zweier Schreiben des hiesigen Stellvertretenden Deutschen Militärbevollmächtigten an den Chef des Generalstabes des Feldheeres und eines Telegramms des Generalfeldmarschalls von Hindenburg an Enver Pascha gehorsamst vorzulegen.


Bernstorff

Anlage 1


Abschrift

Konstantinopel, den 30. Juli 1918

Nr. 9244 geh. op.

Nach Mitteilung des Generals von Lossow hat er das Schreiben Euerer Exzellenz durch das Auswärtige Amt in Berlin erhalten und an der Antwort des Amtes mitgewirkt.

Die letzte Auffassung der türkischen Obersten Heeresleitung über die Notwendigkeit weiteren militärischen Vorgehens in Aserbeidjan ist niedergelegt in einem heute abgehenden Schreiben des Generals von Seeckt an Euere Exzellenz, das mir zur Kenntnis mitgeteilt wurde.

Inwieweit die Nachrichten des osmanischen Grossen Hauptquartiers über englisches Vorgehen in Nordwest-Persien, sowie über die Beherrschung von Baku durch armenische Banden richtig sind, ist von hier nicht nachzuprüfen. Djulfa und Täbris sind jedenfalls fest in türkischer Hand, nachdem erst am 27. 7. ein türkisches Inf. Regt. in Täbris einmarschiert, ein anderes, das bis dahin die Stadt besetzt hatte, zur Vereinigung mit IV. A.K. am 28.7. Täbris verliess.

Ich habe jedoch die Überzeugung gewonnen, dass seitens Envers der ehrliche Wille besteht, die Streitfragen mit Georgiern aus dem Wege zu räumen und ihre lokalen Ansprüche zu befriedigen, um die Benutzung der Bahn frei zu bekommen. Hoffentlich gelingt es General von Kress, die georgische Regierung von dem aufrichtigen Entgegenkommen Envers zu überzeugen. Dies gilt besonders auch von der beabsichtigten Räumung des streitigen Grenzgebietes um Karaklissa. In der Frage der Verwaltung der Ölfelder, der Ölleitung und der Eisenbahn wird Enver sich den Wünschen der Obersten Kriegsleitung sicherlich nicht entziehen; ihm kommt es darauf an, in Aserbeidjan militärisch und politisch freie Hand zu bekommen, (s. Tel. Kress Nr. 5 v. 18.7.), wofür er zu wirtschaftlichen Zugeständnissen in weitem Umfang bereit sein wird. Auch die Kämpfe an der Bahn Eriwan-Djulfa, die inzwischen mit der Einnahme von Nachitschewan und dem Rückzug der armenischen Kräfte in das östliche Gebirge ihren Abschluß gefunden haben, dienten lediglich der Sicherung dieser wichtigen Zubringerlinie für die anderen Operationen.

Ich bin der Meinung, dass alle streitigen Fragen zwischen Georgien und der Türkei bei der gegenwärtigen auf weitere Ziele gerichteten Stimmung im Hauptquartier sich unschwer beilegen lassen, auch die Frage der Besitzergreifung von Baku, und dass das beste Mittel dazu eine persönliche Aussprache Euerer Exzellenz mit Enver sein wird. Einen völlig ablehnenden Standpunkt habe ich nur in der Frage der Rückführung der Armenier bei der Türkischen Obersten Heeresleitung gefunden.


[Lyncker]

An den Chef des Generalstabes des Feldheeres Deutsches Grosses Hauptquartier.


Konstantinopel, den 30. Juli 1918


Geheim!

Generalfeldmarschall von Hindenburg drahtet am 29.7.18 an Euere Exzellenz unter No. 34378.

[Lyncker]

Seiner Exzellenz dem Herrn Kriegsminister und Vizegeneralissimus Enver Pascha.


Konstantinopel, den 30. Juli 1918.


Geheim!

Aus der beigefügten Karte ersehen Euere Exzellenz die von englischer Seite bis jetzt in Persien getroffenen Massnahmen. Schon jetzt muss man ihr Ziel, die Aufnahme einer zusammenhängenden Operationsfront von Persien über Rescht-Enzeli-Baku-Wolgagebiet-Tschecho-Slowakische Truppen zum Murmangebiet als erreicht betrachten. Die Nachrichten, dass auch Täbris und sogar Djulfa von den Feinden besetzt sei, mehren sich, entbehren aber noch der Bestätigung. Es ist bisher noch nicht gelungen, ausreichend starke türkische Kräfte in Persien zu versammeln, um dem englischen Vordringen einen Riegel vorzuschieben. Wehib Paschas an Hochverrat grenzender Ungehorsam und Envers Unentschlossenheit oder Unfähigkeit, rechtzeitig gegen ihn einzuschreiten, haben dieses nicht wieder gut zu machende Versäumnis verschuldet. Mich trifft der Vorwurf, dass es mir nicht früher gelungen ist, Wehib zu beseitigen. An Anstrengungen aller Art dazu habe ich es nicht fehlen lassen. Der eintretende Kommandowechsel hatte weitere Verzögerung im Gefolge. Der neue Oberbefehlshaber, von dem und einem deutschen Stab ich Besserung erhoffe, traf erst am 28. Juli in Batum ein. Inzwischen hat der interimistische Kommandant Essad Pascha auch nur zögernd und nur auf stetes Drängen die einleitenden Schritte getan. Als Führer der 3. Armee dachte er – ein leider hier fast selbstverständlicher Vorgang – nur an sich und die eigene Armee, die er möglichst stark zu erhalten suchte. Daneben wirkten noch die Ideen Wehibs bei ihm fort.

Als dritter und leider auch heute noch bestehender Verzögerungsgrund der Operation wirkt die Verweigerung der Bahnbenutzung. Trotz Euerer Exzellenz Befehl werden keine Truppentransporte von General von Kress angenommen. Alle meine Versuche, ihn von der Notwendigkeit zu überzeugen, sind gescheitert. Politische Erwägungen haben vor klaren militärischen Notwendigkeiten den Vorrang behalten. Mit Hin- und Rückfragen und Gegenvorstellungen vergehen immer neue Wochen. Es liegt mir völlig fern, die Schuld der Türken bei diesen Verzögerungen zu verkennen, aber es kommt meines Erachtens jetzt nicht darauf an, die Schuldfrage festzustellen, sondern etwas zu erreichen, was im allgemeinen Interesse liegt. Wenn in Georgien und Aserbeidjan eine unfreundlichen Politik gegen die Türken getrieben werden soll, so ist die Operation in Persien unmöglich. Ich muss Euere Exzellenz daher erneut bitten, Befeht zu erteilen, dass die Bahn freigegeben wird.

Ein wichtiges Glied in der feindlichen Front bilden die Armenier. Baku ist in ihrer Hand nach den letzten Nachrichten. Die Verbindung der Armenier mit den Engländern ist offenkundig. In diesem Augenblick dürfen wir uns der Armenier nicht annehmen, sondern müssen sie als Feinde betrachten. Es ist ein unmöglicher Zustand, mit den Türken verbündet zu sein und für die Armenier einzutreten. Meiner Überzeugung nach muss jede Rücksicht, christliche, sentimentale und politische, gegenüber einer harten aber klaren Kriegsnotwendigkeit verschwinden.

Bewahrheitet es sich, dass die Armenier Herren in Baku, so schwindet jede Aussicht, uns im Verhandlungsweg in den Besitz der Gegend und ihrer Bodenschätze zu setzen. Da wir nicht in der Lage sind, stärkere deutsche Truppen nach dem Kaukasus zu schicken, so bleibt nur übrig, den Türken militärisch freie Hand in Aserbeidjan zu lassen und uns auf wirtschaftliche Zugeständnisse zu beschränken. Ich glaube, dass eine Entscheidung Euerer Exzellenz in diesem Sinne dringend erforderlich ist, ebenso wie die über die Bahnbenutzung. Unsere Aussichten, an einer heute noch schwachen Stelle die feindliche Ostfront zu durchstoßen, werden sonst immer geringer.


[v. Seeckt]

An den Herrn Chef des Generalstabes des Feldheeres Deutsches Grosses Hauptquartier.


Anlage 2

General von Lossow

B. Nr. 694.


Berlin, den 4. August 1918

An den Herrn Chef des Generalstabes des Feldheeres Op. Abt. B u. Pol. Abt. Gr. H. Qu.

Der Bericht des General von Seeckt vom 30.7.18 über die Lage an der türkischen Ostfront wurde mir in Abschrift von Konstantinopel überschickt.

Ich bin der Ansicht, dass das treibende Element für die türkische turanistische und Kaukasuspolitik Enver Pascha und die hinter ihm stehenden extrem nationalistischen Elemente des Komités sind.

Die aktiven und passiven Widerstände, die sich anscheinend dem Abmarsch des Gros der türkischen Kräfte im Kaukasus in Richtung Bagdad-Mossul entgegenstemmen, sind nach meiner Ansicht nicht Wehib Pascha, Essad Pascha oder jetzt dem neuen Armeeführer Halil Pascha zur Last zu legen, sondern ich glaube, so leid mir das zu sagen ist, dass Enver Pascha zwar Befehle gibt, die General von Seeckt und die deutschen Offiziere des Hauptquartiers zu sehen bekommen und die die Truppen in Richtung Mesopotamien bewegen sollen, dass aber geheime Gegenbefehle, von denen die deutschen Offiziere nichts wissen, gegeben werden, die die Truppen im Kaukasus und in Nordpersien festhalten.

Ich glaube nicht, dass ich, nach dem was ich früher mündlich und schriftlich berichtete habe, in Verdacht kommen kann, Partei für Wehib zu nehmen; ich halte es aber für äusserst wahrscheinlich, dass Wehib im Kaukasus eine viel verständigere und gemäßigtere Politik machen wollte als Enver, wenigstens glaube ich das aus den Äusserungen Wehibs, des Justizministers Kalil und der gesamten Umgebung dieser beiden Leute während der Verhandlungen in Batum schliessen zu dürfen.

Wir wollen nicht in Georgien und Aserbeidschan eine unfreundliche Politik gegen die Türken treiben, sondern dort mit den Türken zusammen sowohl im Kaukasus wie in Persien eine Politik treiben, die uns die Freundschaft und wirtschaftliche Unterstützung dieser Länder sichert.


* * *

Am 3. ds. Monats hatte ich eine lange Besprechung mit Zeki Pascha über die Lage im Kaukasus. Dieser hält es für die einzig mögliche türkische Politik im Kaukasus und in Nordpersien, darauf hinzuarbeiten, dass Georgier, Armenier, Tataren und Perser zufrieden und mit der Türkei befreundet seien. Nähme die Türkei jetzt Teile von Georgien, Armenien und Persien weg, so werde sich die Türkei überall in diesen Ländern Feinde machen und beim Schlussfrieden, in dem auch die Entente ein gewichtiges Wort mitzureden habe, werde die Türkei alles wiederherausgeben müssen und anstatt künftighin im Kaukasus und Persien befreundete Nachbarstaaten zu haben, werde sie dort feindlich gesinnte Staaten als Nachbarn haben. Seien aber die Kaukasusvölker und Perser beim Schlussfrieden zufrieden, so werde sich auch die Entente nicht viel einmischen können, sondern den geschaffenen Status sanktionieren müssen und die Türkei habe dann an ihren Ostgrenzen befreundete Staaten, mit denen sie im weiteren Verlauf vielleicht auch Bündnisse eingehen kann.

Diese verständige Politik wird man wohl ohne weiteres gutheißen können. Besonders für Armenien wird beim Schlussfrieden eine Einmischung der Entente, besonders Amerikas zu erwarten sein. Beschränken sich die Türken auf die Grenzen des Brester Vertrags und schaffen wir so mit den Türken zusammen ein einigermaßen lebensfähiges Armenien, so werden vielleicht die Armenier selbst beim Schlussfrieden eine gemässigte Haltung einnehmen. Wird nach den jetzigen türkischen Ideen ein Armenien geschaffen, das in keiner Weise lebensfähig ist, so ist es wahrscheinlich, dass die Türken nicht nur das gesamte kaukasische Armenien, sondern auch einen Teil vom türkischen Armenien herausgeben müssen. Das wird dann beim Schlussfrieden sowohl für die Türkei und vielleicht noch mehr für uns eine Ketten von Schwierigkeiten und Verstimmungen zur Folge haben.

Zeki Paschas meint, dass sowohl die deutsche O.H.L wie Ausw. Amt und unser Botschafter unentwegt fortfahren müssten, der Türkischen Regierung und der türkischen O.H.L. in diesem Sinne Vorstellungen zu machen. Wenn wir auch bisher weder bei Enver Pascha noch bei der Türkischen Regierung Erfolge mit derartigen Vorstellungen gehabt hätten, so sei doch zu hoffen, dass mit der Zeit die Vernunft siege und die Kreise in Konstantinopel, die die gleiche Ansicht hätten wie Zeki Pascha, einen Einfluß gewinnen würden.
von Lossow


1Die angeführte Anlage (1) besteht aus einem Brief Lynckers an das Große Hauptquartier, einem Telegramm Hindenburgs an Enver Pasch sowie einem Schreiben von Seecks an das Große Hauptquartier. Eine weitere Anlage (2) ist dem Schriftsatz beigefügt, ohne als Anlage kenntlich gemacht worden zu sein.



Copyright © 1995-2024 Wolfgang & Sigrid Gust (Ed.): www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved