1919-01-21-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14105
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/01/2014


"Frankfurter Zeitung"

Armenien.



Herr Ewald Stier schreibt uns:
Durch die Annahme der 14 Punkte des Wilsonschen Programms hat die deutsche Regierung auch einer neuen internationalen Behandlung der in Punkt 12 berührten armenischen Frage zugestimmt. Amerika hat von je an den Armeniern einiges Interesse genommen: sind doch Zehntausende des Volkes seit den Massakres von 1894 bis 96 nach der Union ausgewandert und haben dort eine lebhafte Propaganda entfaltet. Es ist noch in aller Erinnerung, welche Schritte der amerikanische Botschafter Morgenthau seinerzeit bei der türkischen Regierung gegen die Deportation der Armenier unternommen hat und welche Entrüstung die Verschickung mit all ihren Schrecken gerade in Amerika auslöste; dort sind denn auch viele Millionen zur Unterstützung der Deportierten gesammelt und durch die zahlreich in Armenien ansässigen Missionare verteilt worden.

Der Oeffentlichkeit ist dagegen fast ganz unbekannt geblieben, was von deutscher Seite für das armenische Volk während des Weltkrieges geschehen ist: die Rücksicht auf die verbündeten Türken gebot hier Wirken in der Stille. Es war auch nicht möglich, die öffentliche Meinung über die Vorgänge in Armenien aufzuklären; die Presse war großenteils auf die offiziellen türkischen Berichte angewiesen und viele deutsche Blätter überboten diese leider noch in Anschuldigungen gegen die angeblich im Solde der Entente stehenden Armenier. Wer die deutsche Presse der letzten Jahre las und sich über die Hemmungen der öffentlichen Berichterstattung nicht Rechenschaft gab, konnte kaum anders urteilen, als daß Deutschland den türkischen Standpunkt teile und das türkische Vorgehen billige. Das hat in der feindlichen und einem großen Teil der neutralen Presse dazu geführt, in Deutschland den eigentlichen Urheber jener türkischen Maßregeln zu sehen. Wer weiß, wie lebhaft in England und Amerika, aber auch in Frankreich und der französischen Schweiz, das Interesse an den Armeniern ist, wird begreifen, welch starken Beitrag ein solches Urteil zu dem Abscheu der Westmächte vor dem angeblich brutalen deutschen Machtstandpunkt geliefert hat.

Wir hoffen, daß die deutsche Regierung bald ihre während des Krieges in der armenischen Frage getanen Schritte der Oeffentlichkeit nicht mehr vorenthalten wird. Bisher hat sie erst dem Hauptausschuß des Reichstages von ihren Noten an die türkische Regierung Kenntnis gegeben: aus den kurzen Notizen der Presse ging hervor, daß sie die Türkei nicht ermutigt hat, sondern energisch für die Armenier eingetreten ist. Was aber die Oeffentlichkeit jetzt schon erfahren muß, das ist, in welch weitem Umfange deutsche Vereine und Gesellschaften während des Krieges in der armenischen Sache tätig gewesen sind. Seit Jahren arbeiten deutsche Missionsvereine in Türkisch-Armenien, die neben den amerikanischen Missionen Waisenhäuser, Schulen, Kliniken u.a. unterhalten. Die deutschen Missionen haben während des Krieges sich ein Organ geschaffen in der Orient- und Islamkommission, die ständig und mit Erfolg sich bei den maßgebenden Stellen des Reichs für die Armenier verwandt und auch eine Sammlung für sie veranstaltet hat. Dazu ist die am 13. Juni 1914 begründete Deutsch-Armenische Gesellschaft während dieser Zeit beständig im Interesse der Armenier tätig gewesen. Die Gesellschaft, deren Vorstand sich aus Deutschen und Armeniern zusammensetzt, stand unter dem Vorsitz von Dr. Lepsius und hatte sich vornehmlich wissenschaftliche und allgemein kulturelle Zwecke gesetzt. Sie gab eine Zeitschrift in beiden Sprachen heraus, die leider schon nach der ersten Nummer wegen des ausbrechenden Krieges eingehen mußte. Da gab der Krieg der Gesellschaft neue Aufgaben. Bei seinem Beginn befand sich eine Reihe russischer Armenier in Deutschland, wo sie als feindliche Ausländer mannigfachen Beschränkungen unterlagen. Es gelang dem Vorstande der Gesellschaft, diesen Armeniern eine gesonderte Behandlung ähnlich der der Balten zu erringen. Die armenischen Studenten, mit einziger Ausnahme derer im Königreich Sachsen erhielten die Erlaubnis zu Weiterstudium, sogar zur Ablegung der Examina. In vielen anderen Fragen des Schutzes und der Fürsorge konnte die Gesellschaft sich der in Deutschland lebenden Armenier annehmen, besonders auch der armenischen Kriegsgefangenen, über deren Rücksendung in die Heimat die Verhandlungen noch schwebten, als die Gefährdung des Schwarzen Meeres ein weiteres Vorgehen unmöglich machte. Eine weitere Aufgabe sah die Gesellschaft in der Aufklärung über die Vorgänge in Armenien. Die Kriegslage gestattete nur die Versendung vertraulicher Schriften: in erster Linie ist hier der in recht großer Auflage verbreitete „Bericht über die Lage des armenischen Volkes in der Türkei“ von Dr. Lepsius zu nennen, der als Zeugnis für die deutsche Beurteilung der Vorgänge in Armenien von unschätzbarem Werte ist. Daneben sah es die Gesellschaft als ihre Aufgabe an, in vielfachen Eingaben an Regierung und Parlament die berufenen Stellen teils über die Vorgänge aufzuklären, teils und selten vergeblich, zur Hilfe aufzurufen.

Vor Beginn des Krieges trat die Deutsch-armenische Gesellschaft für das Reformprogramm ein, das im Februar 1914 zustande gekommen war. Damals genügten den Armeniern solche Reformen: jetzt hat sich die Sachlage gewandelt: durch die Begründung eines selbständigen armenischen Staates in Transkaukasien, aber vor allem durch das Wilsonsche Programm und die Idee des Völkerbundes. Die nächsten Wochen werden auch auf diesem Gebiet größere Klarheit bringen. Das aber kann schon jetzt gesagt werden, daß die Hoffnungen der Armenier auch in Deutschland weitgehender Sympathie begegnen.



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