1915-07-27-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14087
Zentraljournal: 1915-A-23991
Botschaftsjournal: A53a/1915/4563
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 08/14/1915 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: K. No. 81/B. No. 1645
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/22/2012


Der Konsul in Aleppo (Rößler) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



K. No. 81 / B. No. 1645

Aleppo, den 27. Juli 1915

Vertraulich

Ueber die Verschickung der Armenier und die Art ihrer Durchführung ist mir seit Abgang meines letzten Berichtes vom 17. d.M. - No. 79 - noch das folgende bekannt geworden:

1) Wie nach Absetzung des hiesigen Wali Djelal Bey zu erwarten, wird die Verschickung jetzt auf den Küstenstrich des Wilajets Aleppo ausgedehnt. Befehl zur Räumung von Alexandrette, Antiochien, Harem, Beilan, Soukluk, Kessab und anderen Ortschaften ist Nachrichten aus armenischer Quelle zufolge, gegeben, doch wird eine kurze Frist in der Ausführung gewährt. Das Kaiserliche Vizekonsulat Alexandrette hatte bis zum 17. d.M. keine Kenntnis.1

2) Nachrichten zufolge, welche der Katholikos von Sis erhalten hat, sind 800 bis 1000 Männer, die von Diarbekr nach Süden geschickt waren, nirgends angelangt. Man nimmt an, dass sie sämtlich umgebracht worden sind. Es muss sich hierbei um ein Geschehnis handeln, das schon wochenlang zurückliegt.

3) Das berichtete Vorbeitreiben von Leichen auf dem Euphrat, das in Rumkaleh, Biredjik und Djerabulus beobachtet worden ist, hatte, wie mir am 17. d.M. berichtet wurde, 25 Tage lang gedauert. Die Leichen waren alle in der gleichen Weise, zwei und zwei Rücken auf Rücken gebunden. Diese Gleichmässigkeit deutet darauf hin, dass es sich nicht um Metzeleien, sondern um Tötung durch die Behörden handelt. Es heisst und ist wahrscheinlich, dass die Leichen durch Soldaten in Adiaman in den Fluss geworfen worden sind. Wie weiter unten zu berichten sein wird, hat das Vorbeitreiben nach einer Pause von mehreren Tagen von neuem begonnen und zwar in verstärktem Masse. Diesesmal handelt es sich hauptsächlich um Frauen und Kinder.

4) Armenier in Tell Abiad haben, wie ich von einem unbedingt glaubwürdigen älteren, bisher in Tell Abiad ansässigen Schweizer Ehepaar erfahre, ihre Mädchen im Alter von 8 - 12 Jahren verkauft, zunächst für 2 Medjidi (eine Medjidi = etwa 3,50 Mark), später für 1 Medjidi und weniger oder haben sie umsonst weggegeben. Offenbar wollten sie ihnen das in der Wüste vom Klima und von den Beduinen ihrer harrende Geschick ersparen. Immer wieder haben die herbeigeeilten Türken im Dorfe Tell Abiad mit den Verbannten um die Kinder gefeilscht. Mein Gewährsmann hat mir Namen von Käufern genannt. Die in Tell Abiad Durchziehenden, deren erste Trupps aus Setun kamen - vorläufig nach Rakka bestimmt - waren durch ihr Geschick stumpfsinnig geworden und liessen stillschweigend alles über sich ergehen. Nahrungsmittel waren ihnen in genügender Menge gegeben worden, aber zu unregelmässig. Südlich von Tell Abiad müssen, wo das Wasser sehr knapp, die jüngeren Kinder sterben. Auch sonst müssen viele den Strapazen erliegen. Ein ganzer Trupp ist bereits vollständig an Wassermangel zugrunde gegangen. Landwirtschaftliche Geräte haben sie nicht mitnehmen können. Was sollen die Ueberlebenden am Bestimmungsort anfangen?

5) Bei der Härte der Befehle der Regierung hängt die Behandlung der Wandernden mehr oder minder von dem guten Willen der einzelnen Beamten und Gendarmen ab, deren Bezirk sie gerade durchziehen. Teilweise werden sie daher ernährt, teilweise nicht.

In Aleppo, wo die Ernährung durch die Regierung zeitweise ungenügend war, wird z.Z. auf Befehl Djemal Paschas nach Verwendung des Katholikos für den Erwachsenen 5 Metalik (20 Pfennig), für das Kind 4 Metalik (16 Pf.) gezahlt. Die Zahl der hier auf der Durchwanderung befindlichen wird gegenwärtig auf durchschnittlich mehrere Tausende geschätzt. Sie dürfen sich hier etwas ausruhen.

6) Es mehren sich die Anzeichen, dass die Regierung sich die Durchführung ihrer Massregeln absichtlich oder unabsichtlich aus der Hand gleiten und in Armeniermetzeleien durch Tscherkessen und Kurden übergehen lässt.

7) Ueber Ras ul Ain (die gegenwärtige Endstation der Bagdadbahn) kommen neuerdings Armenier aus Kharput, Erzerum und Bitlis. Von den Armeniern aus Kharput wird berichtet, dass in einem Dorf, einige Stunden südlich der Stadt die Männer von den Frauen getrennt wurden. Die Männer sind niedergemacht worden und haben rechts und links vom Wege gelegen, an dem die Frauen dann vorbeikamen. Ein Trupp Frauen und Mädchen ist zwischen Mardin und Ras ul Ain von Beduinen vollständig ausgeplündert worden. Solche, die den Beduinen gefielen, wurden mitgeschleppt. Was soll aus den Unglücklichen werden, wenn sie noch tiefer in das Beduinengebiet hineinkommen?

8) Ein hiesiger Armenier hat mir von einer ihm verwandten Familie aus Kharput erzählt, die aus 17 Köpfen bestand. 7 Männer sind abgeführt worden, ihr Geschick ist unbekannt, 2 Frauen sind den Strapazen des Weges erlegen, 8 Köpfe sind in Ras ul Ain angekommen. Dabei fängt der schlimmere Teil des Weges in Ras ul Ain erst an.

9) Die bekannten armenischen Abgeordneten Zohrab und Wartkes hielten sich, aus Konstantinopel verbannt, kürzlich einige Zeit in Aleppo auf. Sie wussten, dass sie den Tod erleiden würden, wenn der Befehl der Regierung, sie nach Diarbekir zu verbannen, ausgeführt würde. Auch hatte ich Anlass, die Kaiserliche Botschaft hiervon zu unterrichten. Nach den Erzählungen der sie begleitenden jetzt hierher zurückgekehrten Gendarmen, wonach sie Räubern begegnet wären, welche zufällig gerade die beiden Abgeordneten erschossen hätten, kann kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die Regierung sie auf dem Wege zwischen Urfa und Diarbekr hat ermorden lassen.

10) Soweit war mein Bericht vollendet, als mir ein Beamter der Bagdadbahn die in anliegender Abschrift gehorsamst hier beigefügte Aufzeichnung übergab, auf welche ich hiermit gehorsamst Bezug nehmen darf. Den grauenerregenden Inhalt hier im Text meines Berichtes zu wiederholen, sei mir erspart. Der Beamte, dessen Namen ich auf Erfordern angeben kann [es handelt sich um W. Spieker, siehe Dok. 1915-09-03-DE-002], steht für die Wahrheit seiner Aufzeichnung beziehungsweise die Sorgfalt seiner Erkundigung ein. Er ist mir seit Jahren als unbedingt zuverlässiger Mann bekannt.

Die geschilderte Behandlung des armenischen Volkes verdient meines gehorsamen Erachtens ausser aus anderen Erwägungen auch aus dem Grund besondere Aufmerksamkeit von deutscher Seite, als sie von weiten Kreisen der Bevölkerung, auch der muhammedanischen, auf deutsche Einwirkung bei der türkischen Regierung zurückgeführt wird. Es heisst, Deutschland sei der Anlass zu dem Entschluss der türkischen Regierung das armenische Volk bis zur völligen Bedeutungslosigkeit zu zerschmettern. Die türkische Regierung wird vermutlich alles tun, dieser Ansicht Vorschub zu leisten. Sie wird froh sein, das Odium ihrer Massregeln auf uns abwälzen zu können. Deutschlands Name aber wird dadurch in den Schmutz gezogen.

Die deutschen Konsuln in der Türkei haben von der Kaiserlichen Botschaft den Auftrag erhalten, die Denkschrift des Deutschen Weissbuchs über die Russengreuel in Ostpreussen nach Möglichkeit zu verbreiten. Mit welchem Erfolg aber kann dieser Auftrag einer Bevölkerung gegenüber ausgeführt werden, welche durch die Ereignisse dazu herausgefordert wird, das Vorgehen ihrer Regierung gegenüber ihren eigenen Untertanen mit dem Vorgehen der Russen in Ostpreussen in Vergleich zu stellen?

Meine bisherige telegraphische und schriftliche Berichterstattung dürfte dargetan haben, dass die türkische Regierung über den Rahmen berechtigter Abwehrmassregeln gegen tatsächliche und mögliche armenische Umtriebe weit hinausgegangen ist, vielmehr durch die Ausdehnung ihrer Anordnungen, deren Durchführung sie in der härtesten und schroffsten Weise den Behörden zur Pflicht gemacht hat, auch gegen Frauen und Kinder, bewusst den Untergang möglichst grosser Teile des armenischen Volkes mit Mitteln herbeizuführen bestrebt ist, welche dem Altertum entlehnt sind, einer Regierung aber, die mit Deutschland verbündet sein will, unwürdig sind. Sie hat, wie wohl kein Zweifel sein kann, die Gelegenheit, da sie sich im Kriege mit dem Vierverband befindet, während das verbündete Deutschland einen Einspruch nicht für opportun erachtet, dazu benutzen wollen, um sich der armenischen Frage für die Zukunft zu entledigen, dadurch, dass sie möglichst wenige geschlossene armenische Gemeinden übrig lässt. Hekatomben Unschuldiger hat sie mit den wenigen Schuldigen geopfert.

Wäre es nicht möglich, noch jetzt weiteren Greueln Einhalt zu tun und wenigstens die Armenier aus dem Küstenstrich des Wilajets Aleppo noch zu retten, deren Verschickung erst noch bevorsteht? Sollte aus militärischen Gründen ihre Verschickung unumgänglich notwendig sein, könnte nicht wenigstens ihr Transport um ein bis zwei Monate hinausgeschoben und sorgfältig vorbereitet werden durch Bereitstellung der nötigen Tragtiere und Lebensmittel? Könnten sie nicht in den Städten Aleppo oder Urfa bleiben, mit dem schon jetzt auszusprechenden Recht späterer Rückkehr? Die türkische Regierung hat in einer in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 9. Juni veröffentlichten Denkschrift "Die Ottomanische Regierung gegen feindliche Beschuldigungen" behauptet, dass die Verschickungen zeitweilig seien. Sie hat erklärt: "Wenn gewisse Armenier zeitweilig auf andere Reichsgebiete übersiedeln mussten, so geschah das, weil sie im Kriegsgebiet wohnten . . ." Könnte sie hier beim Wort genommen werden? Sind Beilan, Soukluk, Kessab u.a. wirklich Kriegsgebiet? Ist die Anwesenheit von Frauen und Kindern dort gefährlich, da doch die Männer sogut wie alle eingezogen sind?

Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung veröffentlicht am 13. Juli in No. 192, erste Ausgabe, eine Erklärung der offiziösen osmanischen Depeschenagentur "Agence Milli" welche gegen die Behauptung der "Gazette de Lausanne" protestiert, die osmanische Regierung leihe den gegen die in der Türkei lebenden Armenier begangenen Ausschreitungen ihren Schutz und diese Ausschreitungen beständen häufig in Metzeleien.

Leider wird sich vieles für diese Behauptung der Gazette de Lausanne sagen lassen.

Mein telegraphischer Bericht über die ungewöhnlich gut bezeugten Metzeleien in Tell Ermen lag bei Veröffentlichung des Dementis bereits vor. Herr Major von Mikusch hat Photographien über den Befund aufgenommen und ist in der Lage, sie einzureichen. Diese von Kurden vorgenommenen Metzeleien sind nachgewiesenermassen im Beisein der bewaffneten Macht der türkischen Regierung, wahrscheinlich aber unter deren aktiver Teilnahme vor sich gegangen.

Die türkische Regierung hat ihre armenischen Untertanen, wohlgemerkt unschuldige, unter dem Vorwande, sie aus dem Kriegsgebiet entfernen zu müssen, zu tausenden und abertausenden2 in die Wüste getrieben, weder Kranke und Schwangere noch die Familien der zu den Waffen einberufenen Soldaten ausgenommen, hat sie ungenügend und unregelmässig ernährt und mit Wasser versorgt, hat nichts gegen die unter ihnen ausgebrochenen Epidemien getan, hat die Frauen in Not und Verzweiflung getrieben, dass sie ihre Säuglinge und ihre Neugeborenen am Wege ausgesetzt, ihre dem mannbaren Alter entgegengehenden Mädchen verkauft, dass sie sich selbst mit ihren kleinen Kindern in den Fluss gestürzt haben, sie hat sie der Willkür der Begleitmannschaft und damit der Schande preisgegeben, einer Begleitmannschaft, die Mädchen an sich genommen und verkauft hat, sie hat sie den Beduinen in die Hände gejagt, die sie ausgeplündert und entführt haben, sie hat die Männer in einsamen Gegenden ungesetzlich niederschiessen lassen und lässt die Leichen ihrer Opfer den Hunden und den Raubvögeln zum Frass, sie hat angeblich in die Verbannung geschickte Abgeordnete ermorden lassen, sie hat Sträflinge aus den Gefängnissen entlassen, in Soldatenkleider gesteckt und in die Gegenden geschickt, wo die Verbannten durchziehen mussten, sie hat tscherkessische Freiwillige angeworben und sie auf die Armenier hingelenkt. Was aber behauptet sie in ihrer halbamtlichen Erklärung? "Die Osmanische Regierung ... erstreckt ihren wohlwollenden Schutz auf alle ehrlichen und friedlichen in der Türkei lebenden Christen ..."

Fürwahr ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich diese Erklärung gesehen habe und ich finde keinen Ausdruck um den Abgrund ihrer Unwahrheit zu kennzeichnen. Denn die türkische Regierung wird die Verantwortung für alles was geschehen ist, auch soweit es aus mangelnder Fürsorge und Voraussicht, aus der Verderbtheit der ausführenden Organe und aus den an Anarchie grenzenden Zuständen der östlichen Teile ihres Gebiets hervorgeht, nicht ablehnen können, hat sie doch die Verbannten mit Vorbedacht in dieses Chaos hineingetrieben. Die Verantwortung wird auch dann auf ihr lasten, wenn sie die Herrschaft über die von ihr gerufenen Elemente verlieren sollte, wie es besonders im Wilajet Diarbekr leicht sich ereignen könnte. Wie hierzulande die Vernichtung der Armenier auf deutsche Anregung zurückgeführt wird, so versucht die türkische Regierung vor der europäischen Oeffentlichkeit ihre Handlungsweise durch unsere Autorität zu decken.

Euer Exzellenz aber darf ich gehorsamst anheimstellen, in Erwägung ziehen zu wollen, ob türkische Erklärungen zur Armenierfrage noch ferner zur Veröffentlichung in der deutschen Presse geeignet sind und ob nicht Gefahr besteht, dass wir durch unseren Verbündeten kompromittiert werden.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.


Rößler
Anlage
Aleppo, den 27. Juli 1915
Aufzeichnung

Anlage zu No. 81

Am Sonnabend den 24. Juli 1915 habe ich 8 Armenier von der Strecke Ras ul Ain mitgebracht; 3 Frauen, 1 vierzehnjäriges Mädchen und 4 Mädchen im Alter von 5 - 8 Jahren. Eine der Frauen, deren Mann zwischen Charput und Ras ul Ain vor ihren Augen getötet und verbrannt wurde, wurde in der Station Touem vom Personal der Bahn (7 - 8 Männern) derartig vergewaltigt, dass an ihrem Aufkommen gezweifelt wurde - sie hatte 2 Tage lang beständig Ohnmachtsanfälle und ist bis jetzt in meiner Wohnung in Pflege meiner Frau und ärztlicher Behandlung. Ihr 7 Monate altes Kind, ihr einziger Sohn, zum Skelett abgemagert, haben wir in Nuss Tell bei Herrn Ingenieur Linsmeyer beerdigt. Die zweite Frau fand ich mit ihren beiden Mädchen in einem Steinbruche in einem Arbeiterzelte. Vor dem Zelt sassen im Halbkreis mit der Front zu der offenen Seite des Zeltes, in dem die Frau als einzige Person zusammengekauert sass, 1 Tschausch und circa 15 Soldaten. Herr Ingenieur Linsmeyer hatte mir einen Gendarmen mitgegeben, der mit Gewalt die Frau aus dem Zelte hervorholte; wir brachten sie so schnell als möglich nach Nuss Tell in Sicherheit. Das 14jährige Mädchen fanden wir auf der Station Hodja in der Baracke eines 22 - 25 jährigen Stationschefs, der unverheiratet ist. Der Stationschef suchte das Mädchen zu vergewaltigen, dem sich das Mädchen 2 Tage widersetzte. Am dritten Tage liess der Stationschef das Mädchen 24 Stunden ohne Essen, um sie seinen Gelüsten gefügig zu machen. Durch Herrn Ingenieur Linsmeyer, der die Begebenheit Herrn Direktor Hasenfratz telegraphisch zu melden drohte, wurde uns das Mädchen übergeben. In Ras ul Ain sind zur Zeit circa 1600 Frauen und Kinder, der Ueberrest von mehreren Tausenden, die mit ihren Männern zusammen aus Charput und Umgebung ausgewiesen wurden. Unter diesen 1600 Personen befindet sich kein einziger Mann mehr, oder männliche Person über 12 Jahren. Ohne Verpflegung oder irgend welchen Schutz gegen die Sonne liegen die Gesunden wie die Kranken bei einer Hitze von 43 % C. in der Sonne der Willkür der sie begleitenden Soldaten preisgegeben. Herr Ingenieur Linsmeyer, der mir gegenüber im letzten Monat von "Armeniergesindel" sprach, sagte mir wörtlich: "Ich bin nicht ein Mann, der leicht gerührt ist, aber bei dem Anblick der armen Leute habe ich mich der Tränen nicht enthalten können. Ich hielt es nicht für möglich, dass in unserem Jahrhundert so etwas passieren könne." Ein Tschausch, namens Süleman, nahm sich 18 Frauen und Mädchen und gab sie für 2 - 3 Medjidie an Araber und Kurden ab. Ein türkischer Kommissar sagte mir: Wir haben keine Uebersicht mehr darüber, wieviel Frauen und Mädchen von Arabern und Kurden fortgeholt worden sind, mit Gewalt oder im Einverständnis der Regierung. Diesmal haben wir unser Werk an den Armeniern ausgeführt wie wir seit langem wünschten, von zehn haben wir nicht neun leben lassen.

Während ich dies niederschreibe, kommt meine Frau von einem Gang aus der Stadt zurück und erzählt mir unter Tränen, dass sie einem Transport von ca. 800 Armeniern soeben begegnet ist, barfuss und zerrissen, ihre wenigen Habseligkeiten auf dem Rücken mit sich fortschleppend.

In Besnije ist die ganze Bevölkerung von circa 1800 Frauen und Kindern und nur wenigen Männern ausgewiesen; sie sollten angeblich nach Urfa abtransportiert werden. Am Göksu, einem Nebenfluss des Euphrat, mussten sie sich auskleiden, wurden sämtlich niedergemacht und in den Fluss geworfen.

In den letzten Tagen hat man am Euphrat an einem Tage circa 170 an anderen 50, 60 und mehr Leichen den Fluss hinabkommen sehen. Herr Ingenieur Awdis sah mit seinem Rechnungsführer zusammen bei einem kurzen Ritt circa 40 Leichen. Die ans Ufer geschwemmten Leichen werden von Hunden, die im Strom an Sandbänken etc. angeschwemmten von Geiern gefressen. Es sind neuerdings hauptsächlich Frauen und Kinderleichen.

Die obenerwähnten 800 Armenier wurden aus der Umgebung von Marasch, aus Döngeli und Tschürükkos ausgewiesen. Man sagte ihnen, sie würden nach Aintab abgeführt und sollten sich für 2 Tage verproviantieren. Als sie in die Nähe von Aintab kamen, hiess es: wir haben uns geirrt, ihr solltet nach Nisib, in Nisib: ihr solltet nach Bumbudsch, in B.: ihr solltet nach Bab etc. und kamen endlich nach 17 Tagen in Aleppo an. In 17 Tagen erhielten sie an Verpflegung nicht das geringste von der Regierung, mussten ihre wenigen Habseligkeiten gegen Brot abgeben, in der Nähe von Nisib für 5 Ltq Habseligkeiten verkaufen und den Betrag an die sie begleitenden Gendarmen abgeben, andernfalls ihnen gedroht wurde, man würde Frauen und Mädchen für die Nacht abführen und schänden.

Die in Ras ul Ain angelangten Frauen mussten sich unterwegs mehrere Male vor den sie begleitenden Gendarmen völlig auskleiden. Ihre Kleider wurden nach Geld untersucht, auch ihre Haare und ... ihre Scham, ob sie nicht etwa Geld versteckt hätten.

Einer Frau wurde ihre älteste Tochter mit Gewalt abgenommen. Aus Verzweiflung nahm sie ihre beiden übrigen Kinder und stürzte sich in den Euphrat. Ein Unternehmer erzählte mir, dass er mit eigenen Augen gesehen habe, wie eine Frau am Fluss zur Niederkunft kam, ihr Kind nahm und es in ihrer Verzweiflung in den Fluss warf.

Said, ein Auswanderer aus Tripoli, seit 4 Jahren Pferdeknecht bei Herrn Linsmeyer, angestellt mit einem Monatsgehalt von 400 Piaster stellte sich als Kriegsfreiwilliger, um, wie er sagte, auch einige Armenier mit "abschlachten" zu können. Als Lohn sei ihm ein Haus in A., einem armenischen Dorfe in der Nähe von Urfa zugesagt. Zwei Tscherkessen bei Herrn Magazinverwalter Seemann in Tell Abiad stellten sich aus demselben Grunde als Kriegsfreiwillige. Der Dorfälteste in Tschadakli einem Tscherkessendorf in der Nähe von Göksun, äusserte sich einem Bekannten von mir gegenüber: Ew jikmak itschün giderler (diese gehen, um Familien zu ruinieren).

Im Arab Punar äusserte sich mir gegenüber ein deutsch sprechender türkischer Major: Ich und mein Bruder haben uns aus Ras ul Ain jeder ein armenisches Mädchen mitgebracht, das wir unterwegs fanden. Wir sind ganz "böse" auf die Deutschen, dass sie so etwas machen, und als ich ihm widersprach sagte er: Unser Generalstabschef ist ein Deutscher, v. d. Goltz ist Kommandant und so viele deutsche Offiziere sind in unserer Armee - unser Koran erlaubt eine solche Behandlung nicht, wie sie jetzt die Armenier erdulden. In Nuss Tell äusserte sich ein muhamedanischer Aufseher einem Schichtenschreiber, (Elias Salfetty) gegenüber in derselben Weise. Als ich ihn in Gegenwart anderer darüber zur Rede stellte, erwiderte er: "effendim, das sage ich nicht bloss, das sagt hier jedermann." Kürzlich äusserte sich mir gegenüber ein muhamedanischer Ladeninhaber bei einem gemeldeten Siege der Türken: Der Wali veröffentlicht die Siegesnachricht noch nicht, er fürchtet die Muselmanen würden in ihrer Freude auf die Christen (Syrier, nicht etwa Armenier) losgehen.


[Name] [W. Spieker]

[Zimmermann an Botschaft Konstantinopel 18. 8. (Nr. 1547)]


Bitte Bericht Nr. 1645 aus Aleppo zu geeigneter Zeit und in entsprechender Form tunlichst ohne Bloßstellung des Ks. Konsuls bei Pforte verwerten und Überzeugung aussprechen daß das Vorgehen gegen die Armenier ihren Absichten und Instruktionen widerspricht. Unsere Freunde im türkischen Kabinett werden begreifen daß wir schon wegen des gegen uns erhobenen Vorwurfs der Anstiftung an energischer Unterdrückung der Ausschreitungen lebhaft interessiert sind. Der hohe Sinn für Menschlichkeit und Kultur der die türkische Kriegsführung im Gegensatz zur feindlichen auszeichnet gibt uns Gewähr daß unser Bundesgenosse gleichen Grundsätzen auch im Innern Geltung verschaffen wird.

Konsul Rössler wollen Ew. pp. unter Hinweis auf die Umtriebe der Armenier und unsere trotzdem für sie unternommenen Schritte nach Möglichkeit aufklären und beruhigen.


1 28. Juli. Die Nachricht ist inzwischen amtlich bestätigt. Auch Aintab und Killis, obwohl nicht in der Küstenzone gelegen, sollen geräumt werden.
2 bis Mitte Juli mehr als 30000 aus Wilayet Adana und Mutesarriflik Marasch. Dabei dehnt sie die Verschickungen immer weiter aus.



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