1909-08-12-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 13188
Zentraljournal: 1909-A-13619
Erste Internetveröffentlichung: 2009 April
Edition: Adana 1909
Praesentatsdatum: 08/15/1909 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Geschäftsführer der Botschaft Konstantinopel (Miquel) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht


Therapia, 12. August 1909

Nr. 245

1 Anlage.

Abschrift

Unmittelbar nach den Unruhen von Adana wurde von türkischer Seite geflissentlich verbreitet, dass die ganze Schuld allein die Armenier träfe. Die erste nach Adana entsandte Untersuchungskommission und das Kriegsgericht schienen die Tendenz zu haben, in das gleiche Horn zu blasen. Hierzu kam noch, dass ein Unglücksstern über der Kommission zu schweben schien, da sie durch verschiedene Umstände viel Zeit vergeudete und den armenischen Berichterstatter, den angesehenen Abgeordneten Babighian durch den Tod verlor, bevor er seinen Bericht veröffentlichen konnte. Alle Machenschaften gegen die Armenier sind jedoch an dem würdigen Protest des armenischen Patriarchen sowie an der Haltung des jetzigen Ministeriums, welches Armenier zu seinen Mitgliedern zählt, gescheitert.

Im Interesse der Wahrheit hat nun die Regierung ein Rundschreiben an die Vilajets gerichtet, welches eine glänzende Rechtfertigung der Armenier enthält. Von den früheren Anschuldigungen bleibt so viel wie nichts übrig. Das Dokument bekundet gleichzeitig das Bestreben der Regierung, die Eintracht unter den verschiedenen Volksstämmen des Osmanenreichs energisch zu fördern.

Den Wortlauf beehre ich mich Euerer Exzellenz in der Uebersetzung des Osmanischen Lloyd vom 11. d.M. einzureichen. Danach ist jede Aeußerung vermieden, aus welcher auf die Anstiftung durch den Sultan, das Palais oder die türkische Beamtenschaft geschlossen werden könnte; lediglich die bedauerliche Schwäche der höchsten Verwaltungsbeamten wird zugegeben. Ob sich hieraus aber eine Verantwortlichkeit des Staates für die durch die Unruhen entstandenen Schäden konstruieren lässt, dürfte sehr zweifelhaft sein.


Miquel
[Anlage]

Osmanischer Lloyd vom 11. August 1909.

Die Erklärung der Regierung in der Adanafrage.

Ein Rundschreiben an die Wilajets.


Wie wir gestern meldeten, hat der Ministerrat die von den Ministern für Finanzen, Justiz und Unterricht aufgesetzte Erklärung, die Unschuld der Armenier in der Adanaangelegenheit betreffend, angenommen und beschlossen, diese Erklärung den Wilajets zur Mitteilung an die Bevölkerung zugehen zu lassen. Dieses Rundschreiben der Regierung hat folgenden Inhalt:

„Zur Zeit des Absolutismus haben einige armenische Parteien revolutionäre Versuche, die auf die Unabhängigkeit ihres Volkes gerichtet waren, unternommen. Was für Mittel sie auch hierbei in Anwendung brachten, sie dürfen keiner Kritik unterliegen, da es sich für sie um Befreiung ihres Volkes von den unerträglichen Bedrückungen einer tyrannischen Regierung handelte. Dagegen haben die Armenier in der letzten Zeit des Absolutismus an dem Kampfe für die politische Freiheit der Türkei in jeder Weise tatkräftig teilgenommen und ihre enge Verbindung mit dem türkischen Vaterland dargetan. Nach der Wiederherstellung der Verfassung haben unsere armenischen Landsleute die Verfolgung aller politischen Zwecke aufgegeben und zugegeben, daß das Heil und Gedeihen ihrer Nationalität nur in der Ergebenheit und Treue dem konstitutionellen türkischen Staate gegenüber zu finden sei. In dieser Erkenntnis haben sie ihre Bestrebung auf das Wohl des Staatsganzen gerichtet. Darum kann es als zweifellos angesehen werden, daß die falsche Ansicht, die sich bei Personen gebildet hat, die mit den Tatsachen nicht vertraut waren, von staatsgefährlichen politischen Plänen der Armenier vollständig grundlos ist.

Was nun die Ursache zu den furchtbaren Vorgängen in Adana betrifft, so beweisen einmal die Ergebnisse der Untersuchungskommission und sodann der Gang, den die Ereignisse genommen haben, daß die unter der Herrschaft der Freiheit und der Konstitution erhobenen Klagen der Armenier über gewisse Mißbräuche, die noch aus der Zeit des auf Zerstörung der Brüderlichkeit der Rassen hinarbeitenden Absolutismus stammten, von unwissenden Leuten falsch ausgelegt wurden. Sodann erzeugte der Umstand, daß die bisherigen geheimen Gesellschaften der „Taschnakzution“ und „Hintschakian“ in die Öffentlichkeit traten gewisse grundlose und rein phantastische Meinungen, die zu allerlei Gerede unter der Bevölkerung Veranlassung gaben. Diese aufregenden Gerüchte fanden ihren Rückschlag in der panischen Furcht, die sich der armenischen Gemeinde bemächtigte, so daß auf beiden Seiten Mißtrauen entstand und Mißverständnisse bezüglich der gegenseitigen Absichten auftauchen konnten.

Es wäre nun die erste Pflicht der Lokalregierung gewesen, die Quelle dieser Mißverständnisse zu entdecken, durch die Annäherung der verschiedenen Bevölkerungselemente aneinander das gegenseitige Mißtrauen zu beseitigen und sich um ein einträchtiges Zusammenleben der Parteien zu bemühen. Das Stillschweigen jedoch, das die höchsten Verwaltungsbeamten aus bedauerlicher Schwäche beobachteten, führte zu falscher Auffassung von Seiten der einen Partei und zur Vertiefung des Mißtrauens. Bei der anderen Partei erhöhte es die Dreistigkeit gegenüber der Regierungsautorität. Da nun gleich von Anfang der Unruhen an die Organe, die dazu berufen waren, in nichts weniger als aufopfernder Weise ihre Pflicht taten, so konnte es geschehen, daß die Wirren einen immer größeren Umfang annahmen. Es ist festgestellt worden, daß die Unruhen nicht etwa deshalb ausgebrochen sind, weil es die Armenier an der nötigen opferfreudigen Treue gegenüber dem türkischen Staat fehlen ließen.

Es ist natürlich, daß die wahren Urheber der bedauerlichen Ereignisse ebenso zur Rechenschaft gezogen werden wie diejenigen, die aus Trägheit und Nachlässigkeit gefehlt haben.

Zur Beseitigung solcher irrtümlicher und unbegründeter Vorstellungen, die in gewissen Kreisen leider angetroffen werden und deren Weiterbestehen dem so notwendigen, auf der Gemeinschaft von Interessen und Zielen begründeten brüderlichen Einvernehmen zwischen den Bevölkerungselementen erheblichen Eintrag tut, muß der Bevölkerung an das Herz gelegt werden, einer patriotischen Eintracht sich zu befleißigen. Nur so kann für das Heil aller osmanischen Untertanen ohne Unterschied gesorgt und die Mittel zur Knüpfung immer engerer Bande zwischen ihnen gefunden werden, wie das der Geist der Verfassung verlangt.“



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