1909-04-30-DE-007
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Quelle: DE/PA-AA/R 13185
Zentraljournal: 1909-A-08260
Erste Internetveröffentlichung: 2009 April
Edition: Adana 1909
Praesentatsdatum: 05/11/1909 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: J.No. 387/K.No. 51
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Generalkonsul in Aleppo (Tischendorf) an den Reichskanzler (Bülow)

Bericht



J.No. 387 / K.No. 51
2 Anlagen

Euerer Durchlaucht beehre ich mich gehorsamst zu berichten, daß den Erklärungen der Lokalregierung zufolge die Lage im Wilajet Aleppo, was die allgemeine Sicherheit betrifft, sich sehr gebessert haben soll. Tatsächlich verfügt die Regierung jetzt auch über bedeutend mehr Truppen als früher zur Aufrechterhaltung der Ordnung, und insbesondere die Straße von Alexandrette nach Aleppo ist militärisch stark besetzt. Andrerseits laufen aber noch immer leider schwer kontrollierbare Nachrichten ein über die Fortdauer von Unruhen an verschiedenen Plätzen. Die Einberufung von Redifs hat zweifellos die moslemische Bevölkerung sehr verstimmt und gegen die Armenier, die daran schuld sein sollen, erbittert. Es fehlt dazu nicht an Stimmen, welche die Haltung seitens verschiedener Militär- und Zivilbehörden als mindestens sehr verdächtig bezeichnen und ihre Korrektheit in Zweifel ziehen, wie es in dem in Anlage 1 beigefügten vertraulichen Bericht vom 26. April 1909 des Kaiserlichen Vizekonsuls in Alexandrette geschieht. Anscheinend ist die Haltung der Behörden der Zivilverwaltung sowohl wie des Militärs sehr von den politischen Anschauungen der Betreffenden beeinflußt gewesen. Die Anhänger des alten Regimes haben sicher die Bewegung gegen die ihnen verhaßten Armenier wenn auch nicht gefördert, so zum mindesten nicht gehindert.

Die Nachricht von der Absetzung des Sultans Abdul Hamid und der Proklamierung des neuen Sultans ist hier in Aleppo mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden, sie wurde freudig begrüßt von einem großen Teil der christlichen, insbesondere der armenischen Bevölkerung, während, abgesehen von den im Ganzen nicht sehr zahlreichen Anhängern des jungtürkischen Komitees der größte Teil der mohammedanischen Bevölkerung nicht sehr erfreut zu sein schien. An Freudenkundgebungen beteiligten sich fast nur diejenigen Mohammedaner, die zu den Beamten von Zivil und Militär gehörten und die angesagte Illumination war eine sehr spärliche und vereinzelte; am lautesten waren die Armenier. Die mißverstandenen Freudenschüsse - mit scharfen Patronen - erregten an einzelnen Plätzen Panik und veranlaßten in der Umgebung der Stadt Angriffe von Mohammedanern auf armenische Christen. Die vorher sehr gedrückt gewesene Stimmung in der Stadt hat sich gebessert und ist eine mehr abwartende geworden; Geschäftslokale, Kaufläden und Werkstätten sind wieder viel zahlreicher geöffnet; der Geschäftsverkehr ruht zwar noch fast ganz, doch ist zu erwarten, daß auch er sich heben wird, da größere Firmen, welche mit Rücksicht auf die sehr ungewisse Lage die Kreditgewährung ganz eingestellt hatten, den einheimischen Kunden wieder Kredite zu gewähren beginnen.

In Anlage 2 beehre ich mich auch den letzten vom 27. des Mts. datierten Bericht des Kaiserlichen Vizekonsuls in Alexandrette beizufügen, mit dem Bemerken, daß tatsächlich die Entsendung von regulären türkischen Truppen zum Entsatz der von den Muhammedanern in Dörtyol belagerten Armeniern von Erfolg gewesen sein soll. Die bewaffneten Banden sollen sich zerstreut haben und nach einem von dem hiesigen Lokalblatte veröffentlichten Telegramme sollen Muhammedaner und Christen in Dörtyol „fraternisieren“ (?).

Die Lokalregierung hält jedenfalls die Lage bei Alexandrette für nicht mehr besorgniserregend, denn der hiesige Wali, welcher auf die Nachricht von dem Eintreffen von Ingenieuren der Studienkommission für die Bagdadbahn in Alexandrette zur Vermessung der Strecke Alexandrette - Aleppo noch am 27. des Mts. es für geratener bezeichnete, mit dem Beginn der Arbeiten noch einige Tage zu warten, hat jetzt diesen Beginn für unbedenklich erklärt und mir mitgeteilt, daß er wegen eventueller Erteilung einer Schutzwache für die Ingenieure den Kaimakam von Alexandrette mit der nötigen Weisung versehen habe.


Tischendorf
[Anlage 1]

Abschrift
Kaiserlich Deutsches Vizekonsulat Alexandrette. No. 24.
Alexandrette, 26 avril 1909.
«Rapport Confidentiel.»

Monsieur le Consul Général,
Faisant suite à mon rapport du 23 courant et à ma dépêche télégraphique du 24, j’ai l’honneur de porter à votre connaissance qu’ayant appris par des personnes digne de fois, que les autorités civiles et militaires d’Alexandrette avaient fournis aux bandes barbares assiégeant Dortyol des armes et des munitions, j’ai délégué Samedi dernier mon drogman Mr. Balit auprès de ces mêmes autorités, avec mission de faire des représentations énergiques à propos de ce procédé indigne et inqualifiable.

Lorsque mon drogman s’est rendu pour s’acquitter de cette mission, il a trouvé réunis, dans le même local, le Caimakam de la ville avec le Commandant de la place. Parlant à ces deux fonctionnaires, Mr. Balit a demandé s’il était vrai, que les assiégeant de Dortyol avaient reçu des carabines «Martini» et «Mauser» des mains des Officiers de l’armée Ottomane pour s’en servir à l’extermination des Arméniens de la région de Payas. Le Commandant de la place reconnut en réponse, que ces armes avaient été dérobées par la populace du dépôt d’armes d’Erzine. Mon drogman lui dit alors, qu’il avait été rapporté au Vice-Consulat, comme un fait certain, que vingt mille cartouches avec des armes ont été expédiées du dépôt même d’Alexandrette et distribuées aux assiégeants de Dortyol. Et le Commandant militaire, très ennuyé, reconnut que ces armes avaient en effet été livrées aux «Rédifs» qui se sont joints aux bandes qui dévastent la région.

Ces déclarations du Commandant militaire d’Alexandrette démontrent clairement la part active pris par les autorités aux massacres des chrétiens-arméniens, à l’extermination desquels elles paraissent s’être vouées.

Les hordes barbares qui dévastent la contrée, paraissent du reste obéir au moindre signe des autorités; en effet, un sujet hellène, avec le drogman du Consulat de Perse, qui se trouvaient dans Dortyol, ont pu, sans être molestés, traverser avec deux Saptiehs seulement les rangs des assiégeants et venir à Alexandrette le Samedi 24 courant.

Veuillez agréer etc. etc. etc.


Li Vice-Consul Impérial
[Th. Belfante]
[Eigene Übersetzung]
Alexandrette, den 26. April 1909.

Vertraulicher Bericht

Herr Generalkonsul,

im Anschluß an meinen Bericht vom 23. des Monats und meiner telegraphischen Depesche vom 24. habe ich die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß ich von vertrauenswürdigen Personen erfahren habe daß die zivilen und militärischen Behörden von Alexandrette den barbarischen Banden, die Dörtjol belagern, Waffen und Munition geliefert hätten. Ich habe deshalb am Samstag meinen Dragoman Herrn Balit zu diesen Behördenpersonen geschickt, um gegen dieses unwürdige und fragwürdige Vorgehen energische Vorstellungen zu erheben.

Als mein Dragoman diese Mission ausführen wollte, traf er im gleichen Raum den Kaimakam der Stadt zusammen mit dem Orts-Kommandanten. Herr Balit fragte die beiden Beamten, ob es wahr sei, daß die Belagerer von Dörtjol aus den Händen von Offizieren des osmanischen Armee Karabiner der Marken „Martini“ und „Mauser“ erhalten hätten, um damit die Armenier der Region von Payas zu vernichten. Der Orts-Kommandant gab an, daß diese Waffen von dem Pöbel aus den Militär-Magazinen von Erzine gestohlen worden seien. Mein Dragoman sagte sodann, daß es dem Vizekonsulat als sichere Tatsache gemeldet worden sei, daß 20000 Schuß Munition zusammen mit den Waffen vom dem Depot in Alexandrette selbst an die Belagerer von Dörtjol geliefert worden seien. Jetzt gab der Orts-Kommandant sehr verärgert zu, daß diese Waffen an die „Redifs“ geliefert worden seien, die sich den Banden angeschlossen hätten, die die Region verwüsten.

Die Erklärungen des Militär-Kommandanten von Alexandrette zeigen ganz eindeutig die aktive Rolle der Behörden bei den Massakern an den armenischen Christen, zu deren Vernichtung sie sich entschlossen zu haben scheinen.

Die barbarischen Horden, die die Gegend verwüsten, scheinen tatsächlich auf die geringsten Zeichen der Behörden zu hören. Ein griechischer Osmane, der sich mit dem Dragoman des persischen Konsulats nach Dörtjol begeben hatte, konnte mit nur zwei Saptiehs [Militärpolizisten] die Reihen der Belagerer passieren, und am Sonnabend, den 24. des Monats nach Alexandrette zurückkehren.

Mit vorzüglicher Hochachtung.


Der Kaiserliche Vize-Konsul
[Th. Belfante]

[Anlage 2]


Kaiserlich Deutsches Vice-Konsulat Alexandrette No. 25.
Alexandrette, le 27 Avril 1909.

Faisant suite à mes rapports précédents, au sujet de la situation de cette Région, j’ai l’honneur de porter à votre connaissance que le transport Ottoman «Hodeida», arrivé avant hier dans ce Port, s’est immédiatement rendue à Payas pour y débarquer 450 hommes de troupes régulières, qu’il avait à bord. Ces troupes accompagnées par le Commandant Militaire de la place d’Alexandrette sont parties de Payas pour Dortyol, dans le but de faire cesser le Siège du village et de rétablir l’ordre. Le Pasteur Anglais, le Curé arménien ainsi que le Mufti et deux musulmans de notre ville ont accompagné le Commandant Militaire dans cette expédition.

On manque encore des nouvelles de ce qui s’est passé à Dortyol depuis l’arrivée des troupes, mais l’impression générale est que les Assiégeants se retirent sur la pression des Autorités Ottomanes car ces dernières paraissent influencées par la présence des navires de guerre et par les représentations qui leur ont été faites de la part du Corps Consulaire.

Le Cuirassé Anglais «Triumph» est parti avant hier pour Suedieh afin de secourir et d’amener ici les veuves et les orphelins des chrétiens massacrés dans la région de Kessab. Le Cuirassé «Jules Michelet» de la Marine Française arrivé hier matin à Alexandrette est également reparti dans l’après-midi dans la direction de Suedieh pour le même but.

A Beylan la situation paraît plus calme, et l’on dit que les Kurdes et les Circassiens se sont retirés, après avoir saccagé et massacré les habitants Arméniens des fermes limitrophes. On signale des nouveaux massacres dans les villages des environs d’Alexandrette.

Ici la panique continue à régner et les populations réfugiées dans les Églises et dans les Consulats ont refusées de se retirer dans leurs foyers sur l’invitation qui leur a été faite par les Autorités Locales.

Veuillez agréer, Monsieur le Consul Général, l’assurance de ma considération la plus distinguée.


Le Vice-Consul Impérial
[Th. Belfante]
[Eigene Übersetzung]

Alexandrette, den 27. April 1909.

Im Anschluß an meine vorigen Berichte über die Situation dieser Region habe ich die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß der osmanische Transporter „Hodeida“ vorgestern in diesem Hafen angekommen ist und sich sofort nach Payas begeben hat, um dort die an Bord befindlichen 450 Mann regulärer Truppen auszuschiffen. Diese Truppen haben sich, begleitet von dem Militär-Kommandanten von Alexandrette, von Payas nach Dörtjol begeben mit dem Ziel, die Belagerung zu beenden und die Ordnung wiederherzustellen. Der englische Pastor, der armenische Priester wie der Mufti und zwei Muslime unserer Stadt begleiten den Militär-Kommandanten auf seiner Reise.

Wir haben noch keine Informationen darüber, was nach der Ankunft dieser Truppen in Dörtjol geschehen ist, aber der allgemeine Eindruck ist der, daß sich die Belagerer auf den Druck der osmanischen Behörden zurückziehen, denn sie scheinen durch die Anwesenheit der Kriegsschiffe und die Vorstellungen, die ihnen das konsularische Korps gemacht hat, doch beeinflußt zu sein.

Der englische Kreuzer „Triumph“ ist vorgestern nach Suedieh abgefahren, um dort den Witwen und Waisen der in der Region von Kessab massakrierten Christen zu helfen und sie nach hier zu bringen. Der Kreuzer „Jules Michelet“ der französischen Marine , der gestern morgen in Alexandrette ankam, ist nachmittags mit dem gleichen Ziel Richtung Suedieh abgefahren.

In Beylan scheint die Lage ruhiger zu sein, und man sagt, daß sich die Kurden und Tscherkessen zurückgezogen hätten, nachdem sie die Armenier der angrenzenden Bauernhöfe ausgeplündert und massakriert haben. Aus den Dörfern in der Umgebung von Alexandrette wird von neuen Massakern berichtet.

Hier herrscht weiterhin Panik und die in die Kirchen und Konsulate geflohenen Leute weigern sich in ihre Wohnungen zurückzukehren, wozu die örtlichen Behörden sie aufgefordert haben.

Mit vorzüglicher Hochachtung


Der Vize-Konsul
[Th. Belfante]



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