1917-06-20-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14096
Zentraljournal: 1917-A-20283
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 06/21/1917 a.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/31/2012


Der Reichstagsabgeordnete Matthias Erzberger an den Legationsrat im Auswärtigen Amt Rosenberg

Schreiben



Berlin, den 20. Juni 1917

Sehr verehrter Herr Baron!

In der Anlage überreiche ich Ihnen die Abschrift eines Briefes, der mir aus Angora zugegangen ist. Ich würde es für gut halten, wenn man die Türkei doch wissen lassen würde, dass diese Art des Auftretens den türkischen Interessen in Deutschland schädlich ist.


Mit vorzüglicher Hochachtung
Erzberger

Anlage

Angora (Kleinasien) 3. Juni 1917.

Abschrift!

Sehr verehrter Herr Abgeordneter!

Durch Herrn Dr. Schade liess ich Ew. Hochwohlgeboren kürzlich ein Schreiben an den hochwürdigsten Herrn Fürstbischof von Breslau mit der Bitte um Kenntnisnahme und gefällige Weitergabe zusenden, indem ich meine finanzielle Not schilderte, aber auch in einem Zusatze auf die plötzlich eingetretene Verschlimmerung in der Lage der hiesigen armenischen Katholiken hinwies.

Da man in letzter Hinsicht nunmehr einigermassen klar sehen kann, beeile ich mich, Ihnen Näheres zu berichten und Sie zu bitten in geeignet erscheinender Weise Schritte zu Gunsten meiner bedrängten Schutzbefohlenen zu tun.

Seit Dezember vorigen Jahres fand sich hier wieder ein armenisch katholischer Priester, der in vollkommener Freiheit Seelsorge ausüben konnte. Die Folge war, dass die so hart geprüfte Bevölkerung wieder aufatmete und neue Lebenshoffnung bekam. Damit ist es nun wieder völlig vorbei.

Schon im Februar dieses Jahres verleidete man den Armeniern die Teilnahme an meinem Gottesdienste, indem man während der hl. Messe in brutalster Weise lärmend mit Polizei und Gendarmerie in meine Wohnung eindrang und alle Armenier hinauswies. Seit Pfingsten ist nun auch dem armenisch-katholischen Priester die Abhaltung öffentlichen Gottesdienstes untersagt. Ausserdem finden Vorkehrungen statt, die nach früheren Erfahrungen und nach ausdrücklicher Versicherung unterer Polizeiorgane eine neue Exilierung einleiten sollen. Ich habe allerdings einstweilen noch den Eindruck, es handele sich mehr darum, die wieder mutiger gewordenen Katholiken einzuschüchtern, ihren Widerstand gegenüber der Einladung zum Uebertritt zum Islam zu lähmen und die früher in nicht rechtsverbindlicher Form Uebergetretenen beim Islam festzuhalten.

Wie dem auch sei, jedenfalls liegt eine eigentliche religiöse Verfolgung vor. Jedenfalls kommen Gründe militärischer Art garnicht in Betracht, da es sich fast nur um Frauen und Kinder handelt und Angora zudem soweit als möglich von jedem Kriegsgebiet entfernt liegt.

Soviel ich sehe, ist Angora die einzige von allen durch strenge Massnahmen getroffenen katholischen Gemeinden, bei der Gründe militärischer Art nicht einmal vorgeschützt werden können. Ihre Vernichtung könnte daher uns deutschen Katholiken, wenn wir nicht alles Mögliche zu ihrem Schutze tun, später vom katholischen Auslande mit weit mehr Recht als die übrigen Armeniermassnahmen aufs Schuldkonto gesetzt werden.

Umgekehrt hat das, was wir bis jetzt für Angora taten, wie ich vom apostolischen Delegaten weiss, insbesondere in Rom den besten Eindruck gemacht, während ja unsere übrigen hiesigen Aktionen naturgemäss den Eindruck machen, sie seien mehr aus nationalen als auch kirchlichen Motiven hervorgegangen.

Gleichwohl liegt es auch in unserem eigensten nationalen Interesse, dass die hiesige Katholikengemeinde erhalten bleibt. Ihr Zustand ist nämlich derart, dass wir nach dem Kriege Waisen und Halbwaisen in jeder beliebigen Zahl zur Erziehung erhalten können.

Ew. Hochwohlgeboren werden daher auch zweifellos in nationalem Interesse handeln, wenn Sie meiner Bitte um erneute Verwendung für die hiesigen Armenier Gehör geben.


Hochachtungsvollst und ergebenst
[Dr. David]
Feldgeistlicher in Angora.


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