Der Völkermord an den Armeniern 1915/16 anhand von Akten des deutschen Auswärtigen Amts.
Teil I
Revidierte und erweiterte Fassung der von Johannes Lepsius 1919 unter dem Titel „Deutschland und Armenien“ herausgegebene Sammlung diplomatischer Aktenstücke.
Mitarbeiterin: Sigrid Gust
Leitfaden durch die Themen der Dokumentation
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1: Vom Kriegsausbruch bis zum Aufstand von Van
(I) Zusammenleben von Türken und Armeniern
1) Das Verhältnis der Armenier zu den Jungtürken nach deren Machtübernahme
2) Türkische Repressionen gegen die Armenier seit Frühjahr 1915
3) Entwaffnung und Desertion armenischer Soldaten
(II) Angebliche und wirkliche Aufstände der Armenier
1) Die Ereignisse in Zeitun
2) Die Ereignisse in Dörtyol
3) Der Aufstand von Van
Kapitel 2: Deportationen und Vernichtungsaktionen
(I) Der 24. April 1915
(II) Die geographische Ausdehnung der Deportationen
(III) Zwangsislamisierungen
(VI) Die Deportationen bis zu den Sammelstellen
1) Die Deportationszüge
2) Isolierung der wehrhaften Männer in Arbeitsbataillone
3) Trennung und Vernichtung der armenischen Männer
4) Das Schicksal der Frauen und Mädchen
5) Vernichtung ganzer Deportationszüge
Exkurs: Das Schicksal der Katholiken und Protestanten
(V) Von den Sammelstellen zu den Todeslagern
1) Die Sammelstellen
2) Die Todeszüge entlang des Euphrats
a) Siedlungsansätze
b) Die Todesmärsche in den Süden und Südosten
c) Vernichtungsaktionen
Kapitel 3: Vorwände zum Völkermord und Abwehrkämpfe
(I) Die Vorwände
1) Sympathien für die Entente
2) Verrats-Vorwurf gegen die Armenier
(II) Die Abwehrkämpfe
Kapitel 4: Die Politik der Endlösung
(I) Der Konfrontationskurs
1) Die Politik der Jungtürken
2) Die Rolle der türkischen Militärs
(II) Die Motive für die Vernichtung der Armenier
1) Bereicherungen
2) Vernichtungswille
(III) Die Dimension des Völkermords
(IV) Die Statistiken des Völkermords
(V) Verschleierung und Ableugnung des Völkermords
Kapitel 5: Die Verantwortlichen des Völkermords
(I) Die Urheber
1) Die Führung in Konstantinopel
2) Die Jungtürken
3) Die Verantwortlichen in der Provinz
(II) Die Ausführenden
1) Regierungsorgane
2) Militärs
3) Gendarmerie
4) Spezialorganisationen und Randgruppen
(III) Widerstand der Türken gegen die Deportationen
Kapitel 6: Die Rolle der Deutschen
(I) Deutschland und die Armenier des Osmanischen Reichs
1) Antipathien der armenischen Bevölkerung gegenüber Deutschland
2) Schutzsuche der armenischen Geistlichkeit
3) Politischer Druck auf die Armenier
(II) Deutschlands Haltung zu den Deportationen
1) Billigung der Deportationen
2) Nichteinmischung in die türkische Politik
3) Mißbilligung des Völkermords durch Deutsche in der Türkei
(III) Deutschland und die Folgen des Völkermords
1) Deutschlands wirtschaftliche Interessen in der Türkei
2) Die Öffentlichkeit in Deutschland
3) Die Weltöffentlichkeit
(IV) Deutsche Mitschuld am Völkermord
1) Äußerungen über deutsche Verwicklungen in den Völkermord
2) Proteste wegen angeblicher Verwicklung in den Völkermord
3) Deutsche Ansiedlungspläne für Armenier entlang der Bagdadbahn?
4) Die Bagdadbahn und ihre armenischen Angestellten
(V) Deutsche Rechtfertigungsversuche
(VI) Die deutschen Militärs
In der aktuellen Diskussion über die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern spielt die Faktizität des Völkermords eine entscheidende Rolle, weil die Türkei den Genozid leugnet beziehungsweise Racheaktionen der Armenier besonders im Jahr 1917 als Genozid der Armenier an den Türken hinstellt (davon wird in der kommenden Edition die Rede sein). Deshalb konzentriert sich dieser Leitfaden auf den Nachweis des Genozids von 1915, der 1916 weitgehend abgeschlossen war, sowie die Hintergründe zu diesem Völkermord, soweit sie sich aus den Akten ergeben.
Der Genozid von 1915 und 1916 stand auch für Johannes Lepsius im Vordergrund, so daß dieser Leitfaden in seinen Erkenntnissen nicht weit über das hinausgeht, was Herausgeber Lepsius in seiner Einleitung zusammengefaßt hat. Nur im Kapitel über die Rolle Deutschlands gibt es neue Akzente. Für den der deutschen Sprache nicht mächtigen Leser hingegen ist dieser Leitfaden eine wichtige Ergänzung zu den meist aus amerikanischen Quellen stammenden Belegen, denn das Lepsius-Werk „ Deutschland und Armenien“ wurde niemals ins Englische übersetzt.
Die zahlreichen Dokumente, die Lepsius über den Kaukasus-Feldzug verö ffentlichte, werden in diesem Leitfaden nicht berücksichtigt (sie werden in einer Einführung zu einer späteren Kaukasus-Edition behandelt), ebenso wenig jene über die deutschen Hilfswerke und ihre Probleme, die in der Lepsius-Ausgabe eine relativ große Rolle spielen.
Im Vordergrund der zitierten Textstellen stehen die Zeugnisse deutscher Diplomaten und der von ihnen herangezogenen deutschen Zeugen. Augenzeugenberichte und Zeugnisse von Armeniern werden nur hinzugezogen, wenn sie von deutschen Diplomaten ausdrücklich oder stillschweigend bestä tigt worden sind. Das ist keineswegs ein Mißtrauensbeweis gegenüber den mit Sicherheit wichtigsten und eindringlichsten Zeugnissen von Armeniern. Mit dieser Gewichtung sollen nur jenen vorgebeugt werden, die armenischen Aussagen wegen zu großer Befangenheit als weniger glaubhaft hinstellen.
Der deutschen Haltung zum Völkermord an den Armeniern ist nur ein kurzes Kapitel gewidmet, weil die Basis in den Lepsius-Dokumenten zu schmal ist. Sie wird ausführlich in der nächsten Edition behandelt werden.
Ist der Dokumentenname gefettet, so liegt auch eine englische Übersetzung des Originaldokuments vor. Durch Klicken auf den Dokumentennamen öffnet sich das Originaldokument.
Der 20. April 1915 gilt nach türkischer Darstellung, die von den Deutschen – allerdings nur offiziell - übernommen worden war, als Grund fü ;r ein scharfes Vorgehen gegen die Armenier des Osmanischen Reichs. An diesem Tag, so die türkische Darstellung, hätten sich die Armenier der ö ;stlichen Armenier-Metropole Van gegen die türkische Regierung erhoben und wären damit den kämpfenden Truppen in den Rücken gefallen. Die logische Konsequenz sei die Aussiedlung der Armenier aus den frontnahen Regionen gewesen.
Diese von den Türken bis heute aufrechterhaltene Version wurde zwar durch die damalige offizielle deutsche Politik gedeckt, nicht aber durch die Berichte der deutschen Beobachter. Nur wenige Wochen und auch nur von wenigen Diplomaten wurde diese Version von deutschen Stellen übernommen, da eigene Beobachtungen in Van nicht möglich waren. Denn das Deutsche Reich war in Van konsularisch nicht vertreten und hatte auch mit den dortigen deutschen und Schweizer Vertretern von Hilfsorganisationen praktisch keinen Kontakt. Sehr bald überwog bei den deutschen diplomatischen Vertretern im Osmanischen Reich der Eindruck, daß die türkische Regierung den wirklichen oder angeblichen Aufstand der Armenier in Van nur als Vorwand benutzte, die Armenier zu deportieren und auszurotten.
Denn bereits vor dem 20. April 1915 gab es rigorose Maßnahmen der Tü rken gegen die Armenier, die von den deutschen Beobachtern beschrieben werden. Im Vordergrund des deutschen Interesses standen bis zum offensichtlichen Ausbruch des Völkermords an den Armeniern deren Verhältnis zur neuen, jungtürkischen Türkei sowie Spekulationen über russischen Absichten und die Reaktionen der Armenier darauf.
Die Armenier als die – neben den Griechen – bedeutendste Minderheit im Osmanischen Reich hatten in der Vergangenheit unter der türkischen Herrschaft schwer zu leiden, besonders in den Jahren 1894 bis 1896, als Hunderttausende von Armeniern bei Massakern ums Leben kamen. Aber seit der Machtübernahme durch die Jungtürken hatte sich das Klima zwischen den beiden Volksgruppen deutlich verbessert. Auf diese neue Situation gehen mehrere deutsche Quellen ein.
Der deutsche Journalist von Tyszka schreibt in einem Bericht über den Jahresbeginn 1915:
Nach Kriegsausbruch änderte sich das Verhältnis der beiden Völker zueinander. Vize-Konsul Max Erwin von Scheubner-Richter, der den in russische Gefangenschaft geratenen Konsul Edgar Anders als Verweser vertrat, berichtet im Zusammenhang mit „Säuberungen“ aus Erzerum:
Nach der Eroberung Anatoliens im Mittelalter durch die Türken bis zur jungtürkischen Revolution von 1908 war den Armeniern – wie allen Christen - der Dienst mit der Waffe untersagt. Nach nur wenigen Jahren der Gleichberechtigung schränkte die türkische Regierung den Zugang zum Militärdienst wieder ein. Scheubner-Richter berichtet aus Erzerum:
An mehreren Orten des Osmanischen Reichs kam es im Frühjahr zu Ereignissen, die von der einen Seite als Aufstände der Armenier, von anderen Seiten als Belanglosigkeiten oder als reine Abwehrkämpfe der Armenier angesehen wurden. Die deutschen Quellen sind besonders ergiebig, was die Ereignisse in Zeitun, dem heutigen Süleymanli nördlich von Marasch, und in der Küstenstadt Dörtjol (Dörtyol) anbelangt. In Van waren deutsche diplomatische Vertreter nicht zur Stelle, doch ist über die dortigen Vorkommnisse wegen ihrer Bedeutung auch in den deutschen Quellen häufig die Rede.
1) Die Ereignisse von Zeitun
Zeitun ist eine von Armeniern seit jeher besiedelte Stadt im Norden von Marasch, dem heutigen Kahramanmaras, die dadurch Geschichte geschrieben hat, daß sie lange Zeit einen halbautonomen Status hatte. Seine ausschließlich armenischen Bewohner hatten sich immer als besonders widerstandsbereit gezeigt und trotzten mehrfach türkischen Belagerungen. Das hat ihnen die Bewunderung der Armenier überall im Osmanischen Reich eingehandelt und den Haß der Türken.
Botschafter Wangenheim berichtet Mitte April 1915:
Der deutsche Missionar Blank berichtet in einem Brief an Rößler:
Auch in Dörtyol, einem von Armeniern stark besiedeltem Ort an der Mittelmeerküste, hatten sich armenische Deserteure versteckt. Eine ausführliche Schilderung gibt der Konsul in Adana, Eugen Büge, aufgrund eines Berichts des armenischen Hilfsbeamten Simon Agabalian, von der Büge glaubt, „dass die Sache im Ganzen zutreffend geschildert ist“. Agadalian:
Über Van, den quasi-offiziellen Auslöser für den Völkermord an den Armeniern, haben deutsche Diplomaten nur vom Hörensagen berichten können, weil in Van kein deutsches Konsulat bestand. Nachrichten der dort stationierten Deutschen und Schweizer, die Hilfswerken angehörten, finden sich nur sehr bruchstückhaft in den Akten des Auswärtigen Amts. So überwiegt eine Wiedergabe der türkischen Darstellungen im deutschen diplomatischen Schriftverkehr.
Aufgrund einer ebenfalls auf offiziellen türkischen Angaben beruhenden Meldung aus Erzerum berichtet Wangenheim nach Berlin:
Deportationen im großen Stil und offensichtlich nach einem zentralen Plan setzten ab Mai 1915 ein. Sie betrafen, neben den Intellektuellen in der Hauptstadt Konstantinopel und den angeblichen Insurgenten in Zeitun und Ortschaften an der Mittelmeerküste, anfangs vor allem die Armenier im Osten nahe der Front zu Rußland. Von Anfang an waren die Deportationen begleitet von reinen Vernichtungsaktionen, so in der Ebene von Musch, dem Hochland von Erzerum, in der Stadt Trapezunt, im Umland von Ersindjan. Im Vilajet Diarbekir weitere ein von den deutschen Diplomaten als „ Bluthund“ charakterisierter Vali (Reschid Bey) die Ausrottungsaktion gegen die Armenier in einen Vernichtungskrieg gegen die Christen alles Konfessionen. Soweit Deportierte überhaupt in Zielgebiete kamen, lagen diese im Sü den von Aleppo, vor allem aber entlang des Euphrats in der syrischen Wü ste. Neben der Deportation und Vernichtung der Armenier gab es zwangsweise oder unter großem Druck durchgeführte Islamisierungen. Trotz deutscher Proteste wurden nicht nur die gregorianischen, sondern auch die katholischen und protestantischen Armenier deportiert und vernichtet.
In aller Welt gedenken die Armenier des Völkermords 1915/16 jeweils am 24. April. An jenem Tag im Jahr 1915 ließ die osmanische Regierung alle armenischen Intellektuellen von Bedeutung verhaften und ins Innere des Landes schicken. Nur wenige dieser Verhafteten überlebten. In den deutschen Quellen wird diese Vernichtung der armenischen Elite nur in wenigen Dokumenten erwähnt.
Am 30. April 1915 berichtete Botschafter Hans Freiherr von Wangenheim über die Verhaftung der armenischen Elite:
Der Beginn der Deportation der Armenier in großem Stil war regional unterschiedlich, wie auch seine Formen. Nach den Armeniern aus Zeitun wurden als erste die Armenier aus den Provinzen nahe der russischen Grenze deportiert und jene der Küsten des östlichen Mittelmeers, das von der Entente-Flotte kontrolliert wurde. Betroffen waren im Einzelnen Erzerum und seine Umgebung, die Ebene von Musch, wo über hundert rein armenische Dörfer bestanden, sowie in der Umgebung von Bitlis, ferner die Kü stenstriche am Schwarzen Meer, besonders Trapezunt. Doch schon sehr bald dehnten sich die Deportationen auch auf Regionen aus, die nicht in Frontnä he lagen, bis schließlich die Armenier aller Regionen deportiert oder von Deportationen bedroht wurden. Ein weiterer Faktor für die regionale Ausdehnung der Deportationen waren die örtlichen Verhältnisse, einerseits durch die Anwesenheit türkischer Scharfmacher und andererseits osmanischer Beamter, die sich den Deportationen widersetzten oder sie zumindest humaner gestalten wollten.
Erzerum war die der russischen Grenze nächstgelegene größere Stadt, wo sich darüber hinaus die Organisatoren des Völkermords sowie deportationswillige türkische Militär- und Polizeichefs aufhielten. Durch deutsche Zeugnisse gut belegt sind die Deportationen im Nordosten, weil in Erzerum mit Vize-Konsul und Verweser Max Erwin von Scheubner-Richter (der deutsche Konsul Anders war in russischen Kriegsgefangenschaft geraten) ein aufmerksamer Beobachter saß.
Scheubner-Richter über das Hinterland von Erzerum:
Über die Stadt Aintab meldete Rößler:
Konsul Rößler:
Anders lag der Fall in der wichtigen Hafenstadt Smyrna . Hier bewahrte eindeutig die Intervention eines deutschen Generals die Armenier vor Deportationen.
Geschäftträger Radowitz drahtete im November 1916 nach Berlin:
Der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, Kühlmann, wies den Botschafter in Konstantinopel für den Fall neuer Deportationen an,
Eine unbekannte Anzahl von Armeniern blieb in der Heimat oder in Ortschaften zumeist Anatoliens. Armenische Frauen wurden in Harems aufgenommen, Kinder in Familien oder Waisenhäusern, Jungen und Männer versteckt. Auch erhielten offenbar Dorfgemeinschaften unter Auflagen die Genehmigung zu bleiben. Für sie alle war Voraussetzung, daß sie den Islam annehmen. Eine in der Regel gewaltsame Islamisierung zerstörte die Identität jener Armenier, die außerhalb der Städte Konstantinopel und anfangs - Smyrna – überlebten, eine Identität, zu der wesentlich der gregorianische, manchmal auch der katholische oder evangelische Glaube gehö ;rte.
Vizekonsul Kuckhoff meldet aus Samsun:
Die Deportationszüge gingen – ganz grob dargestellt – zu Sammelstellen im Süden des Landes, besonders nach Aleppo und Umgebung, um sich dort in zwei Ströme zu teilen: einer ging südlich nach Palä stina, der andere östlich entlang des Euphrats in die mesopotamische Wüste Richtung Mossul. In Aleppo befand sich auch die türkische Verwaltungszentrale für die Deportationen.
Wie in der gesamten Durchführung des Völkermords an den Armeniern gab es auch hier höchst unterschiedliche Verläufe: Von der Vernichtung ganzer Deportationszüge bis zu - relativ - geordneten Deportationen, die sich allerdings nur auf wenig Züge und meist auch nur auf Teilstrecken bezogen. Viele Berichte geben einen allgemeinen Eindruck über das, was sich auf den Wegen Anatoliens abspielte.
Die meisten Deportierten wurde über bestimmte Routen geführt. Eine der Deportationsstrecken war die von Trapezunt und Erzerum über Ersindjan in den Süden, wobei sich die Züge aus beiden Städten zum Teil erheblich voneinander unterschieden.
Botschafter Wangenheim über die Deportationen aus Trapezunt:
In der Nähe von Urfa war ein Österreicher Augenzeuge des Vorbeimarsches eines Zuges Deportierter:
Um Widerstände gegen die Deportationen auszuschalten, hatten die Verantwortlichen für den Völkermord armenische Soldaten von ihren Landsleuten isoliert. Schon im März 1915 wurden die armenischen Soldaten vom Dienst mit der Waffe ausgeschlossen. Wangenheim meldet, daß
Die Trennung von Männern und Frauen war eine durchgängige Maß nahme, um die Deportierten zu schwächen. Vizekonsul Holstein berichtet aus Mossul:
Nach der weitgehenden Vernichtung armenischer Männer gleich zu Beginn der Deportationen waren die Frauen und Mädchen schutzlos. Konsul Röß ;ler appelliert an seine Botschaft:
Der deutsche Missionar Blank berichtet über die Anordnungen eines Offiziers:
Bereits an ihren Wohnorten wurden die Armenier nach den deutschen Berichten zum Teil oder vollständig vernichtet.
Der mit der Berichterstattung über die Armenier in der Türkei betraute deutsche Generalkonsul Mordtmann notierte nach einem Gespräch mit der in Diensten des „Deutschen Hülfsbundes für christliches Liebeswerk im Orient“ tätigen schwedischen Schwester Alma Johansson über die Ereignisse in Musch Mitte Juni 1915:
Das Interesse der deutschen Christen an den Armeniern galt insbesonders den Glaubensbrüdern der jeweiligen Kirchen – den Protestanten und Katholiken. Für sie versuchten auch die deutschen Diplomaten, oft auf besonderen Druck konfessioneller Gruppen in Deutschland, Ausnahmeregelungen herauszuholen. Zwar wurden den Deutschen für die katholischen und protestantischen Armenier Ausnahmen von Deportationen zugesagt, dann aber doch nicht eingehalten. Konsul Rößler meldet:
Es gab nach den deutschen Berichten mehrere Sammelstellen für die deportierten Armenier. Über einige von ihnen berichtet Vize-Konsul Hoffmann von Alexandrette im Oktober 1915, nachdem er Rößler in Aleppo vertreten hatte und sich dort eine guten Überblick verschafft hatte, denn, so Hoffmann,
Offensichtlich gab es in den ersten Wochen der Deportationen noch Ansätze, die Armenier anzusiedeln, wenn auch verstreut in muslimischen Dörfern. So berichtet Rößler aus Aleppo:
Hinter Aleppo und östlich der Provinzhauptstadt teilten sich die Flü chtlingsströme. Während ein kleinerer Teil der deportierten Armenier in Richtung Palästina weitergetrieben wurde, lenkten die Verantwortlichen für den Völkermord den größeren entlang des Euphrats (erst durch Aleppo, später an Aleppo vorbei über Bab und Meskene) nach Deir-es-Zor und auch weiter Richtung Bagdad sowie Mossul ferner über Tell Abiad und Ras ul Ain nach Mossul. Vize-Konsul Hoffmann beschreibt die Wege:
Der Fluß Chabur, der südöstliche von Deir-es-Zor in den Euphrat fließt, sollte in der Tat zu einer der grausigsten Todesstätten für die deportierten und bis dahin überlebenden Armenier werden. Aber er war nicht der einzige Ort des Grauens.
Ein anderer war Tell Ermen , über dessen Schicksal Botschafter Wangenheim schon im Juli 1915 berichtet:
Die Vernichtung der christlichen Minderheiten, in Sonderheit der Armenier, offen als politisches Ziel zu propagieren, war auch im relativ abgeschlossenen Osmanischen Reich schwer möglich. So mußte die Regierung sowohl der eigenen Bevölkerung wie auch den Verbündeten gegenüber wirkliche oder vermeintliche Gründe nennen, die ein scharfes Vorgehen gegen die Armenier zu rechtfertigen schienen. Und eindeutige Abwehrkämpfe der Armenier mußten in Aufstände umgedeutet werden, um nachträ gliche Belege für die angeblich verräterische Gesinnung der Armenier zu liefern.
Die türkischen Anschuldigungen in Sachen Landesverrat folgte zwei Argumentationslinien: Einmal hätten die Armenier Sympathien für die gegnerische Entente gezeigt, zum anderen eine Verschwörung gegen den Staat vorbereitet und durchgeführt. Zwischen beiden Linien versuchte das jungtürkische Regime eine Kausalität herzustellen.
(1) Sympathien für die Entente
In ihrer Mehrzahl, das sahen auch die deutschen Diplomaten so, hegten die Armenier weitaus mehr Sympathien für die Staaten der Entente - England, Frankreich und Rußland – den Kriegsgegnern der Türkei und Deutschlands also, als für die autoritären Regime, mit denen die Türkei verbündet war. Dafür gab es eine Reihe historischer Gründe, allen voran natürlich den, daß England und Frankreich eine Demokratie symbolisierten , die bei den Armeniern hoch im Kurs stand, besonders von den Deutschen jedoch verachtet war. Dazu gibt es in den Akten einen Beleg, der fast schon belustigend ist.
Botschafter Wolff-Metternich beschreibt in einem langen Bericht das Funktionieren des Großen Volksrats der Armenier und bemerkt zu dessen Verfassung:
Vize-Konsul Scheubner-Richter spricht in einem Bericht über den
Zimmermanns Aussagen zeigten die Richtung, in der die Jungtürken – aber auch das offizielle Deutschland - die Deportationen zu rechtfertigen versuchten: Türkische Armenier hätten Aufstandpläne geschmiedet, sich Waffen besorgt, Telegraphendrähte durchschnitten und sich auf die Seite der Feinde geschlagen - kurz, sie hätten ihr Vaterland verraten und sich gegen das Osmanische Reich erhoben. Schon bald war dann nicht mehr von aufständischen Armeniern die Rede, sondern davon, daß das ganze armenische Volk sich gegen die Türken erhoben habe. Auffallend dabei ist, daß diese Verrats-Vorwürfe nahezu ausschließlich von offiziellen türkischer und deutscher Seite vorgebracht werden, die Beobachter vor Ort aber in der Regel zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Zu den Warnern gehörten anfangs auch deutsche Konsuln, allerdings zeigen ihre Aussagen, daß sie kaum Beweise vorbringen, sondern nur türkische Anschuldigungen weitergeben.
Schon vor den Ereignisse in Wan gab es Aufstandsmeldungen oder Aufstandsbefürchtungen . Nach der Beschießung Trapezunts durch die russische Flotte berichtet Konsul Bergfeldt:
beschuldigt, dass sie mit den Reichsfeinden sympathisieren, mit ihnen hochverräterische Verbindungen unterhalten und an einzelnen Orten sich offen gegen die Landesbehörden aufgelehnt haben. [1915-04-15-DE-002]
Ferner, so Botschafter Wangenheim erneut anonym, würde behauptet,
Vize-Konsul Hoffmann berichtet aus Alexandrette, dem heutigen Iskenderun:
Wenn deutsche Beobachter an wirkliche oder angebliche Aufstände dachten, nannten sie immer wieder nur den von ihnen nicht recherchierbaren Fall Van – zweifellos ein Erfolg der türkischen Überzeugungsarbeit - , aber sie erkannten auch, daß es den Armeniern bei bewaffneten Auseinandersetzungen in der Regel lediglich darum ging, sich gegen die drohende Vernichtung zu schützen. Scheubner-Richter:
Deutschland war der engsten Verbündete des Osmanischen Reichs. Der fast tägliche Kontakt deutscher Diplomaten mit türkischen Gesprä chspartnern führte zu einer Reihe von Hinweisen über die wirklichen Gründe der Jungtürken, die Armenier als Nation zu vernichten, und über ihre Motive. Ihnen blieb auch nicht verborgen, daß die jungtürkische Führung Anstrengungen unternahm, die Tatsache eines beabsichtigten Völkermords zu vertuschen – durch Gegenbefehle, die offensichtlich nur Täuschungscharakter hatten bis zur schlichten Leugnung des Genozids.
Wann in der türkischen Führung die Entscheidung über den Vö lkermord an den Armeniern gefallen ist, geht aus den deutschen diplomatischen Quellen nicht hervor. Die Wende zu einer ultranationalistischen Politik hingegen zeichneten die deutschen Quellen nach.
Nach außen hin war der Bruch von der Gemeinsamkeit mit armenischen Politikern zu ihrer Verfolgung und Ermordung durch die Aufgabe von Reformen für die armenischen Provinzen gekennzeichnet, wie sie die Großmä ;chte, allen voran Rußland und Deutschland, in den Botschaftsgesprä chen in Konstantinopel ausgearbeitet hatten. Diese Reformen sollten den Armeniern gewisse Autonomierechte geben und damit einen Schutz vor Willkü rakten der türkischen Verwaltung, wie sie in der Vergangenheit üblich waren. Die Kündigung des Vertrags mit den als Generalinspektoren für die armenischen Provinzen vorgesehenen Politikern Hoff und Westenenk kennzeichnet Botschafter Hans Freiherr von Wangenheim
Die Deportation und weitgehende Vernichtung der Armenier war mö glicherweise von den Jungtürken beschlossen, aber auch die türkischen Militärs unterstützten sie, wenn sie nicht sogar, so für die Region von Erzerum, mit die Urheber waren. Zwar begründeten auch sie teilweise die Deportationen mit militärischen Notwendigkeiten, gingen aber weit über die notwendigen Schritte hinaus bis zur offenen Propagierung der Vernichtung der Armenier. Weil Erzerum eines der wichtigsten, wenn nicht das wichtigste regionale Zentrum der Völkermörder war, gehen die deutschen diplomatischen Berichte über die Rolle der Militärs anfangs auf den Verweser und Vize-Konsul Max Erwin von Scheubner-Richter zurück, der, da selbst aktiver Offizier, höchst authentisch über die Absichten seiner türkischen Kollegen berichten konnte.
Schon vor dem 24. April meldet Scheubner-Richter aus Erzerum:
Die Armenier der Türkei galten als arbeitsam und sie galten als reich. Das heizte die Begierde an, sich auf ihre Kosten zu bereichern. Diese Bereicherungen sind ein wenig bekanntes, von den deutschen Beobachtungen aber immer wieder festgestelltes Motiv für die Vernichtung der Armenier.
Ein Augenzeuge hatte Rößler berichtet:
Unter den Angekommenen war kein einziger von denen dabei, die sich gegen die Regierung auflehnten, sondern es waren alles von den besseren, vermögenden Leuten. ... Es waren Leute darunter die alles taten, um den Willen der Regierung zu erfüllen und dennoch müssen sie in die Verbannung, warum wohl? Weil sie vermögend sind! [1915-05-27-DE-001]
Die größten Reichtümer der deportierten Armenier waren ihre Immobilien und die zurückgelassenen Waren der Händler. Auf sie hatten es besonders die jungtürkischen Enteigner und ihre Helfeshelfer abgesehen. Konsul Bergfeld berichtet aus Trapezunt über die Nachlassenschaften der Armenier, die von der Regierung – vorerst – beschlagnahmt wurden:
Mit der Anstachlung zur Bereicherung wäre die Ausschaltung der Armenier im Osmanischen Reich wohl nicht zu bewerkstelligen gewesen. Die Verantwortlichen des Völkermords gingen mehrere Schritte weiter. Sie deportierten und töteten nicht nur die von ihnen des Widerstandes gegen die Staatsgewalt, des Aufruhrs und des Landesverrats Verdächtigten, sondern gingen bis zur Solidarhaft eines ganzen Volkes für eventuelle Verbrechen einzelner.
Konsul Rößler klagte :
Ein Augenzeuge berichtete Rößler:
Belegen schon die Aussagen der deutschen Diplomaten und ihrer Informanten zu den einzelnen Aspekten der Deportationen, daß die Dezimierung beziehungsweise Vernichtung der Armenier im Osmanischen Reich das Hauptziel der Jungtürken ist, so ergeben die Kernzitate auch der deutscher Diplomaten und Beobachter eindeutig, daß es sich nach ihrer Meinung bei den Deportationen um einen Völkermord handelt.
Scheubner-Richter aus Erzerum:
Ich teile die Ansicht meiner sämtlichen Kollegen, daß der Transport der Frauen und Kinder ... an Massenmord grenzt. [1915-06-29-DE-017]
Botschafter Wangenheim spricht von
daß die Austreibung der Armenier in der Hauptsache beendet ist. [1915-12-27-DE-002]
Vize-Konsul Hoffmann aus Alexandrette:
Über die Zahl der deportierten und ermordeten Armenier gibt es mehrere Angaben, die sich manchmal nur auf Teilbereiche beziehen. Sie mögen aber einen Eindruck von der Größenordnung geben, den die Beobachter vor Ort gewonnen haben.
Konsul Rößler meldet:
Bis heute wird der Völkermord an den Armeniern verleugnet, von der betroffenen, der türkischen Regierung, aber auch von Wissenschaftlern. Erleichtert wird den Leugnern des Genozids die Arbeit, zumindest scheinbar erleichtert, durch Befehle und Gegenbefehle der osmanischen Führung, die damit in der Regel die von ihre angeordneten Verbrechen zu vertuschen suchte. Erschwert wird die Bewertung dergleichen Befehle, weil einer der wichtigsten Mitglieder des Triumvirats – der Marineminister und Oberkommandierende der im Süden stationierten 4. Armee, Djemal Pascha, zumindest nach den deutschen Quellen nicht voll hinter der offiziellen Linie stand, die auf die Vernichtung der Armenier ausgerichtet war.
Schon vor dem Beginn der Deportationen im großen Maßstab hatte Djemal Pascha Befehl gegeben, meldet Rößler,
Armenien-Spezialist Mordtmann notiert nach einem Gespräch mit Talaat:
Auf dem Ministerium des Innern erklärte mir heute Aziz bej, Vertreter des Djanbulad bej folgendes:
Wer war die treibende Kraft hinter dem Völkermord an den Armeniern? Die deutschen diplomatischen Quellen gehen nur selten direkt auf diese Frage ein. Aber es gibt eine Reihe von Hinweisen, manchmal versteckt, die zeigen, wen die deutschen Beobachter als die Urheber der Deportationen und der Vernichtung der Armenier halten. Manchmal wird einfach von „oben“ gesprochen, manchmal von der „Regierung“, zumeist aber von der Jungtü rken-Partei „Ittihad ve Terakki“, also der „Union für Einheit und Fortschritt“ oder allgemein von den „Komitees“ oder „Klubs“ der Jungtürken.
Oft wußten die deutschen Beobachter oder ihre Informanten nicht, von wem die Befehle genau kamen, wenn sie „von oben“ oder „aus Konstantinopel“ schrieben. Sie gaben dann oft „die Regierung“ an, wobei besonders den Beobachtern in der Provinz nicht immer klar war, ob sie die Regierung im engeren Sinne meinten oder allgemein die Führung. So verbirgt sich manchmal hinter der „Regierung“ die Fü hrungsmannschaft der Jungtürken, der radikale Flügel der Partei, das Triumvirat Talaat, Enver, Djemal oder auch nur einer von ihnen. Entscheidend war, daß es sich um Anordnungen, Weisungen oder Befehle „von oben“ handelte.
Der Vali von Aleppo, Djelal Bey, berichtete Rößler, habe ihm gesagt,
In vielen Fällen betreffen die Hinweise auf „oben“ aber eindeutig die Jungtürken-Partei selbst, die Komitees und Klubs. Über die „Säuberung der Erserumer Ebene durch „Freischärler“ ;, wie er sie nennt, berichtete Vize-Konsul Scheubner-Richter:
Nach Meinung der deutschen Beobachter war Innenminister Talaat tatsächlich der Hauptverantwortliche für den Völkermord. Der Marineminister und Kompagnon im Triumvirat, Djemal, habe über Talaat gesagt, berichtet Generalkonsul Schmidt aus Jerusalem:
Auf der anderen Seite gab es auch in der Führungsetage türkische Staatsmänner, die offensichtlich den Völkermord an den Armeniern ablehnten. Zu ihnen gehörte der Kammerpräsident Halil Bey, der, so Botschafter Hohenlohe-Langenburg, anscheinend das Vorgehen der Regierung gegen die Armenier nicht billigt und
Auch Großwesir Said Halim gehörte nach dem Zeugnis der deutschen Diplomaten zu Gegnern der Deportationen. Wolff-Metternich:
Schwieriger zu beurteilen war offensichtlich der Marineminister Djemal Pascha. Botschafter Paul Graf Wolff-Metternich über ihn:
a) Die Scharfmacher
Besser als über die fernen Verantwortlichen in Konstantinopel wußten die deutschen Konsuln und Beobachter über diejenigen Bescheid, mit denen sie oft täglich zusammenarbeiteten.
Der deutsche Festungskommandant von Erzerum, General Posseldt, meldet:
Es gab mehrere hohe Provinzbeamte, die sich der Armenier-Vernichtung entgegenstellten oder zumindest versuchten, das Schicksal der Deportierten zu mildern. Der bekannteste unter den Valis, die sich weigerten, an der Ermordung der Armenier teilzunehmen, war der Generalgouverneur von Aleppo, Djelal Bey, der wegen seiner milden Politik abgelöst wurde.
Konsul Rößler aus Aleppo:
Vize-Konsul Holstein meldet aus Mossul:
Die Ausführenden des Völkermords rekrutierten sich aus verschiedenen Bereichen. Einmal kamen die unteren Beamten der Provinzbehörden als Exekutanten in Frage. In mehreren Berichten werden ferner Soldaten erwä hnt, die an Deportationen und Vernichtungsaktionen teilnahmen. Für die innere Sicherheit verantwortlich war im Prinzip die Gendarmerie, von der in vielen Berichten als Begleitmannschaften die Rede ist. Wie auch die Soldaten hätten sie die Aufgabe gehabt, die Deportierten zu eskortieren und damit zu beschützen. Doch zumeist trieben sie die wehrlosen Armenier nur weiter, oft mit brutalen Mitteln und nahmen auch direkt an Tötungsaktionen teil, wie in den deutschen Quellen hervorgeht. Die vierte maßgebliche Fraktion waren Spezialmannschaften, die sich zum Teil aus Freiwilligen, zum Teil aus rekrutierten Häftlingen zusammensetzten. In manchen Berichten werden sie „Tschettes“ (in unterschiedlicher Schreibweise) genannt oder nach der alten Bezeichnung im 19. Jahrhundert „Bazibazuks“, aber auch „ Irreguläre“ oder nur „Freiwillige“. In mehreren Fällen traten diese Spezialmannschaften auch als ethnische Gruppen auf, als „ Aschirets“, kurdische Milizen, oder einfach in Form ethnischer Gruppen, Kurden vor allem und Tscherkessen.
Hinweise auf die Mittäterschaft unterer Beamter sind selten, weil die Identifizierung oft ein Problem war, aber Hinweise auf Regierungsorgane allgemein gibt es an mehreren Stellen, wobei offen bleibt, um welche Regierungsorgane es sich handelt.
Konsul Rößler berichtet über Leichen, die mehr als drei Wochen lang auf dem Euphrat trieben:
Türkische Offiziere wie auch Mannschaften spielten, nach den deutschen Quellen, auch bei der Durchführung sowohl der Deportationen als auch der Vernichtungsaktionen eine Rolle. Naturgemäß sind die deutschen Diplomaten vorsichtig, wenn es um militärische Aspekte ging, denn wä hrend eines großen Krieges waren sie gehalten, sich aus allen militä rischen Belangen herauszuhalten. Trotzdem geben die Quellen auch hier Hinweise auf Verstrickungen der türkischen Militärs in den Völkermord.
Der deutsche Missionar Blank berichtet über einen Offizier, der seine Untergebenen anwies:
In der Regel waren die Deportationszüge begleitet von Gendarmen. Diese für die innere Sicherheit zuständige Polizei war einst von den Franzosen gut ausgebildet, mußte dann jedoch häufig andere Aufgaben übernehmen. Die Qualität der Neueinstellungen war sehr dürftig. Vize-Konsul Scheubner-Richter schreibt über sie, daß sie
Soldaten und Gendarmen waren immerhin noch an ihren Uniformen zu erkennen. Spezialorganisationen hingegen handelten in großmöglicher Verborgenheit. Weder ihre soziale noch ihre ethnische Herkunft war leicht zu erkennen. Trotzdem gibt es in den deutschen Quellen auch Hinweise auf sie, manchmal umschrieben als Banden oder Tschetes. Die ersten Hinweise kamen von den Opfern selbst. Für die Vorkommnisse, schrieb Wangenheim, würden von armenischer Seite verantwortlich gemacht:
An mehreren Stellen notierten die deutschen Beobachter, daß die Liquidierung der Armenier auch von vielen Türken verurteilt würde. In seinem Bericht über die Ereignisse in Zeitun – also noch vor dem quasi-offiziellen Beginn der Deportationen – schrieb Konsul Röß ler, die Urheber eines Plans zur Deportation aller Armenier aus Zeitun und der Schleifung der Stadt
In den von Lepsius herausgegebenen Dokumenten sind sehr oft jene Stellen gekürzt, in denen die Rolle der Deutschen beim Genozid negativ dargestellt wird. Andere Dokumente, in denen die Deutschen unvorteilhaft erscheinen, sind erst gar nicht in die Sammlung aufgenommen worden. Ein Kapitel über die Deutschen und den Völkermord an den Armeniern auf der Grundlage der von Lepsius veröffentlichten Dokumente hat daher nur eine beschränkte Aussagekraft und muß zwangsweise unvollständig sein. Erst nach der vorgesehenen Veröffentlichung aller deutschen Dokumente des Auswä rtigen Amts zum Völkermord kann ein umfangreicheres Kapitel über diesen Problemkreis erstellt werden.
Wie bei der Mehrzahl der Jungtürken stießen die Deutschen auch bei den Armeniern weitgehend auf Indifferenz oder gar Antipathien. Diese kritische Einstellung Deutschland gegenüber hatte ihre Wurzeln in den Armenierverfolgungen von 1894 bis 1896, als sich das Deutsche Reich auf die Seite es Sultans Abdul Hamid stellte.
Nach den Kämpfen von Zeitun sieht Deutschlands Konsul in Aleppo, Walter Rößler, im Norden seines Arbeitsgebiets eine
Im Gegensatz zum einfachen Volk suchte die armenische Geistlichkeit aus Grü ;nden des politischen Überlebens einen gewissen Schutz bei den deutschen Glaubensbrüdern. Schon vor dem Krieg habe es der Katholikos Kevork V - berichtete der damalige Konsul von Erzerum, Edgar Anders, nach einem Besuch in Etschmiadzin – begrüßt, daß Deutschland eine konsularische Vertretung in Erzerum eingerichtet hat. Anders:
Von Anfang an versuchten die Deutschen, die Armeniern auf eine loyale Haltung gegenüber dem türkischen Verbündeten festzulegen. Der Direktor und Stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Hülfsbundes für christliches Liebeswerk im Orient, Friedrich Schuchardt gibt in einem Brief an Kanzler Bethmann Hollweg ein Beispiel:
Auch nach Beginn der Deportationen und nach den ersten Meldungen über die Ermordung ganzer Deportationszüge setzten die Deutschen ihre Politik der – wenngleich manchmal verbal eingeschränkten – Unterstü tzung für den Kriegspartner Türkei fort. Besonders das Argument, die Deportationen seien „aus militärischen Gründen“ notwendig, akzeptierten teilweise auch die deutschen Konsuln, die sich gegen die Zwangsmaßnahmen ausgesprochen hatten.
Die Bitte Scheubner-Richters, beim Oberkommando in Erzerum wegen der Deportationen vorstellig zu werden, schränkt Botschafter Wangenheim ein:
Um dem Vorwurf entgegenzuwirken, sich in die türkische Politik einzumischen, empfahl Botschafter Wangenheim seinen Konsuln äußerste Zurückhaltung bei eventuellen Protesten. Da die ersten der deutschen Botschaft in Konstantinopel gemeldeten Deportationen in Erzerum und Umgebung stattfanden, zeigte sich diese Einstellung Wangenheims am deutlichsten in der Korrespondenz mit dem dortigen Vize-Konsul Scheubner-Richter. In einem Erlaß an Scheubner-Richter ordnete Wangenheim an:
So bedauerlich und in mancher Hinsicht auch für unsere Interessen schä ;dlich die Verfolgung der Armenischen Bevölkerung ist, so dürften doch die letzten Ereignisse in den Grenzprovinzen wie z.B. der Aufstand in Van, und andere Vorgänge im Innern die harten Maßregeln der Behö rden rechtfertigen. Die kais. Botschaft ist daher vorläufig nicht in der Lage diese Maßregeln zu hindern. [1915-05-18-DE-011]
3. Mißbilligung des Völkermords durch Deutsche in der Türkei
Die deutschen Konsuln berichteten ihren Botschaften bzw. die Berliner Zentrale ausführlich und sehr genau über die Ereignisse in ihren Amtsbezirken, wie in den vorangegangenen Kapiteln mehrfach belegt. Manchmal ist ihre Verzweiflung zu spüren, daß die Vorgesetzten zwar vieles wü ßten über den Völkermord, aber offensichtlich nicht bereit oder in der Lage seien, daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ein Beispiel für versteckte Kritik deutscher Konsuln an ihren Vorgesetzten ist der in Klammern gesetzte Satz von Vize-Konsul Hoffmann aus Alexandrette:
Botschafter Wangenheim schränkte schon vor dem 24. April ein:
hat Talaat bej angeblich entschieden: ”man könne des bösen Beispiels wegen keine Ausnahme zulassen.” [1915-07-21-DE-011]
Wangenheim-Vertreter und Botschafter in außerordentlicher Mission Fü rst Hohenlohe-Langenburg an das Konsulate Aleppo:
Die Punkte können gelegentlich zur Sprache gebracht werden; eine allzu häufige u. detaillierte Intervention schwächt die Wirkung. [1915-09-04-DE-001]
Der Unwillen der deutschen Vertreter, sich tatkräftig für die Armenier wirklich einzusetzen, zeigte sich im Falle der beiden armenischen Abgeordneten Zohrab und Vartkes. Armenien-Spezialist Mordtmann notiert, bei einer Intervention der deutschen Botschaft
Ob die Zurückhaltung sich ausgezahlt habe, bezweifelte der Front-Mann Scheubner-Richter in einer späteren Aufzeichnung für das AA:
Daß der Völkermord an den Armeniern von der Welt nicht hingenommen werden würde und die Zukunft der Türkei - aber auch Deutschlands - beeinträchtigen werde, wurde den Diplomaten und Politikern sehr bald klar. Ihr Streben ging denn auch zunehmend dahin, die negativen Folgen des Genozids einzukalkulieren und mit diplomatischen und propagandistischen Mitteln abzufedern.
Die deutschen Investitionen in der Türkei waren in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs deutlich gestiegen. Griechen und Armenier waren die wichtigsten Handelspartnern der Deutschen im Osmanischen Reich, denn sie beherrschten den Handel. Aber auch generell fürchteten die Deutschen wirtschaftliche Nachteile durch das Vorgehen gegen die Armenier. Aus Adana meldet Konsul Büge:
Zwar herrschte in Deutschland eine strenge Pressezensur, aber insbesondere durch die Veröffentlichungen von Johannes Lepsius und des Direktors des Deutschen Hülfsbundes für christliches Liebeswerk im Orient, Friedrich Schuchardt, zumeist in Kirchenblättern und Missionsschriften, war doch ein Teil der deutschen Öffentlichkeit über den Fortgang des Völkermords an den Armeniern informiert. Proteste kirchlicher Kreise waren die Folgen, auf die Politiker und Diplomanten reagierten - mit Informationsverhinderung oder aber Beschwichtigungen.
Im Zusammenhang mit dem Transport eines Briefes des deutschen Missionars Karl Blank an Schuchardt merkt Wangenheim an, es erscheine geboten,
durch die unseligen Ableugnungen des tatsächlich Geschehenen seitens deutscher Türkenfreunde, die, wie man im Auslande richtig sieht, dadurch die türkische Regierung gegen die Vorwürfe der übrigen Welt unempfindlich machen und in ihrer Armenierpolitik bestärken. [1918-02-11-DE-001]
Weit ernster als die deutsche mußten die Diplomaten die internationale Öffentlichkeit in ihr Kalkül einbeziehen, wenn es darum ging, den Friedensvertrag nach dem Ende des Krieges vorzubereiten. Allein das enge Bü ;ndnis mit der Türkei, wußten die Diplomaten, bedeutet eine Mitverantwortung des Deutschen Reichs für den Völkermord.
Botschafter Wangenheim war schon sehr früh klar,
Eine eventuelle deutsche Mitschuld am Völkermord, die über eine Duldung militärisch motivierter oder auch nicht begründeter Maß nahmen hinausging, war einer der Aspekte, die in den von Lepsius herausgegebenen Dokumenten unterdrückt werden sollte, was freilich nicht ganz gelang.
1) Äußerungen über deutsche Verwicklungen in den Vö lkermord
Aus sehr unterschiedlichen Quellen erfuhren und berichteten die Konsuln und Informanten darüber, daß nicht nur Armenier, sondern auch Tü rken davon ausgingen, die Deutschen hätten beim Völkermord an den Armeniern ihr Hand im Spiel gehabt. Konsul Rößler berichtet aus Aleppo:
Hielten sich die deutschen Verantwortlichen bei ihren offiziellen Demarchen gegen den Völkermord selbst noch sehr zurück, so intensivierten sie spürbar ihre Proteste gegen die Behauptungen deutscher Mitschuld. Unterstaatssekretär Zimmermann kabelt an Wangenheim:
Deutschlands wichtigstes Wirtschaftsprojekt im Osmanischen Reich war die Bagdadbahn, die bei Ausbruch des Kriegs bis zur heutigen Grenzstadt zu Syrien Nusaybin fertiggestellt, aber noch nicht durchgängig befahrbar war, denn es fehlten noch wichtige Teilstücke durchs Gebirge, die mit Tunnelbauten erschlossen werden mußten. Entlang eines Teils der Bagdadbahn aber, besonders in Kilikien, siedelten viele Armenier, die auch einen wichtigen Teil der Belegschaft des deutschen Prestigeprojekts stellten. Diese Armenier hatte der Katholikos aller Armenier schon früh deutscher Fürsorge empfohlen. Kevork V, berichtete der damalige deutsche Konsul in Erzerum nach einem Besuch in Etschmiadzin, habe ihm gesagt:
Ebenfalls nur am Rande der Lepsius-Dokumente und nur sehr bruchstückhaft kommen die armenischen Angestellten der Bagdadbahn vor. Für sein Amtsgebiet, das östliche Kilikien schreibt Vize-Konsul Hoffmann:
Praktisch das einzige Dokument zur Rechtfertigung des deutschen Standpunkts zum Völkermord an den Armeniern ist in den von Lepsius ausgewählten Akten die Aufzeichnungen des Unterstaatssekretärs Zimmermann für die 86. Sitzung des Reichshaushaltsausschusses am 29. September 1916:
Kein Aspekt ist in den von Lepsius herausgegebenen Akten so rigoros gestrichen worden wie der einer Teilnahme deutscher Offiziere an Aktionen gegen die Armenier. Ohnehin spielen die militärischen Angelegenheiten in den dem Völkermord gewidmeten Akten des Auswärtigen Amts nur eine untergeordnete Rolle. So finden sich auch in der bereinigten Fassung der Aktenpublikation nur wenige Hinweise auf die rolle der deutschen Offiziere beim Völkermord.
In Zeitun seien die türkischen Behörden hart gegen armenische Deserteure vorgegangen, berichtet Aleppo-Konsul Rößler, mö glicherweise auf Anweisung der Deutschen.