Ich erhalte die einliegende Zuschrift aus der Schweiz in einem Kuvert mit dem Stempel der hiesigen schweizerischen Gesandtschaft. Da die Gesandtschaft es übernommen hat, das Baseler Schreiben an mich gelangen zu lassen, so wird wohl ein gewisses nichtoffizielles Interesse von Schweizer Seite daran vorhanden sein. Ich habe von mir aus Herrn Dr. Vischer in dem einliegenden Brief, den ich freundlichst zu prüfen und zu befördern bitte, geantwortet.
Herr Dr. Jäckh zeigte mir neulich eine Aufzeichnung über Aeußerungen von Dr. Lepsius in Holland. Mir ist bekannt, dass Herr Dr. Lepsius vor Monaten mehrfach bei Herrn Staatssekretär v. Jagow gewesen ist und über ähnliche Dinge mit ihm gesprochen hat, wie sie in jener Aufzeichnung vorkommen. Auf keinen Fall aber waren sie so weittragend und so bestimmt formuliert. Wenn die Aufzeichnung richtig ist, so müsste man meines Erachtens Herrn Dr. Lepsius veranlassen, schleunigst aus Holland zurückzukommen und ihm den Standpunkt sehr energisch klarmachen. Ich habe Dr. Jäckh schon gesagt, dass ich bereit bin, Herrn Dr. Lepsius zu schreiben, eventuell unter Beilage der Aufzeichnung.
In ausgezeichneter Hochachtung Ihr sehr ergebener
Anlage 1
Sehr geehrter Herr Doktor!
Wir haben uns erlaubt im September d. Js. Ihnen eine Bitte in Sachen der notleidenden Armenier vorzulegen. Die Antwort auf unser damaliges Schreiben ist uns seitens der Kaiserlichen Deutschen Gesandtschaft in Bern eröffnet worden, und wir danken Ihnen verbindlich für ihre wertvolle Hilfe.
Auf dringenden Wunsch unserer Genfer Freunde, der uns durch Herrn Leopold Favre übermittelt wird, wagen wir es nochmals, Ihnen eine Angelegenheit zu unterbreiten, welche gegenwärtig die in der Schweiz befindlichen Armenier sehr beschäftigt und beunruhigt.
Wie Ihnen bekannt sein wird, sind durch ein Dekret, das auch der Tanin in Constantinopel veröffentlicht hat, alle militärpflichtigen Männer zu den Waffen gerufen worden, auch solche, welche bereits mehrmals die Loskaufsumme entrichtet haben. Dieses Dekret bezieht sich wie auf die anderen zur Türkei gehörenden Völker, so natürlich auch auf alle Armenier, und diese wissen auch, daß sie diesem Rufe Folge leisten und ihrer Pflicht gegen ihr Land genügen müssen.
Dagegen sind die Armenier, auch diejenigen, welche in der Schweiz sich aufhalten und nahe Verwandte in der Türkei haben, sehr in Angst wegen der Folgen, welche dieses Dekret haben kann für die Angehörigen ihres Volkes, welche jetzt eingezogen werden. Man fürchtet, daß auch gegen diese dieselben Maßregeln ergriffen werden könnten, wie es das letzte Jahr der Fall war gegen Armenier in der türkischen Armee. Eine große Anzahl von solchen ist von ihren türkischen Kameraden getrennt, entwaffnet und umgebracht worden, oft in ganzen Abteilungen. Die Armenier glauben, daß diese Maßregeln auf allgemeinen höheren Befehl ausgeführt wurden und sind nun in großer Unruhe über das Schicksal ihrer Volksangehörigen, wenn sie neuerdings eingezogen werden. Sie bitten uns, uns deswegen an Sie zu wenden in der Meinung, daß es Ihnen vielleicht möglich ist in dieser Sache irgend etwas zu tun oder zu raten.
Wir verkennen nicht das Schwierige der Sachlage, dürfen Ihnen aber wohl von diesem Wunsche Kenntnis geben, mit der Bitte zu erwägen, ob zum Schutze der in der türkischen Armee dienenden Armenier mit Vorteil irgend etwas getan werden kann.
Genehmigen Sie, Hochgeehrter Herr, die Versicherung unserer vorzüglichen Hochachtung.
Namens des geschäftsführenden Ausschusses des Schweizerischen Hilfswerkes für Armenien
[Antwort Paul Rohrbach 16.11.1916]
Ihre Zuschrift wegen der zum Militärdienst eingezogenen Armenier in der Türkei vom 8. November ist richtig an mich gelangt. Ich habe sie sofort an das Auswärtige Amt weiter gegeben, aber, wie Sie selbst schon bemerkten, wird die Sache schwer, wenn nicht unmöglich sein. Unsere Regierung ist hier in der schwierigsten Lage von der Welt, da die Türkei Versuche zur Einflussnahme in armenischen Dingen als unfreundliche Handlung betrachtet. Meiner persönlichen herzlichen Teilnahme und meiner dankbaren Bewunderung für die von Ihnen unternommene Arbeit können Sie gewiss sein.
Mit aufrichtigen Empfehlungen
Ihr sehr ergebener
[Zimmermann an Botschaft Konstantinopel (Nr.1240) 20.11.]
Der Brief Dr. Rohrbach’s an Dr. Vischer ist befördert worden.
Was den zweiten Punkt Ihres gfl. Schreibens betrifft, so sage ich Ew. pp. für das freundliche Anerbieten der Einwirkung auf Dr. Lepsius meinen verbindlichsten Dank. Ich darf mir vorbehalten hierauf zurückzukommen, falls sich eine Einwirkung als notwendig herausstellen sollte.