Das Auswärtige Amt und die Kaiserlichen Vertretungen in der Türkei haben von Beginn der armenischen Krise an alles mit diplomatischen Mitteln mögliche getan, um das Los der Armenier zu mildern. Die Kaiserliche Regierung ist bei ihrem Druck auf die Türkische Regierung bis zur äußersten Grenze gegangen. Die Verantwortung dafür, durch einen Bruch mit der Türkei wegen der Armenierfrage die Südostflanke unserer Weltkampfstellung zu entblößen und dadurch unsere damals im Osten und Westen schwer ringenden Heere in eine bedrohliche Lage zu bringen, hätte keine deutsche Regierung tragen können.
Als nach Abschluß des Waffenstillstands von Brest-Litowsk die Möglichkeit einer Räumung der damals von den Russen besetzten ostanatolischen Provinzen näher rückte, haben wir uns sofort mit den türkischen Staatsmännern wegen der Frage der Behandlung der Armenier in Verbindung gesetzt und ihnen gesagt, wie wichtig es im eigensten Interesse der Türkei, auch wegen ihrer Beziehungen zu den Bundesgenossen, ist, daß beim Wiedereinmarsch der türkischen Truppen Ausschreitungen gegen die armenische Bevölkerung vermieden, und daß von vornherein die Grundlagen für friedliche Verhältnisse zwischen den christlichen und muhammedanischen Elementen geschaffen werden. Der Finanzminister und der Minister des Äußern, mit denen im Januar bei ihrem Aufenthalt in Berlin in diesem Sinne gesprochen wurde, zeigten volles Verständnis und erklärten sich auch grundsätzlich damit einverstanden, daß sich nach Wiedereinnahme Ostanatoliens deutsche Wohltätigkeitsunternehmungen der Armenier dort annähmen.
Anfang Februar gelangte die Nachricht hierher, daß die russischen Truppen aus Ostanatolien abzogen, daß sich aber in dem von ihnen verlassenen Gebiet armenische Banden unter Führung englischer und wohl auch französischer Offiziere gebildet haben und noch schlimmer hausen, als es die bolschewistischen Banden in den Ostseeprovinzen getan haben. Die Einzelheiten über ihre Untaten sind durch die amtliche türkische Telegraphenagentur bekannt gegeben worden. Diese Nachrichten haben im Ausland vielfach keinen Glauben gefunden und sind so aufgefaßt worden, als ob die Türkische Regierung damit ein beabsichtigtes grausames Vorgehen gegen die Armenier im voraus entschuldigen wollte. Die Auffassung ist nicht begründet. Obwohl andere telegraphische Meldungen aus dem Kaukasus ins Ausland gelangen, ist bisher in keinem feindlichen oder neutralen Blatte eine Nachricht über türkische Ausschreitungen veröffentlicht worden. Auch das schweizerische Hilfskomitee für Armenien hat keine solche Nachricht erhalten. Einem Telegramm der Genfer Gruppe der armenischen Sozialisten an das Internationale Sozialistische Bureau in Genf, worin von neuen türkischen Metzeleien nach Räumung des Landes durch die Russen die Rede ist, liegen keine tatsächlichen Meldungen, sondern offenbar nur Befürchtungen zugrunde. Diese Befürchtungen sind im Hinblick auf die Ereignisse des Jahres 1915 und auf die Erbitterung, die die jetzigen Greueltaten der armenischen Banden bei den Türken hervorrufen müssen, wohl begreiflich. Die Kaiserliche Regierung hat deshalb keine Gelegenheit vorübergehen lassen, der Türkischen Regierung die Bedeutung der armenischen Frage vor Augen zu führen und hat bestimmte Vorschläge gemacht, wie weiteres Blutvergießen vermieden und auf die Dauer friedliche Zustände hergestellt werden können. Sie hat namentlich dringend geraten, die strengste Manneszucht unter den einrückenden Truppen aufrecht zu erhalten, die armenischen Banden zur freiwilligen Unterwerfung aufzufordern, ihnen, wenn sie dieser Aufforderung Folge leisten, Amnestie zu gewähren, bei der beabsichtigten Hilfsaktion für die ostanatolischen Provinzen gleichmäßig die Armenier und die Muhammedaner zu berücksichtigen, ferner auch die Zurückführung der nach dem Innern des Reiches Ausgesiedelten, die sich bei den jetzigen Transportschwierigkeiten allerdings nicht durchführen läßt, wenigstens zu beschließen und einzuleiten. Die Türkische Regierung hat sich diesen Vorstellungen durchaus zugänglich gezeigt. Nach den bündigen Versicherungen, die der Großvesir, der Minister des Äußern und sein Vertreter Halil Bey gegenüber dem Herrn Reichskanzler, dem Staatssekretär von Kühlmann und dem Kaiserlichen Botschafter abgegeben haben, sind wir zu dem Vertrauen berechtigt, daß die Regierung zur Milde gegen die Armenier entschlossen ist, die unbeteiligte Bevölkerung nicht für die Untaten der Banden verantwortlich machen und ähnliche Vorgänge, wie sie sich im Jahre 1915 abgespielt haben, zu verhüten wissen wird. Der baldige Erlaß einer Amnestie ist zugesagt worden.
Die Voraussetzung für die Wiederherstellung friedlicher Zustände ist aber selbstverständlich, daß die Armenier von ihren Unabhängigkeitsbestrebungen, deren Aussichtlosigkeit sie jetzt erkennen müssen, ablassen und auf die von den Türken angebotene Versöhnung eingehen. Nach Mitteilung aus Konstantinopel ist denn auch von armenischer Seite der Wunsch ausgesprochen worden, mit der Türkischen Regierung zu verhandeln. Andererseits aber hören wir aus der Schweiz, daß dort Anfang März Vertreter der armenischen Vereinigungen den Beschluß gefaßt haben, ihre Landsleute in den anatolischen Provinzen zum äußersten Widerstande gegen die Türkei zu mahnen. Telegramme in diesem Sinne sind über England an die armenischen Komitees in Tiflis abgesandt worden. Außerdem ist der Vertreter des armenischen Katholikos Boghos Nubar Pascha in Paris telegraphisch ersucht worden, die Englische Regierung um Unterstützung der kämpfenden Armenier durch Entsendung von Offizieren und Truppen zu bitten. Tatsächlich befinden sich bereits französische und englische Offiziere bei den Banden. Es liegt auf der Hand, daß durch das unverantwortliche Treiben der Agitatoren das Los der armenischen Bevölkerung Ostanatoliens auf das schwerste gefährdet wird. Es besteht auch die Gefahr, daß sich in den benachbarten Bezirken von Kars und Ardahan, die nach dem Friedensvertrag von Brest von den Russen zu räumen sind und deren Bevölkerung selbst ihr künftiges Schicksal beschließen soll, zwischen Armeniern und Muhammedanern Kämpfe entspinnen, die, da die Armenier auch hier in der Minderheit sind, zu ihrem Nachteil ausschlagen müssen.
Wir würden es mit Genugtuung begrüßen, wenn die deutschen Armenierfreunde ihren Einfluß aufbieten wollten, um die Armenier vor nutzlosem Widerstand, der einem Selbstmord gleichkäme, zu warnen und sie dazu zu bringen, daß sie über ihre Unterwerfung mit den Türken verhandeln.
1 Anmerkung Göppert: Diese Aufzeichnung ist vom H. st. St. S. seinen Erklärungen im Reichstag am 21. und 22. März zugrunde gelegt worden.