1909-07-02-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 13187
Zentraljournal: 1909-A-11289
Erste Internetveröffentlichung: 2009 April
Edition: Adana 1909
Praesentatsdatum: 07/05/1909 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 177
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Geschäftsträger der Botschaft Konstantinopel (Miquel) an den Reichskanzler (Bülow)

Bericht



Nr. 177
1 Anlage.

Abschriftlich Seiner Durchlaucht dem Reichskanzler Fürsten von Bülow gehorsamst vorgelegt.


Miquel
[Anlage]
Mersina, den 25. Juni 1909

J.No. 485

Die Ruhe ist in Adana ungefähr wieder hergestellt, aber die christliche Bevölkerung beklagt sich über zu barsches Auftreten seitens der Militärkommission; auch die, an den verschiedenen Stellen der Stadt postierten Soldaten legen ein sehr herausforderndes Wesen an den Tag und das verächtliche Wort „Giaur“ kann man bei jeder geringfügigen Gelegenheit, auch ohne irgend welche Notwendigkeit, aus ihrem Munde hören, was natürlich dazu beiträgt, dass die christliche Bevölkerung der Stadt noch lange kein rechtes Zutrauen hat.

Die Militärbehörde berücksichtigt, wie ich höre, die Interessen der Christen nur sehr wenig, sie ist nicht unparteiisch und der armenische Deputierte Babikian, der mit der Militärkommission ankam, ist zu derselben Ansicht gelangt und verlässt deshalb heute Adana, um nach Konstantinopel zurückzukehren. Auch der Abgesandte des armenischen Patriarchen, Sarkis Effendi, verlässt Adana. Letzterer wurde wegen seines, am 18 April an den armenischen Patriarchen nach Konstantinopel gesandten und von den Zeitungen veröffentlichten Berichte, zur Rede gestellt von der Militärkommission, die ihm unter Drohungen, ihn unter das Kriegsgericht zu stellen, veranlassen wollte, diesen Bericht zu widerrufen, wozu er sich aber nicht hergegeben hat. Die Art und Weise des Vorgehens der Militärkommission bestätigt nur den Glauben der Armenier und andern Christen, dass die Regierung nicht von der Absicht beseelt ist, Gerechtigkeit walten zu lassen.

Die Unterstützungskommission hat vor kurzem in Adana erklärt, dass sie bereits über 8000 türk. Pfund ausgegeben habe, was von armenische Seite als ganz unmöglich bezeichnet wird. Die Unterstützungsgelder sollen mehr den Mohammedanern als den Christen zufliessen; allerdings giebt es viele arme Mohammedaner, die infolge der Zerstörung der Geschäft, heute nicht mehr in der Lage sind, sich ihr Brot zu verdienen, aber gerade diese sollen am meisten mit den Unterstützungen bedacht werden, während man die armen Armenier mehr bei Seite lässt.

Die Christen erklären den Konsuln offen, dass sie nicht begreifen können, wie Europa solchen Massen-Massakers von Christen und allen Grausamkeiten gegenüber so teilnahmlos dasteht und es am Ende doch den Türken überlassen hat, Ordnung zu schaffen; sie sind fest davon überzeugt, dass die türkische Regierung nur den Zweck verfolge, mit den Christen völlig aufzuräumen und erwarten in diesem Falle wenigstens, dass ihnen Europa dazu verhelfen wird, auswandern zu dürfen, was jetzt streng verboten ist.

Man empfand es als eine allgemeine Erleichterung, als die berüchtigte Zeitung „Itidal“ suspendiert und ihr Herausgeber und Redakteur, dem man den Anfang des zweiten Massakers vom 25 April zuschreibt, verhaftet wurde. Diese Freude währte aber nur kurze Zeit, denn der Redakteur und Herausgeber dieser Zeitung wurde bald wieder freigelassen und seine Zeitung erscheint wieder nach wie vor.

Die Unterstützungskommission hat nach Konstantinopel telegraphiert, dass sie mindestens 150000 türk. Pfund benötige, um die 5000 zerstörten und verbrannten Häuser wieder herzustellen. 15 Schulen und 18 Kirchen sind im ganzen Wilayet zerstört worden. Tausende von Menschen wohnen noch unter Zelten und es wäre höchste Zeit, daran zu denken, was für den Winter für diese Leute geschehen soll; diese armen Leute haben keine Mittel und aus Privatquellen lässt sich das Alles nicht bestreiten; da muss der Staat aushelfen.

Hier hatte die Regierung kürzlich angeschlagen und öffentlich ausrufen lassen, dass ein Jeder, der Waffen trage, dieselben bei der Behörde innerhalb 12 Tagen anmelden müsse, aber ohne die Frist verstreichen zu lassen, hat man in verschiedenen armenischen Häusern Haussuchungen angestellt, die aber erfolglos verliefen. Auch beim Dragoman des Persischen Konsulats, der Armenier ist, hat man ohne Weiteres Haussuchung vorgenommen und als der Persische Konsul deshalb vorstellig wurde, sagte man ihm ganz einfach das bekannte, „es sei ein Fehler vorgekommen“. Um beim Dragoman des Spanischen Vizekonsulats hier Haussuchung vorzunehmen, erbat sich die Behörde einen Delegierten des Spanischen Vizekonsulats. Im allgemeinen sieht das Auftreten der Behörden so aus, als wenn sie von der Existenz von Kapitulationen nichts mehr wüssten!

Schon in einem früheren Berichte hatte ich die Ehre zu erwähnen, dass eine aus Türken bestehende Kommission niemals im stande sein würde, etwas Rechtes zu vollbringen und wenn Europa Gerechtigkeit sehen wolle, so müsse man eben wie im Jahre 1860 in Syrien vorgehen.

Gleich bei Beginn der Unruhen in Adana hatten sich zum englischen Konsul in Adana 7 Armenier geflüchtet, die derselbe, trotz wiederholten Aufforderns der Militärbehörde nicht auslieferte indem er vorgab, dass es nur politische Flüchtlinge seien; da sie nun schon so lange Zeit beim Englischen Konsul verweilen, vermutet man, dass die Weigerung desselben mit Zustimmung seiner Botschaft geschieht.


Christmann


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