Die begleitenden Umstände und die sonst hier bekannt gewordenen Tatsachen sind derart, dass die Erzählungen als durchaus glaubwürdig erscheinen. Die beiden letzteren Berichterstatter sind der Schwester Rohner seit Jahren gut bekannt.
Die Vernichtungsaktion ist soweit hier bekannt, von dem Mutesarrif Zekki Bey, der übrigens wie heut hier verlautet nach Konstantinopel berufen ist, ohne besonderen Anlass eingeleitet worden. Leider haben dann Armenier selbst nachträglich ihre Lage noch verschlimmert.
Ein Armenier in Der Zor der sich bei der Verteilung der Hilfsgelder benachteiligt glaubte oder sich einen unlauteren Vorteil zu verschaffen suchte, hat von einem seiner Geld verteilenden Landsleute eine bestimmte Summe verlangt, widrigenfalls er die im geheimen betriebene Hilfsaktion der Regierung anzeigen werde. Dieses hat er wirklich getan, als ihm sein Verlangen abgeschlagen worden war. Der Mutesarrif erklärte darauf: „Wenn Geld verteilt worden ist, so muss es zum Waffenankauf geschehen sein (obwohl dies vollständig ausgeschlossen war). Also sind die Armenier Revolutionäre und müssen vernichtet werden“. Würde auch der Mutesarrif, wenn er nicht diesen willkommenen Vorwand ergriffen hätte, genau ebenso sein grausiges Werk fortgesetzt haben, so war dieser Zug doch zu erwähnen, weil eine Darstellung, die über ihn hinwegginge, nicht vollständig sein würde. Es ist nicht der einzige Fall, dass die Armenier über die Verteilung der Hilfsgelder unter einander in Streit geraten sind. Immer wieder haben einzelne Glieder des Volkes ihr Unverständnis dafür bewiesen, dass die Lage von ihnen verlangt, in keiner Weise die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich zu ziehen. Als neulich ein für die Hilfsaktion in Biredjik gewonnener türkischer Muhammedaner von der Schwester gefragt wurde, ob er seine Arbeit fortsetzen könne, gab er die bezeichnende Antwort: „Solange es mir die Armenier nicht selbst unmöglich machen“. Sie verklagen sich gegenseitig vor ihm in unerhörter Weise. Auch solche, die nicht wissen, dass er für sie hülfreich tätig ist. Aus Rakka liegen ähnliche Berichte vor.
Hosep Sarkissian gibt (in Anlage I) die Zahl der im Juli und August umgebrachten auf über 150000 an. Nun besteht kein Zweifel, dass Hunderttausende in die Euphratgegend geschickt worden sind. Dass aber im Juli noch einhundertfünfzig tausend davon am Leben gewesen sein sollen, scheint mir zu hochgegriffen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass in der bisherigen Berichterstattung, welche 20 bis 30000 als im Juli August am Khabur gewaltsam getötet annahm, nur Der Zor in Betracht gezogen war, während nach der jetzt vorliegenden Darstellung auch alle Lager südlich davon, also Meyadin und Ana geräumt worden sind. Die Zahl der dort untergebracht gewesenen ist hier nie genau ermittelt worden, weil die Reisenden von Bagdad der Karawanenstrasse auf dem westlichen Euphratufer zu folgen pflegen, die Armenierlager dagegen auf dem östlichen Ufer ausser Sicht angelegt waren. Man wird daher wohl annehmen dürfen, dass die Zahl der im Juli August getöteten 30000 überschritten hat. Im übrigen ist daran festzuhalten, dass nach den Berichten Bernaus, der alle Lager nördlich Der Zor besucht hat, Ende August zwischen Meskene und Der Zor nur noch gegen fünfzehntausend Armenier vorhanden waren, und die Zahl in Der Zor und südlich nur noch verschwindend gering ist. Auch jene 15000 werden voraussichtlich rasch abnehmen.
Die Waisenkinder in Meskene, deren Zahl Anfang September noch 420 betrug, sind etwa am 21. September nach Hammam geschickt worden. Ein Deutscher, der am 29. September durch Hammam kam, hat dort noch nicht 200 in erbarmungswürdigstem Zustande ohne jeden Schutz im Freien liegend vorgefunden. Es ist kein Zweifel, dass sie alle dem Untergange geweiht sind. In Meskene waren, wie er festgestellt hat, keine von jenen mehr vorhanden.
Die Zahl der Kinder, die sich in Urfa wieder angesammelt haben, und von der Deutschen Orientmission unterstützt werden, beträgt 450, die der Witwen 60. Dort geschieht das Werk mit Wissen der Ortsregierung, die sogar selbst schon wieder dem Diakon Künzler Knaben zur Pflege zugeschickt hat. Allerdings muss die Unterstützung durch Unterbringung in syrischen Familien geschehen. Eine Aufnahme im Waisenhaus ist noch nicht wieder möglich. In Mossul sind die Verhältnisse schwieriger geworden. Dort verlangt die Regierung neuerdings, dass fremde Unterstützungsgelder durch ihre Vermittlung ausgezahlt werden.
In Rakka ist um den 5. Oktober ein kleineres Gemetzel vorgekommen, bei dem etwa 30 Armenier getötet worden sind.
In Marasch sind am 19. September wieder neue Ausweisungen erfolgt. Von den vielleicht 5000 Armeniern, die von ursprünglich 25000 noch verblieben waren, sind 120 Familien, meist schon in sehr mangelhaftem Ernährungszustand, verschickt worden, wobei wie üblich die Frauen und Kinder von den Männern getrennt wurden.
In Aleppo werden etwa seit Anfang August armenische Frauen mit Spinnen für die Heeresverwaltung beschäftigt und bekommen dafür täglich ihren Bedarf an Brot. Jede der einheimischen Kirchenverwaltungen hat solche Arbeitshäuser übernommen, sodass im ganzen etwa 4000 Frauen auf diese Weise vorläufig gerettet werden konnten, während in Waisenhäusern jetzt 1500 Kinder untergebracht sind.
Ueber die Zahl der gegenwärtig in Syrien und im Amtsbezirk dieses Konsulats noch vorhandenen Armenier wird mir das folgende bekannt:
In Marasch sind etwa 4500 unterstützungsbedürftige Maraschleute und nur wenige ...... von ausserhalb weil Zuzug verhindert wird.
In Aintab sind etwa 3800 Aintableute und 1200 Flüchtlinge in der Stadt sowie 3000 Flüchtlinge in mehr als 150 umliegenden Dörfern.
In Urfa sind etwa 700 Flüchtlinge, dagegen keine Urfaleute mehr.
In Biredjik und Djerablus 2000.
In Mossul 4000.
In Aleppo sind etwa 17220 auf der Unterstützungsliste einschliesslich der Waisen.
Am Euphrat zwischen Meskene und Der Zor 15000.
In Damaskus etwa 10000 von denen viele Muslims geworden sind.
Im Hauran und südlich davon etwa 30000.
In Hama und Selimiye 15000 sämtlich Muslims geworden.
In Summa [insgesamt]106420, wozu höchstens noch einige tausend nicht auf Unterstützung angewiesene in Aleppo, Marasch und Aintab kommen, und vielleicht einige tausend hier nicht bekannt gewordene. Rechnet man ferner die im Wilayet Adana noch vorhandenen, deren Zahl hier nicht bekannt ist, aber nur gering sein kann, die Zahl der in den armenischen und anatolischen Wilayets noch Zurückgebliebenen und Versprengten, ferner die über die russische Grenze gegangene und die Bevölkerung von Smyrna und Konstantinopel, so erhält man annähernd eine Vorstellung, wieviel von den Armeniern in der Türkei noch übrig geblieben sind. Auch wird der Tod unter den oben gezählten 106000 im Laufe dieses Winters sicherlich noch reiche Ernte halten.
Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.
Anlage 1
Abschrift
Anlage 2
Aussagen von Manuk Kyrmenikian aus Alabasch bei Marasch.
Anlage 3