Anlage
Deutscher Hilfsbund für christliches Liebeswerk im Orient, E.V., Sitz Frankfurt a/M.
Die größten Schwierigkeiten erwachsen aber aus der doppelten Tatsache, daß ich mit meiner Waisenarbeit nur geduldet bin und daß die Notstandsarbeit überhaupt offiziell nicht erlaubt ist. Sie muß ganz im Geheimen geschehen und wo sie an die Öffentlichkeit kommt, wird sie verboten und unterdrückt. Die Armenier sollen diesmal keine Hilfe von außen erwarten. Meine Wenigkeit konnte die Behörde bis jetzt nicht loswerden, weil sie selbst mir die Arbeit gegeben hat. Doch geschieht alles was möglich ist, um sie mir zu verleiden. Wie vorsichtig man sein muß, um bei der besten Absicht nicht zu schaden, das können unsere Freunde daheim nicht ahnen. Ein Satz in einem Brief kann genügen, die ganze Arbeit zu zerstören. Deshalb muß ich Sie, geehrter Herr Doktor und all meine Schweizerfreunde bitten, nicht wieder von „Armenien“, „Not der Armenier“, „Blatt für Armenien“, „Freunde werben“, etc. zu schreiben, weil all diese Ausdrücke in unserer lieben Türkei äußerst gefährlich sind. Auch möchten Sie bitte Herrn Dr. Gräter nicht erwähnen, da sein Namen wie ein rotes Tuch wirken könnte. Schreiben sie von meinen Kindern, meinen Armen, so wird niemand etwas dabei finden. Ferner möchten Sie keine Berichte mit meiner Unterschrift veröffentlichen. Darf ich nun, trotz der vielen Schwierigkeiten doch weiter mit Ihrer Hilfe rechnen? Oder habe ich Ihnen den Mut genommen? Ist es möglich, daß Sie für meine Arbeit mehr persönlich und unter der Hand werben? Ich bin immer gerne bereit, einzelnen Freunden durch Vermittlung von Herrn Schuchardt zu schreiben. Nur vor der Öffentlichkeit muß ich mich hüten
So lange ich hier als Missionärin einer deutschen Gesellschaft und gewissermaßen Angestellte der türkischen Regierung wirken darf, muß ich im Interesse der Kinder und der ganzen Arbeit alles vermeiden, was meine Stellung unmöglich machen könnte. Es wäre dem Rest des armenischen Volkes wenig gedient, wenn ich überall berichtete und für die Not selbst nichts mehr tun könnte. Dasselbe gilt für Ihre Aufgabe in der Heimat. Wenn mit scharfer Propaganda die türk. Regierung einmal gereizt, sich diese Hilfe verbitten würde, wäre alle Mühe umsonst.
Wenn durch die Güte des Auswärtigen Amtes und der Kaiserlich Deutschen Botschaft in Bern dieser Brief Sie erreicht, werden Sie – das hoffe ich zuversichtlich – meine Zurückhaltung verstehen und auch billigen. Wollen Sie mir bitte den Empfang per Postkarte bestätigen?
Mit nochmaligem warmen Dank und vielen Grüßen an Sie selbst und Herrn Gisler, wie an alle Freunde bleibe ich mit Hochachtung Ihre ergebene
[Auswärtiges Amt an die Gesandtschaft Bern (No. 848) 23.12.]
Der Inhalt des Briefs bestätigt unsere auf Grund vielfacher Erfahrungen gewonnene und wiederholt betonte Auffassung, dass alle Angriffe auf die armenische Politik der Türkei, sei es in der Presse oder in der Privatkorrespondenz, die praktische Hilfstätigkeit zu Gunsten der Armenier gefährden.