1917-02-14-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14095
Zentraljournal: 1917-A-08613
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 03/15/1917 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: K. No. 21/No. 299
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Konsul in Aleppo (Rößler) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



K. No. 21 / No. 299

Aleppo, den 14. Februar 1917

Der Beauftragte des amerikanischen Konsulats, welcher im Einverständnis mit der türkischen Regierung vor kurzem zur Verteilung von Notstandsgeldern an die verschickten Armenier ausgesandt wurde, ist zurückgekehrt und berichtet folgendes: Er hat in Rakka 20000 Kilo Getreide angekauft, die durch den Vertreter der amerikanischen Süssholzgesellschaft gemeinsam mit 2 türkischen Beamten zu verteilen sein werden, und hat 4500 Ltq. verteilt, indem er persönlich jedem einzelnen der 6000 Verschickten wenigstens eine Viertelpfundnote, z.T. mehr, ausgehändigt hat. Trotzdem ist er der Ansicht, dass ein sehr grosser Teil davon dem Hunger und der Entbehrung erliegen muss. Denn es herrscht jetzt nicht nur unter den Armeniern, sondern auch unter der Bevölkerung von Rakka selbst Hunger, sodass die Verteilung von Nahrungsmitteln durch die Regierung an die Vertriebenen fast ganz aufgehört hat. 160 bis 175 Kilo Weizen kosten 500 Piaster Hartgeld, oder nicht ganz das dreifache in Papiergeld, sodass also ein Kilo Weizen auf ungefähr 2 Mark zu stehen kommt. Die Vertriebenen wohnen dicht gedrängt. Ihre Kleidung ist zerlumpt, Typhus ist unter ihnen ausgebrochen, sodass die Zahl der täglichen Todesfälle gegenwärtig zwanzig beträgt.

An manchen Stellen des Weges werden die Reste der Armenier zu Strassen, Brücken und Häuserbauten verwendet, so

in Nahr Dahab (35 km vor Aleppo) ..................................................... 172
in Der Hafir (50 km vor Aleppo) .......................................................... 180
Meskene ................................................... ......................................... 600

Sabkha (zum Teil beschäftigt) ............................................................... 2000
Dazu kommen, wie schon aufgeführt (unbeschäftigt),
in Rakka ............................................................................................... 6000
in Siaret bei Rakka (unbeschäftigt) ......................................................... 400
und in Urfa infolge Zuzuges aus Rakka ................................................... 2500

In Urfa sind sie jetzt verhältnismässig gut und sicher aufgehoben. Man hat sie dorthin geholt, um die notwendigsten Handwerker zu haben.

Der Beauftragte des amerikanischen Konsulats war der in früherer Berichterstattung bereits genannte Deutsche, Bernau, der jetzt bei Rückkehr von seiner Reise die Nachricht vom Abbruch der Beziehungen zwischen Amerika und Deutschland vorfand und infolgedessen seine Stellung am amerikanischen Konsulat niederlegt. Ueber Sabkha hinaus nach Süden ist er diesmal nicht gekommen.

In Aleppo hat die Regierung am 13. d.M. auf Befehl Djemal Paschas aus den von der Schwester Beatrice Rohner geleiteten Waisenhäusern 70 Knaben genommen, um sie in ein Regierungswaisenhaus auf dem Libanon zu verbringen, wo sie mit Kindern muhammedanischer Flüchtlinge aus Ostanatolien zusammen erzogen werden sollen. Weitere derartige Verteilungen auf Regierungswaisenhäuser sind in Aussicht genommen. Die Armenier sollen auf diese Weise zu vaterlandsliebenden Osmanen und, wie die offene oder stillschweigende Voraussetzung ist, zu Muhammedanern gemacht werden. Es ist schwer, hierbei die Erinnerung an die Rekrutierung der Yanitscharen zu unterdrücken.

Dem gegenwärtigen Versuch muss man wohl skeptisch gegenüberstehen. Die meisten armenischen Knaben werden weglaufen, diejenigen welche in die Regierungswaisenhäuser kommen, werden dort vor die Frage gestellt werden, ob sie den Islam annehmen wollen. Lehnen sie ab, und versagen Zwangsmittel, so werden sie auf die Strasse gejagt werden und verkommen. Nur die wenigsten werden dort heranwachsen. Der mit der Verteilung auf die Regierungswaisenhäuser beabsichtigte positive Zweck wird also nicht erreicht werden, nur wird die Zahl heranwachsender junger Armenier erneut erheblich vermindert sein.

Gleichen Bericht lasse ich der Kaiserlichen Botschaft zugehen.


Rößler


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