Seine Majestät der König ließ mich soeben, unmittelbar nach Beendigung Kronrats, rufen und sagte mir, er glaube Neutralitätspolitik noch retten zu können, wenn wir ihm im Sinne nachstehenden - von Seiner Majestät selbst verfaßten - Telegrammtextes, um dessen umgehende Beförderung an Seine Majestät den Kaiser und König er bitte, zur Seite stehen könnten:
Alle diese Zusagen haben selbstverständlich nur Gültigkeit, solange Griechenland neutral bleibt, d.h. solange ich nicht gegen [m]einen Willen gezwungen werde durch das Dir bekannte Bündnis mit Serbien, infolge eines Angriffs Bulgariens auf Serbien einzugreifen. Die Erfüllung dieser Bitten gibt mir eine Gewißheit zur weiteren Erhaltung der von mir gewünschten Neutralität als Gegengewicht gegen die augenblickliche Volksströmung und der Benutzung derselben durch die Entente zum Druck auf meine Regierung.
Ich vertraue in dieser schweren Zeit auf Deine mächtige Hilfe, das Schiff durch die brandenden Wogen sicher in den Hafen zu steuern.
Konstantin.“
Die Bemühungen des Königs für Beibehaltung neutraler Politik sind gegenüber gestriger Stimmung - in gewissem Gegensatz zu allmächtigem Ministerpräsidenten - immerhin leichter Fortschritt. In hohem Maße mitbestimmend für leidenschaftslosere Auffassung der Lage ist offenbar Rücktritt Generalstabchefs, der Verantwortung für Konstantinopeler Abenteuer nicht tragen zu können erklärte; das Abschiedsgesuch dieses seines befähigsten Offiziers hat auf Seine Majestät sichtlich tiefen Eindruck gemacht.
Seine Majestät begriffe nicht, wie Griechenland sich in eine so halsbrecherische Politik stürzen könne, Rußland werde doch niemals Konstantinopel an Griechenland überlassen und eine russische Herrschaft in Byzanz würde gefährlicher für Griechenland sein als türkische. Andrerseits würde Teilnahme Griechenlands an Krieg gegen Türkei für Bulgarien willkommenes Signal zur Eroberung Cavallas bieten. Zuwartende Neutralität sei einzig richtige Politik Griechenlands. Von Volkswallungen sich treiben zu lassen sei immer verhängnisvoll.
Seine Majestät habe schon genügend Beweise Allerhöchstseines freundschaftlichen Interesses für Griechenland gegeben und würde diese Politik, soweit mit unseren Kräften und den Interessen Deutschlands vereinbar, auch fortsetzen. Er habe für Überlassung der Inseln an Griechenland gestimmt und sei für Schonung des griechischen Elements in Kleinasien andauernd eingetreten. Eine Bedrohung der epirotischen Grenzen könne höchstens durch Losschlagen Italiens eintreten, wenn dieses sich gegen Zentralmächte richten sollte. Bulgarien habe Seine Majestät immer ermahnt, nicht gegen Griechenland vorzugehen. Bulgarische Wünsche richten sich momentan nicht auf griechische, sondern auf mazedonische Gebiete Serbiens. Den finanziellen Wünschen würde Seine Majestät entgegenkommen, wenn dafür sichere Neutralität Griechenlands geboten würde.
König Konstantin bittet S.M. den Kaiser in einem bewegten persönlichen Telegramm ihm zu garantieren,
Bitte umgehend feststellen und drahten, ob Pforte einverstanden ist, daß S.M. der Kaiser zwecks Abwendung der griechischen Gefahr die gewünschte Zusage erteilt. Englands Druck auf Griechenland darf nicht unterschätzt werden. Mehrfach war von englischem Plan die Rede, im Falle der Notwendigkeit einer Überlassung Konstantinopels an Rußland, Südküste der Dardanellen an Griechenland, Nordküste bis Rodosto an Bulgarien zu geben und so Tampon gegen Rußland zu bilden. Stimmung in Athen ist beinahe über Nacht kritisch geworden. Sollten Dardanellen u. Konstantinopel fallen würden voraussichtlich auch Bulgarien und Rumänien zu unseren Gegnern abschwenken.
König Konstantin bittet S.M. den Kaiser in einem bewegten persönlichen Telegramm ihm offiziell zu versichern, daß Bulgarien die Griechen nicht angreifen wird solange diese neutral bleiben. Eine solche Versicherung werde ihm wie er hoffe ermöglichen der auf sofortiges Eingreifen gegen die Türkei drängenden Volksströmung Herr zu werden.
Bitte umgehend feststellen und drahten, ob dortige Reg. mit Abgabe der gewünschten Versicherung einverstanden ist die unseres Erachtens die etwaigen Absichten Bulgariens in keiner Weise präjudiziert. Daß Griechenland schon jetzt gemeinsame Sache mit unseren Gegnern macht dürfte auch für Bulgarien unerwünscht sein.
[Jagow an Gesandtschaft Athen (Nr. 160)]