1910-02-18-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R 13188
Zentraljournal: 1910-A-03270
Erste Internetveröffentlichung: 2009 April
Edition: Adana 1909
Praesentatsdatum: 02/22/1910 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 44
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Botschafter in Konstantinopel (Marschall von Bieberstein) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 44
Der Kaiserliche Konsul in Adana berichtet unter dem 7. d.M.

„Am Sonnabend, den 5. d.M. Abends 1 Uhr türkisch, gab der Wali Dschemal bey in den Räumen des türkischen Gymnasiums ein Diner, zu welchem 300 Personen aus den offiziellen und den kaufmännischen Kreisen in Adana, Tarsus und Mersina, sowie die Geistlichkeit aller Konfessionen, Einladungen erhalten hatten.

Dieses Monstrediner, an und für sich ein Novum, erhielt eine besondere Signatur durch seine Veranlassung, als welche der Wali seinen Wunsch bezeichnete, die verschiedenartigen Elemente der ottomanischen Nation einander näher zu bringen. Das Arrangement des Ganzen liess die Absicht des Wali deutlich hervortreten, eine Art von Verbrüderung, vielleicht richtiger Aussöhnung zwischen Türken und Armeniern anzubahnen, was er auch in seiner Tischrede zum Ausdruck brachte. In derselben Richtung bewegten sich die Ansprachen der übrigen Tischredner, namentlich auch des armenischen Erzbischofs, im Wesentlichen eigentlich nur Variationen eines Leitgedankens, des Grundsatzes der Einheit und Einigkeit der ottomanischen Nation.

Von dieser geraden Linie korrekter und das trennende Vergangene kaum oder gar nicht streifenden Ansprachen rückte allerdings der letzte Redner, der armenisch-protestantische Pastor Aschdjian, durch seine scharfen Bemerkungen über die Unruhen des vergangenen Jahres, erheblich und auffällig ab; seine Ausführungen blieben indessen - glücklicherweise – unerwidert, und seine Rede fand im Ganzen schliesslich Beifall, weil er sie geschickt in eine Ovation für den Sultan, die Armee und was die Türken sonst gern hören, und namentlich für den Wali ausklingen liess.

Das Diner verlief in durchaus guter Form, Platzverteilung und Regie des Ganzen überhaupt fand allgemeine Anerkennung. Beides war das persönliche Verdienst des Walis Dschemal bey.

Ob für eine dauernde Aussöhnung schon die Zeit gekommen ist, wird von vielen in Zweifel gezogen. Jedenfalls aber hat Dank der Initiative des Wali die Propaganda des Zusammenschlusses aller osmanischen Elemente erheblich gewonnen.

Einstweilen und vielleicht für lange Zeit hängt in dieser Beziehung beinahe alles von der Person des Wali ab und daher hat die Abendvereinigung des vergangenen Sonnabends die Bedeutung einer öffentlichen Willensbetätigung des Walis der Bevölkerung gegenüber, welche unzweifelhaft durch die hierfür gewählte Form sympathisch berührt wurde.“


Marschall


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