1915-04-30-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R14085
Zentraljournal: 1915-A-15363
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 05/07/1915 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 267
Zustand: A
Letzte Änderung: 04/22/2012


Der Botschafter in Konstantinopel (Wangenheim) an den Reichskanzler (Bethmann Hollweg)

Bericht



Nr. 267

Pera, den 30. April 1915

In der Nacht von Sonnabend auf Sonntag den 25. d.Mts. und von Sonntag auf Montag den 26. d.Mts. haben hier zahlreiche Verhaftungen von Armeniern stattgefunden. Im ganzen sollen an 500 Personen aus allen Gesellschaftsklassen festgenommen sein, namentlich Ärzte, Journalisten, Schriftsteller, Geistliche, auch einige Deputierte. Das Lokal der Zeitung Azadamart, Organ der Partei Daschnakzutiun, der viele von den Verhafteten angehörten, wurde behördlich gesperrt. Die meisten wurden in den folgenden Tagen nach dem Innern von Kleinasien verschickt.

Über die Ursachen dieser Massregeln waren im Publikum allerlei unkontrollierbare Gerüchte verbreitet. Unter anderem hiess es, dass man in armenischen Häusern und Kirchen Explosivstoffe, Bomben und Waffen entdeckt habe, und dass die Armenier für den Tag des Thronbesteigungsfestes (27. d.Mts.) Anschläge auf die Pforte und andere öffentliche Gebäude geplant hätten.

Als der Armenische Patriarch beim Grossvezier und beim Minister des Innern nach den Gründen dieser Massenverhaftungen fragte, wurde ihm erwidert, dass die Organisation der armenischen Bevölkerung zu politischen Parteien im gegenwärtigen Augenblick von einzelnen einflussreichen Persönlichkeiten ausgenützt werden könnte, um die öffentliche Ruhe zu stören, und dass es im Interesse des Staatswohls geboten erscheine, solchen Eventualitäten durch Entfernung der leitenden Persönlichkeiten aus der Hauptstadt vorzubeugen.

Der Minister des Innern äusserte gegenüber dem ersten Dragoman folgendes:

Die Regierung sei jetzt entschlossen, dem bisherigen Zustand ein Ende zu bereiten, wonach jede Religionsgemeinschaft ihre besondere "Politik" mache und hierzu besondere politische Vereinigungen gründen und unterhalten könne. In der Türkei solle künftig nur osmanische Politik gemacht werden.

Unter den hiesigen Armeniern befänden sich eine Reihe von politisch nicht ganz sicheren Persönlichkeiten; sie seien natürlich gerade unter den tätigen Mitgliedern der Klubs und Redaktionen zu suchen. Die Besorgnis sei nicht von der Hand zu weisen, dass im Falle einer ungünstigen Wendung des Krieges diese Elemente die Gelegenheit zu Unruhestiftungen ergreifen könnten. Der Augenblick schien günstig, alle diese Verdächtigen aus der Hauptstadt zu entfernen. Unter den Verschickten gebe es sicher viele, die in keiner Weise schuldig seien. Dies leugne die Regierung nicht, und er Talaat werde aus eigenem Antrieb und ohne dass es hierzu einer Intervention bedürfe, diesen die Erlaubnis zur Rückkehr erteilen.

Die Behauptung, es lägen Beweise vor, dass für den Tag des Thronbesteigungsfestes ein Putsch beabsichtigt gewesen sei, erklärte Talaat Bey für unzutreffend.

Die Vorgänge in Van und die in diesen Tagen erfolgten Angriffe der Russen auf den Bosporus und der vereinigten Franzosen und Engländer auf die Dardanellen dürften nicht ohne Einfluss auf die Entschliessungen der Regierung gewesen sein.


Wangenheim


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