1916-04-17-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14091
Zentraljournal: 1916-A-09943
Erste Internetveröffentlichung: 2000 März
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 04/17/1916 p.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Von dem Vorsitzenden der Deutsch-Armenischen Gesellschaft Johannes Lepsius an das Auswärtige Amt

Schreiben



Potsdam, den 17. April 1916

Von dem armenischen Zentralcomité in der Schweiz erhielten wir gestern die telegraphische Mitteilung, dass die Führer der Daschnakzagan und die armenischen Intellektuellen, die am 25. April vorigen Jahres ins Innere transportiert wurden (nach Ajasch bei Angora, Tschangri, Tschorum, Aleppo usw.) nach Konstantinopel gebracht wurden, um vom Kriegsgericht verurteilt und gehängt zu werden. Es sollen im ganzen 190 sein. Unter ihnen Aknuni, Chajak, Malumian, Sartarian, Siamanto und alle im Vordergrund stehenden Männer der armenischen Intelligenz. Das Zentralcomité der Daschnakzagan richtet durch uns im Namen der armenischen Nation die flehentliche Bitte an die Reichsregierung, dass die Ermordung ihrer Führer und Intellektuellen nach der allgemeinen Deportation der schwerste Schlag, der die Nation treffen kann, durch den Kaiserlichen Botschafter in Konstantinopel verhindert werden möchte.

Wir nehmen darauf Bezug, dass auf Veranlassung des Auswärtigen Amtes im Juni vorigen Jahres die Kaiserliche Botschaft mit Erfolg für eben diese Verbannten eingetreten ist, so dass sie zum grösseren Teil bis jetzt mit dem Leben davongekommen sind.

Der Vorstand der DeutschArmenischen Gesellschaft kann nicht dringend genug anraten, dass alles geschehen möchte, um die Führer der türkischen Armenier am Leben zu erhalten. Die gegen sie gerichteten Beschuldigungen sind nachweislich unwahr und können nur durch gekaufte Zeugen und unter Tortur erzwungene Aussagen bewiesen werden. Der Zweck der vom Comité für Einheit und Fortschritt geplanten Exekution ist abgesehen von der Befriedigung des Rachegefühls für die russischen Erfolge in Hocharmenien der, durch eine öffentliche Hinrichtung den Schein zu erwecken, als sei eine allgemeine Verschwörung entdeckt worden, und so die bisherige Ausrottungspolitik zu rechtfertigen und die Notwendigkeit etwaiger weiterer Massnahmen zu begründen.

Das deutsche Interesse wird, abgesehen von den Forderungen der Humanität nach drei Seiten berührt.

1. Die Hinrichtung der Führer der türkischen Armenier wird die russischen Armenier zur äussersten Wut reizen und sie antreiben, ihre ganze nationale Kraft für die Ausdehnung der russischen Erfolge in Armenien und den Vormarsch gegen Mesopotamien und Bagdad einzusetzen. Die 1 3/4 Millionen Armenier im Kaukasus und in Südrussland, dazu ¼ Million aus der Türkei geflüchteter Armenier im Araxestal fallen für den Erfolg der russischen Operationen ins Gewicht.

2. Von armenischer Seite ist bisher mit Rücksicht auf das Schicksal der türkischen Armenier, deren Führer sich als Geiseln in den Händen der türkischen Regierung befinden, von terroristischen Mitteln gegen die verantwortlichen Leiter der türkischen Politik Abstand genommen worden. Diese Rücksicht würde nach der Exekution fortfallen. Als Antwort auf die systematische Vernichtung der armenischen Nation würde eine Ära der terroristischen Mittel einsetzen, die sich gegen Personen richten würde, die gegenwärtig für den deutschen Einfluss in Konstantinopel unentbehrlich sind.

3. Die Einstellung der Vernichtungsmassregeln gegen die türkischen Armenier würde umgekehrt die russischen Armenier veranlassen, sich im Interesse ihrer türkischen Volksgenossen zurückzuhalten und bei der künftigen Regelung der armenischen Frage mit dem deutschen Einfluss in der Türkei zu rechnen. Die russischen Armenier sind bis jetzt der Einverleibung der von Russland okkupierten armenischen Gebiete in Russland abgeneigt und wünschen unter entsprechenden Sicherheiten für den Fortbestand ihrer Nation die Erhaltung der Souveränität des Sultans. Auch das Problem, das durch die Deportation von ¾ Millionen Armeniern in die mesopotamische Wüste geschaffen wurde, berührt die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands in Cilicien und Mesopotamien. Ohne die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Existenz der Armenier bleibt auch der deutsche Handel vernichtet.

Durch die Befreiung der armenischen Führer von der ihnen drohenden Exekution kann Deutschland die verlorenen Sympathien der türkischen Armenier zurückgewinnen und auch auf die russischen Armenier in der Richtung einwirken, dass sie bei der Neugestaltung der von den Russen okkupierten armenischen Gebiete das armenische Interesse vom russischen trennen.

Es muss verhindert werden, dass sich die Sympathien von 4 Millionen Armeniern in Russland, in der Türkei und im Auslande ausschliesslich der Entente und Amerika zuwenden, und dass im allgemeinen Bewusstsein Deutschland für die verhängnisvolle innere Politik der Türkei mitverantwortlich bleibt.

Vorausgesetzt, dass der deutsche Botschafter in Konstantinopel in der Lage ist, die den armenischen Führern drohende Exekution zu verhindern, möchten wir bitten, dass in vertraulicher Weise der Vorstand der DeutschArmenischen Gesellschaft von dem Erfolg der Schritte des Botschafters in Kenntnis gesetzt wird, damit unsererseits das armenische Zentralkcomité in der Schweiz dahin verständigt werden kann, dass die Verhinderung der Exekutionen dem deutschen Einfluss in Konstantinopel zu danken ist.


Der Vorstand der DeutschArmenischen Gesellschaft.
Dr. Johannes Lepsius.


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