Deportationsbestimmungen
Das Schicksal der Armenier in deutschen Diensten

Einführung


Die Deportationen der Armenier in der Türkei 1915 und 1916 und die damit verbundenen Enteignungen des beweglichen und unbeweglichen Vermögens der Betroffenen waren von der türkischen Regierung unter Bedingungen vorgenommen worden, die keinem Armenier eine Chance gab, auch nur einen winzigen Teil seines Vermögens zu retten - es sei denn durch Bestechung. Auch die Schuldner der Armenier, im vorliegenden Fall deutsche Firmen und vor allem Banken, hatten nicht die geringste Chance, ihre Forderungen einzutreiben. Wenn es noch eines Beweises bedurfte, daß der Genozid von der türkischen Regierung zentral und gezielt durchgeführt worden ist, dann sind es diese gesetzlichen - und damit von der Regierung legalisierten - Ausführungsbestimmungen und ihre Durchführung.

Noch eine weitere Erkenntnis lassen die in dieser Edition geschilderten Einzelfälle zu: Die türkische Regierung ist von Anfang an davon ausgegangen, daß die Armenier vernichtet werden würden. Denn die Ausführungsbestimmungen waren so abgefaßt, daß eine Rückkehr der Armenier ausgeschlossen wurde. Da den Deportierten die Auswanderung, ja sogar die individuelle Ausreise in wirtschaftlich höchst erwünschten Fällen, verwehrt war, bleibt nur eine Schlußfolgerung: Ihr Tod war von der Zentrale von vornherein eingeplant.

Die deutschen Diplomaten - und damit die deutsche Politik - geben nach dem Verlauf dieser Einzelschicksale ein beschämendes Bild ab. Wann immer deutsche Konsuln, Firmen, Banken oder Einzelpersonen versuchten, ihre armenischen Mitarbeiter oder Verwandten zu retten, wurde die Botschaft in Konstantinopel zwar formal aktiv - allerdings keineswegs in allen Fällen - ,agierte aber derart kraftlos und fast ängstlich, daß es für die türkische Regierung ein Leichtes war, die Bittgesuche abzulehnen. Daß die deutschen Offiziere in den wenigen hier dokumentierten Fällen noch weit rüder mit den Armenierschicksalen umgingen, erstaunt wenig angesichts der bislang bekannt gewordenen Einstellung der deutschen Spitzenmilitärs den Armeniern gegenüber.

Nur der Standfestigkeit einiger Konsuln - konkret im Fall von Konsul Büge in Adana - ist es zu verdanken, daß wir in einem Fall nachweisen können, daß Innenminister Talaat deutsche Wünsche durch entsprechende Befehle scheinbar erfüllt hat, in Wahrheit aber seinen Gouverneur anwies, diese Wünsche abzulehnen - also seine eigenen Befehle zu mißachten. Das geschah nicht wie üblich durch Boten, die mündlich die Gegenorder überbrachten - was schwer nachzuweisen ist -, sondern durch eine handschriftliche Notiz in Osmanisch, die der deutsche Armenienspezialist der Botschaft Johann Mordtmann einsah und sofort notierte. Damit befindet sich in den deutschen Akten ein sehr handfester Beleg für das Lügengebäude angeblicher Schutzbefehle, das von der damaligen Türkei systematisch aufgebaut wurde - und heute immer wieder als angeblicher Beweis für die humane Haltung der damaligen Regierung von den Genozidleugner vorgetragen wird.

Die Dokumente über das Schicksal des Roupen Tschilinguirian, die bislang eine eigene kleine Edition bildeten, sind in dieser Edition "Deportationsbestimmungen" unter den alten Dokumentennamen enthalten. Sie sind - mit weiteren Dokumenten zum Fall - im Index leicht unter Tschilinguirian (Roupen) wiederzufinden.



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