1916-09-06-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14093
Zentraljournal: 1916-A-24118
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Aufzeichnung des Legationsrats im Auswärtigen Amt Rosenberg





Berlin, den 6. September 1916
Graf Zech hat um Material für die Beantwortung eines an den Herrn R. K. gerichteten Briefes der Großherzogin Luise von Baden gebeten, worin die armenische Frage berührt wurde.

Vfg.

2 Reinschriften der anliegenden Aufzeichnung sind S.E. Graf Zech zu übersenden.

[Aufzeichnung] 1

Als die Pforte im Herbst 1914 an der Seite der Centralmächte in den Krieg eintrat, war die Lage der armenischen Bevölkerung in der Türkei verhältnismäßig günstig. Die Armenier hatten an der Seite der Jungtürken gegen das hamidische Regime gekämpft. Die jungtürkische Regierung war ihnen daher nicht unfreundlich gesinnt. Andrerseits machte uns die durch langjährige Erfahrungen bestätigte Tatsache besorgt, daß ein beträchtlicher Teil der türkischen Armenier mit seinen Sympathien zu den Westmächten und Russland hinneigte. Diese Besorgnis gab dem AA. Veranlassung, den armenischen Patriarchen in Constantinopel bald nach dem Eingreifen der Türkei durch den damaligen Kaiserlichen Botschafter Frhr. v. Wangenheim in mehrfachen vertrauensvollen Unterredungen eindringlich daraufhin weisen zu lassen, dass jetzt die Stunde gekommen sei, wo die Armenier die oft beteuerte Loyalität gegen den türkischen Staat beweisen und sich die Grundlage zu einer gesicherten Zukunft schaffen könnten. Im Einverständnis mit dem AA. entsandte zur gleichen Zeit die Deutsch-Armenische Gesellschaft, an deren Spitze Dr. Johannes Lepsius steht, einen armenischen Vertrauensmann nach der Türkei mit dem Auftrage, bei dem armenischen Patriarchat und den politischen Führern der Armenier in Constantinopel daraufhin zu wirken, „dass das armenische Volk im engen Anschluss an die Türkei seine nationale Kraft für den Sieg der ottomanischen Waffen einsetze und in weiser Erkenntnis seiner eignen Interessen die türkische Regierung in der Durchführung aller Massregeln und kriegerischen Operationen in den von Armeniern bewohnten Provinzen nach Kräften unterstütze.“ Bei der Ausführung dieses Auftrags wurde der Vertrauensmann vom AA. und den kaiserlichen Vertretungen in der Türkei in jeder Weise unterstützt. Das Gold und die Hetzarbeit unserer Feinde sind daran schuld, dass die Armenier unseren wohlgemeinten Rat in den Wind schlugen und selbst das Unwetter entfesselten, unter dem ihr Volk so entsetzlich leiden sollte.

Nach dem übereinstimmenden Urteil unserer Vertreter hat sich die türkische Regierung während der ersten Monate des Krieges dem armenischen Element gegenüber durchaus korrekt benommen. Das erste Sturmzeichen bildete der Zwischenfall von Zeitun. In diesem fast ausschliesslich von Armeniern bewohnten, festungsartig angelegten Städtchen Südarmeniens hatte sich im März 1915 ein Trupp armenischer Deserteure verschanzt und dem ihn verfolgenden türkischen Militär verzweifelten Widerstand geleistet. Es kam zu einer regelrechten Belagerung und Erstürmung der Stadt, wobei grosse Vorräte moderner Waffen gefunden wurden. Da ein Teil der Bevölkerung mit den Aufrührern gemeinschaftliche Sache gemacht hatte, wurde nach Kriegsrecht ein strenges Strafgericht über die Stadt verhängt. Der Vorfall in Zeitun blieb nicht vereinzelt. Es kam im Anschluss daran in mehreren Städten dieser Provinz zu ähnlichen Ausschreitungen und Kämpfen, die dazu führten, dass hier mit der Evakuierung der schwer kompromittierten armenischen Bevölkerung begonnen wurde. Die Massnahmen beschränkten sich zunächst auf ein verhältnismässig kleines Gebiet und hatten nur lokalen Charakter. Immerhin war das Misstrauen der Regierung gegen die Armenier geweckt. Einen verhängnisvollen Lauf nahmen die Dinge im nächsten Monat, im April 1915, als in Hocharmenien, besonders in der Gegend von Wan, im Rücken der gegen Aserbeidschan marschierenden türkischen Truppen ein allgemeiner armenischer Aufstand losbrach, dem in wenigen Tagen tausende von Muhammedanern zum Opfer fielen. Aus nahe liegenden Gründen ist in der türken- und deutschfeindlichen Presse wenig oder nichts über dieses Blutbad veröffentlicht worden, das für die Armenier so traurige Folgen haben sollte. Unter Aufbietung starker Kräfte und mit erheblichen Verlusten gelang es den Türken, den Aufstand hinter ihrer Front niederzuschlagen. Man kann es verstehen, wenn sie nun den Entschluss fassten, solche Vorkommnisse für die Zukunft unmöglich zu machen. Hinzu kam, dass in der Hauptstadt ein gegen das Leben der türkischen Machthaber gerichtetes armenisches Komplott entdeckt wurde und dass auch sonst Anzeichen dafür vorhanden waren, dass ein Teil der Armenier mit den Feinden der Türkei in geheimer Verbindung stand. Angesichts der damaligen kritischen Lage der Türkei – die Dardanellenkämpfe standen auf dem Höhepunkt – musste die türkische Regierung mit allen Mitteln die bedrohte Sicherheit im Innern des Landes wiederherstellen. Die harte, aber militärisch verständliche Massregel der Aussiedelung der armenischen Bevölkerung aus den als Operations- oder Etappengebiet vom Krieg berührten Gegenden wurde beschlossen. Im nördlichen Teil von Mesopotamien, fern von den militärisch bedrohten Grenzen, sollten den Armeniern neue Wohnsitze angewiesen werden. Dass die Durchführung der Umsiedelungsmassregeln zur Vernichtung eines grossen Teils der armenischen Bevölkerung führen sollte, haben die türkischen Machthaber ursprünglich sicher weder gewollt noch vorausgesehen. Die beklagenswerte Entwicklung, welche nun die Dinge nahmen, erscheint bis zu einem gewissen Grade begreiflich, wenn man einerseits die nicht unberechtigte Empörung der muhamedanischen Bevölkerung, andrerseits die Primitivität der inneren türkischen Verhältnisse und den geringen Einfluss in Rechnung zieht, den die Centralverwaltung in Constantinopel in den ferner liegenden Provinzen auszuüben vermag. Für eine derartige Bevölkerungsverschiebung grossen Stils, die selbst im Frieden jahrelange Vorbereitungen erfordert hätte, war natürlich nichts vorgesehen. Es mangelte an allem, an einer geeigneten einheitlichen Organisation, an Straßen, an Transportmitteln, an Geld und vor allem an Nahrungsmitteln. Die durch den Krieg aufgepeitschten niederen Instinkte, die alten Rassen- und Religionsgegensätze taten ein übriges. Dass der nicht mehr zu hemmende Lauf der Dinge manchem der jungtürkischen Machthabern nachträglich als eine radikale Lösung der armenischen Frage nicht unerwünscht erschien, ist leider nicht unwahrscheinlich. Es wäre nicht dazu gekommen, wenn nicht die Armenier selbst dazu eine Handhabe gegeben hätten. Die moralische Schuld an den Vorkommnissen trifft neben den Armeniern selbst deren Anstifter in London, Petersburg und Paris. Bezeichnend ist ein Artikel des ”Daily Chronicle” vom 23. September 1915, der ”Our Seventh Ally” überschrieben ist und lobend anerkennt, dass das armenische Volk von Anfang des Krieges an die Sache der Entente zu der seinen gemacht, von Anfang an ohne Markten noch Feilschen an der Seite der Entente gefochten und dadurch sich das Anrecht erworben habe, als siebenter Bundesgenosse betrachtet zu werden.

Das AA. und die Kaiserlichen Vertretungen in der Türkei haben vom Beginn der armenischen Krise an alles mit diplomatischen Mitteln Mögliche getan, um das Los der Armenier zu mildern. Die Kaiserliche Regierung ist, was der Oeffentlichkeit nicht bekannt ist und vorläufig auch nicht bekannt werden darf, bei ihrem Druck auf die türkische Regierung bis zur äussersten Grenze gegangen. Zur Kündigung des Bündnisverhältnisses wegen der armenischen Frage hielt und hält sich die Kaiserliche Regierung nicht für berechtigt. Denn so bedauerlich es vom christlichen und allgemein menschlichen Standpunkt ist, dass unter dem türkischen Vorgehen mit den Schuldigen auch hunderttausende Unschuldiger zu Grunde gehen, näher als die Armenier stehen der Deutschen Regierung die Söhne Deutschlands, deren opferreicher blutiger Kampf im Westen, Osten und Süden durch die Waffenhilfe des türkischen Bundesgenossen wesentlich erleichtert wird. Die Verantwortung dafür, durch den Bruch mit der Türkei über der Armenierfrage die Südostflanke unserer Weltkampfstellung zu entblößen, konnte keine deutsche Regierung tragen und zwar umsoweniger, als die Armenier selbst durch einen solchen Schritt nicht etwa vor weiteren Verfolgungen bewahrt, sondern erst recht der türkischen Rache ausgeliefert worden wären.



1Diese Aufzeichnung entspricht weitghend dem Teil II der Aufzeichnung Zimmermanns für den Reichstag in Dok. 1917-05-09-DE-001.



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