Auf Grund der Bestimmungen des Brester Vertrags, wonach die Bezirke Ardahan, Kars und Batum von Russland geräumt und es der Bevölkerung überlassen wurde, ihre staatsrechtlichen und völkerrechtlichen Verhältnisse im Einvernehmen mit den Nachbarstaaten, besonders mit der Türkei, neu zu ordnen, hat sich die Türkische Regierung für berechtigt gehalten, diese Bezirke zu okkupieren. Sie hat aber an ihren Grenzen nicht haltgemacht, sondern den Vormarsch weiter fortgesetzt. Bei den Verhandlungen in Batum haben die türkischen Delegierten mit dem Vorrücken ihrer Truppen immer weitergehende Gebietsforderungen gestellt. Ausser Ardahan, Kars und Batum verlangten sie die Bezirke Achalzych und Achalkalaki, im Gouv. Eriwan die Bahn Alexandropol-Djulfa, einschliesslich des Gebiets westlich davon und einen 25 km Streifen östlich der Bahn, das Gebiet nördlich Batums bis in die Höhe von Kobulity, wogegen sie sich zur Rückgabe des weiter nördlich von ihnen besetzten georgischen Gebietes bereit erklärten. Wir haben der Türkischen Regierung nachdrücklichst geraten, die Grundlage des Brester Vertrages nicht zu verlassen und ihr empfohlen, die Stadt Batum nicht zu behalten, sondern den Georgiern zu überlassen, da es sonst wegen der Bevölkerungsverhältnisse und aus wirtschaftlichen Gründen schwerlich zu dauernd friedlichen Verhältnissen zwischen Türken und Georgiern kommen würde. Wir haben einen Austausch des Bezirks Batum nördlich des Tachorochflusses gegen andere und zwar von Tataren bewohnte transkaukasische Gebietsteile ins Auge gefasst und der Türkei dringend nahegelegt, sich freundschaftlich mit der Transkaukasischen Regierung zu einigen.
Statt diesem Rate zu folgen, haben die Türken jedes Mass verloren. Sie haben in Elisabethpol und anderen tatarischen Bezirken die türkische Flagge gehisst, beabsichtigen die Annexion der ganzen Gouvernemente Elisabethpol und Baku und gehen auf Baku vor, um die Bolschewisten zu vertreiben und sich dort festzusetzen. Türkische Truppen sind auf der Front südlich Achalkalaki im Vorrücken gegen Tiflis und Eriwan. Kurdischen und tatarischen Freiwilligen, die sie begleiten, rauben und morden in armenischen Ortschaften, aus denen alle Männer abgeführt werden. Die armenische Bevölkerung flieht nach Osten, wo sie alsbald auf Tataren stossen wird.
Die Lage ist ausserordentlich kritisch. Ein weiterer Vormarsch der Türken würde im Kaukasus den allgemeinen Kampf entfesseln und könnte unter Umständen Russ. Friedensabkommen [unleserlich]. Es ist ferner zu besorgen, dass die kaukasischen Christen, besonders die Armenier, dem Wüten der irregulären Truppen und der tatarischen Bevölkerung preisgegeben, ausgeplündert, aus ihren Wohnsitzen vertrieben und, wenn es ihnen gelingt, ihr Leben zu retten, in jeder Weise vergewaltigt werden. Wir können es aber weder vor unserem eigenen Volke, noch vor der Welt verantworten, wenn wir es zuliessen, dass die mit unserer Hilfe durchgesetzten Bestimmungen des Brester Vertrages als Freibrief zur Verfolgung der Christen im Kaukasus missbraucht werden. Abgesehen hiervon, werden durch das türkische Vorgehen im Kaukasus starke Kräfte den Operationen zur Verteidigung Mesopotamiens und Palästinas und zur Wiedergewinnung des verlorenen Gebietes, also den wichtigsten militärischen Aufgaben der Türkei, entzogen.
Unter diesen Umständen habe ich dem Ksl. Botschafter in Pera folgende Instruktion erteilt 1 :
1.) Die Kaiserliche Regierung wahrt sich gegenüber allen Geschehnissen im Kaukasus freie Hand. Sie behält sich namentlich ihre Stellung vor zu solchen innerhalb oder ausserhalb der Bezirke Ardahan, Kars und Batum getroffenen Maßnahmen, die mit dem Friedensvertrag von Brest-Litowsk nicht in Einklang stehen.
2.) Einen weiteren Vormarsch türkischer Truppen im Kaukasus und eine türkische Propaganda außerhalb der genannten drei Bezirke kann die Kaiserliche Regierung weder billigen noch unterstützen.
3.) Die Kaiserliche Regierung erkennt die georgische Regierung als De-facto-Regierung an und erklärt sich, vorbehaltlich der Zustimmung der russischen Sowjet-Republik, grundsätzlich zur Anerkennung der Unabhängigkeit Georgiens bereit. Sie ladet die Kaiserlich Osmanische Regierung ein, ebenso zu verfahren und die Grenzen Georgiens zu achten. Die genaue Abgrenzung Georgiens wird unter Beteiligung Deutschlands zu vereinbaren sein.
4.) Die Kaiserliche Regierung ersucht die Kaiserlich Osmanische Regierung, die angemessene Behandlung der Armenier in den von der Türkei besetzten Gebieten sicher zu stellen. Nähere Vorschläge behält sie sich vor.
5. Die Kaiserliche Regierung glaubt die Kaiserlich Osmanische Regierung darauf aufmerksam machen zu müssen, daß die Türkei aus den bestehenden politischen Verträgen keine Ansprüche gegen Deutschland auf Schutz oder Beistand für solche militärischen oder diplomatischen Aktionen herleiten kann, die sie ohne unsere Zustimmung oder gar gegen unseren Rat unternimmt. Wir lehnen für derartige auf eigene Faust begonnene Unternehmungen jede Verantwortung ab und müssen der Türkei die Folgen überlassen. Sollte sich durch willkürliche Zersplitterung der Kräfte die Gesamtlage der Türkei verschlechtern und die Erreichung der vertragsmäßig verbürgten Ziele in Frage gestellt werden, so wird sich die Türkei damit abzufinden haben, da wir uns auf eine Mehrbelastung unseres politischen Kontos ihr gegenüber nicht einlassen können. Ebenso wenig könnten wir die Türkei decken, wenn von türkischer Seite Ausschreitungen gegen die christliche Bevölkerung des Kaukasus verübt würden."
Da Gefahr im Verzuge ist, war es nicht möglich, uns vorher mit Wien ins Einvernehmen zu setzen. Ich würde aber dem Grafen Burian dankbar sein, wenn er mit grösstmöglicher Beschleunigung den Markgrafen Pallavicini anweisen wollte, die gleiche Erklärung wie Graf Bernstorff abzugeben, damit sich die Türkische Regierung einem einheitlichen Vorgehen der beiden verbündeten Grossmächte gegenübersieht und nicht den Versuch macht, die eine gegen die andere auszuspielen.
Bitte schleunigen Drahtbericht über Antw. des Grafen Burian.
1Eingefügt aus einem Schreiben (Nr. 1055) an den Legationssekretär Berckheim im Großen Hauptquartier, dem Kühlmann den vorgesehenen Text des Schreibens an Bernstorff mitteilte.