1915-11-22-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14089
Zentraljournal: 1915-A-33915
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 11/22/1915
Zustand: B
Letzte Änderung: 05/25/2016


Der Direktor des Deutschen Hülfsbundes für christliches Liebeswerk im Orient Friedrich Schuchardt an den Legationsrat im Auswärtige Amt Rosenberg

Privatschreiben



Constantinopel, den 22. November 1915

Sehr geehrter Herr Geheimrat

die mitfolgenden Berichte habe ich in einer Ausführung der Kaiserl. Botschaft zu Händen von Herrn Generalkonsul Mordtmann zu den Akten gegeben.

Mit vorzüglicher Hochachtung


ergebenst
F. Schuchardt

Anlage 1

Die Massakern in Armenien 1915 [Eigenhändiger Bericht von Alma Johansson. Häufiger als üblich von den Herausgebern korrigiert.]


Wer von den Aussenstehenden von den furchtbaren Greueltaten zu hören bekommt, die in den letzten Monaten an den Armeniern verübt worden sind, kann zunächst gar nicht die Wahrheit der Berichte Glauben schenken. Dann kommt aber auch die Frage: "Wie kam es nur dazu?"

Die wir im Lande drinn waren, haben es dazu Schritt für Schritt entwickeln sehen. (Natürlich kann ich nur von den inneren Provinzen reden, wo wir alles miterlebt haben.)

Schon bei Beginn der Mobilisierung fing ein systematisches Ausrauben der Armenier an. Es wurde nicht nur genommen, was für den Kriegsbedarf nötig sein könnte, sondern überhaupt alles, was einen Wert hatte. Jeder beliebige Türke konnte in einen Laden oder ein Haus gehen und nehmen was er wollte.

Nun ist es ja wahr, daß die Gesinnung der Armenier nichts weniger als deutschfreundlich war, aber, sie war auch nicht mehr russenfreundlich. Von den Engländern hofften sie auch nichts. Mit satanischer Schlauheit haben auch die Türken verstanden, diese Stimmung der Armenier gegen Deutschland zu reizen, natürlich um nachher Beweise liefern zu können. Z.B. wurden die unglaublichsten Geschichten von uns beiden Schwestern unter den Armeniern verbreitet, um uns so recht verhaßt zu machen.

Da nun der Krieg anfing, wurde ja alles, was in den Soldatenjahren war von den Armeniern zum Soldat genommen ob krank, blind oder Krüppel, ausgenommen denen, die sich hatten freikaufen können. Dabei konnten, bis zuletzt, von den Türken die kräftigsten Leute wegen Freundschaft oder durch Bestechung frei gehen.

Dann mußte aber all Eßbedarf nach der russischen Grenze gebracht werden, wer sollte das tun? nun, die Armenier, und da die Regierung für andere Zwecke ihnen die Tiere wegnahm, müssen sie eben die Lasten auf dem Rücken tragen. Nun ist in dem Musch-Erzerum-Gebiet der Winter sehr lang und streng, und oft brauchten die Leute 2 - 3 Wochen, bis sie an den Bestimmungsort ankamen. Nun waren die Leute dafür gar nicht bekleidet, dazu hatten sie kein Geld, und wer etwas mithatte, dem wurde es von den begleitenden Gendarmen weggenommen. Von diesen Trägern, die aus Kindern, Alten und solchen, die sich losgekauft hatten bestanden, sind Massen auf dem Wege geblieben zurfolge Kälte u. Entbehrungen. Wenn jemand vor Schwäche niederfiel, wurde er von den mitreitenden Gendarmen so lange geschlagen, bis er wieder zu laufen versuchte oder - tot niederfiel. Ein anderer frierender Kamerad zog dann die wenigen Kleider des Toten an, um sich damit ein bischen vor der Kälte zu schützen. Wenn von jeder Schar, die von Musch loszog ein Drittel - ein Viertel lebendig zurückkam, war es immerhin gut. Zwar wurden auch Kurden zu diesen Trägern genommen, aber sie liefen jedesmal davon. Und daß die Armenier so nach und nach versuchten, wer es nur konnte, zu entfliehen, kann man wohl kaum als eine so große Sünde rechnen.

Dann waren es die Geschichten der Gendarmen in den Dörfern. Zu Gendarmen für die Stadt und Umgegend ließen sich böse Leute einschreiben, die keine Beschäftigung hatten, und diese hatten nun unbegrenzte Rechte zu rauben. Die Regierung hatte nämlich gesagt, wehe dem, der den Gendarmen oder Soldaten etwas weigere. Ach, was da alles geschah, macht für sich allein eine lange, dunkle Geschichte von Gewalt und Unmenschlichkeit. Nur einige mal hat passiert, daß Armenier, um die Frauen vor der Gewalt der Türken zu schützen, sich zur Wehr setzten, was dann zur Folge hatte daß ein Dorf zum Teil oder ganz abgebrannt wurde. Da der Hl. Krieg ausgerufen wurde, sahen wir, wohin es kommen würde. Es wurden zündende Reden gehalten, daß, "da wir doch gegen den Christen Krieg führen, müssen wir zunächst die Christen im Lande ausrotten". Auch rechneten sie alle damit, daß die Russen wenigstens bis Musch kommen würden, aber, hieß es, wenn sie so weit sind, erst schlachten wir die Armenier, nachher mögen sie kommen. Im Nov. 1914 wurde es amtlich zugegeben, daß sie nur auf einen Anlaß zum Massaker warteten, sobald sie einen finden würden, würden sie nicht einen Armenier am Leben lassen.

So verging der Winter und für jeden Tag meinten wir daß jetzt die Not am höchsten sei. Im März hörten wir von Unruhen in Wan, hofften aber, die Gerüchte seien übertrieben, doch so nach und nach kamen sowohl armenische wie türkische Berichte, und sie stimmten merkwürdiger Weise miteinander, nur daß die türkischen Berichte weitergingen. Offiziere und Beamte haben uns stolz erzählt, jetzt seien die Armenier in Wan ausgerottet, "alles klein, kleingeschnitten". (Die Russen kamen erst einige Wochen später nach Wan.)

Anfang Mai hörten wir von Massakern in Bitlis und in Musch war alles für ein Massaker bereit. Da kamen die Russen nach Lies (16 Stunden von Musch), das wurde diesmal Muschs Rettung, denn jetzt ging die ganze Aufmerksamkeit dorthin, aber unheimlicher wurde es doch von Tag zu Tag. Jeder Armenier, der irgend einen staatlichen Dienst hatte wurde abgesetzt und im Stillen weggeräumt. Von jetzt ab wurden auch die Lastträger, wenn sie mit den Nahrungsmitteln an der Front ankamen, jedesmal alle umgebracht, gewiß gelang es beinahe jedesmal einer oder einige zu entfliehen. In der Zeit wurde die ganze Strecke hinter der Front von Erzerum bis zum Wansee von den Soldaten zerstört, hie und da kamen geflüchtete Frauen mit Kindern in Musch an, in welchem Zustand und was sie erzählten, läßt sich nicht wiedergeben.

Mitte Juni ließ der Mutessarif, Servet Bej (ein intimer Freund von Enver Pascha), uns beide Schwestern rufen und sagte, wir müßten in den nächsten Tagen nach Mamuret ul Asis reisen. Die deutsche und türkische Regierung in Constantinopel hätten beschlossen, daß alle Ausländer nach dorthin geschickt werden sollten. Wir baten, er möchte uns doch dort lassen, aber er war sehr aufgebracht, schrie uns an, falls wir nicht gutwillig gingen, würde er uns mit Gewalt fortschicken, "ich habe Recht dazu". Er sagte auch, wir könnten unsere Angestellten mitnehmen, aber auf die Frage, ob für sie keine Gefahr sei, antwortete er: "Euch passiert nichts, nur wenn sie einen Armenier sehen, schneiden sie ihm den Kopf ab".

Auf andere Seite wurde uns aber in freundschaftliche Weise gesagt, wir sollten nicht gehen, man hätte böses gegen uns auf dem Wege geplant. Im Juni ist sehr viel Militär durch Musch gezogen, und diese, sowohl Offiziere wie Soldaten, sprachen sich auf dem Markt sehr erregt aus, daß in Musch noch Armenier am Leben sei.

Am 10. 7. fing am Abend ein heftiges schießen an, das ein paar Stunden dauerte. Am nächsten Morgen war die ganze Stadt in Waffen. Natürlich traute kein Armenier sich aus dem Hause. Ich ging dann zum Muttessarif und bat ihn, er möchte doch für die Sicherheit unserer Häuser sorgen. Er war sehr böse, sagte es geschehe uns recht, warum seien wir nicht gegangen. Jetzt könne er nichts für uns tun. Die ganze Stadt war seit Wochen belagert, ringsum waren 11 Kanonen aufgestellt. 20000 Soldaten waren extra nach Musch gekommen außer den dort schon seienden Soldaten.

Der Mutesarif riet uns, wir möchten doch nach einem türkischen Viertel umziehen (unsere Häuser lagen nämlich im Centrum der Stadt). Wie sollten wir aber umziehen können, Schw. Bodil lag schwer krank an Typhus. Ich bat um ein paar Männer zur Hilfe und einen Ochsenwagen für die Kranke, aber das konnte er nicht geben. So mußten wir bleiben wo wir waren. Am Mittag hatte der Mutessarif die reichsten Armenier bei sich gehabt und ihnen gesagt, die ganze Bevölkerung müsse in 3 Tagen Musch verlassen haben. Ihre Familien könnten sie dort lassen, wenn sie wollten, aber ob sie sie mitnähmen oder dort ließen: Alles, was sie besäßen, gehöre der Regierung. Nun, die Reichen, die noch etwas Geld hatten, gingen darauf ein, sie dachten sie würden so wenigstens mit dem Leben davonkommen. Die anderen Armenier aber (es waren ja nicht viel Männer mehr am Leben), sagten, solche Bedingungen hieße doch nur den Tod, und so beschlossen sie, sie wollten lieber zusammen in ihren Häusern sterben; und nur, wenn Soldaten mit Gewalt hineindrängen würden, würden sie ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen. Wie gesagt, 3 Tage waren gegeben schon nach ein paar Stunden fingen Soldaten an, in den Häusern rings um uns einzudringen. Von unserem Haus konnten wir sehr vieles sehen und hören. Mehrere Frauen mit ihren Kindern, wie auch von unseren verheirateten Mädchen, kamen nach unserem Hause geflüchtet.

Folgender Morgen 12. 7. früh am Morgen hörten wir ein paar Gewehrschüsse, und gleich fingen die Kanonen an. Nun, Beschießung einer Stadt brauche ich ja nicht beschreiben. Außer den Soldaten waren alle Muschtürken bewaffnet und unter den Soldaten verteilt, da sie ja wußten, wo Wild zu fangen war. Hie und da wurde von den Häusern das Feuer erwiedert als letzte Wehr. Bald brannte es in allen Ecken. Am 2ten Morgen zog die erste eingesammelte Schar Frauen und Kinder vor unserm Hause vorbei. Ich vermag noch nicht die Bilder beschreiben, blutend, weinend --- Schon am ersten Tag wurde das Außentor vom Waisenhaus kaputtgeschlagen. Es wurde verlangt, ich sollte aufmachen, sie suchen Flüchtlinge. Einige von unseren Dorflehrern, die am vorigen Tag zu uns gekommen waren, und wegen des plötzlichen Schießens am Morgen nicht fortgehen konnten, wurden abgeführt. Dabei wurden einige Mädchen und eine Frau die neben mir standen, totgeschossen.

Am dritten Tag kamen wieder mehrere Offiziere und ein Haufen Soldaten mit Papier vom Mutessarif, daß alle, die in unseren Häusern wären, müßten ausgeliefert werden, das ganze Volk würde nach Urfa geschickt werden. Nur drei Mädchen als Bedienung samt der Diener dürften bei uns bleiben. Ich bin dann trotz des heftigen Schießen zum Mutessarif hinaufgeklettert. Er stand als oberster Befehlshaber bei einer Kanone. All mein Bitten und Flehen half nichts, die Häuser wurden geleert. Besonders ein Arzt, (Asraf Bej) [von Mordtmann in Dokument 1915-11-06-DE-012 als "Assat" notiert], benahm sich schrecklich. Er war daran mich im Haus zu schießen, und mehre mal musste ich den Hauptmann bitten, nach dem Doktor zu sehen, sonst hätte er welche schon im Garten geschossen. Hätte ich aber gewußt, daß die Kinder und Frauen nur zum Sterben fortgeführt würden, glaube ich, ich hätte darauf ankommen lassen, uns alle miteinander im Hause töten zu lassen, aber, es wurde mir aufs Ehrenwort versichert, sie würden sicher nach Urfa gebracht werden. Am selben Tag am Abend kam uns die erste Schreckenskunde zu. Ein paar Bäcker, die für die Regierung nötig waren, bekamen alles zu hören, denn alles wurde laut auf dem Markt erzählt.

Wo alle aus unseren Häusern fort waren, bekamen wir auch zwei Gendarmen zum Schutz, diese erzählten uns auch alle dieselben haarsträubenden Geschichten. Die Männer, die noch lebendig eingefangen wurden, (sie waren gar wenige), wurden gleich außerhalb der Stadt erschossen. Die Frauen wurden mit den Kindern nach den nächsten Dörfern gebracht, zu Hunderten in Häuser getan und verbrannt. Andere wurden in den Fluß geworfen. Ja, auch höhere Offiziere kamen jetzt immer zu uns zu besuchen, und sie erzählten voll Stolz dasselbe. So viel ist wahr, außer einer kleinen Anzahl Frauen, die die Kurden oder Türken für sich nahmen, ist im ganzen Muschgebiet fast alles, was armenisch heißt, vertilgt, außerhalb des Bezirks ist niemand gekommen.

Eine ganze Woche währte das Schießen, die Kanonen nur drei Tage. Ja, die Nächte war es besonders schlimm, überall konnten die Nachbarn durch den Fenstern in unseren Häusern hineinschießen. Die Wände waren auch so von Kugeln durchbohrt. Wir wußten oft nicht wie uns zu bergen. Der Geruch von den Leichnamen, ebenso von den vielen in den Häusern verbrannten war kaum auszuhalten. Hier u. da zerrten und zogen die Hunde an den Leichen - - - Musch hatte so an 25000 Armenier, dann hat Musch 300 Dörfer, die überwiegend Armenisch waren. Da wir nach drei Wochen von Musch abreisten, war alles abgebrannt. Überall auf dem Wege, wo wir Kurden vorfanden, erzählten sie uns dieselben Geschichten. Und die vielen Leichen auf dem Wege! Das waren aber nur die einzelnen, die Frauenleichen waren alle nackt.

Dann kamen wir in Mamuret ul Asis an. Dort fanden wir die Waisenhäuser voll samt einige Lehrer, aber das war auch alles. Von dort will ich wiedergeben was die dortigen Missionare erzählten.


Ende August kam wieder eine Schar von 8000 durch Mamuret ul Asis, und soweit wir von den Türken haben hören können, sind sie alle umgebracht. Jetzt waren noch einige Männer (Protestanten) zurück, aber jetzt arbeitete die Regierung mit aller Gewalt, daß sie Mohamedaner werden.

Im Anfang Oktober verließ ich Mesereh. Die Haufen von Leichen auf dem Wege! Es war kaum zu ertragen. Einige Scharen Frauen und Kinder haben wir auch begegnet, trostlos war ihr Anblick. Die mitreitenden Gendarmen erzählten offen was sie den Ärmsten auf dem Wege antuen. Auf die Frage "Wohin mit ihnen" antworteten sie: "Wenn niemand sonst sie nimmt und sie nicht sterben, müssen wir sie eben töten."

Besonders in Karput und Mesereh sind sehr viele Frauen und Mädchen von den Türken und Kurden genommen, viele von diesen Frauen haben in Amerika ihre Männer.

Als Volk kann man sagen, ist es aus mit den Armeniern, einige tausenden werden wohl noch da sein. Sollen sie auch zugrunde gehen?


Alma Johansson


Anlage 2 [Eigenhändiger Bericht von Magdalena Didszun.]

Persönliche Erlebnisse vor, bei und nach der Ausweisung der Bevölkerung von „Hadjin“ und Umgegend des Adana Vilajets.

Durch meinen mehr denn dreijährigen, zum größtenteil aus Hausmission bestehenden Dienst, in Hadjin und Umgegend, bot sich reichlich Gelegenheit, durch persönlichen, nahen Verkehr mit der türkischen sowohl, wie der armenischen Bevölkerung, die Karaktere und Verhältnisse der Leute zu studieren.

Der sehr freundliche Verkehr bis zuletzt, mit der Regierung und höheren Offizieren wie Beamtenfamilien, gab einen klaren Einblick in die nationale und religiöse Feindschaft der beiden Nationen die unter osmanischem Zepter leben.

Intimer Verkehr mit dem Volke beider Nationen war die große Hilfe zum unparteiischen Urteil bei der Beobachtung der Wirren, deren Anfang und Verlauf bis heute. Nachstehendes soll dazu beitragen die "Wahrheit" zu erkennen bei der so viel beschriebenen und besprochenen Armenier-Ausweisung. Sodann möchte es beweisen, wie bei der Sache der deutsche "Ehrenname" besudelt wird und schließlich, daß fanatischer "Christenhaß" ein gerechtes Urteil und menschliche Bestrafung unmöglich gemacht hat.

I.

Wodurch hat sich die arm.[enische] Bevölkerung verschuldet in „Hadjin“?

Hadjin mit ca 25000 Einwohnern in 3000 Häusern verfügte über etwa 200 Mausergewehre neben anderen, militärisch wertlosen kleinen Waffen und Jagdgewehren. In Hadjin waren, wie wohl in jeder Stadt der ganzen Welt, verschiedenartige Komiteen vorhanden, deren Mitgliederliste auf der Regierung niedergelegt war, und die früher als "harmlos" anerkannt wurden.

Es wäre nicht unparteiisch und weise zu behaupten, daß Mitglieder geheimer, revolutionärer Komiteen absolut nicht vorhanden wären, jedoch kann ein Kenner der Bevölkerung und ein Beobachter des Verhaltens derselben mit gutem Gewissen behaupten, daß wirkliche "Umstürzler" in Hadjin und Umgegend wenig vorhanden waren und ihre Ideen besonders bei der protestantischen Bevölkerung wenig oder gar keinen Anklang fanden.

Wäre es wirklich so gewesen, würde ein Aufruhr nicht ausgeblieben sein, als von einem Polizisten ein mir gut bekannter jg. Mann, der fünf Jahre als Gendarmerie-Unteroffizier gedient hatte, ohne jeden triftigen Grund auf dem Markte angeschossen wurde, sodaß er vom Regierungsarzt 4 Monate lang behandelt werden mußte.

Daß die ganze Sache markirt war beweist, daß weder eine Unterhandlung mit dem Polizisten noch mit dem Angeschossenen eingeleitet wurde. Als Grund der Tat wurde von dem Polizisten behauptet, der jg. Mann sei ein militärpflichtiger und gesuchter Mann, der sich geäußert hätte, er wolle den Polizisten erschießen - er habe dem nur vorbeugen wollen, deshalb zuerst geschossen.

Daß diese Aussage des Polizisten sehr unlogisch ist, wurde wohl vergessen. I. Ein sich dem Auge der Gerechtigkeit Entziehender wird sich wohl kaum morgens um 11 Uhr auf offenem Markte sitzend aufhalten. II. Hätte er sich tatsächlich mit Mordgedanken abgegeben, würden doch, als er zu Boden fiel, bei der sofortigen Untersuchung Waffen irgendwelcher Art vorgefunden worden sein, was aber nicht der Fall war.

Diese Sache ereignete sich, als die bekannt gewordene Verschwörung in "Dörtjol" bereits alle Gemüter bewegte, und die Hadjinbevölkerung in trübe Vorahnungen versetzte. Hätte man damals wirklich Revolutionsgedanken gehegt, würde die empörte Hadjinbevölkerung durch die ungerechte Tat des Polizisten sicherlich mit der Regierung zusammengestoßen sein, was aber nicht der Fall war, man ballte zwar die Faust in der Tasche bei der geduldeten Ungerechtigkeit und - schwieg.

Wenn ein "Expiriment", die Bevölkerung zu erregen, mißglückte, wurde von niedriggesinnten Personen etwas anderes ausgesonnen. Leider muß man bekennen, daß es unter den Armeniern Leute giebt, die nicht davor zurückschrecken, ihrem eigenen Volke Gruben zu graben um eigenen Vorteils willen, oder aus Haß gegen einzelne Personen, die sie vernichten möchten. So wurde von sehr jungen Burschen aus dem Hindschack-Komitee ein Aufwiegelungs-Schrift-stück in armenischer Sprache verfaßt und an den Kirchentüren angebracht. Die zuerst Lesenden ahnten den gemeinen Streich und rissen dasselbe sofort herunter - nach kurzer Zeit fand man ein zweites, was von der armenischen Bevölkerung der Regierung ausgeliefert wurde zur Untersuchung und um Unheil zu verhüten. Es wurden fünf jg. Burschen beschuldigt, von denen bereits zwei erhängt wurden, zwei hundertjährige Strafen zuerteilt bekamen, und einer, der Hauptanführer dieser Sachen, ein oftmals vorbestrafter Dieb, Schwindler, Bomben- und falsches Geldmacher, bot seine Dienste zur Vernichtung seines eigenen Volkes der Regierung an, um seinen Kopf zu retten. Er wurde in Freiheit gesetzt und als ausgesprochener Liebling der Regierung diente er derselben durch seine wahren und lügenhaften Aussagen, die es herbeiführten, daß im Anfang Mai große gerichtliche Untersuchungen eingeleitet wurden, durch den dazu berufenen Alai-Bai von Adana.

Es wurden alle Soldatenflüchtlinge bei Erlassung der Strafe eingefordert und alle meldeten sich bis auf zwei, die später kamen und ohne Verurteilung auf dem Wege nach Adana zum Kriegsgericht, von den sie bringenden Gendarmen erschossen wurden, weil sie geflohen seien - ob das wohl möglich war, nachdem sie mit schweren Ketten gebunden zu Fuß gingen?! Einer der Erschossenen hatte als Sohn wohlhabender Familie etwa 40 Lr. [Lira] mitgenommen, die verschwunden sind - trotz Gendarmerie-Bewachung -. Die um die Leichen bittenden Familien erhielten keine Erlaubnis zur Bestattung derselben, und mußten sie auf dem Felde als Futter für Geier und Schakale liegen bleiben. So waren alle Soldatenflüchtlinge ausgeliefert und nun wurden alle Waffen eingefordert, mit der Versprechung, daß kein Militär einziehen werde, wenn man wie bisher gehorsam und willig alles ausliefern würde. Noch ehe das Geforderte ausgeliefert sein konnte, rückten an 2000 Soldaten ein, was dazu beitrug, daß sich eine große Angst der Bevölkerung bemächtigte und so wurde ein Teil der Waffen nicht ausgeliefert, zum Selbstschutz, wozu überhaupt einzig und allein Waffen in Hadjin vorhanden waren, nicht etwa für Revolutionszwecke wie vermutet wurde. Daß diese Behauptung aufrecht erhalten werden kann, beweist eben der Umstand, daß die Regierung im besten Verhältnis mit der Bevölkerung stand und von dem Bürgermeister sowohl als Gendarmerie und Polizei-Ober-häuptern, ja sogar vom Wali-Pascha, das gehorsame Verhalten Hadjins anerkannt wurde. Auch der Alai Bai gab zu, daß die Bevölkerung zwar einfältig, aber nicht gefährlich sei und so schwor er, falls der Rest der Waffen ausgeliefert würde, sollte kein Haar gekrümmt werden usw. Trotz aller gegenteiligen Erfahrung wurde wieder geglaubt, und man ermunterte sich gegenseitig doch ja auch die wertlosesten Waffen und Instrumente auszuliefern, was auch geschah.

Inzwischen wurden an 200 der wohlhabendsten, gebildeten Armenier gefangen gesetzt, unter diesen waren sehr viele, für die man mit gutem Gewissen Bürge sein könnte, daß sie nie in politische Sachen verwickelt waren und des Staates untertänige Bürger. Nun begann trotz aller Schwüre und Versprechungen von seiten der Regierung und trotz Auslieferung aller Waffen und Flüchtlinge, trotz Befolgung aller Gebote und Verbote, die Ausweisung innerhalb von 1 – 3 Tg. zuerst der vornehmen, gebildeten Klassen unter Zurücklassung fast aller Habe, weil nur wenig Tiere geliefert wurden. So dauerte die Ausweisung fort, bis Anfang November und obwohl in Hadjin im Gegensatz zu andren Orten alles ruhig vor sich ging, ist es dennoch unmöglich, den Jammer und das Elend zu beschreiben, es muß gesehen sein, um es zu verstehen. Nur Weniges von Vielem lasse ich als Beispiel folgen.

An der Spitze steht, daß Frauen die wenige Tage und sogar Stunden vor der Geburt oder nach derselben stehend, um Erlaubnis für einige Zeit baten, die nicht gewährt wurde und so viele völlig ruiniert sind, weil sie unter schrecklichen Qualen und Entbehrungen auf offenem Felde gebären mußten. Ebenso wurde mit Krüppel, Lahme und Blinde z. Teil verfahren. Ein sehr kleiner Rest solcher Elenden wurde schließlich in Hadjin zurück gelassen.

Da für große Familien mit kleinen Kindern sehr spärlich Tiere bewilligt wurden, blieb fast alles Hab und Gut zurück, und d.h., daß reiche Fam. mit einem Schlage bettelarm wurden, weil ihr Reichtum in Ware und Vieh bestand. Dazu kam, daß die Tiertreiber, die ohne jede Vergütung von der Regierung gezwungen wurden, die Leute zu bringen, nach ein oder zwei Tg. die Lasten auf dem Felde abwarfen und mit den Tieren entflohen. So begann denn schon der Hunger ehe Osmania erreicht war, denn was kann ein Mensch auf dem Rücken tragen, besonders mit kl. Kindern?!!

Eine Partie wurde sogar unter Stockschlägen ohne Tiere davongejagt. So z.B. war eine Frau mit 4 kl. Kindern ohne Mann, die ohne jedes Tier fortgetrieben wurde und Nahrung für 5 Tg mitnehmen sollte, d. hieße für 5 Personen so viel wie für 25 Tg. Was konnte sie wohl mitnehmen? Ihren Säugling? Oder mehr als 1 Bett? Oder Wäsche für 5 Personen?! Oder Brot?! Oder Weizen?! Außer ihrem kl. Kinde ist sie wohl kaum fähig das eine oder andere für Monate zu schleppen und dazu kam, daß die Leute oft aus den Häusern herausgeholt wurden und dann tagelang 3-5 Std. von der Stadt entfernt warten mußten - also dort schon das wenig Mitgenommene verzehrten und dann hungerten.

Auf meiner jetzigen Reise nach Konstantinopel begegnete ich noch unzähligen dieser vor Hunger Sterbenden, halb Nackten, Kranken, unmöglich zu beschreiben - vielleicht vermögen es die deutschen Offiziere zu tun, die diesem Elend ja auch begegnet sind.

Dazu kommt noch, daß Vielen, die etwas mitnehmen konnten, alles geraubt wurde, was von Gendarmen offen zugegeben wird (die zur Begleitung mit waren). Bei dem Anblick all diesen Jammers, und unmenschlichen Behandlungen kommt mir immer wieder in den Sinn, was mir hohe türk. Offiziere sagten: Mad[ame]. Unsere Regierung übt nur Gerechtigkeit und Milde, Deutschland wollte, daß wir die Armenier aus der Welt schaffen sollten, aber wir sind so barmherzig, daß wir sie nur ausweisen - wir geben so viele Tiere, daß sie alles mitnehmen können, ferner werden sie unter bester Hilfe und Schutz ans Ziel gebracht, dort werden ihnen Häuser Gärten & Weinberge im Werte der zurückgelassenen gegeben und so fangen sie dort neu an und werden bald wieder reich sein. Dieses und ähnliches ist der allgemeine Bericht, der von türk. Seite den Deutschen geliefert wird - Tatsache aber ist, daß von allen Ausgewiesenen 2/3 ohne Lasttiere, also ohne Hab und Gut, ja bei Zurücklassung des Allernotwendigsten ohne jeden Schutz und Hilfe in die Wüste verschickt werden, wo die Araber schon warten, um alles zu rauben bis aufs Hemd, ja sogar das noch - den Frauen werden, wenn sie Goldblomben besitzen, die Zähne unter Qual herausgerissen u.s.w.

Diesen letzten Satz wage ich zu schreiben, weil er einem Briefe aus der Wüste entnommen ist. Ein armenischer Soldat, der auf Urlaub kam, ist solchen Elenden begegnet und hat einen Brief an Zurückgebliebene im Schuh versteckt durchgeschmuggelt, um falsche Hoffnungen zu zerstören - in dem Briefe stand ferner, daß es kein Wiedersehen gäbe, weil alle vor Hunger sterben, oder von den Beduinen ermordet werden.

Das ist das Los aller Armenier hinter Aleppo!! Natürlich wird dennoch ein kleiner Überrest bleiben und der kann ja später mehr ans Licht bringen --- ich muß noch einmal auf mein Augen & Ohrenzeugen Bereich Hadjin zurück kommen.

Als sz. die Verschonung, d.h. ein Befehl, der Protestanten in Hadjin nicht mehr verheimlicht werden konnte (wie es zuerst geschah), wurde den Prot.Nichtausweis versprochen, nach kurzer Zeit aber alle unter größeren Schwierigkeiten als andere, bis auf 5 Familien ausgewiesen. Galt denn dieser barmherzige Befehl nicht Allen?!

Bei alledem wurde mir offen gestanden, daß Hadjin der Regierung nie Schwierigkeiten gemacht habe. Der Polizeikommissar bekannte: Ich bin 3 Jahre hier und habe nie klagen brauchen - ich bedauere aufrichtig das Schicksal Hadjins, es ist nicht gerecht -ähnlich äußern sich der Gendarmerie-Hauptmann und manche Beamten, die Hadjin kannten.

Und nun der Schluß und die Krone meiner persönlichen Erlebnisse in Hadjin.

Am 3. Oktober 1915 abends 9 Uhr meldete plötzlich ein Schuß Feuer & zwar auf der Mitte des Marktes in unmittelbarer Nähe meiner Wohnung. Ich beobachtete eine kl. Zeit, wie absolut nichts getan wurde zu löschen - plötzlich flog ein Feuerstrahl in entgegengesetzter Richtung des Feuerherdes. Die Ursache?! Anstatt Wasser hatte man Petroleum in die unter türkischen Beamten gehandhabte Spritze gefüllt, und so sollte der Brand gelöscht werden. Natürlich trug es genügend dazu bei, daß heute von 3000 Häusern spärlich 500 elende Hütten (das Türkenviertel) übrig geblieben sind. Alle schönen Armenierhäuser, die Kirchen, das große amerik.[anische] Waisenhaus, natürlich auch meine Wohnung - alles ist dahin. Hadjin ist ein Trümmerhaufen.

Die in einer der größten Kirchen aufgehäuften Sachen der Ausgewiesenen wurden alle dem Feuer preisgegeben, um keine Rechenschaft ablegen zu brauchen, wie sich ein hoher Beamter äußerte, als er gebeten wurde, zu erlauben daß die Kirche schnell entleert würde! Die prot. Kirche, hoch gelegen, durch Straßen von den Häusern getrennt, brannte schon, ehe die nächsten Häuser brannten - weshalb?! Augenzeugen und zwar der Helfer des prot. Mechtars Albarian sah, wie Gendarme den Glockenstuhl erstiegen, dort mit Petrol.[eum] Feuer gaben, dann hinab in die Kirche, abermals Feuer gaben und ebenso in der Schule im selben Hofe. Der Mann versuchte dann sofort, das Harmonium zu retten, was aber nicht gelang.

Ich befand mich die ganze Nacht auf der Straße und sah Händeringen der wenigen Armenier, die alles verloren hatten. Acht Tg. später wurden auch diese bis auf 10 Handwerkerfamilien, einige Soldatenfrauen, Krüppel, Blinde etc., etwa 200 Personen, alle ausgewiesen, nackt und ohne Mittel, weil alles verbrannt war.

Der Hauptmann kam zu mir auf der Straße, reichte mir die Hand und - weinte, so sehr war er erschüttert. Auf meine Frage, wie das Feuer entstanden sei, zuckte er mit einem vielsagenden Blick die Achseln. Einige natürlich waren schnell bereit mit der Antwort, es hätten die Christen getan - als man sah, daß es nicht stichhaltig sei, hieß es, ein Neueingewanderter aus Salonik, ein türk. [unleserlich] hätte es durch Unvorsichtigkeit angezündet - er wurde aber bald in Freiheit gesetzt und nun ist es ein offenes Geheimnis, daß der Bürgermeister sehr gut wisse, wie es entstanden sei. Es gaben sich sogar Türken als Zeugen dafür her!

Hiermit möge Hadjin für erledigt angesehen werden und verbürge ich jedes Wort, was ich niedergeschrieben habe - alles und noch tausendfaches mehr habe ich selbst gesehen und gehört.

Erwähnt sei noch, daß der Bürgermeister mich fragte, ob ich gehört habe, wie massenhaft Bomben explodiert seien, so schlecht seien die Armenier, die sie alle versteckt hätten. Als ich ihm dann mit voller Überzeugung antworten mußte, es sei Petroleum, und in der Apotheke große Benzin & Spiritosenflaschen, ferner Steinesprengpulver in den versiegelten Bazars gewesen und hier und da einige Patronen, wenn es Bomben gewesen wären, wäre das am Knall offenbar geworden, ebenso an der Zerstörung, da schwieg der Herr. Mad.[ame] Sie denken sehr scharf, sagt er, wenn man ihn überzeugte.

Nur noch in kurzen Skizzen was meinen Augen und Ohren aus den Nachbarortschaften begegnet haben.

Aus Fecka wurden alle, auch die Protestanten, ausgewiesen, nur nicht die Soldatenfrauen - dagegen aus Yerebakan alle auch die Soldatenfrauen wurden geschickt. Dasselbe Loos traf Roomlo & Schaar, letztes Dorf vorwiegend protestantisch, wo kaum ein Mausergewehr vorhanden war. Diese Bevölkerung ist sehr arm und das Wenige, was sie mitnahmen, wurde hinter Hadjin auf dem Felde ausgeschüttet. Alle sind nach Dersor & Cham verteilt, was für die Mehrzahl Tod bedeutet, durch den gewaltigen Klimawechsel und - Hunger. Was in Everek & Umgegend verübt wurde, bezeugt der protestantische Prediger von dort und kann ich für die Wahrhaftigkeit des Mannes bürgen. Auch hat die dortige deutsche Missionarin jedenfalls berichtet.

Kurz, ein Mann wurde künstlich aufgepumpt und in dem Zustande bekam er bis 900 Stockschläge. Die Frau eines arm. Priesters wurde grauenhaft zerschlagen, weil sie ein gefordertes Heft nicht herausgeben konnte, da es verbrannt war. Die prot. Predigersfrau, die mit ihr im Gefängnis war, pflegte sie und bezeugt, daß sie von 4 Personen von Zeit zu Zeit hinausgetragen werden mußte. Die Füße Vieler waren blutüberströmt & sie wurden gezwungen auszusagen, daß irgendeine Wunde ausgebrochen sei. Glühende Kohlen wurden unter die Kleider gesteckt, Nadeln unter die Fingernägel gejagt usw. In Schimakle wurde ähnlich gehaust. Zehn Männer wurden ohne weiteres erschossen & dann ausgesagt, sie hätten sich empört, was doch sehr fraglich ist, weil den Leuten längst alle Waffen abgenommen waren. In Kaisaria wurden viele ohne jede Schuld erhängt, unter anderen ein arm. Priester, indem sein Rock an den Zipfeln nach zwei Seiten hin gebunden wurde und ebenso sein grauer Bart. Aus der armenischen Kirche wurde das Kreuz zertreten und mit Schmähungen beworfen u.s.w.

Ist es nicht auch das Kreuz was für Deutschland und seinen geliebten Herrscher das Heiligste ist? Und nun komme ich zu den Aussagen der türk. Beamten, Soldaten, Männer, Frauen & der Kinder. Alle sagen es ohne Scheu, daß es einzig Deutschland sei, das diese entsetzlichen Greuel an der arm.Bevölkerung angeraten habe. Sie sagen u. A.: Wir lernen alles von Deutschland und, sind die Deutschen denn nicht auch Christen? Aber gerade diese sind es, die uns rieten, keine Armenier übrig zu lassen. Ein Offizier sagte mir: Die Deutschen sind sehr hart, aber wir sind milde gegen diese schlechten Armenier.

So wie unsere "Feinde" den deutschen Namen durch Unwahrheit entehren wollten, so ähnlich tun es Deutschlands "Freunde", um die Armenier zu überzeugen, daß nicht die türk. Regierung all diese Greuel verübt, sondern die Deutschen, d.h. auf deren "Befehl"!!! Wohlunterrichtete Armenier glauben das ja nicht und hoffen in Deutschland den endlichen Retter zu finden, aber wann? Das ist die bange Frage aller. Der große ungebildete Haufe sieht in Deutschland den Feind - kann man es verdenken, wenn unter deutschem Deckmantel solche Unmenschlichkeiten und Ungerechtigkeiten verübt werden?!

Zum Schluß möchte ich den fanatischen "Christenhaß" als Triebfeder der meisten Untaten beweisen. In Hadjin, Everek & Kaisaria wurde der Vorschlag gemacht: Jeder, der Mohamedaner würde, sollte nicht ausgewiesen werden, und so geschah es in Hadjin und Kaisaria. Die in Everek Moslem gewordenen Armenier wurden in Ssiss verteilt. In Kaisaria nahmen an 300 Fam. den Islam an und in Hadjin an 30 Familien, aber nicht etwa aus Überzeugung, sondern nur dem sicheren Tode und der Qual zu entgehen, wie sie offen bekennen, wenn man mit ihnen spricht.

Ist demnach die Ausweisung aus rein politischen Gründen geschehen oder aus Christenhaß?! Wenn es rein politisch wäre, müßte man doch anerkennen daß, wenn ein politisch gefährlicher Armenier dem Namen nach Mohamedaner wird (& zwar gezwungen), dennoch Armenier bleibt und nun erst recht politisch gefährlich wird, weil die Regierung mit seinem Heiligsten Spott treibt. Kann ein bis aufs Blut gequälter schlechter Armenier durch gezwungenen Religionswechsel ein guter, vaterlandsliebender "Türke" werden?! Niemals!!!

Bei allem Gesagten und in etwa Beleuchteten ist man dennoch weit entfernt zu behaupten, daß die Armenier völlig schuldlos seien, leider ist die Ursache im arm. Volke zu suchen, aber nur in einzelnen Gegenden, einzelnen Städten und unter einzelnen Personen. Sicherlich war es sehr unweise, in dieser Kriegszeit hier und da den Schutz anderer feindlicher Mächte zu suchen, aber wenn man das seit jahrhundert unter Ungerechtigkeit und Unterjochung schmachtende Volk betrachtet, wenn man mit zusehen muß, wie sie stets bis aufs Blut ausgesogen wurden, wie sie ihres Fleißes, ihrer Strebsamkeit und dadurch auch Reichtums wegen mit Neid und des Christennamens wegen mit Haß behandelt werden, dann stimmt es das Urteil milder, als es einem deutschen Umstürzler wohlverdient zukäme. Im deutschen Reiche, wo Gerechtigkeit, Milde und Religionsfreiheit herrscht, giebt es leider noch allerlei Revolutionäre - wollte deswegen unser ganzes Volk schuldig gesprochen und unbarmherzig bestraft werden?!

Auch unter den Armeniern sind es im Verhältnis nur Einzelne, die die Sehnsucht nach Befreiung nicht unterdrückten, einzelne, die wirklich schlecht gehandelt haben -soll nun deswegen unbedingt der Vernichtungsplan ungestört von der türk. Regierung ausgeführt werden dürfen?!! Ein hoher gut orientierter türk. Beamter sagte seinem Freunde Dr. Redschebian in Adana unter dem Siegel der Verschwiegenheit: Von den ausgewiesenen Armeniern kommt niemand zurück, alle, die von Aleppo weitergeschickt werden, werden den Kameltreibern in der Wüste übergeben, und dort verschwinden sie, ohne das je nach ihnen gefragt wird. Daß dieser Beamte die Wahrheit sagt ist bewiesen dadurch, daß er sz. behauptete, die türk. Regierung würde sich nicht darum kümmern, daß es ein Gebot gäbe, die Protestanten und Katholiken nicht auszuweisen. Genau so ist es überall da geschehen, wo wenig Europäer vorhanden waren, da kannte man keine Protestanten.

Ich bin mir des Schwerwiegenden meiner Aussagen bewußt, doch bin ich bereit, sie alle aufrecht zu erhalten, weil sie ohne jede Schminke der Wahrheit entsprechen und dazu sehr verkürzt sind. Möge ein Mittel gefunden werden, die Schande zu beseitigen, die frevelhaft auf den Namen des christlichen Deutschlands geworfen wurde!!!


M.[agdalena] Didszun



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