1916-08-24-DE-002
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Quelle: DE/PA-AA/R14093
Zentraljournal: 1916-A-22639
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 08/25/1916 a.m.
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Vereinigung (Ernst Jäckh) an den Legationsrat im Auswärtigen Amt Rosenberg

Privatschreiben




Berlin, den 24. August 1916

Sehr geehrter Herr von Rosenberg!

In der Beilage überreiche ich Ihnen auch zu Ihrer Orientierung die Meinung von Geheimrat Schmidt über den Karlsruher Theaterplan.1

Sodann erlaube ich mir die Anregung, ob es nicht möglich ist, den Pastor Stier durch ein Verbot daran zu hindern, seine Armeniervorträge zu halten. Er reist in ganz Deutschland herum und verursacht viel Verwirrung. Ist es nicht möglich, die Oberkommandos anzuweisen, ihm die Erlaubnis zu verweigern?

Mit besten Grüssen


Ihr ergebener

Jäckh


[Notiz Tiedemann 26. 8.]

Die [folgenden] Anlagen sind von H. Dr. Jäckh überreicht und z.d.A. (A 22639 [Zentralregister-Nummer des obenstehenden Schreibens]) zu nehmen.

Die Niepage’sche Schrift ”Ein Wort an die berufenen Vertreter des deutschen Volkes” ist durch Verfügung der Oberzensurstelle vom 10. d.Mts. beschlagnahmt worden.


Anlage 1


Abschrift.

Friedenau-Berlin, den 15. August 1916.
Stierstrasse 19.I.

Lieber Jäckh.

Ich habe heute meinen Austritt aus der Deutsch-Türkischen Vereinigung angemeldet. Den Grund ersiehst Du aus der beiliegenden Briefkopie. In den nächsten Tagen wirst Du einige Exemplare der Schrift von Niepage bekommen. Der Inhalt ist so fürchterlich, dass ich jetzt nicht mehr anders kann, als die letzte, bisher noch mühsam und mit schlechtem Gewissen festgehaltene Brücke zu dem Gedanken einer innern deutsch-türkischen Gemeinschaft abbrechen. Ich werde und muss natürlich während des Krieges in der Oeffentlichkeit schweigen, aber ich werde den Niepageschen Brief vertraulich verbreiten, und sobald die armenische Frage in der Oeffentlichkeit wieder behandelt werden darf, eine Darstellung der Ereignisse so wahrheitsgetreu wie ich sie ergründen kann, geben, mit der Forderung: So lange die Türken hierfür keine Sühne leisten, muss der deutsche Name in der Welt als beschimpft gelten, kann es kein gutes deutsches Gewissen, weder im Morgenlande, noch im Abendlande geben. Ich bin überzeugt, und sehe es klar vor Augen, dass die jetzige Armenierpolitik der Türken das Todesurteil über die Türkei ist. Wenn diese Dinge öffentlich bekannt werden, so gibt es überhaupt keine Möglichkeit mehr, sich Seite an Seite mit den Türken zu zeigen, es sei denn, die Türken sind vorher zur Busse und Genugtuung gezwungen worden. Ich wenigstens werde mit aller meiner Kraft dafür eintreten, und sollte der Tag kommen, wo ich die Unmöglichkeit einsehe, etwas Derartiges zu erreichen, so werde ich die dann für mich einzig mögliche Folgerung ziehen und aufhören, Deutscher im politischen Sinne zu sein. Für ein Vaterland, das diese entsetzlichen Greuel erträgt, werde ich auch dann noch nicht aufhören zu arbeiten, aber vor der Welt angehören könnte ich ihm nicht mehr.

Ich weiss, dass Du meinen Standpunkt objektiv missbilligst, aber Du wirst ihn subjektiv verstehen.

Viele herzliche Grüsse


Dein
[Paul Rohrbach]


Anlage 2

Abschrift aus einem Brief von Generalkonsul Elfeldt, Bremen, an Professor Jäckh vom 10.8.1916.

Ein hiesiger Pastor übermittelte mir heute eine Broschüre: ”Als Manuskript gedruckt!” ”Streng vertraulich”


Bericht
über die Lage des Armenischen Volkes in der Türkei von Dr. Johannes Lepsius Vorsitzender der Deutschen Orient-Mission und der Deutsch-Armenischen Gesellschaft. 1916; Tempelverlag, Potsdam.

Eine ganz niederträchtige Verdrehung!

Der Pastor teilt mir mit, dass diese Broschüre hauptsächlich den deutschen Geistlichen mit der Bitte um Beiträge geschickt würde und sehr böses Blut mache.

Es ist doch eine Schande, dass so etwas erlaubt ist. Können Sie es nicht unterdrücken?


Anlage 3


Streng vertraulich

Marburg, den 2. August 1916
An die Mitglieder der Deutsch-Armenischen Gesellschaft

Durch die von der türkischen Regierung angeordnete und größtenteils bereits durchgeführte Deportation fast des gesamten armenischen Volkes innerhalb des osmanischen Reiches hat unsere Gesellschaft den schwersten Schlag erlitten, der sie hätte treffen können. Da es unter den jetzigen politischen Verhältnissen völlig unmöglich ist, diese Vorkommnisse in der Presse zu besprechen, ist die öffentliche Meinung über die wirkliche Sachlage nicht nur nicht unterrichtet, sondern vollständig in die Irre geführt. Wir halten es deshalb für unsere Pflicht, unseren Mitgliedern genaue Informationen zugehen zu lassen. Die Möglichkeit dazu hat uns der Vorstand der Deutschen Orientmission durch freundliche Ueberlassung der erforderlichen Exemplare einer Denkschrift gegeben, die Ihnen gleichzeitig zugeht. Der Bericht ist ”als Manuskript gedruckt”, er darf weder im Ganzen noch in Teilen der Oeffentlichkeit zugänglich gemacht oder benutzt werden. Wir fügen dazu noch eine Besprechung des jüngsten türkischen Versuchs, die Schuld der Armenier zu erweisen. Der Deutschen Reichsregierung sind die Tatsachen bekannt. Sie hat getan, was sie konnte, um das Verderben aufzuhalten. Eine Eingabe von etwa fünfzig angesehenen Vertretern der evangelischen Kirche, der theologischen Wissenschaft und der Mission und eine entsprechende Eingabe von katholischer Seite an den Reichskanzler haben den Sorgen und Wünschen der deutschen Christenheit Ausdruck gegeben. Der Reichskanzler hat darauf folgende Antwort erteilt:
Dazu ist von amtlicher Seite ausdrücklich versichert worden, die deutschen Christen dürften sich darauf verlassen, daß ihre Bestrebungen zur Linderung der Not von seiten der Reichsregierung nachdrückliche Unterstützung finden werden.

Unser politisches und militärisches Interesse legt uns notwendige Rücksichten auf. Die Türkei ist unser Bundesgenosse. Sie hat nächst der Verteidigung ihres eigenen Landes auch uns durch die tapfere Behauptung der Dardanellen Dienste geleistet. Die beherrschende Stellung, die der Vierbund gegenwärtig auf dem Balkan einnimmt, ist neben den deutsch-österreichi-schen und bulgarischen Waffentaten auch den territorialen Zugeständnissen der Türkei an Bulgarien zu danken.

Legt uns so die Waffenbrüderschaft mit der Türkei Verpflichtungen auf, so darf sie uns doch nicht hindern, die Gebote der Menschlichkeit zu erfüllen. Unsere Gesellschaft muß sich in erster Linie für verpflichtet halten, zu tun, was in ihren Kräften steht, um die noch verbliebenen Reste des armenischen Volkes vor der völligen Vernichtung zu bewahren. Es handelt sich um etwa 600000 Menschen, Greise, Frauen und Kinder, die sich ohne irgendwie zureichende Fürsorge am Rande der mesopotamischen Wüste befinden und dem Hungertode entgegengehen, wenn ihnen nicht schleunig und nachhaltig geholfen wird.

Der Reichskanzler ist unter Mitwirkung unserer Gesellschaft gebeten worden, einer deutschen Hilfsexpedition von Aerzten, Krankenschwestern und mit den Landesverhältnissen vertrauten Personen bei der türkischen Regierung die Reiseerlaubnis zu erwirken. Dies Gesuch ist von der türkischen Regierung abgelehnt worden trotz warmer Befürwortung deutscherseits. Dennoch ist, wenn auch in geringerem Umfange, durch deutsche Beamte und Missionare Hilfeleistung möglich. Von allen christlichen Völkern sind wir Deutschen die nächsten dazu, den Unglücklichen Samariterdienste zu leisten. Anderen Nationen, die hilfsbereit wären, ist der Weg zu den Unglücklichen versperrt.

Wir bitten unsere Mitglieder, da eine öffentliche Sammlung nicht statthaft ist, so viel wie möglich in den ihnen zugänglichen Kreisen für das Hilfswerk tätig zu sein und ihre Spenden unter Benutzung des beiliegenden Postscheckformulars einsenden zu wollen.


Der Vorstand.
I.A. Stier

Zur Aufklärung über die angeblichen armenischen Aufstände

Um die Beschuldigung, daß die Armenier der Türkei das Schicksal der Ausrottung durch ihre politischen Aspirationen und revolutionären Umtriebe verdient hätten, hat die türkischen Regierung ein als ”Weißbuch” angekündigtes Album herausgegeben, das auf 64 Seiten Abbildungen und Photographieen enthält, denen denunziatorische Erklärungen beigefügt sind. Das ganze Bilderbuch, das nicht mehr als 4 völlig belanglose Dokumente enthält, ist eine grobe Spekulation auf die Unwissenheit und Kritiklosigkeit von Lesern, die die Türkei nur vom Hörensagen kennen.

Es muß daher vorausgeschickt werden, daß die Hälfte der armenischen Nation in Rußland, hauptsächlich im Kaukasus lebt, und wie in früheren Kriegen selbstverständlich auch in diesem willig oder unwillig gezwungen war, unter russischen Fahnen gegen die Türkei zu kämpfen. So wenig man den russischen Polen ein Verbrechen daraus machen kann, aufseiten Rußlands zu kämpfen, so wenig wird ein Urteilsfähiger den russischen Armeniern eine Parteinahme für Rußland zum Vorwurf machen können. Selbstverständlich gibt es auch in Rußland armenische Revolutionäre. Und die Partei der Daschnakzagan wurde bis in die letzte Zeit in Rußland verfolgt. In der Türkei hat dieselbe Partei, die einzige, die als politische Organisation der türkischen Armenier in Betracht kommt, im Verein mit den Jungtürken die Autokratie Abdul Hamids gestürzt und seitdem das Komitee für Einheit und Fortschritt politisch unterstützt. Die Führer der Daschnakzagan waren mit jungtürkischen Führern befreundet. Die kleine Auslandsgruppe revolutionärer Hintschakisten hatte seit der Konstitution allen Boden im armenischen Volk verloren.

Sodann muß vorausgeschickt werden, daß in Friedens- und Kriegszeiten Jedermann im Innern der Türkei zu seiner persönlichen Sicherheit Waffen trägt. Araber, Kurden, Tscherkessen, Turkmenen, Lasen haben ihre Waffen im Kriege behalten, nur die Armenier wurden entwaffnet.

Nach den neuesten Nachrichten, die Deutsche aus Aleppo mitgebracht hatten, wird die Zahl der ermordeten Armenier von deutschen Konsuln auf annähernd eine Million berechnet. Zu den dreihunderttausend Erschlagenen, die schon im Herbst von Enver Pascha gegenüber Dr. Jäckh eingeräumt wurden – wobei es sich hauptsächlich um Männer handelte – sind also über eine halbe Million Frauen und Kinder hinzugekommen, die auf dem Wege zur Wüste durch Massakres, Krankheiten und durch Hunger gestorben sind. Die noch übrigbleibende halbe Million soll, wie von Türken nicht verhehlt wird, ebenfalls vernichtet werden. Man muß sich diese Tatsachen gegenwärtig halten, wenn man das türkische Bilderbuch durchblättert.

Die Bilder zerfallen in folgende Gattungen:

1. Reproduktionen von Gemälden.
2. Reproduktionen von Wappen, Flaggen, Briefmarken und Landkarten.
3. Dreißig Photographieen beschlagnahmter Waffen.
4. Sechs Photographieen von Leichen.
5. Neun Photographieen armenischer Freiwilliger.
6. Vier Reproduktionen von Schriftstücken und eine Medaille. Nur die Letzteren haben dokumentarischen Charakter.


1. Gemälde.

Die ersten vier Bilder sind Varianten eines bekannten alten Gemäldes mit dem Motiv: Das trauernde Armenien auf den Ruinen Anis (der alten armenischen Königsstadt); im Hintergrund der Ararat. Ani und der Ararat liegen auf russischem Gebiet. Das Original des Bildes Seite 2, von dem die anderen nur Abwandlungen sind, hängt im Empfangsraum des russisch-armeni-schen Katholikos in Etschmiadsin und ist in Rußland und der Türkei so bekannt, wie etwa bei uns die sixtinische Madonna. Kein russischer Beamter hat je an der trauernden Armenia Anstoß genommen. Die Variante auf Seite 1 mit der Halbmondfahne und dem Tod in den Wolken ist, obwohl genügend durch die Massakers von 1896 und 1909 motiviert, eine leider nur allzuwahre Weissagung auf die zehnmal schlimmere Bluttat der Jungtürken.

Die weiteren Bilder Seite 8 und 42 sind Tafeln mit den Bildnissen alter armenischer Könige und Heiliger. Seite 11 eine Zusammenstellung von Hintschakistenführern. Die Ansichtspostkarte will die Bemühungen des Katholikos und Nubar Paschas für die armenischen Reformen verherrlichen, die bekanntlich von Deutschland und Rußland im Jahre 1913 bei der gegenwärtigen türkischen Regierung durchgesetzt wurden. Nubar Pascha (Aegypten) war offizieller Delegierter des Katholikos und hat mit den Kabinetten nicht nur in Paris, London und Petersburg, sondern auch in Berlin persönlich verhandelt. Er ist ein durch und durch konservativer Politiker und war mit dem Ergebnis des Reformplanes zufrieden. Sejid Halim Pascha bot ihm 1913 einen Ministersitz in Konstantinopel an.

Das angebliche Bild eines Massakers von Mersifun, das ja von Abdul Hamid veranstaltet wurde, wird als ”erdachte Niederlage der Türken” dargestellt.

All diese Bilder haben nichts mit dem gegenwärtigen Kriege zu tun.


2. Die Wappen, Briefmarken, Landkarten.

a) die Wappen. 1. Ein gesticktes Seidenkissen, 2. Ein alter Fayenceteller, sind interessante Museumsstücke, die das altarmenische Königswappen wiedergeben.

Die ”das letzte armenische Wappen” betitelte (Seite 14 und 15) Darstellung einer Flagge (vermutlich Vorder- und Rückseite) ist das allen jungtürkischen Führern seit Jahrzehnten bekannte Emblem der konstitutionellen Partei der Daschnakzagan. Die Erklärung teilt mit, daß dieses Banner Aknuni, einem der Führer der Daschnakzagan im Jahre 1911 als Anerkennung seiner Dienste geschenkt worden sei (Aknuni war bis zu seiner Verbannung ein intimer Freund von Talaat Bey). Derartige von Damen gestickte Banner waren von jeher in armenischen Klublokalen, die auch von Jungtürken rege besucht wurden, als Wanddekorationen angebracht. Die jungtürkischen Freunde der Daschnakzagan nannten dies Banner im Scherz: Le drapeau du patriotisme ottoman. Jetzt wird das bekannte Parteiwappen für die Fahne der angeblichen Revolution ausgegeben.

Die ”Briefmarken” (Seite 16 und 17) mit den Köpfen weltbekannter russischer Armenier, Generäle, Dichter, Maler, Gelehrten stellen eine Serie von Jubiläumsmarken dar. Die zehn darauf befindlichen Seriennummern soll der kritiklose Leser für Wertangaben halten. Unter den Köpfen ist kein einziger Lebender und kein einziger türkischer Armenier. Männer, wie der russische General und Minister Loris Melikoff, Aiwasowski, der Marinemaler, Raffi, der Romanschriftsteller sind jedem gebildeten Russen bekannt. Die Bemerkung bei Loris Melikoff ”Der armenische General, der an dem rusisch-türkischen Kriege von 1878 an der Seite Rußlands teilnahm” spekuliert auf krasse Unwissenheit der Leser. Loris Melikoff war bekanntlich Führer eines russischen Armeekorps. Mit dem ”armenischen General” Dergokasian, der ebenfalls ”an der Seite der russischen Armee” kämpfte, wird dieselbe Täuschung versucht.

Von den beiden Landkarten Seite 7 und 9 ist die eine eine ethnographische Karte des Orients, die andere eine historische Karte des alten Armeniens, die im Schulunterricht in Rußland gebraucht wird.


3. Waffen.

Die Hauptmasse der Abbildungen (30) stellt aufgereihte oder in Haufen zusammengeworfene Flinten und Handwaffen aller Art dar. Auf einigen Bildern finden sich auch Bomben. Darunter sind die angeblichen Fundorte vermerkt, unter denen sich zehn wiederholen. Natürlich war es ein Leichtes, nach der Entwaffnung der Armenier eine beliebige Anzahl von beschlagnahmten Waffen zu photographieren. Einige nicht gefüllte Bomben aus der Zeit Abdul Hamids sind auf Grund von Aussagen, die mit der Folter erpreßt wurden, in Kirchhöfen ausgegraben worden. Mit derartigem Beweismaterial kann man mit Leichtigkeit erhärten, daß sämtliche Araber, Kurden, Tscherkessen, Turkmenen, Lasen u.s.w., ja sämtliche Bewohner der Türkei Revolutionäre sind. Wenn man unter zwei Millionen Armeniern der Türkei nicht mehr Waffen gefunden hat als die abphotographierten, dann stellen diese Abbildungen den Gegenbeweis für die Behauptung einer Revolution dar.

4. Leichen.

Die Abbildungen einiger Dutzend Leichen, die angeblich von armenischen Banditen ermordete Türken darstellen, werden gegenüber der von Enver Pascha zugestandenen Tatsache, daß dreihunderttausend Armenier erschlagen wurden, schwerlich einen Schuldbeweis darstellen. Man wird ja nicht annehmen wollen, daß sich Hunderttausende von Armeniern nicht ohne den Versuch eines Widerstandes abschlachten ließen. Die Bilder Seite 18 und 19 (mit zusammen acht Leichen) tragen kein Datum, die vier Bilder auf Seite 47 und 48 tragen die Daten 11. und 23. Juli und 29. August 1915, datieren also aus der Zeit, als die Deportation bereits ausgeführt war. Wenn der Widerstand der Armenier den Türken nicht größere Verluste zugefügt hat, als durch diese Photographieen erwiesen werden soll, so beweisen sie das Gegenteil von dem, was bewiesen werden soll.

Die vier Bilder Seite 51/54 aus der Verteidigung von Wan sind, wie die Unterschriften besagen, Szenen aus der Selbstverteidigung der von einem Massaker bedrohten Armenier in Wan. Ueber die Vorgänge in Wan liegen einwandfreie deutsche und amerikanische Berichte vor, aus denen hervorgeht, daß der Wali von Wan der schuldige Teil ist.


5. Die Bilder von armenischen Freiwilligen.

Seite 50, 55, 56, 57, 58 (Seite 57 mit Rote Kreuz-Schwestern) stellen Gruppen von russisch-armenischen Freikorps und das Bild eines Führers dar, die im Kaukasus in der russischen Armee kämpften. Wie immer rechnen auch hier die Anklagedokumente mit der Unwissenheit der Leser. Die Bezeichnung russischer Truppen als ”revolutionäre Banden” beweist nur die Unwahrhaftigkeit der Anklage. Das Datum 20. Juli 1915 (Seite 56) führt auf die Zeit, in der das Wilajet Wan bereits von den Russen besetzt war. Die Bilder stammen auch aus dem Kaukasus, von wo sie an amerikanische Zeitungen gelangten.

Der Abgeordnete Pasdermadjan, vormals Deputierter von Erzerum, ist bereits vor Kriegsausbruch von Konstantinopel nach Tiflis zurückgekehrt, wo er eine Fabrik besitzt. Er war Zeuge einer Verteidigung eines russisch-armenischen Freikorps und steht mit dem Spazierstock und unbewaffnet auf dem Bilde.


6. Dokumente.

An schriftlichen Dokumenten reproduziert das Bilderbuch nur fünf.

1. Seite 64 ein Memorandum bezüglich der armenischen Reformen, die Gegenstand der Verhandlung zwischen dem deutschen, dem russischen Botschafter und der Pforte waren. Der Brief, datiert vom 19. Januar 1914, ist also vor dem Kriege geschrieben, und spricht die nur allzu begründete Befürchtung aus, daß die Pforte versuchen wird, die Vereinbarungen wieder abzuschwächen. Der Brief auf der letzten Seite bezieht sich auf den armenischen Nationalrat in Konstantinopel, ein durchaus konservatives und loyales offizielles Kollegium, trägt aber keine Unterschrift. Die Pforte hat die Reformen nicht nur abgeschwächt, sondern zugleich mit dem Ausbruch des europäischen Krieges annulliert und die von den Kabinetten der Großmächte ausgesuchten Generalinspekteure wieder nach Haus geschickt.

2. Ein Aufruf an das französische Volk mit der Unterschrift eines in Frankreich lebenden sonst unbekannten Armeniers Turabian Aram. Das Datum ist fortgelassen. Der Inhalt beweist, daß der Aufruf aus der Zeit nach den Massakers des vorigen Sommers, denen dreihunderttausend Armenier zum Opfer fielen, geschrieben ist. Will wirklich Jemand einem im Ausland lebenden einzelnen Armenier verdenken, wenn er seiner Empörung Luft macht? Und was beweist dieser Aufruf für die Haltung des armenischen Volkes in der Türkei?

3. Ein russischer Militärpaß für Wan vom 18. Juni 1915, also zu einer Zeit, als sich Wan bereits in russischen Händen befand.

4. Eine Depesche des Erzbischofs Mesrob in Tiflis an das Armenean Refederation comité central, Boston, über den Empfang eines Betrages von 47061 Rubel 11 Kopeken, die in Amerika gesammelt wurden. Für welchen Zweck, ob für die Freikorps oder, was wahrscheinlicher ist, für die Unterstützung der Hunderttausende von Flüchtlingen, die sich im Araxestal ansammelten, wird nicht gesagt. Refederation wird mit ”revolutionär” übersetzt, was den Leser irreführen soll.

6. [5.] Eine Tapferkeitsmedaille, die von der russischen Regierung russisch-armenischen Soldaten verliehen wurde. Was soll dies beweisen? Die Spekulation auf die Unwissenheit der Leser ist handgreiflich.

Von den fünf einzigen dokumentarischen Texten, die das Bilderbuch auf 64 Seiten enthält, entstammt nur eins (ohne Unterschrift) der Feder eines türkischen Armeniers. Es datiert elf Monate vor dem Kriege und bezieht sich auf die von Deutschland durchgesetzten Reformen. Die vier übrigen Dokumente betreffen russische Armenier, sind daher völlig einwandfrei und beweisen nichts für die Haltung der türkischen Armenier.

Wie schlecht muß es um eine Sache stehen, die zu ihrer Rechtfertigung zu so durchsichtigen Täuschungen ihre Zuflucht nehmen muß! Wenn dies türkische Bilderbuch einen Beweis für die Schuld des armenischen Volkes erbringen soll, so beweist es nichts als das schlechte Gewissen der Türken. Es ist eine plumpe und beleidigende Spekulation auf die Urteilslosigkeit von Lesern, wie sie unter gebildeten Deutschen schwerlich zu finden ist.


[Aufzeichnung Auswärtiges Amt 27. 8.]


Der von Pastor Stier unterzeichnete Aufruf an die Mitglieder der Deutsch-armenischen Gesellschaft zur Sammlung von Hilfsgeldern für die Armenier ist massvoll gehalten und würdigt die Bemühungen des AA. zum Schutze der Armenier; auch betont er, dass jede Erörterung der Frage in der Oeffentlichkeit unterbleiben müsse. Wenn entsprechend der Jäckh’schen Anregung Pastor Stier auf Veranlassung des AA.‘s durch die Militärbehörden in seiner Freizügigkeit beschränkt wird, so ist zu befürchten, dass er und die ihm nahe stehenden Kreise hierdurch noch mehr gereizt werden und dass die Propaganda von anderen weniger taktvollen Herren betrieben wird. Es dürfte daher zweckmässiger sein, vorläufig nicht gegen Pastor Stier amtlich vorzugehen.

Herr Jäckh würde gelegentlich entsprechend mündlich verständigt werden können.


[Notiz Zimmermann 27. 8.]


Einverstanden.
1 Befindet sich nicht bei den Akten.



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