1919-04-29-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14105
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/01/2014


"Schwäbische Merkur"

Deutschland und die Armenierpolitik der Türkei.
Von H. Pfisterer, Weinsberg.


Eine der schwersten Anklagen, die während des Krieges gegen Deutschland geschleudert wurden, lautete dahin, daß es den Untergang des armenischen Volkes in der Türkei verschuldet habe. Mit diesem Vorwurf haben unsere Feinde nicht nur an unseren Truppen und unserer Bevölkerung gehetzt, sondern auch vielmehr als man bei uns ahnte, die Neutralen gegen uns eingenommen und die Kriegstimmung in Nordamerika zum Durchbruch gebracht. Aber auch jetzt, wo es dem Frieden entgegen geht, spielt er eine böse Rolle. Eine Klärung des Tatbestandes ist also in unserem eigensten Interesse erforderlich und ist mit Hilfe der nach Aufhebung der Zensur erfolgten Veröffentlichungen auch möglich.1
Die in Rede stehenden Ereignisse fordern eine weiter ausgreifende Beleuchtung. Seitdem im 18. Jahrhundert Rußland einen Teil der von Armeniern bewohnten Gebiete unter seine Herrschaft brachte und sich im weiteren Verlauf der Zeit sich mit England und Frankreich zusammen anschickte, das Erbe des kranken Mannes am Bosporus anzutreten, bildeten die christlichen Bevölkerungsteile der Türkei den Ansatzpunkt für diese Zermürbungs- und Raubpolititk und wurden durch die an sich nicht unberechtigten Schutzbestrebungen jener Mächte immer mehr in eine schiefe Stellung zur türkischen Regierung gebracht, die seitens letzterer die bekannten furchtbaren Metzeleien hervorrief. Die Revolution von 1908 versprach den oriental. Chrissten Gleichberechtigung als osmanische Staatsbürger, aber der von bekannter Seite geschürte Balkankrieg von 1912/13 weckte aufs neue das Mißtrauen der türkischen Machthaber gegen sie. So standen die Dinge bei Beginn des Weltkriegs. Vom armenischen Volk befanden sich damals gegen 2 Millionen Seelen unter türkischer, 1 ½ Millionen unter russischer, 1 ¼ Millionen unter persischer Herrschaft. Seit Eintritt der Türkei in den Krieg wurde von der Entente mit allen Mitteln bei den orientalischen Christen wie in der arabischen Südhälfte der Türkei die Hoffnung auf Befreiung vom Türkenjoch genährt und tatsächliche Hilfeleitung zu Aufständen mit Geld, Waffen und Munition geboten. Andererseits aber sahen die jungtürkischen Machthaber die einzige Rettung des Reiches in der Schaffung einer islamischen Großmacht auf türkischer Nationalgrundlage unter Ausmerzung aller Fremdvölker, vor allem unter Beseitigung des armenischen Volkes. Dieser politische Reformgedanke, wenn man ihn so nennen will, und nicht die nur örtlich vorliegenden militärischen Notwendigkeiten, war der Grund für die im Frühjahr 1915 begonnene vernichtende Wegführung des armenischen Volks aus seinen Wohnsitzen in der Türkei. Der Zeitpunkt war für die Türken günstig: eben damals leisteten sie Deutschland mit der Verteidigung der Dardanellen einen so wesentlichen Dienst, daß unserer Regierung von vornherein ein wirksamer Einspruch gegen jenes schon rein vom wirtschaftlichen Standpunkt aus wahnsinnige Unternehmen abgeschnitten war. Die Wegführung der wehrlosen Bevölkerung, nachdem die wehrhafte militärisch einberufen und dann unschädlich gemacht war, vollzog sich unter so grauenvollen Formen, daß sie nach mittleren Schätzungen von deutscher Seite einer Million Armenier das Leben gekostet hat, während der Rest in den Bestimmungsorten in der mesopotamischen Tiefebene und auf der Flucht ein kümmerliches Dasein fristete und nur ein kleiner Bruchteil in den westlichen Vilajets verschont blieb. Nach dem Zusammenbruch Rußlands drohte den Armeniern auf bisher russischem Gebiet ein ähnliches Schicksal. Ihr Versuch, mit andern Stämmen gemeinsam einen Freistaat zu schaffen, war dem augenblicklichen militärischen Uebergewicht der Türkei gegenüber fruchtlos; Deutschland, das sie um Hilfe anriefen, befand sich selber bereits in kritischer Lage; dann aber änderte der plötzliche und gründliche Zusammenbruch der Türkei im letzten Herbst mit einem Schlag die Lage.

Wer trägt nun die Schuld am tragischen Schicksal des armenischen Volks? Vor allem haben die Entente-Mächter keinerlei Recht auf Deutschland Steine zu werfen. Ihre eigensüchtige Orientpolitik hat das meiste dazu beigetragen, um die Armenier in den Augen der Türken zu verdächtigen und letztere auf den von ihnen beschrittenen verzweifelten und unmenschlichen Ausweg zu treiben. Außerdem bietet für dessen Beurteilung das Vorgehen der zaristischen Regierung gegen ihre deutschredenden Untertanen in den westlichen Gouvernements schlagende Vergleiche. Gegen diese Barbareien ist von seiten der Bundesgenossen Rußlands kein Einspruch erhoben worden. Die Armenier selber aber haben durch die bolschewistischen Veröffentlichungen der Geheimverträge sich davon überzeugt, daß sie von der Entente schnöde verraten worden sind. Während ihnen England und Frankreich weitgehende Zusicherungen gründlicher Reformen und nationaler Autonomie gemacht haben, hatten sie sich nicht gescheut, gleichzeitig Großarmenien Rußland als einen der Siegerpreise anzubieten. Von deutscher Seite ist dagegen alles, was möglich war, versucht worden um die Armenier zu retten. Schon im Spätherbst 1914 bat Missionsdirektor D. Axenfeld die beiden einflußreichen Vertreter der ausgedehnten amerikanischen Orientmission, D. Mott und D. Barton, bei den Häuptern der orientalischen Kirchen im Sinn vorsichtigster Zurückhaltung von jeder antitürkischen Politik zu wirken, aber diese Bitte wurde abgelehnt. Als die Deportation der Armenier bekannt wurde, haben die deutschen evangelischen und katholischen Missionskreise beim deutschen Reichskanzler Denkschriften eingereicht mit der Bitte bei der türkischen Regierung auf Einstellung der Deportation und auf die Erlaubnis zur Hilfeleistung für die Deportierten hinzuwirken. Der Reichskanzler bezeichnete es als eine der vornehmsten Pflichten der kaiserlichen Regierung dahin zu arbeiten, daß christliche Völker nicht ihres Glaubens wegen verfolgt würden und versprach alles, was ihm möglich sei. Die deutschen christlichen Orientmissionen haben denn auch unter großen Opfern an den Deportierten eine Rettungsarbeit geleistet, die noch umfangreicher hätte sein können, wenn sie seitens der damals noch neutralen Amerikaner die erbetene Unterstützung gefunden hätte. Vor allem aber muß aufs bestimmteste die Behauptung abgewiesen werden, als sei die Deportation der Armenier in irgend welchem Maß auf den Rat oder auch nur mit Zustimmung deutscher Offiziere erfolgt. Die gesamten Pläne und Anordnungen für diese Maßnahmen sind nach Mitteilung von zuverlässiger Seite nicht im türkischen Hauptquartier, sondern zu Konstantinopel im Kriegsministerium und im Ministerium des Innern lediglich von Türken bearbeitet worden. Die deutsche Regierung und die Deutschen im Orient suchten, vor eine vollendete Tatsache gestellt, nach Kräften mäßigend einzuwirken und zu retten, was zu retten war. In besonderem Maß gilt das von den deutschen Befehlshabern. Als Feldmarschall v. d. Goltz im Dezember 1915 von der drohenden Deportation der Armenier in Mossul hörte, hat er durch Einreichung seines Abschiedsgesuchs diese militärisch in keiner Weise gerechtfertigte Maßnahme abgewendet. General Liman v. Sanders hat am 11. November 1916 durch ein Ultimatum gegenüber dem Wali von Smyrna das Verhängnis von den dortigen Armeniern und Griechen abgehalten. Ein anderer deutscher General hat sich wie sonst kaum jemand um die Rettung der kaukasischen Armenier verdient gemacht.

So ließe sich noch manches Beispiel anführen. Es kann freilich nicht verschwiegen werden, daß die deutsche Presse, durch die tendenziösen Meldungen der Agence Milli irregeleitet, teilweise das Vorgehen der türkischen Regierung nachträglich zu rechtfertigen suchte. Indessen hat die Pforte selber unaufgefordert in einer am 1. März 1916 an die Vertretungen der fremden Mächte in Konstantinopel verteilten Druckschrift amtlich versichert, die Behauptung, derzufolge ihre Maßnahmen gegen das armenische Volk ihr von gewissen fremden Mächten nahegelegt worden seien, entbehre jeder Grundlage. Die ottomanische Regierung habe, fest entschlossen, ihre unbedingte Unabhängigkeit zu wahren, keinerlei Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten in irgend einer Form zulassen können, auch nicht von ihren Freunden und Verbündeten. Es darf somit festgestellt werden, daß unter allen beteiligten Mächten sich keine so redlich und unablässig bemüht hat die Türkei von ihrer unseligen Armenierpolitik abzubringen wie Deutschland, das dabei bis an die äußerste Grenze ging und nur aus Rücksicht auf das Bundesverhältnis darauf verzichtet hat, den scharfen Gegensatz, der in dieser Frage dauernd bestand, an die Oeffentlichkeit treten zu lassen. Die Anklage wegen Armeniermords hat aus den Verhandlungen mit dem politischen wie mit dem christlichen Deutschland zu verschwinden und dies mag mit zur geistigen Wiederaufrichtung unseres Volkes dienen.



1Weiteres Material in den im Erscheinen begriffenen Denkschriften von Missionsdirektor D. Axenfeld im Auftrag des Orient. und Islam. Ausschusses der deutsch-evang. Missionen, von Dr. P. Rohrbach im Auftrag der Deutsch-Armenischen Gesellschaft und von D. Dr. Joh. Lepsius.



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