Wer trägt nun die Schuld am tragischen Schicksal des armenischen Volks? Vor allem haben die Entente-Mächter keinerlei Recht auf Deutschland Steine zu werfen. Ihre eigensüchtige Orientpolitik hat das meiste dazu beigetragen, um die Armenier in den Augen der Türken zu verdächtigen und letztere auf den von ihnen beschrittenen verzweifelten und unmenschlichen Ausweg zu treiben. Außerdem bietet für dessen Beurteilung das Vorgehen der zaristischen Regierung gegen ihre deutschredenden Untertanen in den westlichen Gouvernements schlagende Vergleiche. Gegen diese Barbareien ist von seiten der Bundesgenossen Rußlands kein Einspruch erhoben worden. Die Armenier selber aber haben durch die bolschewistischen Veröffentlichungen der Geheimverträge sich davon überzeugt, daß sie von der Entente schnöde verraten worden sind. Während ihnen England und Frankreich weitgehende Zusicherungen gründlicher Reformen und nationaler Autonomie gemacht haben, hatten sie sich nicht gescheut, gleichzeitig Großarmenien Rußland als einen der Siegerpreise anzubieten. Von deutscher Seite ist dagegen alles, was möglich war, versucht worden um die Armenier zu retten. Schon im Spätherbst 1914 bat Missionsdirektor D. Axenfeld die beiden einflußreichen Vertreter der ausgedehnten amerikanischen Orientmission, D. Mott und D. Barton, bei den Häuptern der orientalischen Kirchen im Sinn vorsichtigster Zurückhaltung von jeder antitürkischen Politik zu wirken, aber diese Bitte wurde abgelehnt. Als die Deportation der Armenier bekannt wurde, haben die deutschen evangelischen und katholischen Missionskreise beim deutschen Reichskanzler Denkschriften eingereicht mit der Bitte bei der türkischen Regierung auf Einstellung der Deportation und auf die Erlaubnis zur Hilfeleistung für die Deportierten hinzuwirken. Der Reichskanzler bezeichnete es als eine der vornehmsten Pflichten der kaiserlichen Regierung dahin zu arbeiten, daß christliche Völker nicht ihres Glaubens wegen verfolgt würden und versprach alles, was ihm möglich sei. Die deutschen christlichen Orientmissionen haben denn auch unter großen Opfern an den Deportierten eine Rettungsarbeit geleistet, die noch umfangreicher hätte sein können, wenn sie seitens der damals noch neutralen Amerikaner die erbetene Unterstützung gefunden hätte. Vor allem aber muß aufs bestimmteste die Behauptung abgewiesen werden, als sei die Deportation der Armenier in irgend welchem Maß auf den Rat oder auch nur mit Zustimmung deutscher Offiziere erfolgt. Die gesamten Pläne und Anordnungen für diese Maßnahmen sind nach Mitteilung von zuverlässiger Seite nicht im türkischen Hauptquartier, sondern zu Konstantinopel im Kriegsministerium und im Ministerium des Innern lediglich von Türken bearbeitet worden. Die deutsche Regierung und die Deutschen im Orient suchten, vor eine vollendete Tatsache gestellt, nach Kräften mäßigend einzuwirken und zu retten, was zu retten war. In besonderem Maß gilt das von den deutschen Befehlshabern. Als Feldmarschall v. d. Goltz im Dezember 1915 von der drohenden Deportation der Armenier in Mossul hörte, hat er durch Einreichung seines Abschiedsgesuchs diese militärisch in keiner Weise gerechtfertigte Maßnahme abgewendet. General Liman v. Sanders hat am 11. November 1916 durch ein Ultimatum gegenüber dem Wali von Smyrna das Verhängnis von den dortigen Armeniern und Griechen abgehalten. Ein anderer deutscher General hat sich wie sonst kaum jemand um die Rettung der kaukasischen Armenier verdient gemacht.
So ließe sich noch manches Beispiel anführen. Es kann freilich nicht verschwiegen werden, daß die deutsche Presse, durch die tendenziösen Meldungen der Agence Milli irregeleitet, teilweise das Vorgehen der türkischen Regierung nachträglich zu rechtfertigen suchte. Indessen hat die Pforte selber unaufgefordert in einer am 1. März 1916 an die Vertretungen der fremden Mächte in Konstantinopel verteilten Druckschrift amtlich versichert, die Behauptung, derzufolge ihre Maßnahmen gegen das armenische Volk ihr von gewissen fremden Mächten nahegelegt worden seien, entbehre jeder Grundlage. Die ottomanische Regierung habe, fest entschlossen, ihre unbedingte Unabhängigkeit zu wahren, keinerlei Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten in irgend einer Form zulassen können, auch nicht von ihren Freunden und Verbündeten. Es darf somit festgestellt werden, daß unter allen beteiligten Mächten sich keine so redlich und unablässig bemüht hat die Türkei von ihrer unseligen Armenierpolitik abzubringen wie Deutschland, das dabei bis an die äußerste Grenze ging und nur aus Rücksicht auf das Bundesverhältnis darauf verzichtet hat, den scharfen Gegensatz, der in dieser Frage dauernd bestand, an die Oeffentlichkeit treten zu lassen. Die Anklage wegen Armeniermords hat aus den Verhandlungen mit dem politischen wie mit dem christlichen Deutschland zu verschwinden und dies mag mit zur geistigen Wiederaufrichtung unseres Volkes dienen.