1916-11-12-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/BoKon/174; R14094
Zentraljournal: 1916-A-31236
Botschaftsjournal: A53a/1916/3351
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 11/18/1916 p.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: No. 1315
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Liman von Sanders an den Geschäftsträger der Botschaft in Konstantinopel (Radowitz)

Schreiben



No. 1315
Panderma, den 12. November 1916

Hochverehrter Herr v. Radowitz!

<In der Anlage gestatte ich mir, Ihnen die Abschrift eines genauen Berichtes des Ingenieurs K. zu übersenden, der manche interessante Einzelheiten enthält.1 Daß inzwischen alles geschehen ist, um diese üblen Verhältnisse zu ändern, soweit dies in unserer Macht liegt, erlaubte ich mir von Smyrna aus zu schreiben. Der jetzige Abschnittskommandeur, der in dem Bericht genannte Oberst Nourredin Bey, hat mir hierüber mündlich berichtet.>

Weiter füge ich ein Schreiben des Grafen Spee bei, welches er mir gestern in Smyrna übergab. Es betrifft die Armenier-Ausweisungen, die große Unruhe in Smyrna erregten. <Da derartige Massen-Deportationen in das militärische Gebiet hinübergreifen – Wehrpflichtige, Gebrauch der Eisenbahnen, Gesundheitsmaßnahmen, Unruhe der Bevölkerung in einer Stadt nahe vor dem Feinde, pp. – so hatte ich den Vali benachrichtigt, daß ohne meine Genehmigung derartige Massen-Verhaftungen und -Deportationen nicht mehr stattfinden dürften. Ich verständigte den Vali, daß ich sie im Wiederholungsfalle mit Waffengewalt verhindern lassen würde.

Daraufhin hat der Vali nachgegeben und mir gesagt, daß sie unterbleiben würden.

Da er aber angiebt von Constantinopel aus (Talat Bey) dazu veranlaßt zu sein, so bin ich nicht sicher, daß nur vielleicht andere Wege gewählt werden.

Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, beläuft sich die Zahl der in Smyrna lebenden Armenier 6 – 7000, darunter die reichsten Leute der Stadt, aber auch einzelne üble Persönlichkeiten.>

Leider ist es mir wegen dringender dienstlicher Angelegenheiten nicht möglich, morgen zur Ankunft des Herrn Botschafters rechtzeitig in Constantinopel zu sein. Ich komme aber spätestens am Donnerstag, um mich von Ihnen und Ihrer hochverehrten Gemahlin zu verabschieden, und um den Herrn Botschafter zu begrüßen.

Daß Sie, hochverehrter Herr von Radowitz, nicht mehr möglich machen konnten, nach Smyrna zu kommen, hörte ich zu meinem größten Bedauern.

Stets bin ich Ihr aufrichtig ergebener


Liman v. Sanders


Anlage
Smyrna, den 11. November 1916

Vor einigen Wochen war auf dem hiesigen katholischen Friedhof eine Anzahl alter Bomben aufgefunden worden. Der Wali hat daraufhin von den hiesigen Armeniern verlangt, dass sie, da der armenische Ursprung unzweifelhaft zu sein scheint, die daran Beteiligten angeben und zwar durch Vermittelung ihres Bischofs.

Es scheint sich hier um einen ganz aehnlichen Fall zu handeln wie er vor drei Jahren vorgekommen ist. Ein Hiesiger kaufte ein Haus vor vier Jahren und als vor drei Jahren angegeben wurde, dass noch armenische Bomben in dem betreffenden Hause versteckt seien, wurde der Kaeufer dafuer verhaftet obwohl ihm nichts von den versteckten Sachen bekannt war.

Als das hiesige armenische Komitee mit dem jungtuerkischen Komitee vor der Konstitution zusammenarbeitete, war dem letzteren alles bekannt was im ersteren vorging. Als die Konstitution dann eingetreten war, wandte sich das jungtuerkische Komitee ab und verfolgte das armenische. Nach den mir zugegangenen Nachrichten waeren alle damaligen Komiteemitglieder der armenischen Vereinigung nach und nach fortgeschafft. Aller Wahrscheinlichkeit nach gehoeren die neugefundenen Bomben in die Zeit vor der Konstitution.

Die hiesigen Armenier unter dem armenischen Bischof haben verneint, etwas ueber weitere Beteiligte zu wissen. Doch hat der Wali ihnen darauf erwidert, er wisse, dass noch eine Bewegung vorhanden sei, man muesse ihm die Beteiligten angeben, sonst sei er genoetigt, die Polizei mit der Verfolgung der Angelegenheit zu betrauen. Die Armenier haben wiederum die Moeglichkeit Angaben zu machen verneint und die Polizei ist nunmehr vorgegangen. Es wurden eine Reihe von Verhaftungen vorgenommen und am 9. November in aller Fruehe noch Frauen und Kinder dazugeholt und die gesamte Zahl aus Smyrna bezw. Cordelio mit der Bahn nach Richtung Afiun Kara Hissar abgeschoben. Die Nachrichten lauten dahin, dass sowohl Maenner als Frauen als auch Kinder von einander getrennt in verschiedenen Wagons untergebracht wurden und dass die Behandlung eine recht brutale gewesen ist.

Die Armenier haben sich versammelt und am 9. abds. sind sie zum Wali nach Burnabat gegangen und haben um Schonung gebeten. Der Wali hat ihnen daraufhin geantwortet, er wisse, dass hier noch Revolutionaere Armenier vorhanden seien und er koenne nicht dulden, staendig auf dem Punverfass zu sitzen, die Armenier sollten ihm die Beteiligten angeben, es koenne ohne Angabe des Anzeigenden auf einem einfachen Umschlag, der dem Bischof zu uebergeben sei, geschehen. Dazu bekaemen sie Frist bis naechsten Dienstag, wenn bis dahin die Anzeige nicht erfolgt sei, wuerden saemtliche Armenier ausnahmslos fortgeschafft. Von einer Seite hoere ich, es sei die Bezeichnung von 15 Namen gefordert.

Auf den Einwand, dass bei dieser Gelegenheit persoenliche Feindschaften zu Namensabgaben fuehren koennten, soll der armenische Bischof geantwortet haben, davor brauche man keine Angst zu haben, denn er wuerde es nachpruefen.

<Die ganze Angelegenheit ist, abgesehen von der rechtlichen Vergewaltigung und den unabsehbaren Folgen fuer die Opfer, fuer die deutschen Interessen bezw. das deutsche Ansehen von groesster Tragweite.

Die Massnahmen der Regierung erfolgten in einer Zeit zu welcher ausser dem deutschen Korpskommandeur auch der Oberbefehlshaber, Marschall Liman von Sanders, in Smyrna anwesend war. Das Geruecht geht in der Stadt, dass das planmaessige Vorgehen von den Deutschen vorbereitet sei, damit sie sich der ihrem Handel unbequemen armenischen Konkurrenten auf diese Weise entledigen könnten.

Materiell wird ein direkter Schaden entstehen, da tatsaechlich die armenischen Kaufleute deutsche Waren in grossem Umfang abgenommen haben, die zum Teil noch nicht bezahlt sind. Die von den Armeniern noch zurueckgehaltene Ware wird unter Anwendung des neuen Gesetzes ueber zurueckgelassene Habe den noblen türkischen Elementen die Handhabe bieten, sich ohne weiteres in den Besitz dieser Waren gleichzeitig mit dem sehr betraechtlichen Vermoegen der Armenier zu setzen. Und dies alles unter dem billigen Vorwande, dass die Deutschen es gemacht haben.

Die im grossen und ganzen unter franzoesischem und englischem Einfluss aufgewachsene christliche Bevoelkerung nimmt diese Nachrichten nicht ungerne auf, um gar nicht zu reden von den Angehoerigen der feindlichen Staaten, die dem amerikanischen Konsul nahestehen und dessen Berichterstattung entsprechend ausfallen wird.>


L. Spee.

[Botschaft Konstantinopel telegraphisch an Reichskanzler 14.11.]

Nach Abschluß des nebenbezeichneten Berichtes ging mir ein Schreiben des Marschalls Liman v. Sanders vom 12. d.Mts zu, dem eine Aufzeichnung des Grafen Spee vom 11. d.Mts. beigefügt war.

Der Marschall schreibt Folgendes: < >

Aus der Aufzeichnung des Grafen Spee füge ich folgendes hinzu: < >


[Großes Hauptquartier telegraphisch an v. Lossow 14.11.]


Abschrift.

Geschäftsträger Constantinopel telegrafiert unter Nummer 1191 v. 13. d.m.: „Die Massenverschickung der Armenier hat in diesen Tagen begonnen. Marschall Liman v. Sanders hat in militärischem Interesse Einspruch erhoben. Welche militärischen Folgen sind zu befürchten? Ist der Weiterbau der Taurus- und Amanusbahn gefährdet? no. 15635 ia Ludendorff


[Der Militärbevollmächtigte v. Lossow telegraphisch an den Chef des Feldheeres im Großen Hauptquartier 16.11.]


Enver Pascha sowie der Chef der 2. Abteilung des [türkischen] Großen Hauptquartiers, der diese Sachen bearbeitet und genau orientiert ist, wissen nichts von neuen Armenierverschickungen. Es könne sich höchstens um ganz lokale unbedeutende Maßregeln gegen einzelne verdächtige Personen handeln. Ich glaube daher, daß irgendwelche nachteiligen militärischen Folgen vorerst nicht zu erwarten sind.


[Zimmermann telegraphisch an Botschaft Konstantinopel (No. 1315) 18.11.]

Dortiges Telegramm No. 1191 war der obersten Heeresleitung mitgeteilt worden.

General von Ludendorff hat darauf in Constantinopel angefragt und folgende Antwort von General von Lossow erhalten: [siehe obiges Telegramm Lossows vom 16.11]

Diese Darstellung erscheint mit dortigem Bericht No. 7032 schwer vereinbar. Bitte schleunige Drahtäusserung.



1Der Bericht ist nicht bei der Akte.
2Dok. 1916-11-13-DE-001.



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