1918-11-01-DE-001
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Quelle: DE/PA-AA/R14105
Zentraljournal: 1918-A-49683
Erste Internetveröffentlichung: 2003 April
Edition: Genozid 1915/16
Praesentatsdatum: 11/21/1918 a.m.
Laufende Botschafts/Konsulats-Nummer: Nr. 257
Zustand: A
Letzte Änderung: 03/23/2012


Der Geschäftsträger der Botschaft Konstantinopel (Waldburg) an den Reichskanzler (Prinz Max von Baden)

Bericht


Pera, den 1. November 1918

No. 257

5 Anlagen. 3 Beutel mit 11 Bände Akten.

Unter Bezugnahme auf die mir erteilte Weisung vom 30. v.M.1 übersende ich anbei den Erlaß No. 590 vom 4. August 1915 nebst einem dazu gehörigen Berichtsentwurf. Der Vollständigkeit halber füge ich die Bände 17 - 27 [BoKon/164 - BoKon/174] der hiesigen Armenierakten bei.


Waldburg.

Anlage 1

[Erlaß Nr. 5902 Zimmermann an Botschaft Konstantinopel 4.8.1915]]


Wie in der dortigen Berichterstattung mehrfach hervorgehoben, müssen wir damit rechnen, daß unsere Gegner und die uns unfreundlich gesinnten Neutralen sich bemühen werden, die Kaiserliche Regierung der Mitschuld an der Bedrückung der Armenier in der Türkei zu zeihen. Da derartige Vorwürfe auch im Inland, insbesondere in kirchlichen und Missionskreisen, Widerhall finden könnten, wird möglicherweise zur Rechtfertigung unserer Haltung die Herausgabe eines Weißbuchs oder eine ähnliche Veröffentlichung notwendig werden.

Euere Durchlaucht bitte ich, schon jetzt die Sammlung geeigneten Materials vorbereiten zu wollen. Insbesondere wird es darauf ankommen darzutun, daß tatsächlich eine weitverzweigte staatsfeindliche armenische Bewegung in der Türkei bestanden hat, deren Unterdrückung für die Pforte ein Gebot der Selbsterhaltung war, und daß die Armenier zu ihrem hochverräterischen Treiben gerade durch die Entente-Mächte angestiftet sind, die damit moralisch die Verantwortung für die Folgen übernommen haben. Sodann wäre nachzuweisen, was von unserer Seite getan worden ist, um eine allzu harte Behandlung der Armenier abzuwenden und die Not der Betroffenen zu lindern.


Zimmermann

Anlage 2

[Autor dieses Berichts ist der Legationssekretär Hoesch, redigiert ist er vom Botschaftsrat Neurath und geschrieben für den amtierenden Botschafter. Eine ausführlichere Fassung befindet sich als Anlage im Dokument 1916-09-18-DE-001]

Pera, Dezember 1915.

Auf Erlaß Nr. 590.

Betr. Herausgabe eines Weißbuches über die armenischen Angelegenheiten.

Eine Veröffentlichung über unsere Haltung in der Angelegenheit der Armenieraustreibungen halte auch ich für sehr erwünscht, ja notwendig. Nicht nur von unseren offenen Gegnern, nicht nur von feindlichen Elementen in neutralen Ländern sind wir der Mitschuld an jenen Bedrückungen verdächtigt worden, auch aus den verschiedensten Kreisen des deutschen Inlandes sind Anklagen gegen uns erhoben worden, die uns zum mindesten den Vorwurf machten, in den Bemühungen, die rigorosen Maßnahmen der türkischen Regierungsorgane zu mildern, lässig gewesen zu sein. Eine öffentliche Rechtfertigung ist deshalb erforderlich. Sie muß von unserer Seite erfolgen, nachdem die diesseitigen Bemühungen ergeben haben, daß sie von türkischer Seite nicht zu erwarten ist.

In der Berichterstattung der Kaiserlichen Botschaft und unserer Konsularbehörden liegt Euerer Exzellenz bereits ein umfangreiches Material vor, das zu diesem Zwecke verwendet werden kann. Es ergibt sich daraus einwandfrei die Tatsache, daß eine weitverzweigte, gegen den Staat gerichtete armenische Bewegung in der Türkei bestanden hat, deren Unterdrückung für die Regierung unter den Wirren des Krieges zu einer Notwendigkeit wurde. Die Bewegung hatte insgeheim auch solche Kreise ergriffen, welche früher türkenfreundliche Gesinnungen bezeigt hatten. Auch diese Elemente sind jahrzehntelang aufgehetzt worden; der jüngeren Generation wurde die Ueberzeugung anerzogen, daß eine Besserung des Loses der Armenier nur durch ein gewaltsames Vorgehen gegen die türk. Regierung zu erreichen sei. Dabei haben die Lehrmeister verschwiegen, daß die Armenier in früheren Zeiten in der toleranten Türkei ruhig und zufrieden gelebt haben und niemals einen Anlaß zu einer aufrührerischen Bewegung fanden.

Es steht aber auch zweifellos fest, daß die Anregungen zu dem hochverräterischen Treiben der Armenier ursprünglich wie neuerdings nicht von diesem arbeitsamen Volksstamme ausgegangen sind, sondern von auswärts hereingetragen wurden. Nur zu bekannt ist die Tätigkeit der armenischen „Komitees“ in London, Manchester u. anderen englischen Städten, in Paris, Marseille u.s.w., welche vor etwa drei Dezenien intensiver einsetzte. Ihr Wirken fand Anregung und Unterstützung jeder Art gerade seitens derjenigen Staaten, die sich stets als die Freunde der Türkei ausgaben. Diese „Freunde“, welche mit der Pforte einen Vertrag von Hunkiar-Iskelessi u. ähnliche abschlossen, welche mit ihr den bekannten Cypern-Vertrag zeichneten, welche eine Flotte in Mytilene versammelten, um gegen die türkische Regierung die wenig sauberen Forderungen eines Levantiners durchzusetzen, und die so oft „turkish atrocities“ erfanden oder aufbauschten, um vergessen zu machen, welche Ausschreitungen seitens aufgestachelter christlicher Bevölkerungsteile vorausgegangen waren und die türkische Rache herausgefordert hatten; diese selben Freunde hatten bereits vor 20 Jahren die bekannten armenischen Attentate zuwege gebracht, denen die großen Massacres folgten. Es kann kein Zweifel bestehen, daß auch von dieser heute unter dem Sammelwort „Entente“ zusammengefaßten Seite die Machenschaften ausgegangen sind, welche gerade während des Weltkrieges zu den landesverräterischen Umtrieben der Armenier geführt haben. War den Türken mit kriegerischen Mitteln nicht beizukommen, so sollte innerer Aufruhr die Regierungsgewalt erschüttern. Es ist bekannt, wie der russische Rubel in die armenischen Grenzprovinzen rollte; wie sich den gegen die türkischen Streitkräfte vorgehenden Russen nicht nur zahlreiche Armenier anschlossen, sondern daß sich sogar hervorragende armenische Persönlichkeiten (Deputierte) an die Spitze russischer Truppen stellen, um sie gegen ihr türkisches Vaterland zu führen. An allen Enden des Reichs sah sich die Türkei mächtigen Feinden gegenüber, welche mit klingender Unterstützung eine lebhafte Spionage unterhielten und viele willige Helfeshelfer in einem Lande fanden, in welchem von jeher die Spionage weit verbreitet gewesen ist. Daß unter diesen Umständen die Küstenstriche und die Grenzprovinzen von verdächtigen Elementen geräumt werden mußten, daß gegen zahlreiche, des Landesverrats überführte christliche Staatsangehörige mit der ganzen Strenge der Kriegsgesetze vorgegangen werden mußte, bedarf keiner weiteren Begründung.

Es ist gewiß im höchsten Grade bedauerlich, daß unter diesen, durch fremde Einflüsse veranlaßten, von einer beschränkten Anzahl „gewonnener“ Nationalisten ausgeführten Umtriebe, ein ganzes Volkselement in solchem Maße hat leiden müssen. Die moralische Verantwortung hierfür haben diejenigen zu tragen, von denen die „Anregungen“ ausgegangen sind. Welcher andere europäische Staat wäre unter den vorliegenden schwierigen Umständen nicht ebenfalls mit den schärfsten Mitteln gegen Verräter im eigenen Lande vorgegangen?

Leider muß zugegeben werden, daß so gerechtfertigt an sich die scharfen Ausnahmemaßregeln waren, welche die türk. Regierung zu ergreifen sich veranlaßt sah, die Ausführung derselben zu den bedauerlichsten Ausschreitungen geführt hat. Es ist nicht anzunehmen, daß die Befehle hierzu von der Zentralregierung ausgegangen sein sollten, wenn auch einzelnen ihrer Mitglieder, die sich die Ausrottung der verhaßten Armenier zum Ziele gesetzt hatten, jedes Mittel dazu recht sein mochte. Um so härter trifft der Vorwurf viele Provinzialregierungen und deren nachgeordnete Organe, welche in zahlreichen Fällen die gegen Schuldige notwendigen harten Maßregeln auf Unschuldige ausdehnten und dabei eine Willkür und Roheit bezeigten, welche alle Welt auf das Schärfste verurteilen muß.

Gleich im Beginn solchen Vorgehens und sobald ihr die bedauerlichen Tatsachen aus den konsularischen Meldungen bekannt wurden, hat deshalb auch die Kaiserl. Botschaft ohne Weisungen der Kais. Regierung abzuwarten, bei der Pforte ernstlich Vorstellungen erhoben, vor zu weitgehenden Maßnahmen eindringlich und wiederholt, mündlich und schriftlich gewarnt und insbesondere die Abstellung der Verfolgung Unschuldiger verlangt.

Die Kais. Botschaft hat dabei den Standpunkt eingenommen, daß es dem anerkannten diplomatischen Grundsatz, wonach eine Einmischung in die inneren Verhältnisse des fremden Staates unzulässig ist, nicht widerspreche, wenn sie der türk. Regierung freundschaftliche Ratschläge erteile, zu den ihr das bestehende Waffenbündnis einen besonderen moralischen Titel bot. In der Tat konnte unsere wahre Freundschaft für die Türkei nicht besser bewiesen werden, als wenn wir ihr nachdrücklich und offen unsere Meinung zum Ausdruck brachten, unbekümmert darum, daß dies die leitenden Kreise unangenehm berührte. Auch die Konsularvertreter des Reichs sind weisungsgemäß bestrebt gewesen, durch Einwirkung auf die Provinzialregierungen den Gewaltmaßnahmen Einhalt zu gebieten indem sie diese in eindringlicher Weise vor den politischen, sittlichen und kulturellen Folgen warnten. Außerdem haben Botschaft und Konsulate das möglichste getan, zur Linderung des entstandenen Elends beizutragen und da, wo es möglich war, mit Geldmitteln einzugreifen, um Brot zu verteilen u.s.w. Verschiedene Konsularberichte, welche das durch den Übereifer oder das Übelwollen nachgeordneter Organe der Lokalregierungen angerichtete Elend eingehend schildern, geben über die in dieser Beziehung getanen Schritte genauere Auskunft. Konnten diese Maßnahmen unserer Konsularvertreter auch bei dem Umfange des Elends nicht durchgreifende Hilfe bringen, so haben die diesseitigen Demarschen bei der Zentralregierung, welche bei den anderen fremden diplomatischen Vertretern Unterstützung fanden, es doch erreicht, daß der Verfolgung Unschuldiger endlich ein Ziel gesetzt wurde. Ich besitze keine neueren Meldungen über solche Ausschreitungen. Das angerichtete Elend ist damit nicht beseitigt.

Wenn gegenüber dieser unserer fortgesetzten warnenden und helfenden Tätigkeit deutsche Kreise Vorwürfe gegen die Kais. Vertretungen erhoben haben, kann dies nur auf ungenügende Information zurückzuführen sein. Daß uns von feindlicher Seite, wie kürzlich im englischen Parlament, Unterstützung und sogar aktive Beteiligung an den vorgekommenen Greueln vorgeworfen wird, ist nicht weiter zu verwundern. Es dürfte unter unserer Würde liegen, und bei der Unauffindbarkeit der angeblichen Augenzeugen auch nutzlos sein, solche Behauptungen zu widerlegen. Unsere Konsularberichte reden demgegenüber eine deutliche Sprache. Sie sollten nebst den Schritten der Botschaft zur Kenntnis unserer heimischen Kreise gebracht werden, um diese zu überzeugen, daß die Kaiserlichen Vertretungen in der Türkei von Anfang an ihre Pflicht nicht versäumt haben. Wenn unsere Bemühungen zunächst keinen größeren Erfolg hatten, so liegt dies an den durch den Krieg gegebenen Verhältnissen, und der seit langem bestehenden und durch die fremden Aufhetzungen hervorgerufenen u. tief ins muselmanische Volk eingedrungenen Animosität gegen die Armenier.

Im höchsten Grade bedauerlich aber bleibt die Tatsache, daß in der Provinz selbst höchste Staatsbeamte u. Offiziere zum wenigsten nicht der weit verbreiteten Meinung entgegengetreten sind, daß unsererseits die Armenierverfolgung angeraten worden sei, ja daß sie diese Auffassung sogar offensichtlich verbreitet haben. Daß der biedere Türke dieser von seiner Obrigkeit ausgehenden Version Glauben schenkte, ist nicht zu verwundern; um so mehr aber ist es zu beklagen, daß die Zentralregierung nicht aus eigenem Antriebe dem sofort entgegengetreten ist und damit den Anschein auf sich lud an der Verbreitung dieser Mähr mitschuldig zu sein. Ich werde derselben erneut energisch entgegentreten.

Wenn ich im Vorstehenden noch einmal auf die Angelegenheit zurückgekommen bin und bereits Berichtetes wiederholt habe, so wollte ich damit eine kurze zusammengefaßte Darstellung geben, die vielleicht als Einleitung einer Veröffentlichung dienen kann. Seitens der Direktion der anatol. Eisenb. Gesellsch. wird mir soeben die beifolgende Aufzeichnung eines gegenwärtig in ihren Diensten beschäftigten, seit langen Jahren in der Türkei ansässigen Deutschen mitgeteilt, die im Großen u. Ganzen ein nicht unrichtiges Urteil über die Armenierfrage enthält und deren auszugsweise Benutzung (ohne Quellenangabe) ich anheimstellen darf.


Anlage 3

[Der Generaldirektor der Bagdad-Eisenbahngesellschaft in Konstantinopel Franz J. Günther an den Botschaftsrat Neurath 10.8.1915]


Sehr geehrter Herr von Neurath!

In der Anlage gebe ich Ihnen einen mir zugegangenen Bericht für das weiter, was er wert sein kann.

Mit Gruss Ihr sehr ergebener


Günther
Anlage 4

Streng Vertraulich!

.... Ich benutze jedoch die sich bietende Gelegenheit, durch einen Vertrauensmann Ihnen streng vertrauliche Nachrichten zukommen zu lassen, der Bringer ist im Stande, Ihnen gleichfalls vertrauliche Auskünfte zu geben, welche der Oeffentlichkeit vorenthalten werden müssen.

Es handelt sich um die grossen Armenierverfolgungen in den östlichen Gebieten des ottomanischen Reiches. Ehe ich Einzelheiten mitteile, möchte ich erklären, dass ich keineswegs ein Freund dieses mir sehr unsympathischen Volkes bin. Ich weiss genau, dass die Armenier von den Russen verführt, bereit waren, sich gegen die Türkei zu erheben; ich habe Kenntnis davon, dass in vielen armenischen Häusern Bomben, Militärgewehre, Patronen in Menge gefunden worden sind; es ist mir bekannt, dass Armenier in Samsun, Dörtjoll, feindlichen Schiffen Signale gaben, dass sie sich des Hochverrates schuldig machten; ich höre, dass sie in Van und Bitlis Türken ermordeten, kurz ich weiss, dass strenge und ausserordentliche Massregeln zur Sicherheit des Landes erforderlich waren.

Es hätte gewiss Niemand Anstoss daran genommen, wenn man Schuldige in Menge öffentlich hingerichtet hätte, leider ist dies nur in einzelnen Fällen der Fall gewesen und es sind leider sichere Indizien vorhanden, dass im Osten die Armenier, trotz aller Dementis in deutschen Zeitungen, systematisch vollständig abgeschlachtet werden; kurz, dass wir es mit dem Ausrotten eines Volkes zu tun haben, wie es so gründlich nur im Bar Cochba Kriege von Rom aus das jüdische Volk betroffen hat.

Dass die deutsche Regierung ihr Einverständnis zur Entfernung des gefährlichen russenfreundlichen Volkes aus den Grenz- und Küstenplätzen erklärt haben kann, leuchtet mir ein, aber unmöglich kann sie, wie man hier dem türkischen Volke beigebracht hat, mit der Abschlachtung der Armenier einverstanden sein – und wie oft ist mir das, leider, aus dem Volke und vom Militär versichert worden. Ja man forderte mich sogar auf anzuerkennen, wie gut die “Arbeit“ geleistet würde.

Ich habe den Osten des Vilajetes Angora, das Mutessariflik Kaisarie, die Landschaften nördlich vom Kisyl Irmak bereist, ferner einen grossen Teil des Vilajetes Sivas. In letzterem fand ich alle Dörfer teils ganz leer, teils ihrer männlichen Einwohner beraubt. Ich sah mit eigenen Augen, wie hübsche Frauen von Türken fortgeschleppt wurden, sah solche mit Armenierinnen aus den Büschen kommen und hörte Jammern und Schreien von Frauen und Mädchen aus verschlossenen Häusern. Ich sah, wie auf Lasttieren und Wagen der armselige Hausrat dieser Leute fortgeführt wurde. Die Plünderer liessen sich durch meine Gegenwart nicht etwa stören, im Gegenteil, sie versicherten mir freudig, Deutschland habe das befohlen, ich solle mir nur eine tüchtige Menge Hühner mitnehmen, die ich ja auf der Reise brauchen könne.

Im Norden von Sarikischla, am rechten Ufer des Kisyl Irmak, traf ich neben anderen einen mir seit Jahren bekannten Soldaten. Man erzählte mir, dass man wenige Tage zuvor in einer kleinen Schlucht, unweit des nahe gelegenen heissen Bades etwa 2000 Armenier erschossen habe.

Als ich am Abend in Sarikischla anlangte, sah ich etwa 300 mit armenischen Frauen und Kindern beladene Ochsenkarren, sie führten nichts als zerlumpte Decken mit sich, oft auch kaum diese, kein Hausgerät, keine Provisionen: es war traurig, diese Hungernden und Elenden zu sehen; es mochten im Ganzen etwa 12 – 15000 Menschen gewesen sein. Angeblich wollte man sie in die öde Uzunjaila senden, welches trostlose Land sich zwischen Euphrat und dem vulkanischen Gebiete östlich vom Argaus erstreckt. Hier kann unmöglich eine grössere Menge von Menschen ernährt werden, ich kenne das Gelände von früheren Reisen her. Die Soldaten erzählen schliesslich offen, dass man diese Leute in die „Gräben“ führe und das Schicksal dieser Elenden ist eben der Tod; nach den Reden war daran nicht zu zweifeln.

In der Stadt Sivas war kein Armenier mehr zu sehen, Frauen und Kinder, Greise waren in die Uzunjaila abgeschoben. Die alten seldschuckischen Medressen waren in Gefängnisse verwandelt, die man vollgestopft hatte mit Armeniern; „wir werden sie alle töten“, sagte der mich begleitende Offizier. Die armenischen Geschäfte in Sivas sind sämtlich geschlossen und versiegelt. Die Stadt hat 60 - 80000 Einwohner und wohl 30000 Armenier, in deren Händen der bedeutende Handel dieser Stadt liegt; er ist für lange Zeit vernichtet.

Als ich wieder nach Kaisarie zurückkehrte, traf ich auf lange Züge besserer Armenier, welche von Samsun auf langen Umwegen über Sille nach Sivas geführt wurden; es waren darunter katholische Priester und Nonnen armenischer Nationalität. Darüber wundere ich mich; wenn man Gebiete an der russischen Grenze von gefährlichen Elementen säubern will, führt man sie doch nicht wieder nach Osten!3

In Sarikischla waren wieder grosse Züge von Frauen und Kindern armenischer Nation angelangt, welche in die Uzunjaila abgeschoben werden sollten. Ich traf dort die Expedition des Herrn Grafen Schulenburg, dem ich meine Beobachtungen mitteilte. Ich hatte weiter erfahren, dass in der Gegend von Ersignan Frauen und Kinder in entsetzlicher Weise von Soldaten niedergemacht worden seien, dass Schwestern des Roten Kreuzes, welche ihrer Empörung Ausdruck verliehen hatten, vom Mutessarif von Ersignan in harter Weise von Sapties begleitet des Landes verwiesen worden sind, ohne dass Einsprüche wirksamer Art seitens des Leiters der deutschen Sanitätsstation erfolgt wären.4

Ich bin 20 Jahre im Lande und mache nun die dritte Armenierverfolgung mit, ich kann wohl sagen, dass die jetzige die gründlichste ist, denn es besteht fast die Gewissheit, dass die Gesamtbevölkerung der Vilajete Erzerum, Sivas und der angrenzenden Provinzen getötet ist oder getötet werden soll.

Als ich Kaisarie nach fast monatlicher Abwesenheit wieder erreichte, war man gerade dabei, die männliche Bevölkerung abzuführen und merkwürdig, wieder nach Osten in das grosse Grab des armenischen Volkes. Kaisarie ist für den Handel ein überaus wichtiger Platz; er ruht ganz in armenischen Händen. Ich fand alle armenischen Geschäfte verschlossen, den Bazar verödet, die Industrie, Weberei, Teppichfabrikation erstickt. All das kann nur die bittersten Folgen haben.

“Haben Sie Beweise für das, was Sie mir sagen“, fragte mich Graf von der Schulenburg? Schwerwiegendste Indizienbeweise sicher; ich kenne Land und Leute gut, wohl besser als die in der deutschen Presse als “berufene Kenner“ der Türkei bezeichneten Dr. E. Jäckh und Genossen, der eine der Wahrheit widersprechende Abhandelung über Adanamassakres schrieb, der behauptete, ein Regiment anatolischen Rediefs sei besser als das erste Garderegiment zu Fuss. Dieser über unsere Garde gestellte Redief verübt jetzt Heldentaten und tötet Frauen und Kinder!

Unsere deutsche Presse dementiert die Massakres in gutem Glauben, man täuscht sie.

Wir Deutsche führen unsern Krieg in anständiger Weise, wir werden von unsern Feinden verleumdet, verlästert; können´s verachten, denn wir haben nur Blut vergossen wo Schuldige waren. Wer ein Hochverräter ist, soll sterben; von den Armeniern sind Tausende schuldig. Diese richte man öffentlich. Aber Frauen und Kinder zu ermorden, ein Volk auszurotten, das, wenn auch widerwärtig, dennoch für die kaufmännisch unbegabten Türken eine Notwendigkeit ist, das ist, abgesehen von der Unmenschlichkeit, gar zu dumm, denn es führt zum Staatsbanquerott und macht das Land lebensunfähig.

Da wir Feinde überall haben, müssen wir uns hüten, diesen Grund zu gerechten Angriffen zu geben und müssen von unseren Bundesgenossen verlangen, dass sie den Krieg mit Menschlichkeit führen neben notwendiger Strenge, uns und ihnen zur Ehre. Unser tapferes Heer, ohne Glaubensunterschied, betet das holländische Dankgebet, aber wir können nicht vor Gott den Gerechten treten, wenn wir nicht selbst Gerechtigkeit üben. Es ist falsch deutscherseits, wie es von Offizieren geäussert wurde, zu glauben, es komme auf das Leben tausender Armenier nicht an; auf dem Spiele steht die Existenz Hunderttausender, vielleicht die von mehreren Millionen Menschen. Richte man alle Schuldigen öffentlich ohne Gnade, aber lasse man das Morden, es muss sich rächen.

Es wird mir nicht einfallen, Gesehenes und Gehörtes der Oeffentlichkeit preiszugeben, es würde dem Vaterlande schaden, aber Sie werden leicht Wege finden, der Botschaft, zu deren Gehör ja Einiges gelangt sein wird, von meinen Wahrnehmungen Mitteilung zu machen. Die Bestrafung der Armenier muss in legale Bahnen gelenkt und so gehandhabt werden, dass wir sie vor Gott und Freunden, auch Feinden verantworten können - und auch vor dem deutschen Volke selber.

Ich glaube, es wird sehr gut sein, wenn die Kaiserliche Botschaft durch eine besondere Mission nach dem Osten sich Gewissheit über die traurigen Vorkommnisse verschafft und dringliche Vorstellungen erhebt; dazu aber aufrechte Leute verwendet, die sehen können und wollen. Die Leiter unserer Lazarette im Osten, in deren unmittelbarer Nähe sich Entsetzliches abspielt, werden leider von den türkischen Beamten genasführt und belogen.

Sollten Sie weiteres erfahren wollen, so würde der Bringer dieses Geheimbericht wohl geneigt sein, Ihnen vertrauliche Mitteilungen zu machen.


Anlage 5

[entspricht Dokument 1915-07-31-DE-002]



1A 45880
2Dieser Erlaß Nr. 590 ist auch als Dokument 1915-08-04-DE-001 abgedruckt.
3Anmerkung Mordtmann: Am 11/8 an Msgr. Naslian mitgeteilt, der sich mit Bezug auf J No. [Journal-Nummer ....] nach dem Schicksal dieser Priester und Nonnen erkundigte.
4 Anmerkung Mordtmann: Dr. Colley, Frl. Elvers u. Frl. Thora Wedel-Jahrlsberg cf. Seite 5 vorletzter Absatz.



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