Wolfgang Gust

Veröffentlichungen: Antwort auf die Kritik Hilmar Kaisers



Publisher





Dr. Hilmar Kaiser ist ein bislang nur in englischer Sprache publizierender deutscher Historiker mit dem Spezialgebiet Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg. Seine bisherigen Veröffentlichungen weisen ihn als einen Fachmann aus, der die deutschen Akten besser kennt als irgendein anderer Historiker.

Im September 2006 erschien im renommierten amerikanischen „Journal of Genocide Research“ (Vol 8 Nr. 3) auf S. 355 Kaisers Kritik meines Buches „Der Völkermord an den Armeniern 1915/16“, auf die ich im Juni 2007 einging. Diese Replik wurde Kaiser, wie es die Regularien der Zeitschrift vorsehen, vorgelegt, der seinerseits darauf antwortete. Eine weitere Diskussion über diese Besprechung ist in der Zeitschrift grundsätzlich ausgeschlossen.

Meine Arbeit, schreibt Kaiser, sei gespickt mit Fehlern und Verdrehungen, allgemeinen und speziellen. Und besonders die speziellen Fehler seien so zahlreich, daß er sie nicht aufzulisten könne. Daß daran wenig wahr ist und vieles einfach nur spitzfindig, soll die hier folgende Erwiderung aufzeigen.

Hilmar Kaiser kann, wenn er will, an diesem Platz in beliebiger Länge auf meine Erwiderung antworten.


Teil I: Das Buch-Vorwort

Hilmar Kaiser beschäftigt sich sowohl mit der Einleitung des Buches als auch mit den Dokumenten selbst. In der Einleitung deckt er einen klaren Fehler und einige Ungenauigkeiten auf. So habe ich auf Seite 50 in der Tat fälschlicherweise ein Zitat dem Erzurumer Konsul Edgar Anders zugeschrieben statt seinem Amtskollegen Paul Schwarz, was um so ärgerlicher ist, als ich in der zitierten Quelle auf S. 121 den Autor richtig als Paul Schwarz angegeben hatte. Es sei zweifelhaft, schreibt Kaiser, ob die Mehrheit der Armenier in den Arbeiterbataillonen im Anfangsstadium des Krieges ermordet wurde. Als eine Quelle nennt Kaiser mit AA-PA 152/87 und 88 zwei Bände der Reihe „Eisenbahnen in der asiatischen Türkei“ aus der Zeit 15.5.1916 bis 16.7.1916 mit Hunderten von Akten, was nicht als Quelle akzeptiert werden kann. Als zweite Quelle nennt Kaiser die Untersuchungen von Raymond Haroutiun Kévorkian. Gerade dessen (französischsprachigen) Beispiele belegen, daß fast alle Armenier in den Arbeitsbataillonen in der Anfangzeit ermordet worden sind und nur wenige bis Juli 1916 überlebten - und auch dann nur, wenn sie den Islam angenommen oder sich hinter türkischem oder auch mal griechischem Namen versteckt hatten.

Der kurdische Anführer Zeynel habe keine Massaker in Surudj organisiert, schreibt Kaiser. Die Quelle sagt, die Massentötung habe zwei Tagesmärsche nach Malatia auf dem Weg nach Suridj stattgefunden - also war es auf dem Weg nach Suridj. In Deir Zor hätte es keine überlebenden Armenier gegeben, hatte ich geschrieben, Kaiser korrigiert, es habe einige armenische Überlebenden in Deir Zor und Umgebung gegeben, was sicher stimmt. Bei der Masse von Armeniern, die durch Deir Zor geschleust worden waren, ist es wohl eine Zahl unterhalb des Promillebereichs. Zeitun sei keine „rein“ armenische Stadt gewesen, wie ich geschrieben habe, moniert Kaiser und hat damit formal auch recht. Es war zwar die armenische Hochburg in der Türkei schlechthin, aber selbst in rein armenischen Dörfern gab es zumindest einen Türken, zum Beispiel den Polizisten, weil nur Türken höhere amtliche Posten einnehmen konnten.

Scheubner-Richter, Posseldt, Stange und Staszweski seien nicht die einzigen deutschen Offiziere in Erzurum gewesen, schreibt Kaiser. Waren sie mit Sicherheit auch nicht, denn Erzurum war eine Durchgangstation für die türkische Armee in Richtung Armenien und damit auch für mehrere deutsche Offiziere im Gefolge. Ich hatte auch nur geschrieben, die vier seien dauernd in der Stadt gewesen. Und sie waren den Armeniern wohlgesonnen, wofür sie einen Preis zahlen mußten, zumindest Posseldt und Stange wurden versetzt. „Scheubner-Richter“, schrieb ich, „wurde fortan nur noch als Offizier im Osten und in Persien eingesetzt.“ Dies sei seine eigentliche Bestimmung, gewesen, korrigiert Kaiser, der Posten als Vize-Konsul sei das Provisorium gewesen. Für diese Präzisierungen oder Einschränkungen gebührt Hilmar Kaiser Dank.

Die meisten seiner übrigen Einwände gegen die Einleitung oder Passagen in ihr sind zweifelhaft, manchmal schlicht irreführen. Die Einleitung, behauptet Kaiser, berücksichtige nicht die Erkenntnisse der internationalen Wissenschaft. Dieser Einwand geht schon deshalb ins Leere, weil das Vorwort keineswegs eine Einführung in die Gesamtproblematik ist, sondern sich nahezu ausschließlich auf die chronologisch angeordneten deutschen Dokumente beschränkt, die in der Einleitung strukturiert werden sollten. Daß die gegenwärtige Forschung sich weitgehend auf amerikanische Dokumente stütze, wie er schreibt, habe ich nicht behauptet, sondern dies über die angelsächsische Literatur geschrieben. Auf der von Kaiser zitierten Seite 22 habe ich ausgeführt, daß die Amerikaner nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen viele Papiere vernichten mußten (Aleppo-Konsul Jesse B. Jackson: „Mir war klar, daß viele wertvolle und historische Informationen damit auf immer verloren waren.“) und erst nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland viele detaillierte Reports aus der Erinnerung verfassen konnten. Die US-Dokumente aber sind neben den deutschen die wichtigsten westlichen Quellen, denn die amerikanischen Diplomaten und Beobachter konnten während des Völkermords aus den Brennpunkten berichten, während beispielsweise die Österreichs oder Italiens im Osten kaum präsent waren.

Die „Spezial-Organisation“, schreibt Kaiser, sei nicht speziell für den Völkermord organisiert worden, was ich auch nicht behauptet hatte. Ich hatte „zusammengestellt“ geschrieben, das er mit „organized“ übersetzte, was im Englischen auch „einrichten“ heißt. Kaiser spielt damit auf die Tatsache an, daß die Sondertruppe ursprünglich für eine Guerillatätigkeit außerhalb des Osmanischen Reichs gegründet worden war. Auch die von ihm als fehlend angegebene deutsche Weltkriegsquelle “AA-PA Weltkrieg 1 Id seer” umfaßt nur die Zeit vor dem Kriegseintritt der Türkei am 30. Oktober 1914. Die Sondertruppe wurde jedoch bereits im Dezember 1914 gegen die Armenier in den östlichen Provinzen eingesetzt (Ende Dezember tötete ein Mitglied der Spezial-Organisation den armenischen Geistlichen Sahag Odabachian in Erzerum) und waren nach der Entscheidung, die Armenier zu deportieren, nur noch mit der Durchführung des Massenmords an den Armeniern beauftragt. Von dieser Zeit ist bei mir die Rede. Auf S. 65 spreche ich von einem Dokument Scheubner-Richters vom 7. Juli 1915, der von dem „Bandenführer Schakir“ sprach. Dem fügte ich hinzu: „Daß es sich bei der ‚Bande’ Schakirs um die berüchtigte ‚Spezialorganisation’ zur Vernichtung der Armenier handelte, wußte Scheubner-Richter offensichtlich nicht.“ Seite 71 behandelt eine noch spätere Periode, zu dem die von Schakir geleitete Spezialorganisation zweifellos nur noch „speziell für die Durchführung des Völkermords zusammengestellt“ war. Zum Zeitpunkt der beiden Dokumente war die Spezialorganisation praktisch gar nicht mehr im muslimischen Ausland tätig.

Vom deutschen General und Berater des Sultans wie auch des Kriegsministers Enver, Colmar von der Goltz, würde berichtet, hatte ich geschrieben. „er habe dem Deportationsbefehl von Enver zugestimmt“. Stimme nicht, schreibt Kaiser, Goltz habe nicht dem Deportationsbefehl zugestimmt, sondern dem provisorischen Deportationsgesetz vom 27. Mai 1915. Genau auf dieses Dokument hatte ich mich berufen und das auch damit klargemacht, daß ich den Artikel 2 dieses Regierungsbefehls zitierte. Diesem Gesetz hatte Goltz zugestimmt, und es als „Deportationsbefehl“ zu bezeichnen ist auch formal in Ordnung, denn es gibt den Militärs ausdrücklich das Recht zur Deportation.

Der CUP-Führer von Adana, Ismail Safa, sei nicht ein Unterstaatssekretär, hatte Kaiser in seiner ersten Kritik angemerkt, sondern ein lokaler Parteiführer. Genau als das hatte ich Safa zitiert, und zur Vorsicht extra mit einer Fußnote angeführt, daß der deutsche Botschafter ihn als Unterstaatsekretär des Innenministeriums bezeichnet habe. Selbst nachdem ich den Irrtum klargestellt hatte, insistiert Kaiser in seiner zweiten Kritik, ich hätte Hohenlohes inkorrekte Identifizierung von Safa in meiner Einleitung gebraucht, ohne den Leser über den Irrtum zu informieren. Hätte ich Safa für einen Unterstaatsekretär gehalten, hätte ich ihn ja wohl als solchen vorgestellt und nicht als lokalen CUP-Führer.

Kaiser kritisiert, von mir seien entscheidende ökonomische Aspekte auf persönliche Bereicherungen der jungtürkischen Täter reduziert worden und behauptet, daß die deutsche Botschaftskorrespondenz ein anderes Bild wiedergibt. Dabei beruft er sich auf auch von den Deutschen gesammelte osmanische Dokumente, die „persönliche Bereicherungen als Mißbrauch angesehen“ hätten. Diese Version hatten die Osmanen schon damals verbreitet und auch den Deutschen zugestellt. Und sie wird von den türkischen Staats-Historikern bis heute immer wieder vorgebracht. Ich sehe es allerdings nicht als meine Aufgabe an, die osmanischen Versionen darzustellen, sondern die deutschen. Die deutschen Beobachter aber hatten einen ganz anderen Eindruck. Hier einige Beispiele:


Nur selten finden sich in den deutschen Akten konzeptartige Aufzeichnungen, die für wichtige Gespräche angefertigt worden sind, allenfalls Protokolle der stattgefundenen Gespräche. Den Grund gab, so hatte ich argumentiert, Botschaftsrat Otto Göppert an. Mit Botschafter Metternich sei verabredet worden, „daß über derartige Unterredungen nichts Schriftliches hinterlassen würde.“ Das war im Zeitalter der Geheimdiplomatie sicherlich nicht außergewöhnlich und wohl auch in anderen Ländern üblich. Hilmar Kaiser jedoch bezieht die Bemerkung einzig auf das von Göppert vorgelegte Memorandum und argumentiert, Empfänger „Halil hat sich geweigert, den schriftlichen deutschen Protest entgegenzunehmen. Diese Weigerung wurde gebührend festgestellt, wodurch es schwierig ist, die Behauptung einer Vernichtung zu akzeptieren. Warum sollte ein Beamter ein Memo zurücklassen, wenn ansonsten alle Spuren beseitigt wurden. Außerdem belegen das intakte Akten- und Registrierungssystem des deutschen Auswärtigen Amts eine solche Behauptung nicht.“ Das nun ist mindestens blauäugig. Registriert werden konnten nur Schriftstücke, die zu den Akten gegeben worden sind, nicht solche, die gar nicht erst als Akten deklariert werden. Wenn sich Göpperts Aussage nur auf ein einziges türkisches Memorandum bezogen haben soll, warum schrieb dann, daß über derartige Unterredungen nichts Schriftliches hinterlassen würde.

In der langen Besprechung von Taner Akcams Buch „A shame ful act“ auf dieser homepage ist beispielsweise von einer Reise des türkischen Außenministers Halil im März 1915 nach Berlin die Rede, wo offensichtlich über die Maßnahmen gegen die Armenier gesprochen worden ist. „Sag mir, lieber Halil“, soll Talaat ihn bei seiner Rückkehr gefragt haben, „was hast Du in Berlin in Bezug auf die Deportationen der Armenier diskutiert?“ Mir ist kein deutsches Dokument bekannt, in dem von einer Diskussion über dieses Thema oder gar von Entscheidungen dazu die Rede ist. Wichtige Dokumente brauchen deshalb nicht verschwunden zu sein, es genügt, daß sie gar nicht erst angefertigt worden sind.

Das Kaiserliche Deutschland, so wie es sich in den diplomatischen Akten darstellt, war weder der Initiator des Völkermords an den Armeniern, noch eine treibende Kraft - von einzelnen Deutschen abgesehen -, duldete aber die Deportationen der Armenier. Die Initiativen zum Völkermord gingen von den Jungtürken aus, deshalb kann nur aus der Reaktion der deutschen Seite auf die Haltung des Kaiserreichs geschlossen werden. Hilmar Kaiser versucht, die deutsche Mitwirkung auf eine reine Propaganda-Ebene hinunterzuspielen, weil vor allem Wangenheim sich in einigen Fällen an der Formulierung türkischer Memoranden beteiligt oder sie gar vorformuliert hat. Doch das ist der unwichtige Teil deutscher Mitverantwortung. Wichtig ist: Haben die deutschen Diplomaten türkischen Beschlüssen zugestimmt? Und wenn ja, welchen und in welchem Umfang?

Bereits am 30. Juni 1915 berichtete der Armenienexperte der Botschaft, Johann Mordtmann über ein Gespräch mit der rechten Hand Talaats im Innenministerium, Djanbulat bej: „Wie mir vor einigen Tagen Djanbulat bej mit der Karte von Anatolien in der Hand mündlich bestätigte, hat die Türkische Regierung letzthin beschlossen die Ausweisungsmaßregeln gegen die Armenier noch weiter auszudehnen: so sollen nunmehr auch die Armenier in den Provinzen Djanik, Trapezunt, Siwas und Mamuret ul Aziz nach Mesopotamien abgeschoben werden. Das läßt sich nicht mehr durch militärische Rücksichten rechtfertigen; es handelt sich vielmehr, wie mir Talaat bej vor einigen Wochen sagte, darum die Armenier zu vernichten. Im Eingang des neuen Entwurfes habe ich geglaubt, indirekt darauf hinweisen zu sollen, daß wir den Massenausweisungen in diesem Umfange nicht zustimmen können.“

Wieso schreibt Mordtmann, die Ausweisungsmaßregel ließe sich nicht mehr durch militärische Rücksichten rechtfertigen? Das kann doch nur heißen, daß das kaiserliche Deutschland zuvor die Ausweisungen in einem geringeren Maße akzeptiert hat. Und wieso sagt Mordtmann, daß Deutschland den Massenausweisungen (also nicht vereinzelten Deportationen) „in diesem Umfang“ nicht zustimmen könnte, wenn es nicht zuvor Deportationen in geringerem Umfang zugestimmt hätte. Es spricht aus diesen Äußerungen, daß es Ende Juni 1915 eine begrenzte Zustimmung Deutschlands zu den Deportationen der Armenier aus dem Osten gab. Das alles war natürlich nicht Mordtmanns Privatmeinung, sondern die der Botschaft. Und die Botschaft vertrat die Meinung ihrer Regierung. Deshalb hatte ich in meiner Einleitung geschrieben: „Die Botschaft war offensichtlich dahingehend instruiert oder auch nur informiert, Deportationen in gewissem Umfang zuzulassen.“

Kaisers erster Kommentar zu dieser Stelle: Gust believes that most important evidence documenting decisions by the highest government levels must be missing from the archives. He argues that the embassy had been instructed or informed by Berlin to "allow" deportations (p 80), but does not present any FO directive to this effect.” Ich sei also wohl der Meinung, daß höchst wichtige Dokumente der Reichsleitung in den Archiven fehlen müßten und würde argumentieren, Berlin habe die Botschaft instruiert oder informiert, die Deportationen zu erlauben, würde aber keine entsprechende Weisung bringen. Kaiser ließ nicht nur die Einschränkungen „offensichtlich“ und „in gewissem Umfang“ einfach weg, sondern nannte meinen Einwand, daß ich etwas anderes geschrieben hatte nur kurz „falsch“ - und gab mein Zitat richtig wieder, allerdings nur in einer Fußnote und auf Deutsch, damit der nicht Deutsch sprechende Leser sein „Falsch“-Urteil nicht überprüfen kann. Und er erwähnte vor allen Dingen den Mordtmann-Kontext nicht.

In der Einleitung hatte ich noch angefügt, daß in der Tat vieles dafür spricht, daß deutsche Diplomaten, allen voran Wangenheim, bei ihren Berlinbesuchen in die Haltung der Reichsleitung eingeweiht worden waren, ohne daß darüber etwas Schriftliches vorliegen muß. Das hatte ich mit Bewerkungen Wangenheims gegenüber dem amerikanischen Botschafter Morgenthau belegt, denn der deutsche Botschafter hatte fast wortwörtlich Worte des Kanzlers Bethmann Hollweg gebraucht, die erst für eine viel spätere Zeit und nach Wangenheims Tod schriftlich belegt sind.

Um die deutsche Haltung zur Frage der Deportationen zu beschreiben, sind wir nicht nur auf Mordtmann angewiesen. Botschafter Wolff-Metternich selbst hat sich zu dieser Problematik geäußert. Am 31. Januar 1916 kommentierte er ein Memorandum der türkischen Regierung und stellte fest: „Es ist auch zuzugeben, dass die Aussiedlung von Teilen der armenischen Bevölkerung im militärischen Interesse lag und als Notwehrhandlung gelten kann.“ Am 3. April des gleichen Jahres kommentierte er erneut das gleiche Memorandum und präzisierte diesmal: „Die Türkische Regierung vertritt den Standpunkt, daß die Umsiedelungsmaßnahme nicht nur, wie wir zugegeben haben, in den Ostprovinzen, sondern im ganzen Reichsgebiet durch militärische Gründe gerechtfertigt war.“ Metternich (und das heißt die deutsche Regierung) gibt also einmal zu, daß die „Aussiedlung von Teilen der armenischen Bevölkerung im militärischen Interesse lag“, und daß sie in den Ostgebieten durch militärische Gründe gerechtfertigt war.

Kaisers Kommentar zu dieser Textstelle: „In a report by Ambassador Metternich, Gust claims to have detected a ‘smoking gun.’ He asserts that Metternich had agreed the deportations were justified for ‘military reasons.’ This is not the case, however. The report in question simply summarizes the Ottoman government's official position, not the embassy's.” Ich hätte also eine “smoking gun” zu entdecken geglaubt, und würde behaupten, Metternich habe zugestimmt, daß die Deportationen durch militärische Gründe gerechtfertigt seien. Das aber, so Kaiser, „ist nicht der Fall.der Bericht faßt lediglich die offizielle Haltung der osmanischen Regierung zusammen.”

Hilmar Kaiser hat entweder das Dokument nicht richtig gelesen oder nicht verstanden - beides glaube ich aber nicht. Er will es einfach nicht verstehen. „Referring to German propaganda and excuse-making“, so Kaiser weiter, „the report noted that the FO had ‚admitted’ (zugegeben) the occurrence of deportations in the eastern provinces. Gust declares that ‚admitted’ has to be interpreted as ‚agreed to,’ supposedly proving his case. In this manner, the editor simply invents the support he needs for his thesis, by alleging that ‚the Germans’ had entered into an ‘agreement’ with ‚the Turks.’ This agreement supposedly comprised a ‘clause’ excluding Armenians in central and western regions from deportation (p 83).“ Zu Deutsch: Sich auf deutsche Propaganda und Ausreden berufend habe der Bericht die Vorkommnisse von Deportationen in den östlichen Provinzen zugegeben, so Kaiser, ich hätte jedoch erklärt, daß “zugegeben” als “zugestimmt” interpretiert werden müsse und damit sei angeblich die Sache bewiesen. Auf diese Weise hätte ich eine Zustimmung erfunden, die ich für meine These brauche, daß “die Deutschen” eine „Vereinbarung“ mit “den Türken” abgeschlossen hätten und daß diese Vereinbarung eine „Klausel“ enthalte, nach der die Armenier der zentralen und westlichen Regionen von der Deportation ausgeschlossen seien.

In der Einleitung hatte ich geschrieben: Die Formulierung „zugegeben“ ist zwar ein wenig unüblich und vielleicht sogar durch ein Schuldgefühl (denn Schuld wird üblicherweise „zugegeben“) in den Schriftsatz geraten, kann aber nur im Sinne von zugestimmt interpretiert werden.“ So weit hat mich Kaiser richtig verstanden. Anschließend erfindet er die Begriffe „Vereinbarung“ und „Klausel“, die ich nie gebraucht habe. Vielmehr schrieb ich von einem „Zusatz, der die deutsche Verantwortung erstmals klar festhielt.“

Bleibt noch, den Begriff „Ostprovinzen“ genauer einzugrenzen und deshalb hatte ich Enver herangezogen, der gegenüber Lepsius geäußert hatte, er habe beschlossen, „zunächst in sieben Vilajets die gesamte armenische Bevölkerung zu evakuieren“. Diese sieben Vilajets waren die sechs in dem Reformprogramm genannten armenischen Provinzen im Osten Anatoliens plus der Provinz Trapezunt, wie damals das heutige Trabzon von den Deutschen genannt wurde.

Kaiser versucht gar nicht, das von Metternich immerhin zwei Mal verwendete Verb „zuzugeben“ bzw. „zugegeben“ zu interpretieren, sondern läßt es einfach unter den Tisch fallen. Ein Historiker muß doch klar sagen, wie er das Wort „zugeben“ interpretiert. Wenn Metternich dann davon spricht, daß „wir“ etwas zugegeben haben, meint er damit natürlich die deutsche Regierung. Ob Mordtmann, Wangenheim, Zimmermann oder Metternich, sie alle akzeptierten militärische Interessen als Anlaß, Armenier aus bestimmten Gebieten auszuweisen. Daß sie Ausweisungen zugestimmt haben, bedeutete keineswegs, daß sie der Vernichtung der Ausgewiesenen zugestimmt hätten. Das Kaiserreich hatte während des Krieges auch anderorts militärische Gründe für Deportationen akzeptiert, wie bestimmte Ereignisse in Belgien und Frankreich belegen. Die Erreichung von Kriegszielen hatte grundsätzlich Priorität, ob darüber nun Armenier zugrunde gingen oder nicht. Da die Armenier in der Türkei hauptsächlich im Osten und damit an der russischen und ebenfalls feindlichen persischen Grenze siedelten, ist es nur in der Logik dieser Grundhaltung, auch sie von Deportationen nicht auszunehmen, wohl aber die Armenier im Westen, also fernab von Frontlinien. Damit ist nicht gesagt, daß die Vernichtung der Armenier eine grundsätzliche Zustimmung bei den Verantwortlichen Kaiserdeutschlands fand.

Um die Belege einer deutschen Zustimmung wegzudiskutieren, geht Kaiser sogar noch weiter und behauptet: „Gust Zitat von Metternich ist falsch“. Da Kaiser ein deutsches Buch bespricht, muß der angelsächsische Leser natürlich annehmen, ich hätte Metternich im Buch falsch zitiert. Kaiser belegt das aber nur mit einer angeblich falschen Übersetzung. Unsere diplomierte Übersetzerin hatte den fraglichen Satz übersetz mit “In the opinion of the Turkish government, measures for resettlement were not only justified by military reasons in the Eastern provinces, as we have already admitted, but throughout the entire territory of the Empire” übersetzt. Mit dem Wort „already“ hätten ich den Satz verfälscht, behauptet Kaiser. Das muß er schon erklären, denn ob der Satz nun mit “already” übersetzt wird oder nicht, ändert nichts an der Kernaussage und auch nicht an der Zeitspanne.

Um zu beweisen, daß seiner Meinung nach das deutsche Kaiserreich die Armenier in Schutz nahm, bringt Kaiser das Beispiel Liman von Sanders, dessen Eingreifen die Armenier Smyrnas vorübergehend rettete. Kaiser unterschlägt, daß Liman nicht auf Veranlassung des Kaiserreichs eingegriffen hatte, sondern als kommandierender General der betroffenen türkischen Armee aus militärischen Erwägungen heraus den Entschluß faßte, sich der Vertreibung hauptsächlich der Griechen aber auch und Armenier Smyrnas zu widersetzen. Und Kaiser verschweigt, daß der deutsche Geschäftträger in Konstantinopel, Radowitz, die Armenier Smyrnas bereits abgeschrieben hatte. Über die Deportation von 300 Armeniern, die Liman zum Anlaß seiner Demarche nahm, schrieb Radowitz: „Ich halte es für ausgeschlossen, daß durch Vorstellungen bei der Pforte die Zurücknahme dieser Maßnahme noch zu erreichen ist.“

Liman von Sanders und von der Goltz hätten eben die militärische Macht gehabt und sie genutzt, um Armenier zu retten, argumentiert Kaiser. In der Tat zeigt das Vorgehen Limans, daß das kaiserliche Deutschland durchaus Mittel gehabt hätte, sich zumindest an bestimmten Orten oder zu bestimmten Zeiten dem Vernichtungswillen der Jungtürken zu widersetzen. Militärische Macht hatten schließlich auch andere Deutsche, jene Offiziere um Enver, die hohe und höchste Stellungen innerhalb der türkischen Armee innehatten, wie beispielsweise Bronsart von Schellendorff, der Generalstabschef der türkischen Armee. Und auch diese Deutschen nutzten ihre Macht - allerdings um Armenier draufgehen zu lassen oder gar sie aktiv in den Tod zu schicken. Einer von ihnen war der Chef des Verkehrswesens im türkischen Großen Hauptquartier, Oberstleutnant Böttrich, der Vernichtungsbefehle für die an der Bagdadbahn tätigen Armenier unterzeichnete. Darüber gibt es einen hervorragenden Artikel, der die ganze Entschlossenheit schildert, mit der dieser Mann zu Werke ging. Autor: Hilmar Kaiser. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Hilmar Kaiser damals nur die Deutsche Bank reinwaschen wollte und sich heute des Artikels nicht mehr erinnern will, weil ein vom Kaiser in die Türkei delegierter Deutscher und indirekt damit das Kaiserreich belastet wird.

Die deutsche Haltung der politischen Führung zu den Armeniern war vom Reichskanzler Bethmann Hollweg Ende 1915 klar festgelegt: „Unser einziges Ziel ist, die Türkei bis zum ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht.“ Das weiß seit langem auch Hilmar Kaiser. Er schreibt, er habe 1999 erstmals dieses Zitat veröffentlicht, gibt aber keine Quelle an. Doch wohl nicht im von ihm verpönten Internet? Zur Erinnerung: Wir haben auf meiner damaligen homepage bereits 1998 alle Lepsius-Dokumente mit ihren Abweichungen von den Originalen veröffentlicht. Und obwohl es „nur“ eine Webseite war, haben Forscher sie beachtet, wie beispielsweise bei Guenter Lewy in seinem 2005 erschienenem Buch „The Armenian Massacres in Ottoman Turkey“ auf Seite 134 nachzulesen ist. In der Zeitschrift „Mittelweg 36“ hatte ich 1999 einen Artikel darüber verfaßt und das Bethmann-Zitat sogar in die Überschrift genommen.

Fazit der Kritik des Vorwortes: Hilmar Kaiser hat einige wenige Detailfehler gefunden, wofür ihm Dank gebührt, sich um eine wirklich Diskussion einer deutschen Mitverantwortung aber schlicht gedrückt.


Teil II: Die Dokumente

Auch in der Dokumentation hat uns Hilmar Kaiser auf Fehler aufmerksam gemacht. Auf Seite 147 ist die erste Fußnote von Bronsart von Schellendorff von uns falsch entziffert worden. Sie muß heißen, wie Kaiser richtig schreibt: „Viel peinlicher ist das Morden von über 4000 Türken durch armenische Banden bei Wan.“ Der Fehler ist um so ärgerlicher, als der Schweizer Historiker Christoph Dinkel diesen Sütherlin-Text schon Jahre zuvor richtig wiedergegeben hat.

Zwei Orts- und ein Personenname sind im Buch falsch geschrieben worden. Auf Seite 222 muß es Armasch statt Armasok heißen und auf Seite 266 Ras ul Ain statt Ratulem. Auf Seite 463 ist der richtige Name Fabricius und nicht Falucius.

Die übrigen von Kaiser gefundenen Fehler betreffen zumeist falsche Ziffern. Zwei sind Bandnummern der Reihe Botschaft Konstantinopel. Auf Seite 145 muß es 168 heißen (statt 169), auf Seite 155 entsprechend 169 statt 168. Fünf Mal ist eine falsche oder keine Registernummer angegeben worden: Auf Seite 198 ist die richtige Registernummer 4184 (statt 4164), auf Seite 201 muß es 3967 statt 3961 heißen. Auf Seite 434 fehlt die Registernummer 2934, ebenso auf Seite 565 die 11778. Auf Seite 521 hätte statt der falschen Registernummer A 29162 stehen müssen „zu A 26852“. Zwei Mal haben wir die Angabe „Abschrift“ unterlassen, einmal eine laufende Nummer statt einer Registernummer angegeben.

Das wars! Ein falsches Zitat, drei falsche Namen, neun falsche Ziffern, zwei fehlende Kopie-angaben. Insgesamt 14 Fehler auf weit mehr als 500 Seiten. Kein schlechtes Ergebnis bei Zehntausenden von Zahlen und Entzifferungen - und durchaus in der Marge anderer, auch staatlicher Dokumentationen.

Da sich die einzelnen Fehler in Grenzen halten, stellt Kaiser seine Kritik auf eine angebliche Herausgeber-Politik ab, die er als grundsätzlich falsch oder fehlerhaft beurteilt. Diese Politik beschreibt er höchst polemisch wie folgt:

1) Texte zu zerschneiden und neu zusammenzufügen.

2) Texte als „unleserlich“ oder „nicht entziffert“ zu deklarieren, die in Wahrheit leserlich seien.

3) Teile von Dokumenten ohne jeden Hinweis wegzulassen.

4) Kopien zu veröffentlichen, obwohl die Originale vorhanden sind.

5) Anmerkungen willkürlich zu bringen oder wegzulassen.

Nachfolgend unsere Präzisionen und Begründungen:

Zu 1) Hier geht es Kaiser ausschließlich um Anlagen. Wir haben Anlagen dann gebracht, wenn sie im Original als Anlagen zu dieser Akte kenntlich gemacht worden waren oder (in zwei Dokumenten) wenn sie logisch zum Dokument gehörten.

Zu 2) Unleserliche Stellen als solche zu deklarieren ist anerkannte Praxis in Quelleneditionen und wird auch von Kaiser so gehandhabt. Nur verwendet er dann Fragezeichen statt der Anmerkung „unleserlich“.

Zu 3) Hier geht es um zwei kurze Anmerkungen in fremden Sprachen und mit fremden Schriftzeichen.

Zu 4) Einige Akten waren von den Registerbeamten in anderen Registerbänden abgelegt worden und nur als Kopien in den beiden Reihen. Diese Kopien haben wir als „Abschriften“ kenntlich gemacht und veröffentlicht.

Zu 5) Dokumente enthalten eine Vielzahl von Elementen. Jeder Herausgeber einer Quellenedition muß entscheiden, welche Bestandteile er für wichtig hält und welche nicht. Wir haben uns für den kompletten Text entschieden sowie für wichtige Anmerkungen zu diesen Texten. Kaiser moniert, daß die Notiz „ZdA“ (Zu den Akten) nicht wiedergegeben worden ist. Ohne die Notiz ZdA wären die meisten Akten gar nicht der Nachwelt erhalten geblieben. Wir hätten durchaus wichtigere Hinweise, beispielsweise die das Dokument abzeichnenden Personen oder die zum Teil umfangreichen Verteiler publizieren können mit den jeweiligen Kommentaren für die unterschiedlichen Adressaten, die wir in wichtigen Einzelfällen sogar eingefügt haben. Für den Normalnutzer wäre eine solche Aktenpublikation sehr kompliziert und oftmals unlesbar geworden. Forscher, die sich für all diese Details interessieren und den internen Lauf eines Dokuments genau verfolgen wollen, müssen ohnehin die Originale konsultieren.

Kaiser bringt eine ganze Reihe von angeblichen Fehlern, denen folgender Vorgang zugrunde liegt: In Notizen unter einer Akte wird verfügt, wem der nachfolgende Text zugestellt werden soll. Wir publizierten dies Text in der Regel und in vollem Wortlaut und gaben in eckigen Klammern an, an wen wann und unter welcher Nummer diese Texte versendet worden sind. Kaiser hingegen verlangt für all diese Fälle, die zumeist nur aus einem Satz bestanden, gesonderte Dokumente, die sich von unseren Texten nur durch die zusätzliche Registernummer unterscheiden würden. In unserem Internet-Portal sind wir diesen Weg mehrfach gegangen, im Buch haben wir aus Platzgründen die erheblich kürzere Variante gewählt. Schwer zu sagen, ob Kaiser diesen angeblichen Mangel nun unter 3) oder 5) subsumiert.

Für Leser, denen diese Erklärungen nicht ausreichen, hier die Angaben zu den verschiedenen Ausführungen von Hilmar Kaiser:

Ad 1) Die Anlage auf S. 427 sei eine Kopie eines Briefes an Peet, schreibt Kaiser. Ich hätte zwei Dokumente als eines präsentiert. Zur Aufklärung: In BoKon 98 befinden sich zwei verschiedene Auszugszusammenstellungen, einmal vier Anlagen der Schwestern Schäfer und Rohner in Englisch, möglicherweise, sogar wahrscheinlich an Peet gerichtet, denn englische Texte der deutschen Schwestern wurden praktisch alle an den amerikanischen Geldgeber Peet geschickt. Es befindet sich aber kein Anschreiben an Peet in den Akten (die Botschaft besorgte häufiger den Transport solcher Berichte an Peet durch privat Boten). Zum anderen befinden sich im Ordner die drei inhaltgleichen ersten Berichte in Deutsch, der Muttersprache der beiden Schwestern. Im Berliner Band R 14089 wiederum befinden sich die drei ersten textidentischen Berichte ebenfalls in Deutsch, mit einem Anschreiben von Schuchardt. Im Buch haben wir die drei deutschen Berichte plus dem englischsprachigen vierten Bericht mit dem Hinweis, daß dieser Bericht nur in Englisch vorliegt, veröffentlicht.

Den gleichen Vorwurf des angeblichen Klittens erhebt Kaiser für das Dokument S: 456. Im Buch wird der Bericht von Metternich an den Reichskanzler vom 3. April 1916 abgedruckt. Im ersten Satz dieses Metternich-Textes ist ausdrücklich auf die Anlage No. 729 vom 23. Dezember 1915 hingewiesen worden, die wir deshalb diesem Bericht angefügt hatten. Der ursprüngliche Bericht mit dieser Anlage ist nicht im Buch veröffentlicht worden (wohl aber seit März 2000 in unserem Internet-Portal unter 1915-12-23-DE-001). Beide Dokumente finden sich nebenbei im BoKon-Band hintereinander [Mikrofilm 7143, 46-49], nur in umgekehrter Reihenfolge.

In beiden von Kaiser angeführten Beispielen ist inhaltlich nichts verändert worden.

Ad 2) Kaiser hat drei solcher Stellen angeführt und zwei davon entziffert. So die von uns auf S. 369 mit [unleserlich] bezeichnete Stelle als „Kopie“ und auf S. 461 die von uns als [nicht entziffert] Stelle liest er als „eine erneute Vorstellung“. Damit hat Hilmar Kaiser den veröffentlichten Text verbessert, wofür ihm zu danken ist. Es gibt im Buch aber mehr als 20 solcher Stellen. Die übrigen konnte offensichtlich auch Herr Kaiser nicht lesen.

Ad 3) Auf S. 184 war eine Stelle in Armenisch geschrieben. Kein Verleger - von den wenigen Fachverlegern abgesehen - nimmt die unverhältnismäßig hohen Kosten in Kauf, die durch solch einen einzigen Satz in nicht-lateinischen Buchstaben verursacht werden. Hätte ich sie aber übersetzt, hätte Kaiser auf Dokumentenfälschung erkannt. Ein nicht wiedergegebener türkischer Text war bereits im Dokument ins Deutsche übersetzt worden, wodurch keine Information unterdrückt wurde.

Ad 4) Kaiser bemängelt, daß wir einige Akten als „Abschriften“ wiedergegeben hätten, fand aber keine inhaltlichen Fehler darin. Die damaligen Registerbeamten hatten entschieden, ob eine Akte vorrangig zu den von uns veröffentlichten Reihen „Türkei 183“ bzw. „Botschaft Konstantinopel/armenische Angelegenheiten“ gehörte oder nicht. Wenn nicht, kopierten sie die Akte und legten das Original unter anderen Rubriken ab. Bis auf die beiden erwähnten Fehler haben wir alle Akten dieser Art als „Abschrift“ deklariert. Kaiser argumentiert, damit gingen nachträgliche Anmerkungen in den Originalen verloren. Doch die betreffen wahrscheinlich nie „armenische Angelegenheiten“, sonst hätte es Rückmeldungen in den beiden Reihen gegeben.

Ad 5) Auf S. 314 bezieht sich die Unvollständigkeit darauf, daß im Buch neun Zeilen als „unleserlich“ qualifiziert worden sind. Im Dokument auf S. 561 hatte ich große Passagen ausgelassen, die nichts mit Armeniern oder dem Völkermord zu tun hatten und das mit folgendem Kommentar ausdrücklich begründet: „Der Bericht enthält vor allem kritische Ausführungen über die inneren Zustände, die politischen und wirtschaftliche Lage in der Türkei sowie zu den Beziehungen zwischen ihr und Deutschland. Hier wird nur der Armenier betreffende Teil wiedergegeben“.

Wenn Randbemerkungen für den Inhalt wichtig waren, haben wir sie gebracht. Kaiser kritisiert summarisch “Notes referring to the processing of documents and further reporting are left out” und listet die Dokumente mit solchen angeblichen Mängeln in Fußnote 4 seiner ersten Kritik auf. Weil er - wenig wissenschaftlich - nur Seitenzahlen ohne das dazu gehörende Dokument aufführt, ist es ein Ratespiel herauszufinden, welche Stelle in welchem Dokument er wohl meint, denn mehrmals befinden sich zwei Dokumente auf der angegebenen Seite. Vermutlich meint Kaiser auf


Zuvor hatte Kaiser bereits moniert, auf S. 198 sei „the document reproduced without full references“, und meint damit die Antwort der Botschaft (Telegramm No. 13), die folgenden Text hat: „Werde Inhalt Pforte mitteilen.“

Resümee der Fußnote 4: Fünf der 25 angegebenen Textstellen lastet er uns völlig grundlos an, 20 betreffen ausschließlich Kenntnisnahmen, Ablagen oder Anmerkungen, die keinerlei Zusatzinformationen für den Text liefern. Keine von ihnen verändert in irgendeiner Form den Inhalt.

In seiner zweiten Kritik fügt Kaiser erneut eine Fußnote mit einer Reihe von angeblichen Fehlern an, diesmal präzisiert er wenigstens den Vorgang soweit, daß er nachprüfbar wird. Die Mehrzahl seiner Anmerkungen betreffen immer wieder den gleichen Vorgang: Wir bringen unter dem Haupttext in eckigen Klammern die textlich vollständige Information, an wen wann und unter welcher Nummer eine Benachrichtigung stattfindet, Kaiser verlangt für jeden dieser Vorgänge ein Extra-Dokument. Hier die Antworten auf die einzelnen Punkte:


Resümee der Fußnote 3: Mehrere angegebene Textstellen sind Doubletten anderer von Hilmar Kaiser bemängelten Stellen. Ansonst verlaufen die angeblichen Fehler nach dem eingangs beschrieben Muster: Im Buch wird dem Dokument der Text mit allen wichtigen Angaben angefügt, Kaiser verlangt ein Extra-Dokument. Darüber hinaus korrigiert er einen Fehler und macht zwei.

Es gibt einen Bereich in der Politik einer Quellenedition, den ich für diskutabel halte. Die deutschen Akten sind in Berlin im Zentralregister jedes Jahr erneut unter einer Nummer erfaßt, der für „politische Angelegenheiten“ ein „A“ vorangestellt wurde. Diese Registernummern haben wir erfaßt. Manchmal aber ist ein Dokument einem anderen zugeordnet. Dann steht dort: „zu A soundso“. Im Buch sind in der Regel alle Dokumente zusammengefaßt, die zu einer Registernummer gehören, womit die Lesbarkeit erhöht wird. Wenn ein Dokument nur „zu“ einem anderen gehört, das sich aber nicht in den Akten befindet oder nicht publiziert worden ist, ist im Buch die auch „zu“-Nummer angegeben, z.B. auf S. 222. Eine dieser Zu-Nummern hatten wir nicht kenntlich gemacht.

Ich hätte nicht die Kriterien aufgedeckt, nach denen ich die Dokumente ausgewählt hätte, schreibt Kaiser. Ein wichtiges sei wohl gewesen, ob sie meine These (von Deutschlands Mitschuld) unterstützen oder nicht. Wenn Kaiser so etwas behauptet, muß er Beweise liefern. Natürlich habe ich die Dokumente nach dem Kriterium der Wichtigkeit für den Völkermord ausgewählt. Im Buch erschienen 260 Dokumente von insgesamt mehr als 900, die sich im Internet-Portal www.armenocide.net wiederfinden. Wer eine größere Auswahl wünscht, findet sie dort.

Die Akten der Reihe Türkei 183 bilden berechtigterweise das Rückgrat einer Dokumentation des Völkermords an den Armeniern. Das bestätigt Kaiser selbst, hatte ich geschrieben. In seinem weitgehend auf deutschen Akten beruhenden Artikel über Erzurum zitiert er mehr als 150 Mal Akten aus Türkei 183 oder Botschaft Konstantinopel und nur zwei Mal aus den Konsulatsakten Erzurum. Die von ihm zitierten deutschen Weltkriegsquellen betrafen nicht den Völkermord, sondern die deutsche Nah- und Mittelost-Politik. Darin hatte er eine Reihe von Fehlern gemacht, deren Korrekturen für eine Neuauflage ich ihm schickte - per e-mail und ohne Tara.

Daß die mikroverfilmten Akten der Reihe Türkei/183 keine „offizielle“ Edition ist, hat mir auch das Auswärtige Amt mitgeteilt. Die Filmreihe ist allerdings - ziemlich offiziell - sowohl der Türkischen Republik als auch der Republik Armenien geschenkt worden.

Und noch einmal zitiert Kaiser das Auswärtige Amt, wonach nur der Text der Originaldokumente maßgeblich sei. Dem ist voll zuzustimmen. Was allerdings passiert, wenn Forscher nur mit Originaldokumenten arbeiten, zeigt das letzte halbe Jahrhundert, in dem alle den inzwischen oft zitierten Satz von Bethmann Hollweg über die deutsche Kriegszielpolitik schlicht übersehen haben. Da sind Quelleneditionen schon hilfreich, wenn auch fehleranfällig, die offiziellen und quasi-offiziellen eingeschlossen. Als Beleg mag die damalige vom AA angeregte und - um es vorsichtig auszudrücken - eng begleitete Lepsius-Edition „Deutschland und Armenien“ gelten.

Nach dem Bethmann-Statement, schreibt Kaiser, endete der Versuch des AA, auf seinen osmanischen Alliierten Druck auszuüben. So war es nicht. Erstens war der Druck schon zuvor nicht sonderlich ausgeprägt, vermutlich, weil deutsche Botschafter die Haltung ihrer Chefs genau kannten. Als russische Truppen aber nach dem praktisch vollendeten Völkermord an den Armeniern Teile der Osttürkei besetzten, rief das AA die türkischen Verbündeten mehrmals immerhin energisch dazu auf, ihre Reaktion auf armenische Provokationen zu zügeln. Zum Kriegsende hin übte das Deutsche Reich dann erstmals wirklich Druck auch auf das türkische Militär aus, die Armenier im Kaukasus zu schonen, wenngleich praktisch ohne Erfolg.

Nach der scheinbar vernichtenden Kritk Hilmar Kaisers sollte zu bedenken geben, daß er auf fünf Seiten Kritik mehr Fehler macht wir auf 500 Seiten Dokumentation. Beispiele außerhalb seiner beiden Fußnotenreihen:

Das Dokument auf Seite 263sei unvollständig, schreibt er, es ist in Wahrheit aber vollständig. Die Statistik auf S. 309 sei unvollständig, schreibt Kaiser. Sie sie ebenfalls vollständig. Auf Seite 151 fehlte der zweite Anhang, kritisierte Kaiser. Er fehlt keineswegs, sondern befindet sich sogar auf S. 151. In seiner folgenden Kritik präzisiert Kaiser, es sei keine „Anlage“ sondern eine „Kopie“. Es ist eine Anlage. Die Fußnote auf Buchseite 151, in der steht, daß sich in den Akten nur der Bericht Rößlers an Bethmann Hollweg befinde, sei falsch, behauptet Kaiser in seiner zweiten Kritik und verweist auf die Botschaftsakte 168/K.No. 55, J.No.1000. Die Nummern K.No.55 sowie J.No 1000 sind erstens keine Registernummern der Botschaft, sondern die des Konsulats Aleppo. Und in der Botschaftsakte befindet sich zweitens in der Tat nur der Bericht Rößlers mit dem Auszug Blank, nicht aber der Brief Wangenheims und der von uns in Anlage 3 abgedruckt weitere Brief von Blank, die sich beide in R 14086 befinden, wie von uns angegeben. Weder auf S. 287 noch auf S. 301 kann es, wie Kaiser in seiner ersten Kritik behauptet, eine Registernummer geben. Auf S. 348 ist Kaisers 6488 falsch (richtig: 6359), auf S. 384 seine A 35096 (richtig 33278). Auf S. 428 gibt es weder eine Journalnummer 120 noch eine 11710. Das Cessat (Seite 434) trägt nur ein Monatdatum und nicht, wie Kaiser schreibt, den 18. Januar 1916. Das ist das Datum der Abzeichnung. Auf S. 463 gibt es keine Journalnummer. Auf S. 556 stehen zwei Dokumente, keines hat die Journalnummer II 5859, wie Kaiser behauptet.

„At times the editor labels a document as a marginal note“ schreibt Kaiser und führt als Beispiel S. 173 an. Am Ende des Dokuments haben wir die Bitte Zimmermanns an Wangenheim um eine Äußerung abgedruckt. Kaiser möchte, daß daraus ein eigenständiges Dokument wird. Das Memo auf S. 518 hat keineswegs die No. 1048, wie Kaiser behauptet, denn numeriert sind nur Korrespondenzen, niemals Memos. No 1048 ist die Nummer des Telegramms nach Konstantinopel, in dem der Inhalt mitgeteilt wird. Wir aber haben nicht das Telegramm abgedruckt, sondern die Aufzeichnung mit den richtigen Referenzen.

„Viele Archivfehler zeigen eine Sorglosigkeit, die zumindest verwirrend ist“, schrieb Kaiser. Kann es noch mit „Sorglosigkeit“ abgetan werden, wenn ein Rezensent sogar ein Original falsch angibt, nur um angeblich Rech zu behalten?

Zur Information für den nicht mit Akten vertrauten Leser: Die Verfasser von Erlassen, Berichten oder Telegrammen geben am Ende des Schriftstückes durch Kürzel an, wer der Autor des Schriftstückes ist. Den Namen dieses Autors setzten wir dann ein. Auf S. 525 hatte Kaiser moniert, nicht Jagow, sondern Zimmermann sei der Autor der Antwort auf die Eingabe Holtzendorffs. Zimmermann hatte diese Antwort abgezeichnet, als Autor war aber „St.S.“ angegeben - das Kürzel für Staatssekretär - und damit Jagow. Denn das Schriftstück ist auf den 6. November 1916 datiert und an diesem Tag bekleidete Jagow noch dieses Amt, Zimmermann übernahm es erst am 11. November, also fünf Tage später. So hatte ich Kaiser gegenüber auch argumentiert. In seiner zweiten Kritik behauptet Kaiser nun, im Original stünde „U.St.S. (Unterstaatssekretär) Zi (Zimmermann)“, dann wäre in der Tat Zimmermann der Autor. Im Original steht aber nicht „U.St.S.“ sondern wie von mir angegeben „St.S.“, und damit war Jagow der Autor. Da es ein Streitpunkt unter uns war, wird Hilmar Kaiser genau hingesehen haben. Es kann sich also schwerlich um einen Flüchtigkeitsfehler handeln.

Fazit der Detailkritiken an der Dokumentation: Dr. Hilmar Kaiser hat uns auf 14 Fehler aufmerksam gemacht, wofür wir ihm Dank schulden. Seine übrigen Anmerkungen betrifft die Ausgestaltung eines Quellenwerks, die wir uns sehr wohl überlegt haben. Nach Kaisers Methode würden erheblich mehr Dokumente entstehen, damit mehr Unübersichtlichkeit, aber keine zusätzliche Informationen.

Wichtig für uns ist: Ob Normalleser oder Historiker, keiner hätte bei Berücksichtigung aller Kaiser-Kritiken - mit der einzigen Ausnahme der Bronsart-Anmerkung - inhaltlich etwas anderes erfahren als im Buch und im Internet-Portal armenocide.net.




Hilmar Kaiser wollte ganz offensichtlich den Eindruck vermitteln, nahezu alles am Buch sei falsch - ein in Anbetracht der Belanglosigkeiten der meisten seiner Kritikpunkte sehr seltsames Verhalten. Aber es gibt eine Erklärung dafür und ich füge sie ohne Häme an, denn Hilmar Kaiser hat sich intensiv mit den deutschen Akten auseinandergesetzt und sehr viel Arbeit investiert. Die Erklärung findet sich auf Seite 356 der Einleitung eines Beitrags vom Leiter des Lepsius-Archivs, Prof. Hermann Goltz, in dem von Hans-Lukas Kieser 1999 herausgegebenem Buch „Die armenische Frage und die Schweiz“. „Hilmar Kaiser bereitet, wie er mir Ende 1998 gesprächsweise mitteilte“, schrieb Goltz, „eine ergänzte und korrigierte deutsch-englische Edition der 444 Dokumente von Lepsius ‚Deutschland und Armenien’ vor, konnte mir aber für diese umfangreiche Publikation noch keinen gesicherten Erscheinungstermin nennen.“ Unsere revidierte Lepsius-Edition erschien Ende 1998, seit März 2000 befinden sich unter www.armenocide.net auch sämtliche Originale der Ausgabe von 1919, der wir im April 2003 weitere fast 500 Dokumente hinzufügten.