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Kapitel

05. Aussagen ausländischer Zeitzeugen über einen absichtlich und planvoll durchgeführten Genozid sowie die damit angestrebten Ziele



Autor

Jörg Berlin

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5. Aussagen ausländischer Zeitzeugen über einen absichtlich und planvoll durchgeführten Genozid sowie die damit angestrebten Ziele

Was Wörter wie Massaker und Deportation konkret bedeuten, zeigen die Beschreibungen und Analysen im Kapitel 1. Hier geht es in einem breiteren Rahmen um Belege, dass deutsche, österreichische und dänische Diplomaten und Militärs ebenso wie zivile Zeitzeugen unabhängig voneinander in verschiedenen Teilen des Osmanischen Reiches eine „Extermination“, eine „Auslöschung“ erkannten. (Vgl. dazu auch Dok.10.5 und Dok.1.08)

Damit wird indirekt auch die nicht selten gestellte Frage beantwortet, ob es gerechtfertigt sei, aus der unbestrittenen Tatsache einzelner lokaler Massaker auf eine beabsichtigte „Auslöschung“ der Armenier, auf einen Genozid zu schließen. Bei der Verwendung von Begriffen wie „Extermination“und „Auslöschung“ handelte es sich jedoch wie die Quellen in diesem Kapitel zeigen, nicht um eine spontane, unüberlegte Verallgemeinerung, sondern um das Ergebnis eines längeren auf Fakten gestützten Erkenntnisprozesses.

Von einer Voreingenommenheit gegenüber dem Osmanischen Reich insgesamt oder gegenüber den regierenden Jungtürken findet sich bei den Verfassern dieser Quellen keine Spur. Ihre Formulierungen sind auch nicht das Ergebnis emotionaler Reaktionen auf vereinzelte Schreckenstaten. Erste Meldungen über Massaker wiesen z. B. der deutsche Konsul in Beirut und der deutsche Botschafter in Konstantinopel sogar als falsch zurück; sie vermochten sie zunächst nicht zu glauben. Dergleichen würde die Verbündeten nicht dulden. (Vgl. Dok. 5.1) Auch später blieben Berichterstatter wie der Konsul Kuckhoff durchaus turkophil und übernahmen Behauptungen der türkischen Regierung von einer landesweiten armenischen Verschwörung schwerbewaffneter Revolutionäre. (Diese Aussage Kuckhoffs wurde übrigens bis in die Gegenwart von türkischen Publizisten als authentischer Beweis für die Staatsfeindlichkeit und Gefährlichkeit der Armenier verbreitet, obwohl er nicht aus eigener Anschauung urteile, sondern Berichte von Türken wiedergab. Kuckhoffs auf eigenen Wahrnehmungen beruhende Aussage, es würde ein ganzes in seiner großen Mehrheit unschuldiges Volk vernichtet, wird hingegen nicht beachtet.)

Beeindruckend ist dessen Formulierung, die Verfolgung der Armenier nähme Formen an, „ die nur in der Judenverfolgung Spaniens und Portugals ein Gleichnis finden.“ (Vgl. Dok. 5.02)

An dieser Stelle ist aber zu wiederholen, dass eine solche Intoleranz durchaus nicht typisch für die osmanische Politik und den Islam ist. Im Jahr 1492, als die Judenverfolgungen im ´christlichen´ Spanien einen Höhepunkt erreichten, entsandte der Sultan zahlreiche Schiffe, auf denen verfolgte Juden sich in seinen Herrschaftsbereich zu retten vermochten.

Solange die Deportationen sich auf frontnahe Gebiete im Osten beschränkten, hielten deutsche Beobachter sich mit Kritik zurück. Als jedoch auch „von keiner feindlichen Invasion … bedrohte Gebiete einbezogen wurden, formulierten sie klar und unmissverständlich, dass die Regierung beabsichtige, „die armenische Rasse im türkischen Reiche zu vernichten.“ (Vgl. Dok. 5.04)

Warnende Hinweise deutscher Diplomaten gegenüber türkischen Regierungsvertretern, sie möchten bedenken, dass sie eines Tages für die Untaten zur Verantwortung gezogen werden könnten, halfen ebenso wenig wie die Bitte, doch zu bedenken, dass die „Extermination“ der Armenier den Deutschen ins Schuldbuch geschrieben würden. (Vgl. Dok. 5.10) Diese Aussagen beweisen aber klar, worum es nach dem wohlüberlegte Urteil der deutschen Zeitzeugen ging, um die Auslöschung eines ganzen armenischen Volkes. Noch deutlicher wird dies durch eigene Aussagen jungtürkischer Politiker gegenüber dem österreichischen und dem deutschen Botschafter sowie dem als Offizier und Vize-Konsul in Erzerum eingesetzten Max von Scheubner-Richter, in denen sie die Auslöschung bestätigten oder sogar rechtfertigten. ( Vgl. Dok. 5.07, Dok. 5.09 und Dok. 5.10)

Die zeitgenössischen Beobachter versuchten verständlicherweise auch, die Ursachen des Genozids und die mit diesem verbundenen Absichten zu erklären. Übereinstimmend kamen sie zu dem Ergebnis, die Jungtürken hätten zunächst im Anschluss an die Ideale der Französischen Revolution durchaus die politische Gleichberechtigung aller Einwohner des Osmanischen Reiches angestrebt. Nach den Erfahrungen vor allem während der Balkankriege wären sie aber darauf gestoßen worden, dass ein erheblicher Teil der nichttürkischen Bewohner des Osmanischen Reiches zu einer Abspaltung und zu nationaler Selbständigkeit tendierte. Infolgedessen hätten sich unter den Jungtürken jene Gedanken, politische Strömungen und Personen durchgesetzt, die auf türkischen Nationalismus setzten. Nichttürkische Mohammedaner wie „Kurden, Perser, Araber usw. “ sollten auf der Grundlage des Islam möglichst ohne Gewalt „turkifiziert“ werden. Nationen, die sich nicht „ auf friedlichem Wege zu turkifizieren“ ließen, müssten „ausgerottet oder zwangsweise islamisiert“ werden. (Vgl. Dok. 5.20)

Einzelne Erklärungsversuche verweisen außer auf die Ideologie des „Turkismus“, auch auf einen „Panturkismus“ und den „Turanismus“. Wobei die „Turanbewegung … nicht nur die Türken in der Türkei umfasst, sondern auch die Völker türkischer Abstammung, die in Südrußland, auf der Krim, in Turkestan, in Persien etc. leben.“ (Vgl. Dok. 5.21 und Dok. 5.22)

5a Das Ziel ist Auslöschung
Dokumente 5.01 bis 5.16

5b Ausdrückliche Benennung der Absichten der jungtürkischen Machthaber
Dokumente 5.17 bis 5.22



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