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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

10. Der Genozid in der offiziellen türkischen Version

Dokument 10.05

Hinweise für Lehrkräfte

Talaat räumt Tatsache der Deportationen ein, streitet jedoch Planung ab. Berichte über Charakter der Deportationen und Tötungen würden übertrieben. Nach Kriegsbeginn hätten von Russland ausgerüstete Armenier Sabotage verübt, sogar türkische Städte in Brand gesetzt. Die armenische Bevölkerung habe sie unterstützt und u. a. Waffen versteckt. Deshalb wurden Deportationen angeordnet. Wegen armenischer Brutalitäten aufgebrachte muslimische Bevölkerung habe Selbstjustiz geübt. Regierung hätte hier energischer Grausamkeiten, Fehlhandlungen von Beamten und Plünderungen verhindern sollen. Manche Türken handelten zwar fanatisch aber doch aufrichtig in ihrer Überzeugung, sie würden Staatsfeinde ausschalten. Vorbeugemaßnahmen wie gegen die Armenier habe es übrigens auch in anderen Staaten gegeben. Anders als das Geschehen im Osman. Reich würde das verschwiegen.

Quelle

Posthumous Memoirs of Talaat Pasha. Zitiert nach: Current History. A monthly Magazine of the New York Times, November 1921, S. 294 f.






Ich gebe zu, wir hätten entschiedener handeln müssen.

Aus den postumen Memoiren des als Innenminister für das Schicksal der Armenier wesentlich verantwortlichen jungtürkischen Führers Talaat Pascha


Die Deportation der Armenier - sowie in einigen Orten von Griechen und in Syrien von einigen Arabern - wurde innerhalb und außerhalb unseres Reiches als Anlass zu Angriffen gegen die türkische Regierung genutzt. Zunächst einmal will ich die Öffentlichkeit wissen lassen, dass die Gerüchte über Deportationen und Tötungen außerordentlich übertrieben waren. … Ich gebe zu, dass wir viele Armenier aus unseren östlichen Provinzen deportierten, aber wir gingen dabei zu keinem Zeitpunkt nach einem vorher ausgearbeiteten Plan vor. Die Verantwortung für diese Maßnahmen liegt zunächst bei den deportierten Menschen selbst. Russland hatte, in der Absicht unsere östlichen Provinzen zu übernehmen, die armenischen Bewohner dieser Gebiete bewaffnet und ausgerüstet sowie starke armenische Banditenverbände in der Gegend organisiert. Als wir in den Weltkrieg eintraten, begannen an der Kaukasusfront im Rücken der türkischen Armee deren Zerstörungsaktionen. Brücken wurden gesprengt, türkische Städte und Dörfer in Brand gesteckt, unschuldige Muslime ohne Rücksicht auf Alter und Geschlecht getötet. Sie verbreiteten in allen östlichen Provinzen Tod und Schrecken und bedrohten die rückwärtigen Verbindungen der türkischen Armee. Alle diese armenischen Banditen fanden bei den örtlichen Armeniern Unterstützung. Wenn sie von türkischen Gendarmen verfolgt wurden, fanden sie Unterschlupf in armenischen Dörfern, wenn sie Hilfe benötigten, holten die armenischen Bauern der Umgebung ihre in den Kirchen versteckten Waffen und eilten zu ihrer Unterstützung herbei. Jede armenische Kirche diente, das wurde später entdeckt, als Munitionslager. Auf diese illoyale Weise töteten sie [die Armenier] mehr als 300 000 Mohammedaner und zerstörten die Kommunikationsverbindungen zwischen der türkischen Armee und ihren Basen. Die Informationen, die wir von den Administratoren jener Provinzen und vom Befehlshaber der Kaukasusarmee erhielten, vermittelten uns Einzelheiten über die schlimmsten Aufruhraktionen und die barbarischten Handlungen der armenischen Banditen. In einer Zeit, als wir uns in einem Krieg befanden, der über das Schicksal des Vaterlandes entschied, war es unmöglich, unsere Augen vor dem verräterischen Treiben der Armenier zu verschließen. Selbst wenn sich diese Schreckenstaten zu Friedenszeiten ereignet hätten, wäre die Regierung verpflichtet gewesen, Aufruhr dieser Art zu unterdrücken.

Die Pforte [d. h. die Regierung] … wollte die Sicherheit der Armee und der Bevölkerung gewährleisten und ergriff energische Maßnahmen, um diesen Aufständen Einhalt zu gebieten. Die Deportation der Armenier war eine dieser vorbeugenden Maßnahmen. Ich gebe auch zu, dass die Deportationen nicht überall in der gesetzlich vorgesehen Weise durchgeführt wurden. An einigen Orten wurde gegen Gesetze verstoßen. Der vorhandene Hass zwischen Armeniern und Mohammedanern wurde durch die barbarischen Handlungen der Armenier verstärkt und führte zu tragischen Konsequenzen. Einige Beamte missbrauchten ihre Amtsgewalt und an vielen Orten nahm die Bevölkerung die Sache selbst in ihre Hände und ergriff vorbeugende Maßnahmen. Das räume ich ein. Ich gebe zu, dass es die Pflicht der Regierung gewesen wäre, diese Misshandlungen und Grausamkeiten zu verhindern oder zumindest die Missetäter zu verfolgen und streng zu bestrafen. An vielen Orten, wo der Besitz und die Güter der deportierten Menschen geplündert und die Armenier misshandelt wurden, haben wir die Verantwortlichen festgenommen und nach dem Gesetz bestraft. Ich räume jedoch ein, dass wir hätten energischer durchgreifen müssen. Wir hätten eine umfassende Nachforschung einleiten müssen, um sämtliche Anstifter und Plünderer zu fassen und sie streng zu bestrafen. Aber wir konnten das nicht machen. Obwohl wir viele der Schuldigen bestraften, blieben die meisten unbehelligt. Diese Leute, die wir wegen ihres gesetzwidrigen Verhaltens in Hinblick auf die Anordnungen der Zentralregierung als Gesetzesbrecher bezeichnen können, bestanden aus zwei Gruppen. Einige von ihnen handelten wegen persönlicher Hassgefühle oder um sich zu bereichern. Jene, die den Besitz der deportierten Armenier plünderten, waren leicht zu bestrafen und wir bestraften sie. Aber es gab noch eine Gruppe, die fest davon überzeugt war, dass das allgemeine Interesse des Staates eine Bestrafung sowohl jener Armenier erforderlich machte, die unschuldige Muslime massakriert hatten, als auch jener, die den armenischen Banditen geholfen hatten, unsere nationale Existenz zu gefährden. Die Türken, von denen hier die Rede ist, handelten kurzsichtig, fanatisch und doch aufrichtig in ihrer Überzeugung. Die Öffentlichkeit ermutigte sie und jene hatten die allgemeine Stimmung hinter sich. Sie waren viele und machtvoll. Ihre offene und sofortige Bestrafung hätte erhebliche Missstimmung in der Bevölkerung hervorgerufen, die ihre Handlungen guthieß. Ein Versuch, all diese Unterstützer zu verhaften und zu bestrafen, hätte in Anatolien zu einer Zeit, als wir Einigkeit benötigten, Anarchie hervorgerufen. Es wäre gefährlich gewesen, die Nation in zwei Lager zu spalten, als wir Stärke benötigten, um gegen den äußeren Feind zu kämpfen. Wir taten, was wir konnten, aber wir hielten es für klüger, die Lösung unserer inneren Probleme bis zur Niederlage unserer äußeren Feinde aufzuschieben. …

Solche Vorbeugemaßnahmen wurden während des Krieges in allen Ländern ergriffen, aber während die bedauerlichen Folgen in anderen Ländern mit Schweigen übergangen wurden, verbreitete sich das Echo unserer Maßnahmen in der ganzen Welt, weil alle Augen auf uns gerichtet waren.



Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved