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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

12. Zu Wirtschaft, Mentalität und Bevölkerungszahlen der Armenier

Dokument 12.04

Hinweise für Lehrkräfte

Kurden und Armenier leben großenteils in gleichen Provinzen des östlichen. Kleinasien. Unterschiede der Armenier in Städten und in den Bergen. Politische Organisationen der Armenier. Kurden räuberische Nomaden. Behörden ermutigen sie zu Übergriffen auf Armenier. Manche Armenier fürchten, jungtürkischem Komitee sei bei seinem osmanischen Nationalismus eine Ausrottung der Armenier durch die Kurden nicht unwillkommen.

Quelle

Politisches Archiv des deutschen Auswärtigen Amts. Zitiert nach: Wolfgang & Sigrid Gust (Ed.), www.armenocide.net. A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. 1913-05-15-DE-002.






Armenier, Kurden und Regierung.

Aus einem Bericht des deutschen Konsuls in Trapezunt, Bergfeld, vom 15. Mai 1913 an den Reichskanzler Bethmann Hollweg


Der Begriff des östlichen Anatoliens … fällt zusammen mit den von den Armeniern und Kurden bewohnten Provinzen Bitlis, Wan, Mamuret ul Aziz, Charput und Diabekir. … Die [armenischen] Stadtbewohner haben fast alle eine für die obwaltenden Verhältnisse gute Schulbildung aufzuweisen. Dagegen bildet persönlicher Mut nicht ihre starke Seite. Im Gegensatz zu ihnen besitzen die armenischen Bergbewohner nur geringe Schulbildung, haben sich aber in den Kämpfen mit den Nachbarn einen gewissen Grad von Tapferkeit angeeignet. Stammeshauptmannschaften gibt es unter den Armeniern nicht. In den Dörfern werden sie in der Regel von den Geistlichen geführt, in den Städten haben einzelne Notabeln die Leitung ihrer Glaubensgenossen. Als politische Gesamtvereinigungen besitzen sie die beiden … [Organisationen] Daschnakzoutioun und Hinschaghian, die unter dem alten Regime [in der Zeit der Sultansherrschaft] als geheime Vereinigungen gegründet worden sind. Unter ihnen nimmt … erstere eine vorherrschende Stellung ein. … Zentralsitz war ursprünglich im Kaukasus. Vor einigen Jahren ist er wegen der Verfolgungen, denen die Armenier in Russland ausgesetzt sind, nach Genf verlegt worden. In den Städten und Dörfern bestehen Unterkomitees. … Die Kurden sind intelligent, tapfer und gelten für vorzügliche Schützen. Der außerordentlich gebirgige Charakter der von ihnen bewohnten Gebiete und der Mangel an fahrbaren Strassen hat sie bisher von der Außenwelt fast vollkommen abgeschlossen. Sie leben daher heute noch unter denselben Verhältnissen und in denselben Anschauungen, wie vor Jahrhunderten.

Der Gegensatz zwischen den Armeniern und Kurden, … fand in … Übergriffen [Diebstahl, Landraub, Vertreibung] und Morden … Ausdruck, und die Lage verschärfte sich immer mehr. …In den kurdischen Stammesfehden bildeten sie [die Armenier] wegen ihrer verhältnismäßigen Wohlhabenheit die Hauptopfer der Beutelust der feindlichen Stämme. Die Landesbehörden schlossen diesem Treiben gegenüber beide Augen. Sie wussten, dass ein Wandel der Verhältnisse in Konstantinopel kaum gewünscht wurde. Sie nutzten daher die Lage in ihrer Weise aus und ließen sich ihr Schweigen von den Kurden bezahlen. Daraus entwickelte ein System der Ermutigung der Kurden zu Übergriffen gegen die Armenier und der Teilung der Beute zwischen ihren Führern und den Beamten. … Das neue Regime [die Jungtürken] in der Türkei bemühte sich zunächst den Räubereien der Kurden ein Ziel zu setzen. Eine ihrer Hauptfesten, Viran Schehir, wurde eingeäschert ... Die Kurdenstämme verhielten sich diesen Maßnahmen gegenüber zunächst ruhig …

Doch ließ sie die Schwäche der Regierung in Konstantinopel und Ostanatolien in ihnen bald den Glauben aufkommen, dass sie sich in der Ansicht über das neue Regime getäuscht hätten und dass sie ihr bisheriges Leben der Unbotmäßigkeit und der Räubereien ungestraft fortsetzen könnten.

Der Gegensatz zwischen den Armeniern und Kurden … fand in neuen Übergriffen und Morden neuen Ausdruck, und die Lage verschärfte sich immer mehr.

Die Armenier empfinden die Haltung der Regierung als Gleichgültigkeit gegenüber ihren Leiden. Einige gehen sogar so weit, zu behaupten, dem jungtürkischen Komitee sei bei seinem übertriebenen osmanischen Nationalismus und mohammedanischem Fanatismus eine Vertreibung oder Ausrottung der Armenier durch die Kurden nicht unwillkommen. Gleichwohl sind sie einer Selbsthilfe abgeneigt. Wenn ihre geheime Ausrüstung mit Waffen im Laufe der letzten Monate unverkennbar Fortschritte gemacht hat, so ist das … mehr als ein Akt erhöhter Vorsicht aufzufassen, um im Falle der Not besser gerüstet zu sein, als es bisher der Fall war.


Abb. 57: Bewaffnete Kurden



Abb. 58: Kurdische Familie vor ihren Zelten



Aus: Die Türkei. Mit 215 Abbildungen zusammengestellt und eingeleitet von Franz Carl Endres, München 1916, S. 49.


Abb. 59: Paramilitärische kurdische Reiterei (Hamidiye-Miliz)
Aus: Kevorkian, Raymond H., Paboudjian, P. P., Les Armeniens dans L’Empire Ottoman a la Veille du Génocide, Paris 1992, S. 13.


Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved