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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

01. Geplanter Tod durch Massaker, Krankheit, Hunger, Durst, Ertränken, Kälte

Dokument 1.02

Hinweise für Lehrkräfte

Unter Folter werden unwahre Geständnisse über Aufstandspläne von Armeniern erpresst. Öffentlichkeitswirksame Beschlagahme legaler Waffen. Regierung will aber keine öffentlichen Massaker. Vertuschung und formale Legalisierung durch sog. Deportationsgesetz.

Quelle

Riggs, Henry, Days of Tragedy in Armenia. Personal Experiences in Harpoot 1915-1917, Ann Arbor/Mich. 1997, S. 48f. (Zum erwähnten Deportationsgesetz vgl. Qu. 10.1. Siehe auch Qu. 5.12.)






Der eigentliche Sinn der Maßnahme.

Aus den Aufzeichnungen des protestantischen Missionars H. Riggs über seine Beobachtungen in der Stadt Harput ab Mai 1915


Bald verbreitete sich das Gerücht, die Verhafteten würden im Gefängnis gefoltert. ... Mehrere Männer ... starben an den Quälereien. Ihre zerschundenen Körper wurden insgeheim nachts beerdigt. Drei Mitglieder des Lehrkörpers unseres Colleges wurden vor ihrem Tod, aber nachdem sie die Hölle der Folter erlitten hatten, von Amerikanern und anderen glaubwürdigen Zeugen gesehen. So gab es keinen Zweifel über das, was sie erlitten hatten. ... Der vorgebliche Zweck dieser Folterungen war, aus den Opfern Informationen über Aufstandspläne der Armenier herauszupressen. ... Der eigentliche Sinn der Maßnahme der Behörde bestand aber nicht darin, irgendwelche Informationen zu gewinnen, sondern die Stimmung der Moslems wie der Christen zu beeinflussen, und dabei waren sie höchst erfolgreich. Die freundliche Haltung der Moslems nahm eine deutliche Wendung. Verdacht ersetzte Vertrauen, da viele der einfachen Menschen von der Echtheit der Anklagen gegen die eingekerkerten Armenier überzeugt wurden. ... Die Auswirkung dieses brutalen Vorgehens auf die Armenier war, sie in Angst zu versetzen. Das machte es für die Behörde leicht, ihren Entwaffnungsplan auszuführen, der zur Vorbereitung des eigentlichen Ziels diente.

Die Polizei machte, wo immer sie ein Haus durchsuchte, viel Aufhebens von jeder gefundenen Waffe. Dann wurde verkündet, den Armeniern sei befohlen, jede Waffe aus ihrem Besitz bei der Polizei abzuliefern. Jenen, die ihre Waffen freiwillig abgäben, wurde Straffreiheit versprochen, und schwere Strafen solchen, die anders handelten. ...

Die Folge der angeblichen Geständnisse sowie der Waffenabgabe war naturgemäß ein Zunehmen des Misstrauens in den Herzen der muslimischen Bevölkerung. Misstrauen und Feindseligkeit wurden durch Vertreter der Regierung und andere vorsätzlich entflammt. ...

Die zunehmenden Feindseligkeit bei ihren moslemischen Nachbarn und die bedrohlichen Maßnahmen der Polizei versetzten die armenische Bevölkerung in einen mitleiderregenden Zustand der Angst. ... Zur gleichen Zeit, als diese Vorgänge die Armenier am Ort in Furcht versetzten und die Empörung der Moslems anstachelten, kündigten Ereignisse in anderen Landesteilen eine unheilvolle Entwicklung an. Der Verlust von der Stadt Van an die Russen durch das Vorgehen und die Kühnheit der Armenier rief einen ungeheuren Eindruck hervor. Selbstverständlich war derzeit nicht allgemein bekannt, dass die Armenier nur zur Selbstverteidigung handelten, nachdem Türken viele von ihnen massakriert hatten. …

Obwohl der Gedanke an einen Aufstand der Armenier und den gegebenen Umständen völlig unsinnig war, machten Regierungsvertreter viel öffentliches Aufheben beim Ergreifen von Vorsichtsmaßnahmen gegen eine solche Möglichkeit – bis hin zur Bewaffnung der moslemischen Zivilbevölkerung. Die Möglichkeit eines offen ausbrechenden und unkontrollierbaren Massakers an den Armeniern nahm ernsthafte und bedrohliche Züge an. Offensichtlich passte dergleichen jedoch nicht in den allgemeinen Plan der Regierung. Die Stadt wurde unter militärische Bewachung gestellt.

So war Harput für das schreckliche Verbrechen vorbereitet, das bereits in den geheimen Beratungen der türkischen Regierung beschlossen worden war. Allerdings war bis dahin nicht einmal eine Andeutung des Planes bekannt geworden. Ich sage, keine Andeutung des Plans sei bekannt geworden. Diese Feststellung muss durch eine Tatsache erläutert werden. Bereits vor Monaten war ein Gesetz verabschiedet und veröffentlicht worden ...: „Wo die militärischen Befehlshaber in einem Bezirk Beweise für Aufruhr und Spionage entdecken, dort sind sie jederzeit berechtigt, die Bevölkerung entweder einzeln oder insgesamt zu deportieren.“


Abb. 3: Abführen armenischer Männer aus Kharpert



Aus: Politisches Archiv des deutschen Auswärtigen Amtes. Bestand: Konstantinopel 169.
Vgl. zum Foto auch: Krikorian, Abraham D, Taylor, Eugene L., Filling in the Picture: Postscript to a Description of the Well-Known 1915 Photograph of Armenian Men of Kharpert Being Led Away under Armed Guard www.groong.com/orig/ak-20110613.html. Kharpert liegt in der unmittelbaren Nähe des heutigen Elazig Erzurum.


Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved