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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

02. Ausplünderung und Beraubung

Dokument 2.4

Hinweise für Lehrkräfte

Deportierten Frauen werden zuerst von Polizisten die Wertsachen geraubt, anschließend stehlen Bauern Decken u. Kleider. Kurden rauben dann Mädchen. Frau versteckt erfolgreich ihr Geld.

Quelle

Captanian, P., 1915. Der Völkermord an den Armeniern. Eine Zeugin berichtet, Leipzig 1993, S. 35 f. u. S. 42.






Dann aber hatte ich keine Kette mehr.

Beamte, Polizisten und Kurden und deportierte Frauen. Aus dem Bericht einer Betroffenen


Der Karren rollte und rollte. … In einer Schlucht machten wir Halt. Dort erschien der Bürgermeister eines in der Nähe gelegenen Dorfes in Begleitung einiger Polizisten. Sie durchwühlten unser Gepäck nach Gold, Geld und Schmuck. Nur das wollten sie. Damit wir uns williger ausrauben ließen, versuchten sie, uns weiszumachen, dass all diese Dinge nur eingesammelt und mit der Post nach Malatya geschickt würden. Nach unserer Ankunft dort sollten wir sie zurückerhalten. Aber keiner fiel auf ihre Lügen herein. Einige Frauen wurden bis auf die Unterwäsche durchsucht. Dann war ich dran. Ich hatte zehn türkische Pfund im Saum meines Rocks versteckt. Diese bescheidene Summe, die meine ganze Zukunft darstellte, schwebte in höchster Gefahr. Wohin mit ihr, um sie vor der räuberischen Gier dieser Männer zu retten? Sie kamen immer näher und meine Not war groß, als mir einfiel, eine Münze in meine Tasche gleiten zu lassen und den Rest im Hafersack des Pferdes zu verbergen. Mein Herz klopfte wie wild. Sie befahlen mir, mich auszuziehen. „Efendis“, sagte ich zu ihnen und zeigte das Goldstück in der einen und eine goldene Kette in der anderen Hand vor, „das ist alles, was ich besitze.“ Um den Berührungen dieser Rohlinge zu entgehen, gab ich ihnen die Kette, ein Andenken an meinen Vater. Dann aber hatte ich keine Kette mehr, die ich denen geben konnte, die die diese Prozedur zweieinhalb Monate lang täglich wiederholten. Einige Frauen wollten sich, am Ende ihrer Geduld, gegen diese Schikane wehren. Das bekam ihnen schlecht, denn sie wurden ebenso durchsucht und überdies mit Stockhieben zu Boden geschlagen. …

Während wir [einige Stunden später] noch beratschlagten, was nun zu tun sei, nahten plündernde, mit großen Säbeln bewaffnete Bauern. Sie stahlen unsere auf dem Boden liegenden Decken und Matratzen. Einer von ihnen wollte mir meine Kleidung entreißen. Als ich mich wehrte, versetzte er mir einen solch kräftigen Faustschlag ins Gesicht, dass ich fast ohnmächtig wurde. …

[Einige Tage später:] Männer schlichen um unser Lager. Im Laufe der Nacht wurden mehrere junge Mädchen von ihnen verschleppt. Wir veranstalteten eine Sammlung, die ungefähr zwanzig türkische Pfund einbrachte. Die Summe sollte die Gendarmen dazu bewegen, uns zu schützen. Eine vergebliche Hoffnung, wie sich bald herausstellte. In der folgenden Nacht lösten markerschütternde Schreie eine große Panik aus. Man rief und flehte: „Gendarmen, zu Hilfe, zu Hilfe!“ Bewaffnete Kurden raubten gerade ein junges Mädchen. Deren Mutter unternahm übermenschliche Anstrengungen, ihnen ihr Kind wieder zu entreißen. Auch das Mädchen wehrte sich verzweifelt. In diesem Kampf verletzte ein Kurde die Mutter an der Hand, und das Blut floss. Da die Mutter jedoch nicht nachgab, schlug der Kurde ein zweites Mal zu und verschwand schließlich mit dem schluchzenden Opfer. Noch lange hörten wir die Schreie aus höchster Not – sie zerrissen uns das Herz. Angst ergriff uns. An einem anderen Punkt des Lagers wurde ebenfalls ein junges Mädchen entführt. Man hörte die gleichen Verzweiflungsschreie, die gleichen Wehklagen. Unnötig hinzuzufügen, dass kein Gendarm sich blicken ließ.



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