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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

09. Über die Jungtürken und das Zentralkomitee „Einheit und Fortschritt“ (Ittahad ve Terakki“)

Dokument 9.01

Hinweise für Lehrkräfte

Vom 14. Februar 1878 bis 23. Juli 1908 war die Verfassung größtenteils suspendiert. Verfassung verspricht Gleichheit aller Osmanen egal welcher Nationalität oder Religionszugehörigkeit vor dem Gesetz. Grundrechte wie in Europa üblich.

Quelle

Die Verfassungsgesetze des Osmanischen Reiches. Übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Friedrich von Kraelitz-Greifenhorst, Wien 1919






Alle Osmanen sind vor dem Gesetze gleich …

Aus der nach Machtantritt der Jungtürken wieder in Kraft gesetzten Verfassung (Kanun-i essassi) des Osmanischen Reiches vom Jahre vom 23. Dezember 1876


Kapitel II: Allgemeine Rechte der osmanischen Untertanen

Art. 8. Alle Untertanen des osmanischen Reiches, welcher Religion oder Sekte sie auch angehören mögen, heißen ohne Ausnahme „Osmanen“.

Die Eigenschaft eines Osmanen wird erworben und geht verloren in jenen Fällen, die im Gesetze besonders angeführt sind.

Art. 9. Sämtliche Osmanen genießen die persönliche Freiheit und sind verpflichtet, die Freiheitsrechte anderer nicht zu verletzen.

Art. 10. Die persönliche Freiheit ist vor jedem Angriffe geschützt. Niemand kann unter irgendeinem Vorwande außer in den vom Gesetze bestimmten Fällen und in dessen Formen gestraft werden.

[Durch Kaiserliche Entschließung vom 5. Sa'ban 1327 (= 21. August 1909) wurden im Artikel 10 Satz 2 die Worte "vom Gesetze" ersetzt durch: "vom kanonischen und bürgerlichen Gesetze". ]

Art. 11. Die Staatsreligion des osmanischen Reiches ist der „Islam“.

Unter Wahrung dieses Grundsatzes wird allen in den osmanischen Ländern anerkannten Religionen freie Übung gewährt unter der Bedingung, dass sie nicht gegen die öffentliche Ordnung und Sittlichkeit verstoßen; auch die bisher den verschiedenen Religionsgemeinschaften verliehenen kirchlichen Privilegien behalten ihre Gültigkeit.

Art. 12. Die Presse ist innerhalb der Schranken des Gesetzes frei.

[Durch Kaiserliche Entschließung vom 5. Sa'ban 1327 (=21. August 1909) wurde dem Artikel 12 folgender Satz angefügt: "Die Presse ist innerhalb der Schranken des Gesetzes frei. Ihre Erzeugnisse können auf keine Weise vor der Drucklegung der Überprüfung und Begutachtung (Zensur) unterworfen werden."]

Art. 13. Die osmanischen Untertanen sind berechtigt, innerhalb der Gesetze und Vorschriften Vereine zu kommerziellen, gewerblichen und landwirtschaftlichen Zwecken zu gründen.

Art. 14. Ein oder mehrere osmanische Untertanen sind berechtigt, wegen Verletzungen von Gesetzen und Vorschriften, die zu ihrem persönlichen Schaden oder zum Nachteile der Allgemeinheit begangen wurden, an die kompetente Stelle zu petitionieren; auch können sie unterschriebene Petitionen in Form von Beschwerden dem Parlamente überreichen und sich über das Vorgehen der Beamten beklagen.

Art. 17. Alle Osmanen sind vor dem Gesetze gleich und haben, abgesehen von ihrer konfessionellen Stellung, gleiche Rechte und Pflichten gegen das Land.

Art. 18. Die osmanischen Untertanen müssen, um im Staatsdienste angestellt werden zu können, des Türkischen, welches die offizielle Staatssprache ist, mächtig sein.

Art. 19. Alle Untertanen werden im Staatsdienste zu jenen Ämtern zugelassen, für welche sie geeignet und befähigt sind.

Art. 20. Die fixierten Steuern werden gemäß den diesbezüglichen speziellen Vorschriften allen osmanischen Untertanen im Verhältnis zu ihrem Vermögen auferlegt.

Art. 21. Jedermann ist sicher im rechtmäßig erworbenen Besitze seines beweglichen und unbeweglichen Vermögens.

Niemandes Immobilien können, solange es nicht das öffentliche Interesse erheischt und der Wert [der zu expropriierenden Immobilie] dem Gesetze gemäß nicht im vorhinein ersetzt wird, enteignet werden.

Art. 22. Jedermanns Domizil ist in den osmanischen Ländern vor Angriffen geschützt.

Niemandes Domizil kann, außer in Fällen, welche das Gesetz bestimmt, von den Behörden aus irgendeinem Grunde gewaltsam betreten werden.

Art. 23. Gemäß den Bestimmungen des Gesetzes über das Prozessverfahren, welches erst erlassen werden wird, kann niemand gezwungen werden, vor einem anderen als dem gesetzlich kompetenten Gerichte zu erscheinen.

Art. 24. Vermögenskonfiskationen, Fronen sowie Erpressungen in Form von Geldstrafen sind verboten.

Jedoch machen die in Kriegszeiten gesetzmäßig auferlegten Steuern und die bei solchen Gelegenheiten getroffenen notwendigen Maßnahmen davon eine Ausnahme.

Art. 25. Ohne Berufung auf ein Gesetz kann von niemandem unter dem Titel einer Steuer, Abgabe oder dgl. Geld eingehoben werden.

Art. 26. Die Folter und alle übrigen Arten der Tortur sind sämtlich unbedingt verboten.


Abb. 44: Die Führer des jungtürkischen Komitees „Einheit und Fortschritt“

Die Führer des jungtürkischen Komitees „Einheit und Fortschritt“ waren die Hauptverantwortlichen für den Völkermord. Links: Innenminister Talaat Bey, rechts: Kriegsminister Enver Pascha (Der barhäuptige Mann neben Talaat ist wahrscheinlich ein deutscher Journalist.) Aus: Kevorkian, Raymond H., Paboudjian, P. P., Les Armeniens dans L’Empire Ottoman a la Veille du Génocide, Paris 1992, S. 39.



Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved