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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

10. Der Genozid in der offiziellen türkischen Version

Dokument 10.19

Hinweise für Lehrkräfte

Im türkischen Memorandum über armenische Umtriebe stimmen Angaben über revolutionäre Organisationen u. deren Unterstützung durch Russland u. England. Auch haben sich Armenier auf russische Seite begeben. Deportationen deshalb durchaus angebracht. Aber Männer massakrieren u. Frauen u. Kinder ohne Überlebenschancen zu verschicken, war eine Schande. Türkischer Außenminister u. noch deutlicher der Großvezir teilen diese Ansicht, können gegen Talaat und Enver aber nichts ausrichten.

Quelle

Haus-Hof- und Staatsarchiv, Politisches Archiv, Wien. Zitiert nach: Ohandjanian, Artem, Österreich-Armenien 1872-1936. Faksimilesammlung diplomatischer Aktenstücke, Wien 1995, Jg. 1912 ff., Bl. 637 ff.






Noch offener sprach sich der Großvezir aus.

Aus einem Schreiben des österreichischen Botschafters in Konstantinopel vom 10. März 1916 an den Außenminister in Wien


Ich nehme an, dass Euer Exzellenz seitens des türkischen Botschafters das Memorandum zugesandt worden ist, welcher auf der Pforte [von der türkischen Regierung] über die revolutionären armenischen Umtriebe und über die Gegenmaßnahmen verfasst worden ist. Das Memorandum ist sehr geschickt gemacht und entspricht auch in seinen Ausführungen über die Gefährlichkeit der seit langen Jahren bestehenden, stets mit der Unterstützung des Auslands und namentlich Russlands und Englands coquettirenden armenischen Komités zweifellos der Wahrheit.

Es ist auch nicht zu leugnen, dass sich die Armenier im Kaukasus und an der persischen Grenze von Anbeginn des gegenwärtigen Krieges und ganz besonders beim ersten Anmarsch der Russen in großer Zahl offen an die Seite Russlands stellten.

Es ist überdies wahr, dass die Anwesenheit einer mit den Feinden mehr oder weniger offen sympathisierenden Bevölkerung in den Grenzgebieten, in welche die Russen bei ihrem jetzigen Vormarsch einzudringen im Begriffe stehen, eine direkte Gefahr bildet.

Von diesen Gesichtspunkten ausgehend, war es zweifellos eine Notwendigkeit, diese Gegenden und weiters die Küsten des Schwarzen Meeres, wo eine schwunghafte Spionage getrieben wurde, von den gefährlichen Elementen zu säubern, einzelne Gebiete vielleicht sogar zu evakuieren.

Die Männer aber zu massakrieren und die Frauen und Kinder in weit entlegene Gebiete zu exilieren, die diese bei … der Unmöglichkeit einer hinreichenden Verpflegung nur in erschreckend herabgeminderter Zahl erreichen konnten, ist nicht nur nicht zu rechtfertigen, sondern wird für immer ein Schandfleck für die türkische Regierung bleiben.

Ich hatte neulich Gelegenheit, über die Frage der Armenier-Verfolgungen wieder mit dem Minister des Äußeren zu sprechen. Halil Bey musste mir zugeben, dass die Art und Weise, wie die Regierung vorgegangen ist, ein Fehler war, und noch offener sprach sich mir vor einigen Tage der Großvezir aus, der von allem Anfange an gegen die Verfügungen war, die in erster Linie von Talaat Bey und Enver Pascha ausgegangen waren. Er beklagte die Vorkommnisse …

Halil Bey hat zwar versprochen, mit Talaat Bey in der Angelegenheit zu sprechen, es muss aber befürchtet werden, dass auch der Letztere, selbst wenn er es wollte, nicht stark genug ist, um wirkliche Abhilfe zu schaffen.



Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved