[Close]
[de]

Deutsch




Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

01. Geplanter Tod durch Massaker, Krankheit, Hunger, Durst, Ertränken, Kälte

Dokument 1.06

Hinweise für Lehrkräfte

Ankündigung der Umsiedlung und Versprechen von Eskorte, Nahrung u. Unterkunft erweisen sich als Lüge. Deportationszüge durch Kurden u. Militär geplündert u. ausgelöscht.

Quelle

Politisches Archiv des deutschen Auswärtigen Amts. Zitiert nach: Wolfgang & Sigrid Gust (Ed.), www.armenocide.net. A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. 1916-09-10-DE-001






Um, wie es hieß, zu bestrafen.

Aus einem 1916 an den Reichskanzler Bethmann Hollweg gelangten Bericht von Thora von Wedel und Eva Elvers, Krankenschwestern im Dienste des Roten Kreuzes, die ab Oktober 1914 bis Mitte 1915 in Erzingjan türkische Soldaten gepflegt hatten


Anfang Juni [1915] teilte uns der Leiter der Rote Kreuz-Mission, Herr Stabsarzt Colley, mit, man würde die armenische Bevölkerung aus der Erzingjangegend nach Mesopotamien bringen, wo sie nicht mehr eine Majorität bilden würden.

Es sollten aber durchaus keine Massaker stattfinden. Für die Nahrung und Unterkunft der Ausziehenden würde gesorgt und ihre Sicherheit durch genügende militärische Eskorte verbürgt werden. Dem Personal des Roten Kreuzes wurde jeglicher Verkehr mit den Ausgewiesenen untersagt, auch waren weitere Spaziergänge und Ritte verboten.

Den Armeniern von Erzingjan wurde nun einige Zeit gegeben, um ihre Sachen zu verkaufen, die natürlich zu Spottpreisen verschleudert wurden. Am 7. Juni ging der erste Transport ab; wie man sagt, waren es Wohlhabendere, die sich Wagen leisten konnten. Sie sollen in Charput angekommen sein, wenigstens wurde ein diesbezügliches Telegramm von dort gezeigt. An den drei folgenden Tagen fanden wieder Ausweisungen statt. Viele Kinder wurden von moslemischen Familien aufgenommen. … Die Karawanen, die am 8., 9. und 10. Juni Erzingjan in scheinbarer Ordnung verließen (die Kinder vielfach auf Ochsenwagen untergebracht), wurden von Militär begleitet. Trotzdem sollte nur ein Bruchteil das nächste Reiseziel erreichen. … In vielen Windungen folgt die Straße, zwischen steilen Bergwänden am Strom entlang laufend, dem Euphrat. …. In den Engpässen der Straße wurden die zwischen Militär und herbeigerufenen Kurden eingekeilten wehrlosen Scharen, fast nur Frauen und Kinder, überfallen. Zuerst wurden sie völlig ausgeplündert, dann in der scheußlichsten Weise abgeschlachtet und die Leichen in den Fluss geworfen. Zu Tausenden zählten die Opfer bei diesem Massaker im Kemachtal, nur zwölf Stunden von der Garnisonstadt Erzingjan, dem Sitz … des Kommandos des vierten Armeekorps entfernt.

Was hier vom 10. bis 14. Juni geschah, ist mit Wissen und Willen der Behörden geschehen.

Die Wahrheit der Gerüchte wurde uns zuerst von unserer türkischen Köchin bestätigt. Die Frau erzählte unter Tränen, dass die Kurden die Frauen misshandelt und getötet und die Kinder in den Euphrat geworfen hätten. …

Am folgenden Tage, dem 11. Juni, wurden reguläre Truppen von der 86. Kavalleriebrigade unter Führung ihrer Offiziere in die Kemachschlucht geschickt, um, wie es hieß, die Kurden zu bestrafen. Diese türkischen Truppen haben, wie es die deutschen Krankenschwestern aus dem Munde türkischer Soldaten, die selbst dabei waren, gehört haben, alles, was sie noch von den Karawanen am Leben fanden, fast nur Frauen und Kinder, niedergemacht. Die türkischen Soldaten erzählten, wie sich die Frauen auf die Knie gestürzt und um Erbarmen gefleht hätten, und als dann als keine Hilfe mehr war, ihre Kinder selbst in den Fluss geworfen hätten. Ein junger türkischer Soldat sagte: „Es war ein Jammer. Ich konnte nicht schießen. Ich tat nur so.“ Andere rühmten sich gegenüber dem deutschen Apotheker, Herrn Gehlsen, ihrer Schandtaten. Vier Stunden dauerte die Schlächterei. ... Am Abend des 11. Juni kamen die Soldaten mit Raub beladen zurück. Nach der Metzelei wurde mehrere Tage in den Kornfeldern um Erzingjan Menschenjagd gehalten, um die vielen Flüchtlinge abzuschießen, die sich darin versteckt hatten. …


Abb. 9: Reste eines überfallenen und zerstörten Deportationszuges




Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved