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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

11. Mitverantwortung des Deutschen Reiches für den Genozid

Dokument 11.7

Hinweise für Lehrkräfte

Schreckliche Folter zur Abpressung von Geständnissen angehört. Ehefrau fragt sich, was wohl im Inneren des Landes passiert. Bricht in Beschimpfungen Deutschlands aus, das doch die Türken vollständig in der Hand habe.

Quelle

Stuermer, Harry, Zwei Kriegsjahre in Konstantinopel. Skizzen deutsch-jungtürkischer Moral und Politik, Lausanne, 1917, S. 52 f






Über die Behandlung der Armenier in der Hauptstadt Konstantinopel.

Erlebnisse der Frau eines deutschen Journalisten


Nur eine Episode will ich hier noch erwähnen, die mir von allem, was ich erlebt, persönlich am meisten naheging. An einem Sommertag 1916 gegen Mittag ging meine Frau, um etwas einzukaufen, allein in die „Grand Rue de Pera“. Wir wohnten ein paar Schritte von Galata-Seraï und hatten täglich vom Balkon aus genügend Gelegenheit, die Gruppen unglücklicher armenischer Deportierter unter Gendarmerieeskorte die Polizeiwache betreten zu sehen. Man wird schließlich auch gegen solche traurigen Anblicke abgestumpft und sieht zuletzt darin kaum mehr das menschliche Einzelschicksal, sondern fast nur noch das Politische. Dieses Mal aber kam nach wenigen Minuten meine junge Frau am ganzen Körper zitternd wieder zurück in die Wohnung. Sie hatte ihren Weg nicht fortsetzen können. Am „Karakol“ [Polizeigebäude] vorbeigehend, hörte sie aus dem offenen Vestibül die klagenden Töne eines Gefolterten, dumpfes Stöhnen wie von einem halb schon zu Tode gequälten agonisierenden Tiere. „Ein Armenier“, gab einer von den am Eingang Stehenden meiner Frau zur Auskunft. Dann wurde die Menge von einem Polizisten weggejagt. „Wenn solche Szenen am hellen Mittag am belebtesten Punkt der Europäerstadt Pera vorkommen, dann möchte ich wissen, was man mit den armen Armeniern im unzivilisierten Innern treibt“, frug mich meine Frau. … Und dann brach sie, laut schluchzend, in ihrer furchtbaren Empörung los, die sie angesammelt über alles das, was sie seit mehr als einem Jahre, so oft sie auch nur den Fuß auf die Straße setzte, mit mir zusammen hatte ansehen müssen: „Ihr seid Schweine, ihr Deutschen, erbärmliche Schweine seid ihr, dass ihr das bei den Türken duldet, wo ihr das Land doch vollständig in der Hand habt, feige Schweine seid ihr, und nie will ich jemals wieder den Fuß in euer verfluchtes Land setzen. O Gott, wie ich Deutschland hasse!“ In diesem Augenblick, wo meine eigene Frau, vor Schmerz, Empörung und Ekel über so viel Feigheit laut schluchzend und zitternd mir den nationalen Fluch ins Gesicht schleuderte, habe ich mit Deutschland innerlich gebrochen. Gewusst hatte ich ja leider schon seit langem genug!


Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved