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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

09. Über die Jungtürken und das Zentralkomitee „Einheit und Fortschritt“ (Ittahad ve Terakki“)

Dokument 9.08

Hinweise für Lehrkräfte

Jungtürkisches Komitee besteht aus ca. 20 Personen. Haben durch ihre Organisation politische Verfolgungen überstanden bis sie 1908/09 und 1912 selbst die Macht ergriffen bzw. wiederlangten. Zentrale Persönlichkeiten sind Talat Bey und Enver Pascha. Indirekt wird deutlich: Demokratische Willensbildung gibt es weder im Staat noch bei Jungtürken.

Quelle


Matthias Bjørnlund: www.armenocide.net. A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. 1915-09-22-DK-001.






Wie das Komitee die Geschäfte führt.

Aus einem Bericht des dänischen Gesandten in Konstantinopel Carl Ellis Wandel an den Außenminister Erik Scavenius vom 22. September 1915


In meinen früheren Berichten habe ich bereits versucht aufzuzeigen, wie Ihre Majestät der Sultan regiert, und wie das Komitee die Geschäfte führt. …

In Anbetracht der Aktualität des Themas will ich dennoch versuchen, auf der Grundlage dessen, was ich hier in Erfahrung bringen kann, eine kurze Schilderung des Komitees und seiner Männer zu geben - es handelt sich um eine Art von Direktorium aus 15-20 Mitgliedern, das das Regierungshandeln bestimmt ...

Das besondere Kennzeichen des jungtürkischen Komitees war und ist immer noch seine organisatorische Stärke. Ohne diese Kraft hätte das Komitee den Verfolgungen des Despotismus nicht widerstehen und selbst zu einer solchen Macht werden können, dass es das alte Regime zu Fall brachte. ... Das Komitee ist nicht nur mit dieser organisatorischen Stärke ausgestattet, es ist auch immer die einzige türkische Organisation gewesen, die diese Eigenschaft gehabt hat. All den anderen Parteien, die sich seit der Einführung der Verfassung gebildet haben, hat diese Kraft gefehlt, und sie mussten nach kurzer Zeit aufgeben. …

Unter den Männern, die im Vorstand des Komitees sitzen, muss zu allererst der jetzige Führer der Regierung, Innenminister Talaat Bey, genannt werden, ein ohne Zweifel bedeutender Politiker.

Talaat Bey, früher in der Provinz im Telegraphenamt tätig, arbeitete vom ersten Tag an für das Komitee, und gleich nach der Revolution trat er als einer der Führer türkischer Politik in den Vordergrund. Aber erst nach 1909 wurden er und andere jungtürkische Führer direkte Mitglieder der Regierung - Talaat Bey als Innenminister -, um die alten Paschas zu ersetzen, welche man noch eine Zeitlang als Strohmänner auf ihren Posten beließ. Es war Talaat Bey, der, als das Komitee (im Frühjahr 1912) von den „Befreiungs-Offizieren“ gestürzt worden war, die geheime Arbeit des Komitees leitete, um die Macht wiederzuerlangen, und er war es, der mit seinen Freunden bei nationalistischen Demonstrationen Kiamil [Kamil] Pascha, den damaligen Großwesir, in den unglückseligen Krieg mit den Balkanstaaten (Ende 1912) zwang, anstatt sich wirksam für die Einführung der von den Mächten geforderten Reformen einzusetzen.

Und wiederum war es Talaat Bey, der zusammen mit Enver Pascha Anführer beim neuen Staatsstreich war, der das Komitee wieder an die Macht [brachte ]…

Seitdem ist Talaat mehr und mehr zum Zentrum im jungtürkischen Komitee geworden. Die militärischen Mitglieder - und insbesondere Enver Pascha - hatten sich um die Verteidigung des Landes kümmern müssen, und die gesamte Führung ging über in die Hände Talaat Beys, der praktisch Innen-, Finanz- und Außenminister in einem ist.

Talaat Bey sehr nahe steh[en] sein Freund, Halil Bey, der Vorsitzende der Deputiertenkammer und des Komitees, Bedri Bey, Chef der Sicherheitspolizei in der Türkei …, [und] Nazim Bey, der chauvinistische Generalsekretär und Leiter der täglichen Regierungsarbeit des Komitees. …

Zur Zeit voll beschäftigt mit den militärischen Angelegenheiten ist Enver Pascha, der Offizier, der zusammen mit dem kurz danach getöteten Niazi Bey und seinen Truppen im Juni 1908 die Fahne der Rebellion in Albanien hisste, und damit den Anstoß gab für die eigentliche Revolution, nach der er Militärattaché in Berlin wurde, eine Ernennung, die zweifellos große Bedeutung für das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei bekommen hat. Nachdem er in die Türkei zurückgekehrt war, wurde er Stabschef des 10. Armeekorps, nahm 1913 aktiv am Staatsstreich teil ... Als Belohnung wurde er zwar relativ spät, im Januar 1914 Kriegsminister und bekam damit die gesamte militärische Macht der Türkei in seine Hand, nachdem das Komitee die alten Generäle und hohen Offiziere, die unter den Truppen große Popularität genossen, entlassen und sie durch Enver Paschas neue Schützlinge ersetzt hatte.



Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved