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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

12. Zu Wirtschaft, Mentalität und Bevölkerungszahlen der Armenier

Dokument 12.05

Hinweise für Lehrkräfte

Armenierfreund Lepsius hat Ernst der Lage in der Türkei noch nicht erkannt. Äußert Grundsätzliches: Stets bedenken, dass eine Hälfte der Armenier im Zarenreich lebt. Armenier unterstützten Jungtürken trotz der Massaker in der Provinz Adana 1908, wollen aber als Volk mit eigener Sprache, Religion etc. erhalten bleiben. Sie wissen, dass dies unter russischer. Herrschaft schwierig wäre. Einzelne und Gruppen mögen russ. Pläne unterstützen. Führende Kreise dagegen. Aktuelle Maßnahmen [nach Kriegsausbruch in der Türkei] nicht wichtig. Auch Deportationen im Prinzip unbedenklich, wenn nicht die türkische Verwaltungstechnik meist den Erfolg hätte, dass die Deportierten „eingehen“.

Quelle

Politisches Archiv des deutschen Auswärtigen Amts. Zitiert nach: Wolfgang & Sigrid Gust (Ed.), www.armenocide.net. A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. 1915-06-17-DE-001.






Wenn nicht die türkische Verwaltungstechnik meist den Erfolg hätte.

Aus einem von Johannes Lepsius, dem Vorsitzenden der Deutsch-Armenischen Gesellschaft, einem Mitarbeiter des Auswärtigen Amts übersandten Schreiben vom 11.6.1915.


Eine nüchterne Beurteilung der Lage der Armenier in der Türkei darf nicht vergessen, dass nur die Hälfte des armenischen Volkes in der Türkei, die andere volle Hälfte in Russland lebt. Es kann nicht günstig wirken, wenn die eine, die russische Hälfte, beständig umschmeichelt und umworben, und die andere, türkische Hälfte, nur Repressalien ausgesetzt ist. …

Es ist den leitenden armenischen Kreisen in Konstantinopel hoch anzurechnen, dass sie trotz übelster Zwischenfälle, wie in Adana 1908 und trotz des fühlbaren Mangels an Gegenliebe unentwegt zur Komitee-Partei hielten und die Politik von Talaat und Enver rückhaltlos unterstützten. Ihr grundsätzlicher Standpunkt ist und bleibt, dass das armenische Volk seinen nationalen Charakter in Sprache, Kirche und Sitte, nur als Glied des osmanischen Reiches bewahren kann, nicht aber, wenn es dem russischen Völkerhunger als Fraß hingeworfen wird. …

Ob einzelne türkische Armenier oder auch armenische Banden von Russland und England durch Geld und schöne Worte gedungen werden, ändert an der Gesamtlage ebenso wenig wie die Käuflichkeit einzelner Türken und die Umsturzversuche [von türkischen Gegnern der Komitee-Partei]. An den letzteren haben sich von Armeniern nur Handschakisten beteiligt, die in der Türkei fast keine Anhänger haben. Die [Mitglieder der armenische Organisation] Daschnakzagan haben mit der türkischen Oppositionspartei keine Verbindung und hatten mit den Umsturzplänen nichts zu tun.

Die führenden armenischen Kreise, Patriarchat, Nationalversammlung, Daschnakzagan sind auch jetzt noch gewillt, sich vor den Wagen der Türkei zu spannen und die russischen Armenier mit herüberzuziehen. …

Ich nehme die [aktuellen] Maßregeln des [türkischen] Kriegsministers gegen armenische Schulen, Presse u. s. w. nicht tragisch. Die Schließung der amerikanischen Colleges wird beim Patriarchat am wenigsten auf Widerstand stoßen. Auch Deportationen wären unbedenklich, wenn nicht die türkische Verwaltungstechnik (wie die Tscherkessen beweisen) meist den Erfolg hätte, dass die Deportierten eingehen.



Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved