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Kapitel | 
01. Geplanter Tod durch Massaker, Krankheit, Hunger, Durst, Ertränken, Kälte |

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Autor | 
Jörg Berlin |

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1. Geplanter Tod durch Massaker, Krankheit, Hunger, Durst, Ertränken, Kälte
Abbildung 1: Siedlungsgebiete der armenischen Bevölkerung 1914 vor dem Völkermord

Aus: Koutcharian, Gerayer, Der Siedlungsraum der Armenier unter dem Einfluss der historisch-politischen Ereignisse seit dem Berliner Kongress 1878: Eine politisch-geographische Analyse und Dokumentation, Berlin 1989. Anhang. Vgl. hierzu auch die drei Karten nach Dokumente 1.16.
Die in diesem Teil der Materialiensammlung enthaltenen Quellen vermitteln einen ersten Eindruck vom Leid und Sterben der Armenier ab 1915. Auswahl, Akzentuierung und Struktur (auch des gesamten Materials) ergaben sich aus den in Fortbildungsveranstaltungen von Teilnehmern gestellten Informationsfragen und Vorschlägen. Dabei ließ sich auch erkennen, dass viele Lehrerinnen und Lehrer für eine weitergehende Beschäftigung mit dem Thema zu gewinnen sind, wenn sich die ihnen zur Verfügung gestellten Materialien für eine relativ umstandslose Verwendung bei der Unterrichtsvorbereitung eignen. Deshalb sind die Inhalte nach dem bewährten Schema eines Spiralcurriculums angeordnet. Zu einer engeren Problemstellung werden nach und nach weiter ausholend Materialien und Informationen angeboten. Dabei ist es nach einer individuellen Schwerpunktsetzung an vielen Punkten leicht möglich, den Unterricht auf eine andere Fragestellung auszurichten.
Zum Verständnis des Völkermordes ist es wichtig, die breite und anhaltende staatliche Propagandakampagne zu registrieren, der es durch verschiedenste Methoden gelang, der türkischen Bevölkerung die ohnehin als Fremdkörper empfundenen und wenig beliebten Armenier als gefährliche, brutale Rebellen darzustellen. Durch Spionage, Sabotage, brutale Überfälle und Mordaktionen sollten diese beabsichtigen, das Osmanische Reich zu schwächen und den Kriegsgegner und insbesondere vorrückenden russischen Truppen zum Sieg zu verhelfen.
Nach dem Beginn des armenischen Widerstands in der Stadt Van meldeten die Zeitungen am 21. April in Konstantinopel auf ihren Titelseiten eine armenische Revolte. Nach den Aufzeichnungen des amerikanischen Zeitzeugen H. Riggs war diese Stimmungsmache so erfolgreich, dass die Gefahr unkontrollierter Massaker bestand. (Vgl. Dok. 1.1- 1.3) Zu einem erfolgreichen Widerstand waren die Armenier nicht in der Lage. Allerdings versuchten sie an verschiedenen Orten Übergriffe abzuwehren, ohne jedoch dabei ein offensives Vorgehen auch nur zu versuchen. Die kräftigeren Männer waren zum Militär eingezogen, wo sie zum Teil unbewaffnet in Arbeitsbataillonen zusammengefasst und später nach und nach getötet wurden. Die politische und geistige Führungsschicht verschwand nach einer ersten großen Verhaftungswelle am 24. April hinter Gefängnismauern. Auch von diesen Männern überlebten nur wenige. Die übrige christliche Bevölkerung war nun weitgehend wehrlos. Es folgten die sogenannten „Verschickungen“ und „Deportationen“. Bereits unmittelbare Beobachter verwiesen darauf, dass solche Begriffe den eigentlichen Sachverhalt vertuschten und beschönigten. (Vgl. Dok. 1.8 und 1.5) Was die Behörden als Umsiedlung bezeichneten, entpuppte sich für die einzelnen Zeitzeugen als Massenmord und in der Gesamtschau als Auslöschung der armenischen Nation als Völkermord.
Vertreibung, Tötung und Sterben der armenischen Frauen, Kinder und Männer unterschieden sich je nach Ort und Zeit erheblich. In einigen Orten hatten die Armenier Tage Zeit, sich auf die Deportation vorzubereiten, andernorts eine halbe Stunde (vgl. Dok. 1.4). Insbesondere in den Dörfern kam es vor, dass die Menschen nicht einmal Gelegenheit zum Anziehen von Straßenschuhen, Mänteln oder Jacken erhielten. Manche Deportationszüge wurden bereits nach wenigen Stunden völlig ausgelöscht. (Vgl. Dok. 1.6) Von anderen Zügen erreichte zumindest ein Teil die syrische Wüste und fand erst dort ein Ende (Vgl. Dok 1.7 und 1.9). Auch die Todesarten waren unterschiedlich. Die Menschen wurden erschlagen, erschossen, abgestochen, verbrannt, erstickt, ertränkt. Nicht wenige erfroren. Viele verhungerten, verdursteten oder kamen durch Krankheiten um. Europäische Beobachter beschrieben dies alles bereits sehr früh. Selbst Männer wie der Missionar Bauernfeind, der die Armenier gefühlsmäßig ablehnte, erkannten und hielten fest, was vorging (Vgl. Dok. 1.13). Zusammenfassende Berichte über die Entwicklung lieferten u. a. deutsche Diplomaten. (Vgl. Dok. 1.16. Siehe auch Dok. 5.1.) Prozesse gegen verantwortliche Jungtürken vor türkischen Gerichten nach dem Ende des Krieges bestätigten deren Beschreibungen. (Vgl. Dok. 1.14 und 1.15) |