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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

13. Türkische und deutsche Helfer und Retter

Dokument 13.06

Hinweise für Lehrkräfte

Der Bezirksgouverneur organisierte Protestveranstaltung gegen Deportationen und weigerte sich, solche zu organisieren. Half Deportierten aus anderen Gegenden. Ließ sich von Jungtürken nicht einschüchtern, rettete Armenier des Bezirks.

Quelle

www.aga-online.org. Verschwiegene Helden.






Damit in Kütahya eine Ansammlung der armenischen Bevölkerung verhindert werde.

Aus einem Bericht über den Bezirksgouverneur in Kütahya Fâik Âli Bey


Nach seiner Ausbildung am Militärgymnasium in Diyarbakır besuchte Fâik Âli Bey 1893 die Hochschule für Politik (Mülkiye) in Istanbul. 1899 bekam er seine erste Einstellung als Beamtenanwärter in Bursa. Anschließend wurde er zum Landrat (Kaymakam) in den Landkreisen Sındırgı, Burhaniye, Pazarköy (heute: Orhangazi) und nach Ausrufung der konstitutionellen Monarchie 1908 in Mudanya berufen. Nachdem … wurde er zum Provinzstatthalter ernannt und diente … zuletzt in Kütahya.

Der Sancak (Bezirk) Kütahya besaß 1915 eine armenische Gesamtbevölkerung von 3.578. Die Gemeinschaft war Ende des 15. Jahrhunderts entstanden und bildete eine der ältesten armenischen Gemeinden in der Region; sie wurde vor allem durch die Herstellung von Fayencen bekannt.

Anfang 1915 erhielt Fâik Âli einen Brief von seinem Bruder Süleyman Nazif, der ihn vor einer direkten oder indirekten Teilnahme an bevorstehenden Gewalttaten warnte, mit dem Nachsatz, dass er die Ehre seiner Familie nicht beschmutzen solle. Fâik Âli versammelte daraufhin die muslimische Elite der Stadt und brachte diese zu einer schriftlichen Bezeugung der politischen sowie wirtschaftlichen Bedeutung der Armenier für die Provinz sowie deren Ehrlichkeit und Treue. Als er den Befehl zur Deportation der armenischen Bevölkerung in seinem Amtsbereich empfing, gab er öffentlich bekannt, dass er ihm nicht Folge leisten werde. Es ist bekannt, dass er alles in seiner Macht Stehende getan hat, damit die in Kütahya wohnenden Armenier nicht deportiert würden. Des Weiteren wurden Armenier, die von anderen Orten hierher deportiert wurden oder irgendwie mit Kütahya zu tun hatten, in nahe gelegenen Orten beruflich eingesetzt, damit in Kütahya eine Ansammlung der armenischen Bevölkerung verhindert wurde, die bei der jungtürkischen Zentralregierung Aufsehen erregen und die Armenier insgesamt in Gefahr bringen könnte. Hervorzuheben ist, dass Fâik Âli mit Unterstützung der örtlichen muslimischen Bevölkerung handelte, wobei namentlich zwei angesehene Familien hervorzuheben sind: die Kermanyizâdes und Hocazâdes Rasik.

Einige Mitglieder des [örtlichen] Komitees für Einheit und Fortschritt, die zuvor unter den Unterzeichnern der oben erwähnten Bezeugung gewesen waren, forderten den Mutasarrıf auf, den Deportationsbefehl doch auszuführen. Fâik Âli Bey drohte ihnen daraufhin, sie wegen Falschaussage gegenüber dem Staat zur Rechenschaft zu ziehen, wobei zu klären wäre, zu welchem Zeitpunkt sie denn gelogen hatten: als sie mit ihrer Unterschrift die Loyalität der Armenier bezeugt oder als sie diese beschuldigten. In jedem Fall aber hätten sie gelogen, und zwar vor dem Staate! Aufgrund der Beschwerde der Ittihatisten [der Parteigänger des Komitees für Einheit und Fortschritt] kam Fâik Âli Bey mit [dem Innenminister] Talât Pascha in Konflikt und bat um seine Entlassung aus dem Amt, was aber abgelehnt wurde. Während einer kurzen Abwesenheit Fâik Âlis wurden die Armenier zur Zwangskonversion [Übertritt zum Islam] gezwungen. Nach seiner Rückkehr endete diese Aktion.

Die armenische Bevölkerung des Sancak Kütahya blieb 1915 von Deportationen verschont … Außerdem gründete Fâik Âli eine armenische Schule für deportierte Kinder. Als einige armenische Gemeinden ihm als Dank Geld zukommen ließen, nutzte er dieses Geld, um Nahrung für die verelendeten auswärtigen Armenier zu kaufen, deren Schicksal zu erleichtern er sonst offiziell nicht befähigt war. 1919 schrieb er [einem] armenischen Journalisten :

„Es sollte gleichzeitig eine Gewissensaufgabe sein, der Zivilisationen der Welt und der gesamten Menschheit Folgendes mit der kräftigsten Stimme zuzurufen: Die Gewalttaten sind nicht mit Billigung der Bevölkerung verübt worden, sie sind Morde einiger undankbarer gesetzloser Raubmörder (original: vatan haramisi) … “



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