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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

05. Aussagen ausländischer Zeitzeugen über einen absichtlich und planvoll durchgeführten Genozid sowie die damit angestrebten Ziele

Dokument 5.11

Hinweise für Lehrkräfte

Türk. Regierung verheimlicht ihr Vorgehen gegen Armenier. Tötungen ganzer Gruppen. Bloße Deportation wäre zulässig, die Ermordung u. Beraubung sind es nicht. Sie folgten aus einem lang gehegten Plan. Vernichtung der Armenier vom jungtürkischen Komitee in Konstantinopel beschlossen, mit Hilfe von Angehörigen des Heeres und von Freiwilligenbanden durchgeführt. Mitglieder des Komitees dazu in Provinz.

Quelle

Politisches Archiv des deutschen Auswärtigen Amts. Zitiert nach: Wolfgang & Sigrid Gust (Ed.), www.armenocide.net. A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. 1915-8-23.






Entfernung der Armenier wird mit militärischer Notwendigkeit begründet.

Aus einem Geheimbericht des deutschen Oberstleutnants Stange vom 23.8. 1915 an die Militärmission in Konstantinopel


Soweit es bei dem Bestreben der Regierung, die Ereignisse zu verheimlichen oder abzuschwächen, übersehen werden kann, ist die Lage folgendermaßen: Von dem ersten Trupp, der am 16. 6. auf dem direkten Weg nach Charput abging und der vorwiegend aus armenischen Notabeln bestand, die ziemlich viel Gepäck mitführten, sind alle Männer mit wenigen Ausnahmen umgebracht, was vom Wali für eine Anzahl von 13 Armeniern zugegeben wurde. … Von den Armeniern von Trapezunt wurden die Männer abseits ins Gebirge geführt und unter Mithilfe von Militär abgeschlachtet, während die Frauen in bejammernswertem Zustande nach Ersindjan getrieben wurden. Was weiter mit ihnen geschah ist zurzeit nicht bekannt. … Die Armenier von Ersindjan wurden allesamt ins Kemach-(Euphrat) Tal getrieben und dort abgeschlachtet. Es wird ziemlich glaubwürdig berichtet, dass die Leichname auf schon vorher bereit gehaltenen Wagen nach dem Euphrat geschafft und in den Fluss geworfen wurden… In Erserum befinden sich nur noch ganz wenige Armenier, nachdem die ursprünglich getroffene Anordnung, Frauen und Kinder ohne männlichen Schutz dürften in der Stadt bleiben, wieder aufgehoben und deren Vertreibung streng und rücksichtslos durchgeführt war. Selbst diejenigen, deren man für Heeres- und Verwaltungsbetrieb unbedingt bedurfte, Handwerker, Beschlagschmiede, Kraftwagenführer, Lazarettpersonal, Bank- und Regierungsbeamte, Militärärzte wurden planlos verschickt. .

Die Entfernung der Armenier aus dem Kriegsgebiet von Erserum war gesetzlich zulässig und wird mit militärischer Notwendigkeit begründet. In der Tat hatten sich die Armenier in verschiedenen Gegenden als unzuverlässig erwiesen. Es kam mit russischer Unterstützung zu Aufständen und Gewalttätigkeiten gegen die muselmanische Bevölkerung z.B. am Wan-See, in Bitlis, in Musch. ... Andererseits hatte sich bisher die armenische Bevölkerung in Erserum vollkommen ruhig verhalten. Ob sie bei etwaiger Annäherung der Russen an Erserum weiter ruhig geblieben wären, ist zur Zeit nicht mit Sicherheit festzustellen. Alle wehrfähigen Armenier waren bis auf einen verhältnismäßig geringen Bruchteil eingezogen. Ein besonderer Anlass, eine wirksame Erhebung zu befürchten, lag demnach nicht vor. …

Dass aber Hunderte und Tausende regelrecht ermordet wurden, dass die Behörden über jedes zurückgelassene Eigentum (Häuser, Läden, Waren, Hausrat) willkürlich verfügten, .. dass überhaupt die Entfernung in der unmenschlichsten Weise vor sich ging und Familien und Frauen ohne männlichen Schutz vertrieben wurden, dass endlich die zum mohammedanischen Glauben übergetretenen Armenier nicht mehr als verdächtig betrachtet und also in Ruhe gelassen wurden, gibt zu der Vermutung berechtigten Anlass, dass militärische Gründe erst in zweiter Linie für die Vertreibung der Armenier in Betracht kamen, und dass es hauptsächlich darauf ankam, diese günstige Gelegenheit, wo von außen her Einspruch nicht zu erwarten war, zu benutzen, einen lang gehegten Plan, die gründliche Schwächung, wenn nicht Vernichtung der armenischen Bevölkerung zur Ausführung zu bringen.

Hierzu boten militärische Gründe und die aufrührerischen Bestrebungen in verschiedenen Landesteilen willkommenen Vorwand. … Dieses Verhalten entspricht allerdings seiner [= des Oberkommandierenden Kiamil Pascha] Äußerung zum Konsul, dass es nach dem Kriege eine Armenierfrage nicht mehr geben werde.

Nach allem Vorgefallenen kann folgendes als sicher angenommen werden: Die Austreibung und Vernichtung der Armenier war vom jungtürkischen Komitee in Konstantinopel beschlossen, wohl organisiert und mit Hilfe von Angehörigen des Heeres und von Freiwilligenbanden durchgeführt. Hierzu befanden sich Mitglieder des Komitees hier an Ort und Stelle.


Abb. 17: Kriegsgebiet und osmanisch-russische Front 1914 - 1916

Aus: The Armenian Review, Jg. 1994.



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