[Close]
[de]

Deutsch




Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

08. Reformvorschläge für Türkisch-Armenien vor 1914

Dokument 8.4

Hinweise für Lehrkräfte


Quelle

Haus-Hof- und Staatsarchiv, Politisches Archiv, Wien. Zitiert nach: Ohandjanian, Artem (Hg.), Österreich-Armenien 1872-1936. Faksimilesammlung diplomatischer Aktenstücke, Wien 1995, Bd. VI: 1914-1915, S. 4325 ff.
(Der Armenienspezialist Andrej Mandelstam hatte das Reformprojekt für die russische Diplomatie erarbeitet.)






Ein Vergleich des russischen Reformprojekts für Türkisch-Armenien aus dem Jahr 1913 mit dem nach Verhandlungen tatsächlich erreichten Ergebnis.

Aus einem Bericht des österreichischen Botschafters in Konstantinopel an den Außenminister in Wien vom 2. März 1914


Während das Bestreben Russlands darauf ausging, aus den 6 Vilajets [Provinzen] eine einzige Provinz mit administrativer Neueinteilung nach ethnografischen Grundsätzen zu schaffen, derselben durch die große Machtvollkommenheit des General-Gouverneurs und des Landtages eine weitgehende Autonomie zu sichern, und die Durchführung der Reformen durch ein Controllrecht der Mächte zu sichern, wurde jetzt an der bisherigen administrativen Einteilung jener Gegenden nichts geändert, das von den Türken von Anfang an vorgeschlagene System der Inspectionszone acceptiert und auch das Controllrecht der Mächte fallen gelassen. …

Das russische Project sah die Schaffung einer aus den 6 Vilajets gebildeten Provinz mit einem Gen[eral]-Gouverneur vor, der vom Sultan mit Zustimmung der Mächte ernannt werden sollte. Stattdessen werden je 3 der 6 Vilajete einem fremden Gen.-Gouverneur unterstellt, wobei von der Zustimmung der Mächte zu deren Ernennung keine Rede mehr ist. … Ein [weiterer] fundamentaler Unterschied betrifft die administrative Einteilung der 6 Provinzen. Das russische Project verlangte Auflassung [Aufgabe] der [bestehenden] Vilajetseinteilung und Neuabgrenzung der Sandjaks [Bezirke] und Kazas [Unterbezirke] auf ethnografischer Grundlage. Damit wäre dem Gen.-Gouverneur eine große Machtvollkommenheit gesichert worden, da ihm als höchste Beamte die Mutessarifs [Bezirksgouverneure] unterstellt gewesen wären.

Nun wird die Vilajetseinteilung beibehalten und auch an der administrativen Abgrenzung der Sandjaks und Kazas nichts geändert. Groß ist auch der Unterschied in dem für [einen eigentlich vorgeschlagenen] Gen.-Gouverneur vorgesehen gewesenen und der den [nun durchgesetzten] Gen.- Inspectoren eingeräumten Machtbefugnis. Ersterer war als Chef der executiven Gewalt der ganzen Provinz gedacht, er sollte alle Beamten ernennen und absetzen und alle Richter ernennen. Er hätte den Oberbefehl über die Polizei und Gendarmerie haben sollen und mussten ihm auf Verlangen die Truppen zur Aufrechterhaltung der Ordnung zur Verfügung stehen. Die Gen.-Inspectoren haben hingegen nur die Controlle über die Verwaltung der Justiz, Polizei und Gendarmerie; Chef der Executive bleibt in jedem Vilajete der Vali, der sicherlich allen Reformstrebungen der Gen.-Inspectoren die bewährte türkische Verschleppungstaktik entgegenstellen wird. … Das Mandelstam´sche [russische] Project verlangte für den Provincial-Landtag, der an Stelle der Conseils Généraux der 6 Vilajete treten sollte, gleiche Anzahl christlicher und mohammedanischer Abgeordneter. Statt dessen wird für die Conseils Généraux das Princip der Proportionalität mit dem jetzigen Wahlsystem eingeführt und wird zweifelsohne dafür gesorgt werden, dass die Volkszählung … so ausfalle, dass in jedem Vilajete eine mohammedanische Majorität festgestellt wird. … Das allerwichtigste Postulat des russischen Projectes, das Verlangen nach einer Controlle des Reformwerkes durch die [europäischen Groß-]Mächte ist von der Pforte [der türkischen Regierung] nicht acceptiert worden, und ist damit dem Reformwerke wohl das Schicksal beschieden, das alle Reformbestrebungen in der Türkei hatten.



Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved