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Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

11. Mitverantwortung des Deutschen Reiches für den Genozid

Dokument 11.8

Hinweise für Lehrkräfte

Deutschland hat Türkei die Deportationen nicht vorgeschlagen. Hatte auch nicht genug Einfluss, um Armenier zu retten. In nationaltürkischen Fragen entschied jungtürkisches Geheimkomitee. Talaat und Enver waren in der Armenierpolitik unnachgiebig. Türken sahen Gefahr der Gründung eines Großarmenien [aus Türkisch- und Russisch-Armenien] unter Führung Russlands. Die vor keinem Verbrechen zurückschreckenden jungtürkischen Barbaren sahen in der Vernichtung des armenischen Volkes das Mittel, um diese Gefahr und damit die Abspaltung des östlichen Kleinasien von der Türkei auf immer zu beseitigen.

Quelle


Der Zusammenbruch des Ottomanischen Reiches. Erinnerungen an die Türkei aus der Zeit des Weltkrieges von Joseph Pomiankowski ehem[maliger] k. u. k. Feldmarschalleutnant und Militärbevollmächtigter in der Türkei, Wien (1928), S. 161 ff.






Einfluss Deutschlands auf die innerpolitischen Verhältnisse der Türkei.

Der ehemalige österreichische Militärbevollmächtigte im osmanischen Reich, Feldmarschallleutnant Pomiankowski, kommentiert Vorwürfe des ehemaligen US-Botschafters in Konstantinopel, Henry Morgenthau, gegen deutsche Diplomaten


Herr Morgenthau erklärt [in seinem Buch], dass der einzige, welcher Abhilfe hätten schaffen können, der deutsche Botschafter Baron Wangenheim gewesen wäre. Derselbe hätte jedoch nicht allein jede Intervention zugunsten der Armenier abgelehnt, sondern die barbarischen Maßnahmen der türkischen Regierung geradezu gutgeheißen und sie – vom Standpunkt der türkischen Staatsräson – als vollkommen gerechtfertigte Selbstverteidigung gegenüber der gefährlichen Aggressivität der Armenier bezeichnet. Nach Wangenheim bestand [demnach] für die Türkei nur ein Problem, d. i. die siegreiche Durchführung des Krieges und jedes Mittel, welches diesem Zweck diente, wäre nach seiner Meinung gut gewesen.

Auf Grund seiner Gespräche mit verschiedenen deutschen Funktionären beschuldigt Herr Morgenthau die Deutschen, den Türken den Gedanken der Massendeportationen der Armenier nach Mesopotamien geradezu suggeriert zu haben … .

Dagegen haben sich viele intelligente Türken mir gegenüber spontan in dem Sinne geäußert, dass die Ursachen der Dekadenz des Osmanischen Reiches, sowie speziell der seit 200 Jahren ununterbrochenen Reihe von Verlusten europäischer und asiatischer (kaukasischer) Provinzen ausschließlich in der übermäßigen Humanität der früheren Sultane zu suchen sei. Dieselben hätten die Bewohner aller eroberten Provinzen entweder zur Annahme des Islams zwingen oder ausrotten müssen. Im Sinne dieser allgemein verbreiteten Meinung dürfte es auch keinem Zweifel unterliegen, dass die jungtürkische Regierung schon vor dem Kriege beschlossen hatte, die nächste sich darbietende Gelegenheit dazu zu benützen, die Fehler der früheren Sultane wenigstens zum Teil gutzumachen und so im letzten Augenblick den Rest des Osmanischen Reiches vor weiteren Amputationen zu retten. Es ist auch sehr wahrscheinlich, dass diese Erwägung bzw. Absicht auf die Entschließung der Pforte betreffs Anschluss an die Zentralmächte und Zeitpunkt der Eröffnung der Feinseligkeiten einen wichtigen Einfluss gehabt haben. Dass die Stimmung der Deutschen gegenüber den vollkommen ententistisch orientierten Armeniern nicht freundlich und wohlwollend sein konnte, ist nach allem nur natürlich.

Baron Wangenheim erklärte mir lange vor dem Morde von Sarajewo, dass er die ganze Reformaktion der Mächte in Armenien als ganz verfehlt und nutzlos betrachte. Die Armenier hätten seiner Ansicht nach nur ein Mittel, Ruhe sowie Sicherheit des Lebens und Eigentums zu erlangen und dies wäre: Der Übertritt zum Islam. Die Frage, ob Deutschland und speziell Baron Wangenheim nach Beginn des Krieges imstande gewesen wäre, die Türken an der Ausführung ihrer Vernichtungsaktion zu hindern, ist nicht leicht zu beantworten. Es ist hierbei notwendig, den zwischen Türken und Armeniern herrschenden, von beiden Seiten gleich abgrundtiefen Hass in Rechnung zu ziehen, sowie die in jedem Türken – nicht mit Unrecht – festwurzelnde Überzeugung, dass das armenische Problem für das Osmanische Reich eine Frage von Leben oder Tod bedeute.

Es ist auch sicher, dass sowohl Herr Morgenthau, als auch viele andere Diplomaten (besonders der Entente) den Einfluss Deutschlands auf die innerpolitischen Verhältnisse der Türkei überschätzten. … Wo es sich … um nationaltürkische oder grundsätzliche Fragen der allgemeinen Reichspolitik handelte, deren Lösungen meist auf Beschlüssen des jungtürkischen Geheimkomitees beruhten, da waren sowohl Talaat und Enver, als auch der geringen Einfluss besitzende Großwesir Said Halim Pascha unzugänglich und unnachgiebig. Und gerade das armenische Problem gehörte zu den nationalen Existenzfragen der Türkei und des türkischen Volkes. Die Gefahr der Gründung eines Großarmenien unter der Ägide Russlands war tatsächlich vorhanden und die vor keinem Verbrechen zurückschreckenden jungtürkischen Barbaren sahen in der Vernichtung des armenischen Volkes das Mittel, diese Eventualität auf immer zu beseitigen.



Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved