[Close]
[de]

Deutsch




Buch

Unterrichtsmaterial über den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich 1915/16 von Jörg Berlin

Kapitel

13. Türkische und deutsche Helfer und Retter

Dokument 13.10

Hinweise für Lehrkräfte

Ließ deportierte Armenier zurückholen. Schützte Griechen. drohte der örtlichen Behörden u. der Polizei den Einsatz des ihm unterstehenden Militärs an. Gespräche mit türkischem Gouverneur ergaben nebenbei, dass nicht Waffenfunde in der Stadt, sondern Befehle des jungtürkischen Komitees Ursache der Verfolgungen waren.

Quelle

Politisches Archiv des deutschen Auswärtigen Amts. Zitiert nach: Wolfgang & Sigrid Gust (Ed.), www.armenocide.net. A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. 1916-11-17-DE-001.






Aus einer Aufzeichnung des deutschen Marschalls Liman von Sanders über die Armenierverschickungen in Smyrna.

Ein Bericht des Botschafters in außerordentlicher Mission in Konstantinopel, Kühlmann, vom 17. November 1916 an den Reichskanzler


Euer Exzellenz beehre ich mich in der Anlage Abschrift einer Aufzeichnung des Marschalls Liman von Sanders über die Armenierverschickungen in Smyrna vorzulegen. Wie daraus und auch aus dem nebenbezeichneten Bericht hervorgeht, sind die gegen die Armenier gerichteten Maßnahmen auf Anordnung aus Konstantinopel getroffen worden. Der Vorwand für die Verschickungen das angebliche Auffinden von Bomben und Waffen auf einem armenischen Friedhof gehört zu dem schon bekannten Inventar der türkischen Behörden an solchen Vorwänden. Das Eingreifen des Marschalls ist auch deshalb zu begrüßen, weil sich in Smyrna, wie dies auch an anderen Orten vorgekommen ist, das Gerücht verbreitet hatte, die deutschen militärischen Stellen hätten die Austreibung der Armenier verlangt. Ich werde nicht verfehlen, die türkische Regierung auf den Vorfall anzureden und ihr größte Vorsicht in der Behandlung der Armenierfrage zu empfehlen; von dem Vorschlag eines Abtransports nach Deutschland glaube ich aber Abstand nehmen zu sollen, um nicht das allzeit rege Misstrauen der Türken wachzurufen.

Anlage

[Bericht des Marschalls Liman von Sanders vom 17. November 1916]

Am Donnerstag, den 9. November, gegen Abend, als ich von der Besichtigung der oesterreichischen Batterie bei Phokia [bei Smyrna] zurückkehrte, wurde mir von Konsul Graf v. Spee mitgeteilt, dass am 8. und in der vergangenen Nacht zahlreiche Armenier-Verhaftungen in Smyrna stattgefunden hatten, und dass diese Armenier mit der Eisenbahn in das Innere des Landes abtransportiert seien. Ich zog an verschiedenen Stellen nähere Erkundigungen ein. Es wurde mir bestätigt, dass durch die Polizei zum Teil in rohester Weise, indem alte Frauen und kranke Kinder in der Nacht aus den Betten geholt wurden mehrere hundert Armenier verhaftet und direkt auf die Bahn gebracht worden seien. Zwei Eisenbahnzüge voll Armenier waren abtransportiert worden. In der Stadt herrschte große Aufregung über diese Vorgänge.

Ich schickte am 10. November morgens den Chef des Stabes der V. Armee, Oberst Kiasim Bey, zum Vali und ließ ihm sagen, dass ich derartige Massen-Verhaftungen und -Transporte, welche in einer vom Feinde bedrohten Stadt nach verschiedenen Richtungen in das militärische Gebiet eingriffen, nicht weiter dulden würde. Sollte die Polizei trotzdem mit diesen Maßnahmen fortfahren, so würde ich sie mit Waffengewalt durch die mir unterstehenden Truppen verhindern. Ich gab dem Vali bis zum Mittag dieses Tages Zeit, sich zu entscheiden. Den Kommandierenden General in Smyrna, Königl. Preuß. Oberst Trommer, der die Vorgänge bereits kannte, verständigte ich durch Major Prigge von obiger Mitteilung und den ev[entuell] zu treffenden Maßnahmen. Gegen 1.30 [Uhr] Nachm. kam Major Kiasim Bey vom Vali der in Burnabad war - zurück und meldete mir, dass die Verhaftungen und Transporte eingestellt worden seien und unterbleiben würden. Am Nachmittag des Tages kam der erste Departementschef des Vali - Kara Biber Bey - zu mir, und hatte ich ausführliche Rücksprache über die Angelegenheit mit ihm.

An demselben Abend kamen 3 Griechen aus Urla bei Smyrna (ca. 25000 griechische Einwohner) zu mir und zeigten mir mit Bitte um Hülfe an, dass die 10 angesehensten und reichsten Notabeln in Urla durch 30 dorthin entsandte Gendarmen ohne Verhör verhaftet und in das Smyrnaer Gefängnis verbracht worden seien. Am 11. Nov. Vorm. war ich zu Besichtigungen in Urla, fand die Tatsache bestätigt und erhielt vom Abschnittskommandeur nähere Meldung. Am 11. Nov. Nachm. suchte mich der Vali persönlich auf. In einer langen Rücksprache setzte mir der Vali die Gründe für die Massen-Verhaftungen der Armenier auseinander. Ich konnte diese Gründe, die auf ganz unzureichenden Grundlagen beruhten, nicht billigen und betonte, dass die militärische Lage die größte Ruhe in der zum größten Teil von Griechen bewohnten Stadt Smyrna unbedingt erforderten.

Der Vali teilte mir vertraulich mit, dass er die Maßregeln aus den vorher genannten Gründen in Übereinstimmung mit dem Minister Talaat Bey und anderen maßgebenden Persönlichkeiten (Komitee-Mitgliedern) getroffen habe. Ich erklärte dem Vali, dass ich [dies]hier als Oberbefehlshaber in meinem Bezirk nicht dulden dürfe, ohne die Ruhe zu gefährden. Er könne sich auf mich berufen. Er sagte dies zu und versprach mir schriftlich Nachricht zu geben. Ebenso veranlasste ich sofortige Untersuchung über die scheinbar unschuldig verhafteten Einwohner von Urla. Am Abend reiste ich ab. Der Vali war an der Bahn. Kurz nach meiner Rückkehr nach Panderma erhielt das Oberkommando Schreiben des Vali, worin mitgeteilt wurde, nach welchem Ort die Armenier verbracht worden seien, und in dem erklärt wurde, dass die unschuldig Befundenen nach Smyrna zurücktransportiert werden würden.
[Liman von Sanders] Königl. Preuß. General der Kavallerie.



Copyright © 2014 Dr. Jörg Berlin: www.armenocide.net A Documentation of the Armenian Genocide in World War I. All rights reserved